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Josef Kneifel

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Josef Kneifel (* 15. November 1942 in Weißig, Niederschlesien) ist ein ehemaliger Dissident und war politischer Gefangener in der DDR.[1] Er verübte am 9. März 1980 einen Bombenanschlag auf ein sowjetisches Panzerdenkmal in Karl-Marx-Stadt und wurde dafür zu lebenslanger Haft verurteilt. Durch Schikanen und Misshandlungen während der Haftzeit erlitt er schwere gesundheitliche Schäden.[2]

Leben

Kneifel wuchs bei Pflegeeltern in Sachsen auf, absolvierte eine Lehre als Fleischer, später als Dreher und arbeitete im VEB Erste Maschinenfabrik Karl-Marx-Stadt. Er wurde Mitglied der FDJ und der Freiwilligen Helfer der Volkspolizei. Später bewarb er sich nach einer Fleischerlehre 1960 beim MfS-Wachregiment Feliks Dzierzynski", wurde wegen einer Nierenschwäche jedoch abgelehnt.[3]

Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Armeen des Warschauer Pakts 1968 klebte Kneifel Protestplakate. 1972 stellte Kneifel mehrere Ausreiseanträge. Nach systemkritischen Äußerungen über die SED, die Blockparteien, die DDR-Gewerkschaften und die Sowjetunion mit ihren Gulags im Rahmen einer Brigadediskussion seines Betriebes wurde er nach sechs Monaten Untersuchungshaft am 28. August 1975 wegen „Staatsverleumdung“ zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Die verbrachte er in Haldensleben, sechs Monate davon auf einer 7,5 m² kleinen Zelle mit drei Schwerkriminellen. Nach der Haft erlaubte man ihm nicht, in seinen Betrieb zurückzukehren, er fand in einer kleinen Metallfirma eine neue Einstellung.

Anschlag in Chemnitz

Im Dezember 1977[3] hatten Josef Kneifel und sein Komplize Horst K., ein ehemaliger Panzerkommandant bei der NVA,[4] mit der Vorbereitung eines Anschlags begonnen. Die Bombe mit einer Ladung von 11,5 kg[4] war aus frei verfügbaren Komponenten selbst gebaut, im Herbst 1979 fertiggestellt und in der Erdbeersiedlung im nahegelegenen Niederlichtenau versteckt worden.[4][5] Für den Fall einer Konfrontation mit der Polizei legten sie zudem ein Waffenarsenal aus zwei selbstgefertigten Revolvern samt Munition[4] und acht selbstgebauten Stielhandgranaten[4] an. In einem Interview im Jahre 2005[4] gab Kneifel an, dass sie damit in diesem Fall ein Blutbad anrichten wollten („Lebend sollten die uns nicht kriegen.“).[4]

Kneifel und Horst K. erwogen vor der Ausführung der Tat, dass es bei der Sprengung zu Personenschäden kommen könnte.[6] Daher wurde ein Sonntagabend mit Schneeregen und Fernsehkrimi ausgewählt, an dem weniger Autofahrer oder Spaziergänger auf der Straße zu erwarteten waren.[4][5]

Am 9. März 1980 gegen 21 Uhr[4][5] fuhr Kneifel in einem Trabant mit falschen Kennzeichen[4][5] zum Panzerdenkmal des T-34 in Chemnitz-Hilbersdorf an der Ecke Frankenberger Straße/Dresdner Straße, der Kreuzung zweier Fernverkehrsstraßen.[7] Neben der Bombe führte Kneifel dabei auch einen Revolver[5] und mehrere Handgranaten[5] mit sich.

Gegen 21:30 Uhr brachte er die Bombe mit einem Zeitzünder unter dem Panzer an. Gegen 22 Uhr explodierte die Bombe, beschädigte die linke Umlaufkette[3] und schleuderte eine 250 kg schwere Laufrolle des Panzers 50 Meter weit auf das Gelände des nahegelegenen Polizeipräsidiums.[3] Zahlreiche Fensterscheiben in der Umgebung gingen zu Bruch, Verletzte gab es keine.[8][6]

Kneifel erklärte später seine Tat als Zeichen gegen ein „Symbol des Stalin-Imperialismus“ und Reaktion auf den Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan, obgleich der Einmarsch erst nach der Fertigstellung der Bombe statt fand. Den Anschlag wollte er als „befreiende Tat“ verstanden wissen, mit der er „die Last der Mitschuld durch Schweigen und Dulden von den Schultern“ warf.[9]

Nach längeren erfolglosen, aber äußerst umfangreichen Ermittlungen von Polizei und Staatssicherheit wurde der Täter durch eine Abhöraktion bei einem Pfarrer der jungen Gemeinde des Sohnes von Josef Kneifel ermittelt und am 18. August 1980 verhaftet. Möglich wurde dies, weil der Pfarrer seinen Vorgesetzten vertraulich meldete, dass er über den Täter Bescheid wisse, aber an das Beichtgeheimnis gebunden sei und deshalb um Rat bat. Das Gespräch zwischen dem Pfarrer und seinem Superintendenten wurde von der Staatssicherheit abgehört.[3]

Verurteilung und Haft

Am 9. März 1981 wurde Kneifel vom Bezirksgericht Karl-Marx-Stadt zu lebenslanger Haft verurteilt. Kneifel reagierte darauf mit dem Ausruf: „Genug den Namen des Volkes missbraucht, ihr Lakaien!“ Sein Komplize Horst K. wurde zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Seine Frau Irmgard, die der Panzersprengung zugestimmt hatte,[10] erhielt zwei Jahre Gefängnis wegen Nichtanzeigen einer Straftat,[3] der Sohn eine Bewährungsstrafe.

Kneifel saß nach eigenen Angaben bis 1987 in Isolationshaft[11], ab 1984 im Arrestkeller der Strafvollzugseinrichtung Bautzen I in einer vier Quadratmeter großen Zelle ohne Fenster und Tageslicht.[4][5] In der Haft begann Kneifel umgehend einen Hungerstreik und wurde 14 Monate zwangsernährt und ins Haftkrankenhaus Meusdorf eingewiesen.[8] Weil er sich nicht als "Strafgefangener", sondern als "politischer Gefangener der Honecker-Bande" meldete, wurde er mehrfach misshandelt. Er wollte sich als politischer Gefangener verstanden wissen und fühlte sich durch das Tragen der Anstaltskleidung als Krimineller gebrandmarkt.[6] Er riss die gelben Streifen von der Anstaltskleidung, schrieb höhnische Parolen an die Zellenwände, bespritzte die Aufseher mit Blut oder Urin und wurde dafür wiederholt mit weiteren strafverschärfenden Maßnahmen bestraft. Seine Frau protestierte jahrelang bei Behörden und öffentlichen Stellen gegen die Haftbedingungen ihres Mannes. 1985 schloss sich Amnesty International den Forderungen nach Beendigung der Einzelhaft an.[3]

Leben nach der Haftentlassung

Am 6. August 1987[12] wurde Kneifel im Rahmen eines Agenten- und Dissidentenaustausches zwischen der Bundesrepublik und DDR abgeschoben. Die vorausgegangenen Verhandlungen wurden geführt von Klaus Gysi, dem damaligen DDR-Staatssekretär für Kirchenfragen, und Johannes Hempel, dem sächsischen Landesbischof von 1971 bis 1994.

Da er bei seinem Anschlag Menschenleben gefährdet hatte, wurde er nach der Wende nicht gemäß dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz rehabilitiert.[8] Er erhielt eine Entschädigung als politischer Gefangener.[4][5]

Am 9. März 2005 referierte Kneifel auf einer Veranstaltung der TU Chemnitz, der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung und des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen unter dem Motto Als der Panzer bebte über seinen Anschlag.[7] Organisiert hatte die Veranstaltung der Historiker Eckhard Jesse.

Kneifel lebt in Nürnberg.

Kontakte zur rechtsextreme Szene

Josef Kneifel pflegt enge Kontakte zur deutschen Naziszene.[13] So arbeitete er als Gefangenenbetreuer für die später verbotene HNG und veröffentlichte ein Interview in den Nachrichten der HNG.[14] In diesem Interview bezeichnete er die Bundesrepublik als „völkerrechtswidriges Gebilde auf einem Teil des Territoriums des Deutschen Reiches“, die durch das Grundgesetz „ein gewisses Fremdvolk als privilegiert über das Staatsvolk“ stelle und äußerte Zweifel an der Ermordung von Juden in Gaskammern während des 2. Weltkrieges.[14] Am 18. März 2006 nahm er an der HNG-Jahreshauptversammlung in Dillstädt teil.

Am 7. April 2007 referierte Kneifel auf einer Veranstaltung der rechtsextremen IG Chemnitzer Stadtgeschichte im Ratskeller Chemnitz. Am 13. August 2011 referierte Kneifel auf einer Veranstaltung der NPD im Nationalen Zentrum Leipzig zum Thema Russenpanzer vom Sockel geholt!.[13][15][16]

In einem Interview mit der Sächsischen Zeitung im Jahre 2006[8] gab er an, sich nicht als Neonazi zu sehen, lehnte es jedoch ab, weiter auf das Thema einzugehen.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Karl Wilhelm Fricke: Zur Menschen- und Grundrechtssituation politischer Gefangener in der DDR. Verl. Wiss. u. Politik, 1986, S. 28
  2. Siegmar FaustJosef Kneifel. In: Wer war wer in der DDR? 5. AusgabeBand 1. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
  3. a b c d e f g Ein Exitus könnte uns nur recht sein - Der Fall des ostdeutschen Dissidenten Josef Kneifel. Der Spiegel, 40/1992
  4. a b c d e f g h i j k l Bernhard Honnigfort: Der Panzersprenger. Frankfurter Rundschau, 15. April 2005.
  5. a b c d e f g h Bernhard Honnigfort: Der sich nicht fügen wollte. Kölner Stadt-Anzeiger, 17. April 2005
  6. a b c Josef Kneifel: Josef Kneifel in: Rüdiger Knechtel, Jürgen Fiedler (Hrsg.): Stalins DDR, Berichte politisch Verfolgter, Leipzig 1991, ISBN 3-86151-010-3, S. 95
  7. a b Pressestelle der TU Chemnitz: Als der Panzer bebte. Pressemitteilung vom 8. März 2005.
  8. a b c d Thomas Schade: Lieber sterben als nachgeben. Sächsische Zeitung, 9. März 2006.
  9. Torsten Diedrich, Ilko-Sascha Kowalczuk: Staatsgründung auf Raten? Auswirkungen des Volksaufstandes 1953 und des Mauerbaus 1961 auf Staat, Militär und Gesell. der DDR, S. 292
  10. Irmgard Kneifel: Irmgard Kneifel in: Rüdiger Knechtel, Jürgen Fiedler (Hrsg.): Stalins DDR, Berichte politisch Verfolgter, Leipzig 1991, ISBN 3-86151-010-3, S. 126f
  11. DDR-Deutschland. Berichtszeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 1987. Deutsche Demokratische Republik. In: Amnesty International (Hrsg.): Jahresbericht 1988. Fischer Taschenbuch 1988.
  12. Gunst der Stunde. In: DER SPIEGEL 34/1987, 17. August 1987.
  13. a b Die braune Verschwörung. In: Frankfurter Rundschau, 22. November 2011.
  14. a b Stille Helden - Befragung eines ehemaligen Inhaftierten. In: Nachrichten der HNG. undatiert, zitiert in: Panzersprenger im braunen Sumpf: Der “stille Held” Josef Kneifel und ein Thema, über das er mit der Presse nicht reden möchte...
  15. Patrick Limbach: Leipziger Stadtverwaltung lässt Nazitreffen gewähren – Politiker sind empört. Zeit Online, 25. November 2011.
  16. Christian Fuchs: NPD lädt rechtsextremen Redner aus SPIEGEL-Online, 27. November 2011.