Gottesnamen im Judentum
Gottesnamen im Judentum sind verschiedene Bezeichnungen für ein und denselben Gott, die in den biblischen und rabbinischen Traditionen des Judentums verwendet werden. Nicht gemeint sind damit die neben Israels Gott genannten Götter, die außerdem in der Bibel vorkommen: Dieses Thema behandelt der Artikel Götter (Bibel).
Gottes Namen sind für gläubige Juden mehr als bloße Bezeichnungen. Sie repräsentieren Gott selbst, seine Unverwechselbarkeit und Identität in seiner Beziehung zum jüdischen Volk, in dessen Geschichte er sich offenbart. Sie enthalten aber auch Aussagen über die ihm zugeschriebenen Eigenschaften, über sein "Wesen" für alle Zeiten und Völker.
Zugleich entzieht sich dieses Wesen dem direkten Zugang und der direkten Beschreibung: Seine Umschreibungen sollen den wahren Namen Gottes verhüllen, den letztlich nur er selbst aussprechen kann und darf. Diese Ehrfurcht vor der Heiligkeit Gottes zeigt die jüdische Tradition durch die Vermeidung des Gottesnamens: Er wird anders vokalisiert und ausgesprochen als er geschrieben steht, und der Sofer (Schreiber), der handschriftliche Kopien heiliger Texte anfertigt, hält stets einen Moment inne, bevor er einen Gottesnamen abschreibt.
Bibel
Gott wird im Tanach, der Hebräischen Bibel, vor allem JHWH genannt (über 6.800 mal). Nur diese Konsonantenfolge steht für den Gottesnamen im engeren Sinn. Die zweithäufigste Bezeichnung (über 3.000 mal) ist Elohim, der Plural von El: Hier handelt es sich um einen im vorderen Orient verbreiteten Titel für "Gott" in verschiedenen Wortverbindungen, der dadurch wie ein Name gebraucht wird und zum Namen wird.
Solche Verbindungen und Zusätze sind:
- "Gott meines (deines) Vaters"
- "Gott unserer (eurer) Väter"
- "Gott Abrahams"
- "Gott Isaaks"
- "Gott Jakobs"
- "Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs"
- "Gott Israels"
- pachad jitzchaq: "Schrecken Isaaks"
- El schaddaj: der "Starke, Allmächtige", oft in Verbindung mit Jakob
- El eljon: "der Höchste"
- Adonaij: "mein Herr"
- JHWH Zebaoth: "Herr der Heerscharen"
- Goel: "Erlöser" u.a.
Der Gott der Väter
In einer älteren, nomadischen Stufe des Ein-Gott-Glaubens war Gott namenlos und wurde nach dem Menschen benannt, dem er zuerst erschien: El Avraham ("Gott Abrahams"), El Jitzchaq ("Gott Isaaks"), El Ja'aqov ("Gott Jakobs"). Nahm man früher an, dass hier nur Personifizierungen von Sippen- und Stämmenamen vorliegen, die sich auf einen fiktiven "Erzvater" zurückführten, so weiß man seit den Funden der Mari-Briefe von etwa 1900 v. Chr., dass es sich um echte Individuen handelte: Dort sind unter den aramäischen Namen auch Namen wie "Abram", "Isaak" und "Jakob" als Personennamen belegt, die nirgends als Stammesnamen auftauchen.
Im Zuge der zweiten Aramäischen Wanderungswelle (um 1500 v. Chr.) kamen solche Stämme von Halbnomaden aus Mesopotamien und Syrien oder von der Sinaihalbinsel auch in das fruchtbare Kulturland Kanaan, wo sich verschiedene Stämme begegneten und ihre Geschichten austauschten. Dabei wurden ihre Gottheiten wahrscheinlich schon miteinander identifiziert, so dass Reihungen wie "Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs" (Ex 3,6) entstehen und als "Gott euer Väter" zusammengefasst werden konnten (Ex 3,16). Dies ist im Kern die These vom "Gott der Väter" als Vorstufe zur Jahwereligion in Gesamtisrael, die der Alttestamentler Albrecht Alt Anfang des 20. Jahrhunderts formulierte.
Dass die Vätergötter ursprünglich eigenständige Familiengötter waren, lässt sich aus verschiedenen Indizien folgern:
- Die Kombination "Gott meines Vaters" meinte wohl ursprünglich nur den eigenen Familienvater (Gen 26,24; 46,1).
- Dass sie diesen von anderen Familiengöttern unterscheidet, zeigen einzelne alte Vätergeschichten wie die Begegnung Jakobs mit seinem Verwandten, dem Aramäer Laban (Gen 31,5.29.42). Auch in der Josephsgeschichte (Gen 43,23) heißt es distanzierend und singularisch: Euer Gott und eures Vaters Gott hat euch einen Schatz gegeben...
- Auch eine Stelle wie Gen 31,53 belegt, dass es ursprünglich verschiedene Familiengötter gab:
- Der Gott Abrahams und der Gott Nahors - der Gott ihres Vaters! - sei Richter zwischen uns.
- Erst in späterer Überlieferung wird aus dem "Gott meines (deines, eures, ihres) Vaters" der "Gott unserer (eurer, ihrer) Väter".
- Analog dazu ist die Kombination "Gott Abrahams" älter als die Reihung "Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs".
- Analoge Namenskombinationen sind später selten, und die Bezeichnung "Gott des Mose" taucht nach der Namensoffenbarung JHWHs (Ex 3,14) nicht auf.
Der Tanach betont die Identität dieser Sippen- und Stammesgötter mit JHWH, dem Gott Gesamtisraels, verbindet diesen Namen aber erst mit der Berufung des Mose zum Führer Israels aus Ägypten (Ex 3). Dass sie miteinander identifiziert werden konnten, hing mit ihrem "Wesen" zusammen: Als Schutzgötter einer Sippe waren sie nicht ortsgebunden, sondern zogen mit dieser mit und waren besonders für die Gaben verantwortlich, von denen die Zukunft aller abhing: Land, Nachkommen und Frieden mit den Nachbarvölkern (Gen 12,1-3). So führte und bewahrte auch Israels Gott sein Volk später als der, der mitzog und eingriff, um es als sein Volk zum Segen für alle Völker zu retten.
El, Eloah und Elohim
In der Bibel ebenfalls häufig anzutreffen ist El. Dieses Wort ist sowohl Eigenname eines Gottes aus dem kanaanäischen Pantheon als auch das allgemeine semitische Wort für "Gott" überhaupt.
El wird im Tanach mit verschiedenen Attributen kombiniert:
- als El schaddaj: Die exakte Bedeutung von schaddaj ist unsicher. Man vermutet einen Zusammenhang mit dem Wortfeld "gewalttätig sein, verheeren". Eine häufige Übersetzung ist daher "der Allmächtige" oder der "Starke".
- Verwandt mit dem El schaddaj ist die sehr alte und seltene Bezeichnung pachad jitzchaq (Gen 31,42.53). Sie wird gewöhnlich mit "Schrecken Isaaks" übersetzt, aber auch in diesem Falle ist die exakte Bedeutung ungeklärt. Nach der Identifizierung der Vätergötter mit JHWH wurde der "Gottesschrecken" in der Richterzeit typisches Element des "Jahwekrieges", bei dem Gott anstelle des gesamtisraelitischen Heeres übermächtige Nachbarvölker allein durch den Schrecken, den seine Gegenwart mit sich bringt, besiegt (vgl. Ri 6).
- als El eljon: Dieser Zusatz bedeutet schlicht "höchster Gott" oder "der Höchste". In Ugarit bezeichnete dieser Titel die oberste Gottheit des Götterpantheons. Der El eljon wurde im kanaanäischen Stadtstaat Salem (später: Jerusalem) als "der, der Himmel und Erde geschaffen hat", verehrt. In Gen 14,18-20 findet sich eine alte Erinnerung daran, dass dieser Gott von den Halbnomaden, die sich im Zuge des Weidewechsels zwischen den kanaanäischen Stadtstaaten ansiedelten, anerkannt wurde. Dort segnet der Priesterkönig Melchisedek den Erzvater Israels, Abraham, worauf dieser seinem Gott den Tribut von der Ernte entrichtet.
Das deutet möglicherweise schon den religionsgeschichtlichen Übergang vom Stammesgott der Väter oder JHWHs zum Schöpfergott an: Dabei wurden die vielen Götter des kanaanäischen Pantheons geistig "entmachtet" und verloren ihre Eigenständigkeit, so dass sie im Plural von Elohim aufgingen.
Elohim ist kaum als Eigenname zu verstehen, sondern eher als kategorialer Begriff ("Gott" bzw. "Götter"). Er kann auch in Verbindung mit Eigen- oder Ortsnamen auftreten. In Kanaan wurden Orte nach El benannt, wo er kultisch verehrt wurde: z.B. Beth-El ("Haus Gottes"). Daneben gibt es die Form Eloah, die gewöhnlich als Singularbildung zu Elohim angesehen wird (vgl. arabisch allah).
JHWH
Der Gottesname JHWH (ausgesprochen etwa "Jahwe" oder "Jahwo", früher meist Jehovah) stammte ursprünglich wohl aus dem Gebiet der Midianiter oder Keniter und wurde mit der Exoduserfahrung der Hebräer, einer nichtethnischen Schicht landloser Arbeitssklaven und Söldner, und mit dem Toraempfang am Sinai identifiziert, wie es im 1. Gebot des Dekalogs zum Ausdruck kommt (Ex 20,2f):
- Ich bin JHWH, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten, aus der Knechtschaft geführt hat. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.
Nach der Ansiedelung der Stämme und dem Zusammenwachsen ihrer Einzelüberlieferungen blieb sich das Volk Israel seiner Vorgeschichte bewusst. So heißt es in einer Erzählung über die Bundesverpflichtung Gesamtisraels nach der Eroberung Kanaans (Jos 24,14):
- Lasst fahren die Götter, denen eure Väter gedient haben jenseits des Euphrats und in Ägypten, und dient JHWH!
Nur dieses eine Mal schreibt der Tanach den Ahnen Israels vor Abraham (Vers 2) Polytheismus zu; ob dies historisch zutrifft, ist jedoch fraglich. Welche Götter gemeint sein könnten, ist nicht bekannt. Dass die aramäischen Halbnomaden Götter der mesopotamischen oder altägyptischen Religion verehrten, wird nirgends überliefert. Die Aufforderung ist eher als allgemeine Abkehr von der Vergangenheit zu verstehen und bezeugt die exklusive Geltung des 1. Gebots in ganz Israel für einen späteren Zeitpunkt.
Kombination und Bedeutung der verschiedenen Gottesnamen
Die Verwendung des Plurals Elohim für den einzigen Gott Israels, der als Befreier aus der Sklaverei zugleich der Schöpfer von Himmel und Erde ist, verweist auf den polytheistischen Hintergrund: JHWH wurde in Israel erst allmählich nicht nur als der höchste, sondern als der einzige Gott der ganzen Welt erkannt und bekannt. Er wurde mit seinem Namen als der Gott Israels von den Göttern anderer Völker unterschieden; zugleich wurde er mit älteren Gottheiten bzw. ihren Aufgaben und Eigenschaften identifiziert, sofern diese als mit JHWHs Wesen identisch erachtet wurden. Aufgrund der Integration der Attribute von El in die Gestalt von JHWH wurde auch sein Name auf diesen Gott übertragen.
Andere kanaanäische oder sumerisch-babylonische Gottheiten wie Baal, Astarte, Marduk dagegen wurden als unvereinbar dem Wesen JHWHs empfunden. Ihre Verehrung neben JHWH Elohim bzw. der Synkretismus in Israel überhaupt wurden seit dem Auftreten des ersten Propheten Elijah radikal bekämpft. Unter dem judäischen König Josia kam es um 621 v. Chr. deshalb zu einer Kultreform, bei der die Reste kanaanäischer Kulte abgeschafft wurden.
Noch bevor aufgrund dieser Differenzierung von Name und Titel Gottes in der modernen Bibelkritik v.a. im Pentateuch die Urkundenhypothese entwickelt wurde, prägte die jüdische Auslegung die Vorstellung von verschiedenen Aspekten im Handeln Gottes entsprechend seiner Benennungen aus: Das Tetragramm wurde demnach benutzt, wenn von Gott in seiner liebenden Barmherzigkeit die Rede ist, während Elohim das Gerechtigkeit wirkende Handeln Gottes meint. Der Beiname Zeba'oth (Gott bzw. Herr "der Heerscharen") benennt kriegerische Aspekte Gottes, El schaddaj das Strafhandeln.
Rabbinisch
Das Tetragramm
Hauptartikel: JHWH
Der wichtigste Gottesname im rabbinischen Judentum ist das so genannte Tetragramm (Vierfachzeichen). Es taucht zum ersten Mal im Bereschit auf und wird in der Regel mit "der HERR" übersetzt. Da gläubige Juden es lange Zeit als blasphemisch betrachtet haben, den Namen auszusprechen, ist die korrekte Aussprache in Vergessenheit geraten — die hebräischen Originaltexte bestehen lediglich aus Konsonanten. Moderne Gelehrte gehen aber davon aus, dass er in etwa "Jahwe" ausgesprochen wurde.
Die hebräische Buchstabenfolge ist Jod-He-Waw-He (יהוה), man beachte, das die Schreibrichtung im Hebräischen von rechts nach links läuft. Dieser Name findet sich schon in den in paläo-hebräischen Schriftzeichen verfassten ältesten aramäischen Schriften, und es wird vermutet, dass es schon zu jener Zeit beim Vorlesen als Adonai ("mein Herr") gelesen wurde. Auch die erste jüdische Übersetzung der hebräischen Bibel ins griechische, die Septuaginta, gibt das Tetragramm mit kyrios (Herr) wieder.
In der jüdischen Tradition ist JHWH auch das Imperfekt der 3. Person Singular des Verbs "sein" und bedeutet daher "Gott ist", "Gott wird sein" oder auch "Gott lebt". Diese Erklärung stimmt mit der Schriftstelle aus Schemot (bzw. Exodus 3,14) überein, in der Gott als in der 1. Person Sprechender auftritt: "Ich bin". Die Bedeutung wäre also etwa: "der, der aus sich selbst existiert" oder konkreter "der, der lebt" (das abstrakte Konzept des bloßen Seins ist dem klassischen hebräischen Denken fremd). Die Vorstellung, dass Gott durch sich selbst existiert als der Schöpfer, der nicht selbst geschaffen worden ist, erwächst aus dem hebräischen Konzept des Monotheismus, deshalb auch: Ich bin, der ich bin.