Zum Inhalt springen

Vermögensteuer (Deutschland)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 20. Oktober 2012 um 14:50 Uhr durch 217.84.211.115 (Diskussion). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Die Vermögensteuer ist im deutschen Steuerrecht eine Substanzsteuer, die vom Wert des Nettovermögens (Bruttovermögen abzüglich Schulden) des Steuerpflichtigen (natürliche oder juristische Person) berechnet wird, das zu einem bestimmten Stichtag vorhanden ist. Sie wird allerdings seit 1997 nicht mehr erhoben. Neben der Vermögensteuer im eigentlichen Sinne gelten auch die Grundsteuer sowie die Erbschaftsteuer als Steuern vom Vermögen und Instrumente der Vermögenspolitik.

Geschichte

Die Vermögensteuer wurde 1923 als Ersatz für das Reichsnotopfer eingeführt.[1]

Steuersatz und Freigrenze

Die deutsche Vermögensteuer stand den Bundesländern zu. Ihr Satz betrug ab 1995 (oberhalb eines Freibetrags von 120.000 DM pro Familienmitglied nach § 6 Abs. 1 und 2 VStG) für natürliche Personen grundsätzlich 1 % des steuerpflichtigen Vermögens nach § 10 Nr. 1 VStG und für Körperschaften 0,6 % nach § 10 Nr. 2 VStG; ausländische Vermögensteuern konnten angerechnet werden (§ 11 VStG).

Aufkommen und Kosten der Steuererhebung

Im Jahr 1996, dem letzten Jahr der Erhebung, nahmen die Bundesländer durch die Vermögensteuer ca. 9 Milliarden DM ein. Dem standen nach einer Schätzung des Bundesfinanzministeriums Finanzverwaltungskosten von etwa 300 Millionen DM für die Erhebung der Vermögensteuer gegenüber.[2]

Die Kosten für eine neuerliche Erhebung einer Vermögensteuer schätzt die nordrheinwestfälische Landesregierung heute jedoch auf 5 % ihres Aufkommens (im Vergleich: Bei der Einkommensteuer sind es rd. 2 %). Wobei anzumerken ist, dass dies sehr stark von der konkreten Ausgestaltung der Steuer abhängt und dabei nur die Kosten der (Finanz-) Verwaltung berücksichtigt sind, nicht jedoch weitere Kosten, die den Steuerpflichtigen treffen (z. B. Steuerberatungskosten)[3]

Es gibt andere, wissenschaftliche Quellen, die gehen von einem knappen Drittel Erhebungskosten aus - allein auf Seiten der Finanzämter: http://www.iwkoeln.de/de/infodienste/iwd/archiv/beitrag/72617

Hinzu kommen die Kosten auf Seiten der Steuerpflichtigen: Wenn mehrere Millionen Vermögensteuererklärungen erstellt werden müssen, sind dies allein schon Kosten von mehreren Milliarden Euro. (Steuerberater, Gutachter, Rechtskosten etc.)


Diskussion um Verfassungswidrigkeit

Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Erhebung der Vermögensteuer in ihrer damaligen Form mit Beschluss vom 22. Juni 1995 für verfassungswidrig.[4] Gleichzeitig wurde die weitere Anwendung bis zum 31. Dezember 1996 erlaubt. Grund war eine ungerechtfertigte Besserbehandlung von Immobilien gegenüber anderem Vermögen. In einem obiter dictum erwähnte die Mehrheit der Bundesverfassungsrichter zudem den so genannten Halbteilungsgrundsatz, wonach die Vermögensteuer zu den Ertragsteuern (wie z. B. der Einkommensteuer) nur hinzutreten dürfe, wenn dadurch die steuerliche Gesamtbelastung „in der Nähe einer hälftigen Teilung“ zwischen Steuerzahler und Fiskus bleibe. Dieser – in einem Sondervotum des Bundesverfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde scharf kritisierte – Grundsatz wurde einige Jahre später vom Bundesverfassungsgericht aufgegeben: Eine allgemein verbindliche, absolute Belastungsobergrenze für Steuern in der Nähe von 50 % lasse sich aus dem Grundgesetz nicht ableiten.[5]

Böckenförde schrieb weiter in seinem Votum, dass die Ungleichheit in der Gesellschaft "ein gewisses Maß nicht überschreiten darf, sonst geht sie über in Unfreiheit". Der Ausgleich der gesellschaftlich begründeten Ungleichheiten ist eine der Kernaufgaben des demokratischen und sozialen Rechtsstaats. Die Sicherung unbegrenzter Eigentumsakkumulation ist nicht Inhalt des Grundgesetzes, und wenn die Ungleichheit sich "ungezügelt potenzieren" kann, gerät die verfassungsmäßige Ordnung insgesamt in Gefahr. Die Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat - zu dem einerseits der verfassungsrechtliche Schutz der wirtschaftlichen Individualrechte, andererseits aber auch die Sozialbindung des Eigentums und für bestimmte Bereiche sogar die Befugnis zur Vergesellschaftung gehört - stellte den historischen Kompromiß zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland dar.[6] Böckenförde verwies darauf, dass dieser Versuch der Beschränkung der Steuerhoheit in einer Situation erfolgt, in der wegen der hohen Arbeitslosigkeit und der großen Belastungen in Folge der deutschen Wiedervereinigung ein Ausgleichsbedarf bestand, wie ihn die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zuvor nicht kannte. Es sei nicht einzusehen, dass angesichts dieser Umstände ein gemäßigter Zugriff auf bestehende Vermögensmassen verfassungsrechtlich tabu sein sollte.

Die Partei Die Linke argumentiert:[7] Das Grundgesetz sehe in Art. 106 Abs. 2 Nr. 1 GG vor, dass eine Vermögensteuer durch die Bundesländer zu erheben wäre.

Aussetzung der Steuererhebung im Jahr 1997

Statt Immobilien, wie vom Urteil gefordert, höher zu bewerten und damit stärker zu besteuern, entschied sich die damalige Bundesregierung, die Vermögensteuer – auch wegen des damaligen Einkommensteuer-Spitzensatzes von 53 % + Solidaritätszuschlag – nicht mehr zu erheben. Das Vermögensteuergesetz ist aber bisher nicht aufgehoben.

Wiedereinführungsdiskussion

Bereits mehrfach sind bspw. durch den DGB,[8] die SPD, die Grünen[9] oder die Linkspartei[10][11] Initiativen zur Wiedereinführung einer verfassungsgemäß gestalteten Vermögensteuer gestartet worden, ohne zu konkreten Ergebnissen zu führen. Rechtlich umstritten ist, ob den Bundesländern dabei ein eigenes Steuerfindungsrecht zusteht.

Bei ihrer Gestaltung hat der Gesetzgeber Freiräume. So ist – bei angemessener Gesamtbelastung des Steuerpflichtigen – eine Vermögensteuer regelmäßig dann zulässig, wenn diese grundsätzlich aus den (typischerweise möglichen) Vermögenseinkünften (Sollerträgen) und nicht aus der Vermögenssubstanz zu bestreiten ist (Sollertragsteuer). Strittig ist, ob die Steuer (z. B. wenn sie in Zeiten sozialer Not, im Kriege etc. erhoben wird) so hoch sein darf, dass sie nicht mehr aus den Erträgen des Vermögens, sondern aus dem Vermögen selber bestritten werden muss (Substanzsteuer).

So argumentiert die Gewerkschaft ver.di, die Vermögensteuer dürfe auch ohne äußeren Grund Substanzsteuer sein, sofern sie als Umverteilungsinstrument eingesetzt werde: "Wird der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer 2004 oder 2005 auf 42 % gesenkt, erlaubte dies auch bei Beachtung des Halbteilungsgrundsatzes eine weitere Erhöhung des Satzes der Vermögensteuer. Noch höhere Vermögensteuersätze wären zulässig, wenn die Vermögensteuer als Umverteilungsinstrument eingesetzt würde, was im Vermögensteuerbeschluss ausdrücklich nicht als verfassungswidrig qualifiziert worden ist."[12]

Einzelnachweise

  1. Vermögensabgaben – ein Beitrag zur Sanierung der Staatsfinanzen in Europa. Bericht von Stefan Bach in Eurokrise, Staatsverschuldung und privater Reichtum, DIW Wochenbericht 28/2012, S. 6
  2. BT-Drs. 13/5975
  3. https://www.freitag.de/autoren/margareth-gorges/vermogensteuer-jetzt-initiative-gestartet
  4. 2 BvL 37/91, BStBl. 1995 II, S. 655, Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Volltext)
  5. BVerfG In: Neue Juristische Wochenschrift. 2006, S. 1191; vgl. Oliver Sauer: Abschied vom Halbteilungsgrundsatz. In: Forum Recht. 2006, S.131.
  6. Prof. Dr. Joachim Wieland: Rechtliche Rahmenbedingungen für eine Wiedereinführung der Vermögensteuer. Rechtsgutachten im Auftrag von ver.di, 2003.
  7. http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/004/1700453.pdf
  8. Argumente für die Wiedereinführung der Vermögensteuer, die Anhebung der Erbschaftsteuer und die Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen, Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im Auftrag von ver.di, IG Metall und Hans-Böckler-Stiftung, 2002.
  9. Ein entsprechender Antrag wurde auf dem Sonderparteitag im Juni 2003 in Cottbus angenommen, vgl. Christoph Butterwegge: Krise und Zukunft des Sozialstaates, VS Verlag, Wiesbaden 2006, S. 208.
  10. Pressemitteilung vom 18. Mai 2005, Die Linkspartei.PDS
  11. Antrag der Fraktion DIE LINKE am 19. Januar 2010 im Bundestag auf Wiedereinführung der Vermögensteuer als Millionärsteuer (Bundestagsdrucksache 17/453)
  12. Prof. Dr. Joachim Wieland: Rechtliche Rahmenbedingungen für eine Wiedereinführung der Vermögensteuer. Rechtsgutachten im Auftrag von ver.di, 2003.