Kennzeichnungspflicht für Polizisten
Bei der Kennzeichnungspflicht von Polizisten handelt es sich um die Pflicht zur individuellen Kennzeichnung von Polizisten im Einsatz. Diese ist zu unterscheiden von der Pflicht, einen Dienstausweis bei sich zu tragen und diesen auf Wunsch vorzuzeigen.
Gründe
Befürworter der Kennzeichnungspflicht führen an, dass die Aufklärung von unrechtmäßiger Gewalt durch Polizeikräfte durch eine individuelle Kennzeichnung erleichtert werde. Dadurch werde auch Gewalt vorgebeugt und das Vertrauen in die Polizei gestärkt.[1][2] Die Kennzeichnungspflicht zählt zu den Forderungen der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten/Hamburger Signal, die sich nach den Ereignissen im Hamburger Kessel als Berufsverband gegründet hatte.[3] Zu den Gegnern der Kennzeichnungspflicht gehören in Deutschland unter anderem die Gewerkschaft der Polizei und die Deutsche Polizeigewerkschaft. Die GdP spricht von einem „Kontrollwahn gegen die Polizisten“[4][5] Die Deutsche Polizeigewerkschaft befürchtet eine Zunahme von „willkürlichen Vorwürfen“ gegen Polizeibeamte.[6] In keinem europäischen Land, das eine Kennzeichnungspflicht eingeführt hat, wurde allerdings seitdem ein nennenswerter Anstieg solcher Anschuldigungen verzeichnet.[7]
Formen der Umsetzung
Zur öffentlich sichtbaren Kennzeichnung gibt es bisher zwei Möglichkeiten:
- Namensschilder
- individuelle, aber anonymisierte Nummern
In manchen Staaten wie zum Beispiel Frankreich existieren ausführliche Formen der Kennzeichnung über eine Identifikationskarte aus Kunststoff mit Namen, Identifikationsnummer, Dienstgrad und Dienstadresse.
Die erforderliche Art der Kennzeichnung wird oft von der Art des Einsatzes abhängig gemacht: Hierbei unterscheidet man Streifendienste; Einsätze in Einheiten und Verdeckte Ermittler. Ferner bestehen in den Staaten jeweils verschiedene Polizeien wie die städtische, regionale und nationale Polizei.
In den meisten Ländern, in denen eine Kennzeichnungspflicht besteht, sind Ausnahmeregelungen vorgesehen, nach denen in bestimmten Situationen die individuelle Kennzeichnung reduziert oder weggelassen werden kann. Dazu gehören Einsätze in Zivilkleidung und verdeckte Ermittlungen sowie Einsätze, bei denen eine Gefährdung der Sicherheit der Polizisten oder ihrer Familien befürchtet werden muss. In einigen Ländern sind Polizisten bei Einsätzen in geschlossenen Einheiten von der Kennzeichnungspflicht ausgenommen.[7]
Deutschland
Erste Kennzeichnungen sind aus Berlin 1848 überliefert, die Anfang des 20. Jahrhunderts aufgegeben wurde.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren zunächst Landesverbände der Humanistischen Union um eine Kennzeichnungspflicht von Polizisten in den Ländern bemüht.[8]
Die deutsche Sektion von Amnesty International fordert aktuell eine allgemeine Kennzeichnungspflicht in der Kampagne Mehr Verantwortung bei der Polizei.[1][9]
Die Diskussionen um Gewaltanwendung seitens der Polizei bei den Demonstrationen gegen das Projekt Stuttgart 21 im Jahre 2010 und gegen den Atommülltransporte ins Atommülllager Gorleben verstärkten auch in anderen Bundesländern die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht.[10]
Bisher gibt es in der Bundesrepublik Deutschland eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten in Einsätzen nur in Berlin.[11] In den Bundesländern Hessen, Thüringen und Hamburg ist das Tragen von Namensschildern vorgesehen, jedoch nicht für alle Polizeibeamten verpflichtend. Bei der Bundespolizei gibt es keine individuelle Kennzeichnungspflicht.[12]
Baden-Württemberg
Die Polizei in Tübingen reagierte auf die Debatte mit einer Kennzeichnung der Polizisten im Verkehrsdienst.[13]
Berlin
Im Jahr 1848 ordnete der Berliner Generalpolizeidirektor Karl Ludwig Friedrich von Hinckeldey die Nummerierung von Polizeivollzugsbeamten der Königliche Schutzmannschaft zu Berlin an. Diese wurden auf den Zylindern getragen die Teil der Uniform waren.[14] Nachdem der Zylinder 1852 durch einen Helm ersetzt worden war, befand sich zunächst eine deutlich kleinere Nummer auf der Schulterklappe und wurde Anfang des 20. Jahrhunderts abgeschafft.
Im Jahr 1978 forderte dann auch die FDP im Abgeordnetenhaus von Berlin eine Kennzeichnungspflicht, zunächst für Kontaktbereichsbeamte und konnte das Thema nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin 1979 in die Koalitionsvereinbarungen mit der SPD einbringen. Nach Protesten der Polizeigewerkschaft und Rücktrittsandrohungen des damaligen Polizeipräsidenten Klaus Hübner wurde jedoch keine Kennzeichnung eingeführt.[15]
Am 12. Oktober 1984 stellte die Alternative Liste im Berliner Abgeordnetenhaus erfolglos einen Antrag zur Kennzeichnungspflicht von Polizisten. Dieter Kunzelmann begründete den Antrag im Plenum und trug dabei als Anspielung auf Hinckeldey eine Polizeiuniform aus der Mitte des 17. Jahrhunderts.[16] 2002 einigten sich SPD und PDS im Koalitionsvertrag auf die Einführung einer Kennzeichnungspflicht.[17] Nach Protesten der Polizeigewerkschaft wurde jedoch nur die freiwillige Nummerierung eingeführt.
Die Übergriffe eines Polizisten gegen einen Demonstranten auf der Freiheit-statt-Angst-Demonstration im Jahr 2009 lösten in Berlin heftige Diskussionen aus, die schließlich die Einführung einer Kennzeichnungspflicht in Berlin beförderten.[18][19] Im November 2011 unterlag der Gesamtpersonalrat der Polizei vor dem Berliner Verwaltungsgericht. Er hatte gegen die Kennzeichnungspflicht geklagt, weil es keine Mitbestimmung gegeben habe. Eine Mitbestimmungrecht wurde hier vom Gericht nicht erkannt.[20]
Derzeit gilt jedoch, dass die Berliner Bereitschaftspolizisten von der individuellen Kennzeichnung explizit ausgeschlossen sind.[21] Hierzu erklärt Innensenator Ehrhart Körting 2011: „Die Bereitschaftspolizei hat jetzt aus taktischen Gründen eine Kennzeichnung mit vier Ziffern. Der Vorschlag des Polizeipräsidenten beinhaltet, dass künftig eine taktische Kennzeichnung entweder mit fünf Ziffern oder mit vier Ziffern und einem Buchstaben erfolgen soll, wobei diese dann nicht auf eine einzelne Person fixiert sind, sondern jeweils auf die Zusammensetzung der Gruppe. Insofern kann durchaus ein Wechsel stattfinden. Da halte ich das auch für vernünftig.“[22]
Von der Linken wird kritisiert, dass das Land Berlin auch keine Kennzeichnungsvorschriften für externe Polizisten vorschreibt, soweit sie in Berlin, zum Beispiel bei Demonstration, ihren Dienst tun.[23]
Niedersachsen
Von der Linken wurde Mitte März 2010 ein entsprechender Antrag im Niedersächsischen Landtag eingebracht, jedoch von der CDU-Fraktion abgelehnt.
Nordrhein-Westfalen
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges befand sich während der britischen Besatzung die Dienstnummer der Polizisten im Rheinland am Kragenspiegel der Uniformjacke.[15]
Schleswig-Holstein
Dem schleswig-holsteinischen Landtag liegt seit 2010 die Drucksache 17/251 mit einem Gesetzesentwurf vor, der das Allgemeinen Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein (LVwG) anhand der Kennzeichnung von Polizeibeamten bürgerfreundlicher machen soll. Zum Entwurf antworteten auch die Kritischen Polizisten mit einer Stellungnahme.[3]
Sachsen
In Sachsen treten die Grünen für die Kennzeichnungspflicht ein. Das solle Vertrauen in die Polizei und in die Demokratie stärken, so unter anderem Eva Jähnigen 2010.[24]
Andere Staaten
In den meisten Ländern der Europäischen Union existiert eine Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten durch ein Namensschild oder durch eine Identifikationsnummer.[7]
Staat | Kennzeichnung | Beschreibung |
---|---|---|
Belgien | Pflicht | Bei der Belgischen Polizei tragen Angehörige aller Polizeieinheiten ein Schild mit ihrem Nachnamen, ihrer Dienststelle und ihrem Dienstgrad an ihrer Uniform. |
Dänemark | keine | Bei der Dänischen Polizei sind Beamte nur verpflichtet, sich auf Wunsch auszuweisen. |
Estland | Pflicht | Die Polizei Estlands verpflichtet alle Polizisten zum Tragen eines Etiketts mit ihrem vollen Namen und einer Identifikationsnummer. |
Finnland | keine | Bei der Finnischen Polizei sind Beamte nur verpflichtet, sich auf Wunsch auszuweisen. |
Frankreich | Pflicht | Bei Frankreichs Polizei sind Polizisten zum Tragen eine Identifikationskarte mit Namen, Dienstgrad und Dienstadresse verpflichtet. |
Griechenland | Pflicht | Bei der Griechischen Polizei tragen Polizisten mit Ausnahme der höchsten Ränge zu allen Zeiten eine Identifikationsnummer. |
Italien | Pflicht | Bei der Italienischen Polizei sind Polizisten mit einer Identifikationsnummer gekennzeichnet und müssen auf Nachfrage zusätzlich ihren Dienstausweis zeigen. |
Litauen | Pflicht | Bei der Polizei Litauens sind alle Polizisten zum Tragen eines Etiketts mit ihrem vollen Namen und einer Identifikationsnummer verpflichtet |
Niederlande | keine | Bei der Niederländischen Polizei sind Beamte nur verpflichtet, sich auf Wunsch auszuweisen. |
Österreich | keine | Für die Österreichische Polizei besteht keine Kennzeichnungspflicht. Polizeibeamte sind verpflichtet, auf Wunsch ihren Dienstausweis zu zeigen oder ihre Dienstnummer offenzulegen, sofern sie dies nicht bei der Erfüllung ihrer aktuellen Aufgabe behindert.[7] |
Polen | Pflicht | Bei der Polnischen Polizei tragen Polizisten ein Etikett mit ihrem Namen und Dienstgrad. |
Portugal | keine | Bei der Portugiesischen Polizei sind Beamte nur verpflichtet, sich auf Wunsch auszuweisen. |
Rumänien | Pflicht | Bei der Polizei Rumäniens sind alle Polizisten zum Tragen eines Etiketts mit ihrem vollen Namen und einer Identifikationsnummer verpflichtet. |
Schweden | bedarfsweise | Bei der Schwedischen Polizei sind Polizisten nicht gekennzeichnet, es sei denn, sie sind zum Beispiel durch das Tragen eines Helmes unkenntlich, in welchem Fall sie eine Nummer oder ihren Dienstausweis offen tragen müssen. Auf Wunsch müssen sie ihren Dienstausweis zeigen. |
Schweiz | Der Zürcher Gemeinderat beschloss 2011, dass eine sichtbare Dienstnummer der Schweizer Polizei verhindern solle, dass Beamte anonym Gewalt ausüben können.[25] | |
Slowakei | Pflicht | Bei der Slowakischen Polizei sind alle Polizisten zum Tragen eines Etiketts mit ihrem vollen Namen und einer Identifikationsnummer verpflichtet. |
Slowenien | Pflicht | Bei der Slowenischen Polizei können die Beamten zwischen beidem wählen. |
Spanien | Pflicht | Bei der Spanischen Polizei tragen alle uniformierten Polizisten eine Identifikationsnummer. |
Tschechien | Pflicht | Bei der Tschechischen Polizei tragen alle uniformierten Polizisten eine Identifikationsnummer. |
Ungarn | Pflicht | Bei der Ungarischen Polizei tragen Polizisten ein Etikett mit ihrem Namen und Dienstgrad. |
Vereinigtes Königreich | regional | Bei der Polizei Großbritanniens ist die Kennzeichungspflicht Angelegenheit der regionalen Polizeiführung. Vorgesehen sind Etiketten mit Namen oder Identifikationsnummern und dem jeweiligen Rangabzeichen. |
Vereinigte Staaten | Pflicht | In den Vereinigten Staaten tragen Polizeibeamte seit 1975 ein Namensschild; viele tragen zusätzlich eine Personalnummer.[26] |
Zypern | Pflicht | Die Polizei Zyperns verpflichtet das Polizeirecht alle Polizisten zum Tragen eines Etiketts mit ihrem vollen Namen und einer Identifikationsnummer. |
Einzelnachweise
- ↑ a b Amnesty International zur Kennzeichnungspflicht
- ↑ Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Gefahrenabwehrrechtsausschuss zur Forderung einer Kennzeichnungspflicht für Polizeibedienstete, Juli 2010
- ↑ a b Antwort an den Vorsitzenden des Innen- und Rechtsausschusses im Schleswig-Holsteinischen Landtag vom 23. April 2010. Schleswig-Holsteinischer Landtag, Umdruck 17/759
- ↑ GdP Niedersachsen: Keine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte
- ↑ http://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/Posa/$file/Pos_Kennzeichnungspflicht.pdf
- ↑ Amnesty Bericht über mutmaßliche Polizei-Gewalt in Deutschland - DPolG: Kennzeichnungspflicht gefährdet Polizisten, Der Informationsdienst der DPolG Baden-Württemberg, Nr. 21, 11. Juli 2010
- ↑ a b c d Infobrief des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 18. April 2011
- ↑ Polizeikennzeichnung in Berlin und Brandenburg Humanistische Union
- ↑ Vgl. Impressum der Webseite „amnestypolizei.de“.
- ↑ Polizisten nicht mehr anonym, n-tv, 26. November 2010
- ↑ Polizei kämpft nun mit offenem Visier, taz, 26. November 2010
- ↑ Bericht von amnesty international
- ↑ Dreiunddreißig Tübinger Verkehrspolizisten tragen neuerdings Namensschilder an der Uniform. Kollegen in anderen Bundesländern aber kritisieren die Neuerung. Der Spiegel 20/1978
- ↑ Uniformen im Wandel der Zeit
- ↑ a b Otto Diederichs: Never ending story – Kennzeichnung von PolizeibeamtInnen bei Bürgerrechte & Polizei/CILIP
- ↑ Aribert Reimann: Dieter Kunzelmann. Avantgardist, Protestler, Radikaler (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft. Bd. 188). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, ISBN 978-3-525-37010-0, S. 280.
- ↑ Koalitionsvertrag 2002, Seite 13
- ↑ Neue Koalitionen auf der Straße, taz, 12. September 2010
- ↑ Neue Demo gegen Überwachung, Der Tagesspiegel, 10. September 2010
- ↑ Die Kennzeichnungspflicht bleibt. In: taz, 16. November 2011 (online)
- ↑ http://de.indymedia.org/2010/12/295529.shtml
- ↑ http://www.parlament-berlin.de/pari/web/wdefault.nsf/vFiles/D12-00425/$File/pp16-073.pdf
- ↑ Die Linke Berlin ([tt_news=21412&tx_ttnews[back online])
- ↑ Eva Jähnigen: Sachsens GRÜNE für Kennzeichnungspflicht von Polizisten. (online)
- ↑ http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/Polizisten-werden-durchnummeriert/story/25236934
- ↑ Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins