Röhm-Putsch
Der in der nationalsozialistischen Propaganda so genannte Röhm-Putsch (ursprünglich vor allem als Röhm-Revolte, im Volksmund auch als Nacht der langen Messer bezeichnet) bezeichnet die von Hitler befohlene und vom 30. Juni bis zum 2. Juli 1934 vollzogene Ermordung der SA-Führung einschließlich ihres Stabschefs Ernst Röhm und anderer vermeintlicher Konkurrenten um die Macht. Die Aktion wurde von den NS-Behörden als präventive Maßnahme gegen einen angeblich geplanten Putsch Röhms dargestellt.
Vorgeschichte
Die Aktion geht auf lange zurückliegende Spannungen zwischen Teilen der NSDAP, auf deren Seite auch Hitler stand, und der SA zurück. Die SA hatte wesentlich zur Machteroberung beigetragen, der Status der SA zur NSDAP war aber ungeklärt. Während Röhm und die SA-Führung die SA als eigentliche Trägerin der Bewegung sahen, wollten die NSDAP-Oberen dieser nur die Stellung einer Ordnungstruppe der Partei zugestehen. Nach der "Machtergreifung" verschärften sich die Spannungen. Wahllose Ausschreitungen der SA kamen der NSDAP bei der Herrschaftssicherung zupass. Die SA allerdings wollte eine gründliche Umgestaltung der Gesellschaft und mittelfristig die Reichswehr beerben, welche sie zahlenmäßig mit rund 4 Millionen Mitgliedern bei weitem übertraf. Außerdem legte die Führung großen Wert auf den sozialistischen Aspekt (nationalsozialistische DAP) und wollte einen Umbau der Gesellschaft sowie Enteignungen nach dem 25-Punkte-Programm.
Der Sturz Röhms, der weitreichende politische Ziele verfolgte und sich ein halbes Jahr vor seiner Ermordung zum Ärger Görings und Goebbels als zweiter Mann im Staate sehen konnte, war mit Karrierechancen, insbesondere Görings, Himmlers und Goebbels verbunden. Ein halbes Jahr vor dem so genannten Röhm-Putsch kam Röhm in den Genuss wahrscheinlich von ihm erzwungener öffentlicher Bevorzugungen in der Umgebung Hitlers. Die neue Reichsregierung unter Hitler war für ihre Pläne auf die Unterstützung der Reichswehr, welcher Hitler das Waffenmonopol zugesichert hatte, und der Wirtschaft angewiesen und wollte das Image des Straßenkämpfers ablegen. Dem widersprach der Wille Röhms, die SA in eine reguläre Armee umzuwandeln. Darüber hinaus soll Röhm umfangreiche Machtansprüche an Hitler herangetragen - so die Ernennung zum Kriegsminister - und diesen auch mit kompromittierenden Informationen erpresst haben.
Ausführung
Von der SS wurden Gerüchte über einen Putschversuch durch Röhm und seine homosexuellen Neigungen verbreitet, zu dieser Zeit ein sehr schwerer Makel, der Hitler allerdings die Jahre davor nicht gestört hatte. Die Homosexualität Röhms war ein offenes Geheimnis.
Am 30. Juni 1934 wurde auf Befehl und unter aktiver Beteiligung Hitlers der Stabschef der paramilitärischen Sturmabteilung (SA), Ernst Röhm, zusammen mit der Führungsriege, verhaftet und am 1. Juli im Gefängnis in München Stadelheim ermordet. Die Führung der SA war zu einer Tagung in Bad Wiessee zusammengekommen; die Erschießung erfolgte ohne Gerichtsverfahren, nachdem sich Röhm geweigert hatte, sich selbst umzubringen. Im Rahmen der Aktion wurden weitere Aktive aus der SA und Oppositionelle aus Politik und Kirche verhaftet oder erschossen, darunter Gregor Strasser, General Ferdinand von Bredow, der ehemalige Reichskanzler General Kurt von Schleicher oder der ehemalige bayerische Ministerpräsident Gustav Ritter von Kahr. Nicht alle Ermordeten hatten enge politische oder persönliche Verbindungen zu Ernst Röhm, vielfach wurden auch andere alte Rechnungen "beglichen", so etwa an Kahr für dessen "Verrat" während des Hitlerputsches 1923. Die Anzahl der Mordopfer war ein Staatsgeheimnis. Nach Angaben des neuen Stabschefs der SA, Lutze, wurden 82 SA-Mitglieder liquidiert, darunter fast die gesamte SA-Prominenz. Nach heutigen Schätzungen wurden in den drei Tagen ca. 200 Menschen ermordet. Ausgeführt wurden die Aktionen vor allem von der SS, die dabei unterstützt wurde von der Gestapo, der Landespolizeigruppe General Göring und der Reichswehr, die sich damit am Mord an ihren Generälen beteiligte.
Rechtfertigung und Konsequenzen
In der offiziellen Berichterstattung wurde Hitler als das Opfer eines hinterhältigen Putschversuchs dargestellt. Am 3. Juli wurden diese Maßnahmen durch ein von Hitler (nach den Bestimmungen des Ermächtigungsgesetzes) erlassenes Gesetz, das Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. Juli 1934 (Reichsgesetzblatt I S. 529) nachträglich legalisiert. Der einzige Artikel des Gesetzes lautete: Die zur Niederschlagung hoch- und landesverräterischer Angriffe am 30. Juni, 1. und 2. Juli 1934 vollzogenen Maßnahmen sind als Staatsnotwehr rechtens. Deutschland war damit zu einem Staat mit Willkürherrschaft geworden, in dem die Meinung des Führers Gesetz war. Hitler machte sich durch die Erschießung ohne Gerichtsurteil zum Richter über Leben und Tod und, wie er es selbst ausdrückte, zum „obersten Gerichtsherren“, wodurch die Justiz offen erkennbar gleichgeschaltet war.
„Der Führer schützt das Recht“
Der prominente Staatsrechtler Carl Schmitt lieferte kurze Zeit später die formaljuristische Rechtfertigung der Vorgänge nach. In seiner berüchtigten Apologie unter dem Titel Der Führer schützt das Recht heißt es:
- „Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Mißbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als Oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft. 'In dieser Stunde war ich verantwortlich für das Schicksal der deutschen Nation und damit des deutschen Volkes Oberster Gerichtsherr' [Zitat:Hitler]. Der wahre Führer ist immer auch Richter. Aus dem Führertum fließt das Richtertum. Wer beides voneinander trennen oder gar entgegensetzen will, macht den Richter entweder zum Gegenführer oder zum Werkzeug eines Gegenführers und sucht den Staat mit Hilfe der Justiz aus den Angeln zu heben.
- Das ist eine oft erprobte Methode nicht nur des Staats-, sondern auch der Rechtszerstörung. Für die Rechtsblindheit des liberalen Gesetzesdenkens war es kennzeichnend, daß man aus dem Strafrecht den großen Freibrief, die 'Magna Charta des Verbrechens' (Fr. von Liszt) zu machen suchte. Das Verfassungsrecht mußte dann in gleicher Weise zur Magna Charta der Hoch- und Landesverräter werden. Die Justiz verwandelte sich dadurch in einen Zurechnungsbetrieb, auf dessen von ihm voraussehbares und von ihm berechenbares Funktionieren der Verbrecher ein wohlerworbenes subjektives Recht hat.
- Staat und Volk aber sind in einer angeblich lückenlosen Legalität restlos gefesselt. Für den äußersten Notfall werden ihm vielleicht unter der Hand apokryphe Notausgänge zugebilligt, die von einigen liberalen Rechtslehrern nach Lage der Sache anerkannt, von anderen im Namen des Rechtsstaates verneint und als 'juristisch nicht vorhanden' angesehen werden. Mit dieser Art von Jurisprudenz ist das Wort des Führers, daß er als 'des Volkes Oberster Gerichtsherr' gehandelt habe, allerdings nicht zu begreifen. Sie kann die richterliche Tat des Führers nur in eine nachträglich zu legalisierende und indemnitätsbedürftige Maßnahme des Belagerungszustandes umdeuten.
- Ein fundamentaler Satz unseres gegenwärtigen Verfassungsrechts, der Grundsatz des Vorranges der politischen Führung, wird dadurch in eine juristisch belanglose Floskel, und der Dank, den der Reichstag im Namen des deutschen Volkes dem Führer ausgesprochen hat, in eine Indemnität oder gar einen Freispruch verdreht. In Wahrheit war die Tat des Führers echte Gerichtsbarkeit. Sie untersteht nicht der Justiz, sondern war selbst höchste Justiz. Es war nicht die Aktion eines republikanischen Diktators, der in einem rechtslosen Raum, während das Gesetz für einen Augenblick die Augen schließt, vollendete Tatsachen schafft, damit dann, auf dem so geschaffenen Boden der neuen Tatsachen, die Fiktionen der lückenlosen Legalität wieder Platz greifen können.
- Das Richtertum des Führers entspringt derselben Rechtsquelle, der alles Recht jedes Volkes entspringt. In der höchsten Not bewährt sich das höchste Recht und erscheint der höchste Grad richterlich rächender Verwirklichung dieses Rechts. Alles Recht stammt aus dem Lebensrecht des Volkes. Jedes staatliche Gesetz, jedes richterliche Urteil enthält nur so viel Recht, als ihm aus dieser Quelle zufließt. Das übrige ist kein Recht, sondern ein 'positives Zwangsnormengeflecht', dessen ein geschickter Verbrecher spottet“.
- (Zitiert nach: C. Schmitt, Positionen und Begriffe, Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg, 1940, S. 200 - 201).
Konsequenzen
Nach dem sogenannten Röhm-Putsch hatte die SA ihre politische Bedeutung verloren, die SS wurde selbstständig und nahm eine wichtige Rolle ein.
Die Führung der Reichswehr ließ nach dem Tod von Reichspräsident Paul von Hindenburg im folgenden August die Reichswehr auf Hitler vereidigen.
Der Röhm-Putsch und die Reichswehr
Die Wehrmacht förderte die Ernennung Hitlers zum Reichspräsidenten und damit auch zu ihrem Oberbefehlshaber für den Preis der Entmachtung der SA und der Zusicherung, die Wehrmacht würde der einzige Waffenträger im Reich bleiben. Daß Röhms Anspruch, die Reichswehr in die SA einzugliedern und damit selbst zum Oberbefehlshaber zu werden, eine größere Herausforderung an Hitler als an sie selbst war, sahen die Generäle nicht. Letztlich bezahlten sie Hitler für etwas, was dieser ohnehin hätte tun müssen. Darüberhinaus ließen sie sich von Hitler noch in zweifacher Weise in das schmutzige Geschäft einspannen:
- Teile der Mordtruppen wurden ganz offiziell mit Waffen aus Wehrmachtsbeständen ausgerüstet.
- Die Wehrmacht akzeptierte die Begründung Hitlers, er habe im Notstand als 'oberster Gerichtsherr der Nation' gehandelt - und das, obwohl Hitler zwei Generäle unter fadenscheinigen Vorwänden ermorden ließ.
Für viele Bürger war die Absegnung der Morde durch die Wehrmacht ein wichtiger Grund, die Erklärungen Hitlers zu akzeptieren.
Hitler hat seine Versprechungen an die Wehrmacht auf seine Weise eingehalten: Schon wenige Wochen nach dem Putsch erhielt die SS die Erlaubnis, eigene bewaffnete Verbände aufzustellen.
Daß sich die Drohung Hitlers, jedem der die Hand gegen seinen Staat erhebt so gehen würde wie Röhm, unüberhörbar auch an die Wehrmacht richtete, nahm man dort hin.
Der Röhm-Putsch und die Konservativen
Die Konservativen, allen voran der ehemalige Reichskanzler von Papen, waren mit dem Anspruch angetreten, Hitler 'einzurahmen'. Sie hatten wenig Erfolg damit. Im Frühjahr, als die Schwierigkeiten Hitlers mit der SA ruchbar wurden und das nahe Ableben Hindenburgs sicher erschien, machten sie nochmal einen Anlauf. In seiner viel beachteten Marbacher Rede fand Papen deutliche Worte gegen die Willkürherrschaft der Nazis und forderte zur Besinnung auf. Der Röhmputsch war eine willkommene Gelegenheit für Hitler, auch mit seinen konservativen Gegnern abzurechnen. Er ließ unter anderem den Sekretär Papens, der die Rede verfaßt hatte, ermorden. Papen selbst wagte er wegen dessen Beliebtheit bei Hindenburg nicht zu ermorden; er wurde als Botschafter nach Wien abgeschoben. Natürlich durfte auch eine anerkenndene Botschaft Hindenburgs nicht fehlen. Ob er sie selbst verfaßt hat und was er überhaupt von den Vorgängen noch mitbekommen hat, weiß man nicht.
Der Röhmputsch bedeutete auch den endgültigen Sieg Hitlers über seine konservativen 'Einrahmer'.
Beim „Röhm-Putsch“ ermordete Personen
- Ferdinand von Bredow, rechte Hand Kurt von Schleichers
- Karl Ernst, Mitglied des Reichstages, „Führer“ der SA-Untergruppe Ost
- Alexander Glaser, Rechtsanwalt
- Fritz Gerlich, Publizist
- Dr. Karl-Günther Heimsoth
- Edmund Heines
- Edgar Julius Jung, Rechtsanwalt, Autor der "Marburger Rede" Papens
- Dr. Kuno Kamphausen, Architekt
- Eugen von Kessel Referent bei Erich Klausener
- Erich Klausener, Leiter der Polizeiabteilung im preußischen Innenministerium
- Walter Luetgebrune, Rechtsanwalt
- Gustav Ritter von Kahr, ehemaliger bayerischer Ministerpräsident
- Ernst Röhm, SA-Chef
- Paul Röhrbein, Hauptmann, „Führer“ der ersten Berliner SA
- Alfons Sack, Rechtsanwalt
- Kurt von Schleicher, ehemaliger Reichskanzler
- August Schneidhuber, Münchner Polizeipräsident
- Gregor Strasser, enger „Freund“ Hitlers, Vater der Patenkinder Hitlers
- Gerd Voß, Rechtsanwalt
Siehe auch
- Werner von Blomberg
- Walter von Reichenau
- Heinrich Himmler
- Reinhard Heydrich
- Hermann Göring
- Josef (Sepp) Dietrich
- Zeit des Nationalsozialismus
- Portal:Geschichte
Literatur
- Peter Longerich: Die braunen Bataillone. Geschichte der SA. Beck, München 2003, ISBN 340649482X. - Standardwerk.
- Kurt Gossweiler: Die Röhm-Affäre; Hintergründe - Zusammenhänge - Auswirkungen. 1983