Landflucht
Unter dem Begriff Landflucht (rural-urbane Mobilität) versteht man allgemein die Abwanderung der ländlichen Bevölkerung in die Städte.
Um 1800 lebten nur etwa 3% der deutschen Bevölkerung in Großstädten und rund 3/4 auf dem Land, doch dort waren die Lebensbedingungen nicht immer einfach. Es wurde zunehmend schwerer, sich zu ernähren. Der enorme Bevölkerungsanstieg zu dieser Zeit verschlechterte die Lage der ländlichen Bevölkerung stark und auch die Bauernbefreiung (bei der die ländliche Unterschicht ihren Herrn und damit verbunden auch Schutz und Bindung verlor) trug dazu bei, dass beispielsweise Missernten fatale Folgen hatten (Plünderung, Diebstahl, Gewalt, etc.). Diese Verarmung ("Pauperismus") führte u. a. dazu, dass die Menschen - in der Hoffnung auf bessere Lebensverhältnisse - zu Beginn der Industrialisierung (19. Jahrhundert) von den ländlich geprägten Räumen in die städtischen Ballungsräume zogen. Viele von ihnen waren arbeitslose Handwerksgesellen, die unter dem stürmischen Wachstum der Industriestädte litten. Während es im Jahre 1800 nur rund 80.000 Manufakturarbeiter (der in diesem Zusammenhang oft verwendete Begriff "Fabrikarbeiter" ist schlichtweg falsch, da zu dieser Zeit in Deutschland noch keine Fabriken existierten) gab, stieg diese Zahl von 1800 - 1910 auf das 100-fache (8 Millionen).
Dieser einer Völkerwanderung ähnliche Prozess brachte viele Folgen mit sich. Eine weitere Gruppe derer, die in den großen Städten ihr Glück suchten, waren besitzlose Arbeiter und verarmte Kleinbauern. Diese beiden Gruppen bildeten zusammen die neue soziale Klasse des Industrieproletariats. Obwohl sie rechtlich frei waren, verfügten sie jedoch nicht über eigene Produktionsmittel (Maschinen, Geräte, etc.), daher mussten sie als Lohnarbeiter versuchen, ihre Familie zu ernähren, was jedoch angesichts der langen Arbeitszeiten und der niedrigen Löhne schier unmöglich war. Diese schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen führten kurz darauf zur "Sozialen Frage".
Heute geschieht Landflucht vor allem in Staaten mit expandierenden Industrien, aber auch in Ländern, deren ländliche Regionen systematisch unterentwickelt oder von Krieg bzw. Bürgerkrieg verwüstet werden. In diesen Ländern entwickeln sich rapide wachsende Millionenstädte mit einer häufig kaum überschaubaren oder gar steuerbaren Bebauung. Beispiele für solche Städte sind Istanbul (Türkei, mit zwischen 8-16 Millionen Einwohnern, Lagos (Nigeria, ca. 14. Millionen) oder Mexiko-Stadt (Mexiko, 18 Millionen). Die Bedingungen in diesen neuen Megastädten sind häufig in vielen Aspekten katastrophal, aber für die Landflüchtenden aus den genannten Gründen immer noch attraktiver als in ihrer Herkunftsregion. Landflucht ist als Binnenmigration für viele Menschen der erste Schritt der Emigration. Diese Form des Weiterwanderns wird auch als Kettenmigration bezeichnet.
Aber auch in den Industrienationen gibt es heute eine Landflucht. Einer der Gründe ist die Reduktion der Landwirtschaft. Dem gegenüber fehlen aber Arbeitsplätze. Auch die Infrastruktur wird in solchen Regionen auf Grund höherer Kosten und geringerer Rentabilität nicht so schnell zur Verfügung gestellt, wie im städtischen Bereich. Hier ist die Politik gefordert, steuernd über Steuererleichterungen und Subventionierung der Infrastruktur einzugreifen, was aber andererseits einer freien Marktwirtschaft oft widerspricht.
Das Gegenteil von der Landflucht ist die Stadtflucht, bei der heutzutage in der Regel gutverdienende Mittelschichtsfamilien die Städte verlassen, um sich in Vororten oder im Umland anzusiedeln.