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Halle-Neustadt

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Halle-Neustadt war eine Stadt im Bezirk Halle der Deutschen Demokratischen Republik. Sie wurde 1967 als eigenständige Stadt gebildet und 1971 zur kreisfreien Stadt erklärt. Die Einwohnerzahl betrug 1972 bereits 51.600 und 1981 mehr als 93.000.

Geschichte

Die eigentliche Stadtgeschichte begann bereits 1958 mit einer Konferenz des ZK der SED zum Thema "Chemieprogramm der DDR", auf der die Ansiedlung von Arbeitskräften in der Nähe der Chemiestandorte Buna-Schkopau und Leuna beschlossen wird. Nach umfangreichen Standortuntersuchungen und Planungen im Bezirk Halle beschloss das Politbüro der SED am 17. September 1963 den Aufbau der "Chemiearbeiterstadt", von den Einwohnern meist kurz "Neustadt" oder, scherzhaft, "Ha-Neu" genannt, wobei die Stadt weit entfernt von den eigentlichen Chemieanlagen entstand. Chefarchitekt der Siedlung war Richard Paulick. Zwischen den kleinen Ortschaften Zscherben, Passendorf und Nietleben entstand die Stadt am Rande der Saaleaue.

Am 1. Februar 1964 wird das Plattenwerk eröffnet, das die Betonfertigteile (Großplattenbauweise) für die neue Stadt produzieren soll. Am 15. Juli 1964 legt Horst Sindermann, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Halle den Grundstein für den Bau der sozialistischen Wohnstadt im Westen von Halle (Saale) auf dem Gelände der "1. POS". Ein Jahr später, am 9. August 1965 ziehen die ersten Mieter nach Halle-Neustadt, deren Kinder gehen ab 1. September in die 1. POS bzw. in die erste Kindereinrichtung.

Noch vor Fertigstellung des ersten Wohnkomplexes 1968 wurde am 12. Mai 1967 die neue Siedlung vom Stadtteil Halle-West zur Stadt Halle-Neustadt erklärt und das Gebiet formell aus dem Stadtgebiet von Halle (Saale) herausgelöst, eine aus heutiger Sicht fragwürdige Entscheidung, damals aus politischen Gründen getroffen. Die neue Stadt erhielt den offiziellen Beinamen "Sozialistische Stadt der Chemiearbeiter".

Typische Ansicht der "Blöcke" in Halle-Neustadt, ca. 1978

Da wesentliche zentrale Infrastruktureinrichtungen erst spät oder nie fertiggestellt wurden, blieb Halle-Neustadt kaum mehr als eine Schlafstadt für die im Schichtrhythmus der Chemieanlagen lebenden Chemiearbeiter und deren Familien. Die Erschließung der Stadt blieb, trotz des zentralen "Rennbahnkreuzes", unbefriedigend, da die zentrale Strassenbahnlinie entlang der "Magistrale" zu Zeiten der DDR aufgrund angeblich zu geringer Straßenbahnstromkapazitäten nie gebaut wurde. Der eigentliche Grund dürfte darin gelegen haben, dass man die Stadt Halle als Arbeitsort nicht zu attraktiv erreichbar machen wollte, da man befürchtete, dass die in den Chemiestandorten benötigten Arbeitskräfte aus Halle-Neustadt verstärkt in der Stadt Halle Arbeit suchen würden. Busse und die S-Bahn mussten die Hauptlast des öffentlichen Personennahverkehrs tragen. Die vorhandene Straßenbahntrasse verlief entlang eines einzigen Stadtteils Halle-Neustadt und erschloss somit nur einen Bruchteil der Stadt.

1982 wird das Kino "Prisma" als letzter Kinoneubau der DDR eröffnet (2000 zugunsten eines Einkaufscenters abgerissen), das eines der wenigen kulturellen Einrichtungen bleibt. Für Kultur und anspruchsvolleres Einkaufen blieb die Altstadt von Halle (Saale) unverzichtbar. Naherholungsmöglichkeiten bieten der Mischwald der angrenzende Dölauer Heide mit dem Heidesee und der "Kanal" (Reste des unvollendeten Elster-Saale-Kanals).

Im Gegensatz zu späteren Großplattensiedlungen der DDR wurde Halle-Neustadt jedoch großzügig geplant, mit Kunst am Bau angehübscht und vor allem im I. Wohnkomplex (1964-1968) üppig begrünt. Dessen architektonischer Höhepunkt ist ein 380 Meter langer 11-geschossiger Wohnblock, der so genannte "Block 10", dem größten je in der DDR gebauten Wohnhaus. In diesem wohnten bis zu 2.500 Menschen, mehr als seinerzeit in Wörlitz (damals oft verwendeter Vergleich). In den weiteren Wohnkomplexen wurde später wesentlich enger gebaut, so daß deutlich weniger Platz für Grünflächen blieb. Dies war größtenteils dem Wohnungsbauprogramm der DDR geschuldet, welches aufgrund der stark unterlassenen Instandhaltung der Vorkriegs-Altbauten permanent Neubauwohnungen produzieren ließ. Den Bedarf an Wohnraum hat man vor allem in Halle und Halle-Neustadt zu keiner Zeit bis 1990 abdecken können.

Mit der Gestaltung eines Stadtzentrums tat man sich schwer, da nach der ursprünglichen Baukonzeption jeder der fünf Baukomplexe ein eigenes Zentrum (mit Kaufhalle, Ambulatorium und Gaststättenkomplex u.a.) haben sollte, hinzu kamen Schulen, Kindergärten und Sportanlagen. Am zentralen Platz sollte ein 100 Meter hohes markantes "Haus der Chemie" erbaut werden, welches aus Kostengründen nie realisiert wurde. Zwischenzeitlich war man auch vom Konzept der "Architektur der Bildzeichen" abgekommen.

Eine Besonderheit war der modische Verzicht auf Straßennamen, stattdessen wurden alle Wohnblöcke und Eingänge nach einem für Außenstehende kaum zu erkennenden Prinzip durchnummeriert (mittlerweile wieder abgeschafft), dies trug mit dem republikweiten Zuzug der mit recht hohen Löhnen und (damals) komfortablen Wohnungen gelockten Chemiearbeiter nicht gerade zu einem Heimatgefühl bei.

Erich Honecker hatte nur noch wenig Interesse am Lieblingsprojekt seines Vorgängers Walter Ulbricht und dessen Chemiekampagne. Er konzentrierte sich stattdessen auf die Hauptstadt Berlin. Erst 1989 wird das Rathaus errichtet, das jedoch aufgrund der Eingemeindung zu Halle (Saale) nie seiner eigentlichen Bestimmung diente. Das Zentrum der Stadt ist die "Neustädter Passage" auf zwei Ebenen mit mehreren Kaufhäusern, Fachgeschäften, Zentrale Poliklinik, Hauptpost und dem Haus der Dienste entlang der "Scheiben" . Die "Scheiben" sind fünf 18-geschossige Hochhäuser mit Mittelgangstruktur, die einerseits als Studentenwohnheime der Martin-Luther-Universität aber auch als Arbeiterwohnheime der Chemiekombinate Buna und Leuna genutzt wurden. Sie wurden 1970-1975 errichtet und stehen heute bis auf eine Scheibe als riesige Ruinen leer. Mit dem Abriss tut sich die Stadtverwaltung bis heute schwer, da die Scheiben ein "Rückgrat" der Architektur bilden. Die Passage wird 2005 umfassend erneuert. Am Rande Halle-Neustadts war auch der mächtige Komplex der Bezirksverwaltung Halle des MfS (jetzige Nutzung u.a. Finanzamt!) untergebracht.

Stadtwappen

Datei:Halle-Neustadt.gif
Stadtwappen

Erst 1984 erhielt Halle-Neustadt ein eigenes Wappen, das auf rotem Hintergrund drei aus einer aufbrechenden gold-grünen Knospe auffliegende silberne Tauben zeigt. Über den Tauben befindet sich ein liegender goldener Schlüssel, dessen Griff in Form eines sechseckigen Benzolrings gestaltet und dessen Bart mit einem sechsstrahligen roten Stern belegt ist. Der rote Hintergrund des Wappens sollte den Bezug zur Arbeiterbewegung symbolisieren, die Knospe die Lebensqualität und das zukunftsweisende Konzept. Die Tauben sind an Picassos Friedenstauben angelehnt. Der Schlüssel stellt den Bezug zum Wohnen, zur Chemieindustrie (Benzolring) und zur Stadt Halle (Stern) dar.

Nach 1990

Im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands wurde Halle-Neustadt am 6. Mai 1990 wieder mit der Stadt Halle vereinigt. Seither umfasst das ehemalige Stadtgebiet den Stadtbezirk West der Stadt Halle, mit den Stadtteilen "Nördliche Neustadt", "Südliche Neustadt", "Westliche Neustadt" und "Gewerbegebiet Neustadt".

Die Einwohnerzahl ist seit 1990 deutlich gesunken (zur Zeit ca. 58.000), der Ausländeranteil dagegen gestiegen. Wer es sich leisten kann zieht weg bzw. muss der Arbeit wegen die Region verlassen. Die Generation der Erstmieter, mittlerweile meist im Rentnerstand, wohnt noch recht gern in diesem Stadtteil, der sich längst zu einem sozialen Brennpunkt entwickelt hat. Der zunehmende Wohnungsleerstand führte dazu, dass inzwischen die ersten Neubaublocks im Rahmen des Programmes Stadtumbau Ost "rückgebaut" d.h. abgetragen werden. Gleichzeitig wird der Wohnungsbestand aber auch saniert, wodurch die zwischenzeitlich nicht sehr beliebten Plattenbauwohnungen eine bessere Wohnqualität erhalten. Dazu diente auch die überfällige Erweiterung des Straßenbahnnetzes auf die Magistrale nach Halle-Neustadt und der Bau mehrerer Supermärkte und Einkaufszentren, von denen das 2002 eröffnete Neustadt-Centrum das Bedeutendste ist. 2004 feierte der Stadtteil mit verschiedenen Aktionen wenig beachtet sein 40-jähriges Bestehen.