Zum Inhalt springen

Reichensteuer

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 22. November 2005 um 00:15 Uhr durch Este (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Die Reichensteuer, auch Millionärssteuer genannt, ist ein politisches Schlagwort. In der politischen Debatte bezeichnet er einen besonderen Zuschlag zur Einkommensteuer auf sehr hohe Einkommen. In ihrer Wirkung ist die Reichensteuer nichts anderes als eine Steigerung der ohnehin bereits bestehenden Einkommenssteuerprogression, derentwegen in der gesamten Tarifgeschichte der Bundesrepublik Deutschland höhere Einkommen immer schon stärker besteuert wurden, als niedrigere Einkommen. Die Reichensteuer ist nicht zu verwechseln mit einer Luxussteuer, die eine Konsumsteuer ist.

Deutschland

Im Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 vereinbarten CDU, CSU und SPD, dass es im Rahmen der notwendige Konsolidierungsbemühungen eine Erhöhung der Einkommensteuer für besonders hohe Einkommen (über 250.000 Euro für Ledige und über 500.000 Euro für Verheiratete) ab dem 1. Januar 2007 geben soll. Das heißt, das für jeden Euro über den genannten Einkommen eine zusätzliche Steuer mit einem Steuersatz von 3% zu entrichten ist. Damit steigt der Grenzsteuersatz wieder auf 45%. Nach Inkrafttreten der Unternehmensteuerreform zum 1. Januar 2008 betrifft dieser Zuschlag nur die nichtgewerblichen Einkünfte. Für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis dahin werden im geltenden Steuerrecht die Einkünfte aus Gewerbebetrieb durch ein Übergangsgesetz von dieser Regelung ausgenommen.

Österreich

Auch in Österreich gibt es eine öffentliche Debatte um die Reichensteuer. SPÖ, Grüne und FPÖ ließen Sympathien für eine "Reichensteuer" erkennen. Im Vergleich zu Deutschland ist der Spitzensteuersatz jedoch deutlich höher. So liegt selbst die deutsche "Reichensteuer" unter dem aktuellen österreichischem Spitzensteuersatz.

Argumentation

Pro

Mit einer Reichensteuer sollen Höchstverdienende im Vergleich zu Niedrigverdienern stärker besteuert werden. Unter der Voraussetzung, dass andere Steuern unverändert bleiben, dient sie somit der Umverteilung von Geld von Reichen hin zu Armen und zur Abschwächung der viel zitierten wachsenden Schere zwischen Arm und Reich. Sie würde zudem bei einem Teil der Bevölkerung das Gerechtigkeitsgefühl verstärken. Im Gegensatz zu einer erhöhten Umsatzsteuer würde sie Geringverdiener nicht zusätzlich belasten.

Die erzielten Mehreinnahmen könnten an Menschen mit geringerem Einkommen fließen (z.B. in Form von geringerer Mineralölsteuer, steigenden Freibeträgen oder Kindergeld) und so die Binnenkaufkraft gestärkt werden, da diese Schichten ihr Einkommen in größerem Maß zum Konsum verwenden (müssen) und nicht etwa ins Ausland schaffen (können). Das Wirtschaftswachstum, welches im Mittelstand daraus resultiert, kompensiert mögliche Ausfälle durch vereinzelt abgezogenes Kapitel von Großunternehmern und Aktionären, da der Markt zur Bedienung der realen Nachfrage bzw. Kaufkraft in der Regel keine Lücken hinterlässt, solange es einen freien Wettbewerb zwischen mehreren Unternehmern gibt.

Erfahrungen in Ländern wie Finnland oder Schweden mit Spitzensteuersätzen um die 55%-60% und hohen BIP-Wachstumsraten zeigen, dass eine hohe steuerliche Belastung sehr hoher Einkommen nicht zwingend zur Demotivation von Spitzenmanagern oder zur Abwanderung Reicher ins Ausland führen muss. Auch ist eine geringere Kopplung zwischen Wirtschaftswachstum und dem Grad der Beschäftigung zu beobachten.

Da die Reichensteuer im Rahmen der Einkommensteuererhebung (Steuerprogression) erfolgt, erfordert sie einen relativ geringen Erhebungsaufwand seitens des Staates.

Der stellvertretende Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels (CDA) Gerald Weiß sagte vor der Festlegung auf die Reichensteuer: "Wir brauchen Belastungsgerechtigkeit. Jeder soll tragen müssen, was er tragen kann." In der schwierigen Finanzlage des Staates müssten grundsätzlich alle möglichen Lösungen durchgerechnet werden, auch über die Reichensteuer müsse nachgedacht werden.

In einem offenen Schreiben - initiiert durch den Reeder Peter Krämer - unterstützten Prominente die Einführung einer Reichensteuer. „Wenn Sie die Massenkaufkraft stärken wollen, wenn Sie Arbeitsplätze schaffen wollen, dann schaffen Sie das Steuerparadies für wirklich Reiche in Deutschland ab und sorgen Sie für eine gerechte Besteuerung...belasten Sie die Vermögenden statt den Arbeitnehmern und Rentner weitere Opfer abzuverlangen... Deutschland benötige bessere Schulen und eine gute Kinderbetreuung - aber kein Steuerparadies für Reiche mitten in Europa“. Unterschrieben haben unter anderem Günter Grass, Erich Loest, Johano Strasser, Rudolf Hickel, Percy Rohde und Susann Haltermann.

Kontra

Umverteilung

Es bestehen Befürchtungen, dass die Reichensteuer zu Staatsversagen führen könnte, indem, abgeschreckt durch die Mehrbelastung, Reiche ins benachbarte Ausland abwandern und durch die Steuerbelastung für Reiche letztlich das Steueraufkommen sogar sinken würde. In diesem Zusammenhang befürchten die deutschen Kreditinstitute, dass sich die Steuerflucht deutscher Bankkunden zu ausländischen Instituten fortsetze.

Da ohnehin jetzt schon die oberen 8,5 Prozent der deutschen Steuerzahler über 50 % des gesamten Einkommensteueraufkommen generieren (Stand 2005), wird sie von einigen Kritikern als ungerecht bezeichnet, da gerade diejenigen steuerlich stark belastet werden, die ohnehin schon am meisten zahlen. In diesem Zusammenhang wird die Reichensteuer oft als Neidsteuer bezeichnet.

So könnte eine weitere Belastung Reicher die Anreize verringern, unternehmerischen Einsatz in die Volkswirtschaft einzubringen und so unter Umständen auch die Arbeitsplätze verringern.

Die Einführung einer Reichensteuer bringt einen Erhebungsaufwand mit sich, der zu höheren Verwaltungskosten führt. Dieser Erhebungsaufwand ist in erster Linie darin begründet, dass Unternehmer und Selbständige von der Reichensteuer befreit werden, also der Steuersatz nicht pauschal angewendet werden kann. Darüber hinaus kommt es zu Nettowohlfahrtsverlusten. Eine höhere Steuer führt zu größeren Aufwendungen der betroffenen Personen in der Steuervermeidung. Ob durch eine höhere Steuer überhaupt netto mehr Steuern eingenommen werden, ist fraglich (vgl. Laffer-Kurve).

Selbst der dem linken Meinungsspektrum zugerechnete Wirtschaftwissenschaftler Rudolf Hickel konstatiert, dass die Reichensteuer einen reinen Placebo-Effekt habe.

Der Präsident des Bundes der Steuerzahler Karl Heinz Däke sieht bei der Umsetzung der Reichensteuer erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Die Ergänzungsabgabe stoße auf eine finanzverfassungsrechtliche Barriere, denn der Gesetzgeber habe mit dem Solidaritätszuschlag die Möglichkeit der Erhebung einer Ergänzungsabgabe bereits wahrgenommen. Auch seien einer Spreizung des Steuersatzes für unternehmerische und nicht unternehmerische Einkünfte verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt.

Mit der Reichensteuer würde die erst zu Beginn des Jahres erfolgte Steuersenkung teilweise wieder aufgehoben. Deswegen wird die Reichensteuer von vielen Kritikern als reiner "Wahlkampfpopulismus" bezeichnet, weil die SPD Angst habe, Wähler an linksextreme Parteien zu verlieren.

Zudem gibt es allgemeine Kritik an einer progressiven Steuer. Denn durch eine solche würden, so die Kritiker, gerade die bestraft, die viel investieren können.

Symbolpolitik

Die Einführung der Reichensteuer in Deutschland durch die große Koalition ist ein ausgehandelter Kompromiss, um die von der Union geforderte Mehrwertsteuererhöhung einzuführen.

In der Vergangenheit wurde die unterschiedliche Belastung der unterschiedlichen Einkommensgruppen durch Änderungen der Grenzsteuersätze erreicht. Hierbei kam es sowohl zu Höherbelastungen wie zu anderen Zeiten auch zu Entlastungen bei der Besteuerung höherer Einkommen. In dieser Weise hätte auch in der kommenden Legislaturperiode vorgegangen werden können. Stattdessen wurde diesesmal die Änderung des Progressionsverlaufs der Einkommenssteuer plakativ als "Reichensteuer" bezeichnet, obwohl es hinsichtlich der Wirkung es immer schon eine solche Reichensteuer gab, mit einem mal höheren und mal niedrigeren Grenzsteuersatz. Mit dieser Änderung der Darstellung einer Steuererhöherung wird die Absicht nachweisbar, ein Symbol zu setzen.

Einige Kritiker lehnen die Reichensteuer der großen Koalition ab, weil sie nur symbolische Politik darstelle, die "populistische" Bezeichnung suggeriere soziale Gerechtigkeit, zumal die Steuer vom Steueraufkommen her kaum ins Gewicht falle (3%-Punkte Umsatzsteuererhöhung für alle = 24 Mrd. Euro, dagegen 3 %-Punkte Reichensteuer = 1,5 Mrd. Euro.). Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel meinte dazu: "Da mögen 1,3 Milliarden Euro an Steuern eingenommen werden. Eine generelle, aber zeitlich begrenzte Erhöhung des Steuerspitzensatzes auf 45 Prozent wäre effektiver gewesen."

Selbst der Chef des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, sprach von einer symbolischen Politik.

Bodo Ramelow (Linkspartei.PDS) vertrat ebenfalls diese Haltung und spricht in diesem Zusammenhang von einem "Gerechtigkeits-Placebo": "Ganze 1,2 Milliarden soll die Reichensteuer die Bestverdienenden kosten, während jeder Prozentpunkt einer höheren Mehrwertsteuer vor allem Arbeitslose, Rentnerinnen und Rentner, Geringverdiener mit etwa 8 Milliarden Euro belastet." Die rot-grüne Koalition hatte in ihrer Amtszeit den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent gesenkt.

Vorlage:Wiktionary1