INRI

I N R I sind die lateinischen Initialen der Überschrift, die nach Aussagen der Evangelien den gekreuzigten Jesus kennzeichnete. Die auch als Titulus bezeichnete Überschrift wurde nach übereinstimmender Darstellung der Evangelisten von den Römern über dem Haupt Jesu am Kreuz angebracht. Die Abkürzung geht zurück auf den ursprünglich griechischen Text des Johannesevangeliums, der lautet: "Jesus, der Nazoräer, der König der Juden" (Joh 19,19). Maßgeblich für die Tradition des westkirchlichen Christentums ist die spätere lateinische Textfassung geworden: "Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum" - "Jesus, der Nazarener, der König der Juden".
Gemäß dem Johannesevangelium wurde die Kreuzesüberschrift von Pontius Pilatus in den Sprachen Hebräisch, Griechisch und Lateinisch abgefasst und zielte so auf die allgemeine Bekanntgabe der Schuld des Hingerichteten vor den Augen der gesamten Öffentlichkeit (Joh 19,19-22).
Die Frage, ob die christliche Überlieferung auf historischen Tatsachen beruht oder Ausdruck des Glaubens der frühen Christen ist, wird kontrovers diskutiert. Nach historischer Quellenlage ist kaum anzunehmen, dass Jesus das politische Amt eines Königs der Juden anstrebte; in Teilen seiner Anhängerschaft könnte das aber von ihm erwartet worden sein. Von daher dürfte man das INRI auch als einen Spottvers der Römer verstehen, in dem sie das Scheitern der Hoffnungen auf einen politischen Umsturz deutlich machten. Die Darstellung in den Evangelien verfolgt jedoch weniger das Ziel einer historisch exakten Beschreibung, als vielmehr die Absicht, den religiösen Sieg des machtpolitisch Gescheiterten herauszustellen.
Ob die Inschrift ein Hinweis auf Jesu Herkunftsort Nazaret ist, kann nicht eindeutig belegt werden. Der ursprünglich maßgebliche Text des Johannesevangeliums redet von "Nazoraios", was mehrere Bedeutungen haben kann (siehe Jesus von Nazaret und Nazarener). Die eindeutig lokale Herkunftsbezeichnung "Nazarener" ist erst in späteren lateinischen Bibelübersetzungen in den Text eingetragen worden. In der westchristlichen Tradition hat diese Leseart jedoch alle anderen weitgehend verdrängt.
Das INRI wurde in der christlichen Ikonographie ein wichtiger Bestandteil der Kruzifix-Darstellungen und begegnet dort in Form einer beschrifteten oder gravierten Holztafel oder als Text auf Pergament. In der römischen Kirche Santa Croce in Gerusalemme wird eine Holztafel als Reliquie aufbewahrt, bei der es sich um den Originaltitel vom Kreuz Jesu handeln soll. Der Überlieferung nach wurde das Heilige Kreuz im Jahr 325 von Helena, der Mutter des römischen Kaisers Konstantin des Großen, zusammen mit drei Nägeln von der Kreuzigung und der Kreuzesinschrift in Jerusalem entdeckt und davon der größte Teil nach Rom in ihren Palast gebracht. Helena vermachte diesen Palast mit dem Namen "Sessorianum" später der Kirche. Aus ihm ging die Basilika Santa Croce in Gerusalemme hervor. Der Überlieferung zufolge wurde 1492 die Reliquie mit der Hälfte der Inschrift bei Umbauarbeiten mit dem Siegel des Papstes Lucius II. in der Kirche Santa Croce wiederentdeckt und am 29. Juli 1496 durch die Bulle Admirabile Sacramentum des Papstes Alexander VI. für echt befunden. 1998 unterzog sie der katholische deutsche Historiker und Wissenschaftsjournalist Michael Hesemann einer Prüfung unter Mitarbeit von israelischen Experten für vergleichende Paläographie, die den Typ ihrer Inschrift in das 1. Jahrhundert datierten. Andere Experten, wie der umstrittene Papyrologe Carsten Peter Thiede und die römische Kirchengeschichtlerin Maria-Luise Rigato bestätigten Hesemanns Studie, die auch von Papst Johannes Paul II. begrüßt wurde. Die Studien haben jedoch keinen nachhaltigen Eindruck in der historisch-wissenschaftlichen Fachwelt hinterlassen.
In der ostkirchlichen Ikonographie lautet die Kreuzüberschrift meist "Der König der Welt" in der jeweiligen Landessprache. Damit soll nicht ausgedrückt werden, dass die historische Kreuzüberschrift so lautete, sondern es handelt sich um eine theologisch-ikonographische Umdeutung.
Literatur:
- Hesemann, Michael: Die Jesus-Tafel - Die Entdeckung der Kreuzesinschrift. Freiburg 1999, ISBN 3-451-27092-7
- Thiede, Carsten Peter und d'Ancona, Jeffrey: The Quest for the True Cross. London 2000