Zum Inhalt springen

Philosophische Anthropologie

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 19. November 2005 um 13:03 Uhr durch Timo Müller (Diskussion | Beiträge) ({{Philosophieartikel}}). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Vorlage:Philosophieartikel

Die philosophische Anthropologie (griechisch ανθρωπολογία, anthropolojía, „die Menschenkunde“, von άνθρωπος, ánthropos, „der Mensch“) ist die Disziplin der Philosophie, die sich mit dem Wesen des Menschen befasst. Die moderne philosophische Anthropologie ist eine sehr junge philosophische Fachrichtung, die erst im frühen 20. Jahrhundert als Reaktion auf den Verlust von Weltorientierung entstand:

„Wir sind in der ungefähr zehntausendjährigen Geschichte das erste Zeitalter, in dem sich der Mensch völlig und restlos problematisch geworden ist: in dem er nicht mehr weiß, was er ist; zugleich aber auch weiß, das er es nicht weiß.“ (Max Scheler)

Einführung

Die philosophische Anthropologie reflektiert auf den Menschen schlechthin, auf das Wesen des Menschen, also auf das vorgegebene „Ewige“ in ihm und an ihm. Sie sieht vom konkreten Menschen ab und zielt auf die Abstraktion und das Universale. Zugleich ist es die Grundsituation der philosophischen Anthropologie, dass es der Mensch ist, der nach dem Menschen fragt. Sie ist also auch immer Selbstreflexion und hat aufgrund der Gegenüberstellung von Innenperspektive des Subjekts und der Außenperspektive des Beobachters teilweise auch eine dialektische Fragestellung.

Die philosophische Anthropologie betrachtet den Menschen i. a. vom Boden metaphysischer Grundgewissheiten, die selbst nicht ihr Gegenstand sind. Sie behandelt weder Fragen der Erkenntnistheorie, noch das Leib-Seele-Problem, noch Fragen von Freiheit und Determinismus. Sie ist auch nicht unmittelbar normativ, d.h. aus ihr können ethischen Aussagen i.a. nur unter Hinzuziehung außeranthropologischer Wahrheiten abgeleitet werden, da ansonsten ein naturalistischer Fehlschluss drohen könnte. Andererseits ist die Feststellung, dass der Mensch immer mit Normen lebt, eine anthropologische Tatsache.

Im Mittelpunkt der philosophischen Anthropologie steht die Lebenssituation des Menschen. Dabei werden naturwissenschaftliche, soziologische sowie alle weiteren relevanten einzelwissenschaftlichen Erkenntnisse beachtet und - wo sinnvoll - integriert. Andererseits haben die Erkenntnistheorie ebenso wie die Einzelwissenschaften immer anthropologische Implikationen. Einzelwissenschaften im Umfeld der philosophischen Anthropologie sind die sog. Humanwissenschaften, zu denen insbesondere die Biologie, die Primatologie, die Hirnforschung, die Psychologie, die Sprachwissenschaften, die Ethnologie, die Paläontologie, die Soziologie und auch die Geschichtswissenschaften sowie eine Vielzahl von Variationen aus diesen Fächern wie die Soziobiologie oder die Evolutionäre Psychologie. Und zu jeder dieser Fachrichtungen gibt es auch eine spezifische Anthropologie wie etwa eine medizinische, eine pädagogische, eine historische oder eine theologische Anthropologie.

Die philosophische Anthropologie wird auch heute noch oftmals mit der kritischen Frage konfrontiert, wieso es bei der Vielzahl dieser humanwissenschaftlichen Fächer auch noch einer philosophischen Anthropologie bedürfe und ob deren Fragestellung nicht durch die anderen philosophischen Disziplinen abgedeckt sei. Obwohl die Fachwissenschaften ein breites und umfassendes Bild vom Menschen entwerfen, geben sie keine Zusammenschau aus der Perspektive der Lebenswelt des Menschen. Es bleiben eine Reihe von Fragen offen:

  • Ist der Mensch von Natur aus gut?
  • Ist Altruismus eine Frage der Vernunft oder der Evolution?
  • Welche Fähigkeiten und Eigenschaften sind in welchem Maße im Kontext der Lebenswelt entstanden?
  • Welche Stellung hat der Mensch im Kosmos?
  • Inwieweit gehört Kultur zur Natur des Menschen?
  • Was bedeutet die Gebundenheit des menschlichen Denkens an die Sprache?
  • Muss man weibliche und männliche Grundfragen unterscheiden?
  • Welche Rolle spielt die Selbstverwirklichung in der Arbeit für den Menschen?
  • Sind Kreativität und Phantasie Wesensbestimmungen des Menschen?
  • Was bedeutet das menschliche Streben nach Wissen und Verstehen?
  • Gibt es für den Menschen einen Sinn des Lebens?
  • Ist der Mensch zur Freiheit verurteilt?
  • Sind Kriege und Gewalt als Folge der Aggressivität des Menschen überwindbar?
  • Kann man aufgrund der menschlichen Individualität überhaupt Wesensausagen machen?

Jeder Mensch entwickelt ganz in Abhängigkeit von seiner persönlichen Biografie und Lebenswelt ein eigenes Bild vom Menschen. Aufgabe der philosophischen Anthropologie ist es nun, die Erkenntnisse der Einzelwissenschaften und philosophischen Disziplinen so zusammenzuführen, dass Antworten auf diese Art von Grundfragen systematisch und auf einem gesicherten Niveau als Orientierung gegeben werden können. Insbesondere ist aufzuzeigen, wo bestehende Menschenbilder metaphysische Antworten enthalten. Andererseits kann die philosophische Anthropologie nur einen Teil der philosophischen Fragen beantworten, da sich Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, Ethik oder Ästhetik in ihrem Grundanliegen nicht mit dem selbstreflektierenden Verhältnis des Menschen zu seiner Lebenswelt befassen. Aus dem Zusammenspiel mit den Ergebnissen der Einzelwissenschaften ergibt sich, dass die philosophische Anthropologie zwar zeitlose Geltung hat, d.h. grundsätzliche Erkenntnis über den Menschen befördern kann, jedoch diese i.a. auch die aktuelle Gegebenheit der Reflexion widerspiegeln.

Klassische Auffassungen über den Menschen

In der Antike war die Rolle des Menschen durch seine Stellung im Kosmos als von den Göttern geschaffen und durch den Geist mit diesen verwandt bestimmt. Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Dieses Zitat Platons von Protagoras kennzeichnet die Haltung der Sophisten in der Antike, deren Lehren antimetaphysisch waren und die klar zwischen Natur und Kultur unterschieden. Platon stellte dagegen den Menschen, der dank seiner unsterblichen Seele nicht nach den irdischen Gütern, sondern nach dem Einen, dem Göttlichen strebt. Die Seele ist im Körper nur gefangen. Der Leib und die Triebe sind nachrangig und werden vom Geist gelenkt. Über den Neuplatonismus der Patristik gelangt dieses Menschenbild in das Christentum und beeinflusst damit stark das Menschenbild des Abendlandes. Aristoteles sah hingegen den Menschen als Teil der Natur. Körper und Seele bilden eine organische Einheit. Es gibt eine Parallelität zwischen der Natur und dem Seelenleben. Die Triebe entsprechen dem Pflanzlichen, die Sinnlichkeit dem Tierischen und das Denken dem Göttlichen. Der Mensch ist das sittliche Wesen, das aus Vernunft nach der Verwirklichung der Tugend strebt. Als vernunftbegabtes Wesen (zoon logon echon) und als soziales Wesen (zoon politikon) verwirklicht sich der Mensch durch seine Lebenspraxis.

In der Spätantike seit Paulus von Tarsus und in der Patristik besonders durch Augustinus verband sich das antike Denken mit dem christlich jüdischen Menschenbild als Ebenbild Gottes. Die Menschen sind von Gott mit Leib und Seele (griechisch: Psyche, hebräisch: Neschome, Ruach) geschaffen. Die Wahrheit liegt im Inneren des Menschen. Der Mensch ist nun der Gefallene, mit der Erbsünde belastete Mensch, der sich nicht allein und durch seine Vernunft zum Glück verhelfen kann, sondern der die Gnade Gottes benötigt, um dem Schicksal des Fegefeuers zu entrinnen. Entsprechend war die Frage des Mittelalters, wie der Mensch sich in der von Gott geschaffenen Ordnung stellt.

Nach Thomas von Aquin ist die Seele als Entelechie eine Substanz, in der die geistigen Funktionen des Menschen vereint sind. Die Seele ist vom Körper getrennt und erkennt das Wesen des Menschen in seiner Körperlichkeit. Der Leib ist Werkzeug der Vernunft. Der Mensch hat die natürlichen Neigungen, sein Leben zu erhalten, seine Art durch Nachkommen zu erhalten und eine Neigung, aus Vernunft das Gute zu tun.

Mit der kopernikanischen Wende verschob sich das Selbstbild des Menschen. Er stand nun nicht mehr im Zentrum, sondern war alleingelassen im weiten Raum und mit der Unendlichkeit konfrontiert, die ihn ängstigte (Pascal). Die Physik wurde zur Methode der Erklärung der Welt (Kepler, Galilei). Es entstand eine naturalistische Auffassung vom Menschen (Hobbes Kampf aller gegen alle). Gleichzeitig konnte der Gegensatz von Leib und Seele nicht aufgelöst werden. Dies führte zu Descartes Dualismus. Der Mensch ist körperlich (res extensa) und verfügt zugleich über eine Seele (res cogitans). Die Erklärung des Menschen wurde zu der Frage nach seiner Erkenntnisfähigkeit. Als Ebenbild Gottes bleibt er aber immer noch im Zentrum des Denkens:

„Der Mensch ist der erste Freigelassene der Schöpfung, er steht aufrecht. Die Waage des Guten und des Bösen, des Falschen und Wahren hängt an ihm; er kann forschen, er soll wählen.“ (Herder)

Die von Descartes angestoßene Bewusstseinsphilosophie fand unterschiedliche Antworten bei den Empiristen und bei den Rationalisten. Beiden gemeinsam ist aber, dass sie psychologische Antworten gaben. Locke und Hume begründeten den Sensualismus. Die Empiristen gingen grundsätzlich vom Egoismus des Menschen aus. Auch das Sozialverhalten erfolgt nach dem Prinzip, dass Näherliegendes vorgezogen wird. Leibniz unterteilte das Bewusstsein in bewusste Wahrnehmungen (apperceptiones), einfache Wahrnehmungen (perceptiones), unbewusste Wahrnehmungen (petit perceptiones) und unterbewusste Strebungen (appetitiones). Christian Wolff unterschied dann in empirische und theoretische Psychologie und legte damit den Grundstein für den durch Jakob Friedrich Fries und Johann Friedrich Herbart begründeten Psychologismus im 19. Jahrhundert. Der Bewusstseinsphilosophie seit Descartes ist allerdings gemeinsam, dass sie Anthropologie als eigenständiges Thema noch nicht verfolgte.

Historische Anfänge der Anthropologie

Der Begriff der Anthropologie wird erstmals von Magnus Hundt in der Schrift Anthropologicum de hominis dignitate, natura et proprietatibus (Leipzig 1501) gebraucht. Ein weiterer früher Nachweis ist die Psychologia anthropologica des Otto Casmann, eines Rektors in Stade, aus dem Jahre 1596. Während Hans Blumenbach (1752 – 1840) die naturwissenschaftliche Anthropologie begründete, gilt Immanuel Kant als der Urvater der philosophischen Anthropologie mit der erstmals 1775 gehaltenen Vorlesung über „Verschiedene Racen des Menschen“. Kant unterschied die Anthropologie in psychologische und pragmatische Anthropologie. Während die erste Thema der Naturwissenschaft ist, behandelt die zweite das philosophische Thema der Freiheit und was der Mensch aus ihr macht. Der Mensch ist zwar auch Tier, aber durch die Vernunft charakterisiert und bestimmt, sich in der Gesellschaft zu kultivieren und zu moralisieren. Er ist autonom und damit in der Lage, seinen tierischen Hang zur Trägheit zu überwinden. Dabei gilt:

„Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht.“ (Kant, Über Pädagogik).

Einen wesentlichen Anstoß hat auch Herder gegeben, von dem die Auffassung über das Mängelwesen Mensch stammt und der insbesondere die Sprache als besonderen Wesenszug des Menschen in den Mittelpunkt rückte. Schon als Tier hat der Mensch die Sprache der Empfindungen. Der Mensch kann aber zusätzlich die Welt mit Reflexion betrachten. Durch die Unterscheidung der Dinge mit Hilfe seiner Sinne kann er sie bezeichnen. Indem er sie bezeichnet, denkt er über sie nach und entwickelt Verstand. Für Herder ist der Mensch der erste Freigelassene der Natur. Hegel hingegen steht der Anthropologie kritisch gegenüber, der er vorhält sich nur mit dem Möglichen des Menschen zu befassen, während die Geschichte das Wirkliche des Menschen betrachtet.

Erste Vorläufer der modernen philosophischen Anthropologie

Einer der klassischen Ausgangspunkte für die moderne philosophische Anthropologie ist der Darwinismus. Ein weiterer Ansatzpunkt ist der klassische Materialismus Ludwig Feuerbachs („Der Mensch ist der Gott des Menschen“). In Rechnung stellen muss man auch die Psychoanalyse von Sigmund Freud, nach der der Mensch von unbewussten Lust- und Todestrieben bestimmt ist. Weniger Beachtung fand der kulturanthropologische Ansatz von Adolf Bastian mit seiner Lehre vom Menschen in ethnischer Anthropologie. Als unmittelbare Vorläufer der modernen und postmodernen philosophischen Anthropologie werden u. a. Schopenhauer (Der Mensch als Willenswesen), Kierkegaard (der in seiner Existenz auf sich selbst angewiesene Mensch) und Friedrich Nietzsche („Wir haben umgelernt. Wir sind in allen Stücken bescheidener geworden. Wir leiten den Menschen nicht mehr vom ‚Geist’, von der ‚Gottheit’ ab. Wir haben ihn unter die Tiere gestellt.“ (Der Antichrist)) angesehen. Die Vorstufe ihrer Entwicklung erreicht die Anthropologie in der Lebensphilosophie, die den Menschen grundsätzlich als Tier deutet, vor dem Ersten Weltkrieg, aus deren Problemkreisen sie als selbständige philosophische Disziplin zwischen den beiden Weltkriegen hervorwächst, um dann nach dem Zweiten Weltkrieg allgemeinen Eingang in die Philosophie zu gewinnen.

Begründung der neueren philosophischen Anthropologie

Im Folgenden werden eine Reihe von Ansätzen der philosophischen Anthropologie nebeneinander gestellt, die für sich jeweils einen eigenen Blickwinkel eröffnen, in ihrer Gesamtheit aber deutlich machen, wie sehr die Antworten der philosophischen Anthropologie von der eingenommenen Perspektive abhängen.

Programmatik Max Schelers

Der eigentliche Einsatz der neueren philosophischen Anthropologie wird auf Max Scheler zurückgeführt. Seine Schriften gelten als Programmatik:

  • Zur Idee des Menschen, 1915
  • Vom Umsturz der Werte, 1915
  • Vom Ewigen des Menschen, 1923
  • Die Stellung des Menschen im Kosmos, 1928

Und als quasi Leitsatz schreibt er 1915:

„In einem gewissen Verstande lassen sich alle zentralen Probleme der Philosophie auf die Frage zurückführen, was der Mensch sei und welche metaphysische Stelle und Lage er innerhalb des Seins, der Welt und Gott einnehme.“

Scheler entwickelte bereits während des Ersten Weltkrieges programmatisch die Grundzüge der philosophischen Anthropologie, deren späteren Ausgestaltungen in der einen oder anderen Form hier ihren Ursprung besitzen. Scheler stellt darin folgende Thesen auf:

  • Die von Aristoteles überlieferte und von der klassischen Philosophie vertretene humanistische Auffassung des Menschen als eines vernünftigen Lebewesens, als eines animal rationale wird abgelehnt.
  • Mit der Tradition des Humanismus, vor allem mit seinem diesseitigen Menschenbild, ist zu brechen.
  • Die Entwicklungslehre (d. h. die Lehre von der Evolution), jeder Entwicklungsgedanke überhaupt im Hinblick auf den Menschen ist zu verwerfen. Die Lehre von Charles Darwin ist ein Irrtum, bestenfalls eine unbewiesene Hypothese. Es führt „kein noch so enger Steg und Weg vom 'homo naturalis' und seiner hypothetisch konstruierten Vorgeschichte zum 'Menschen' der Geschichte“, (in: Scheler, Vom Umsturz I,275).
  • In der Stufenleiter des Lebendigen ist die Pflanze noch ganz bewusstlos, das Tier hat zwar auch psychische Leistungen, beim Menschen sind diese jedoch stärker ausgeprägt. Der Mensch hat aber eine Sonderstellung, indem er Geist hat. Dadurch ist der Mensch nicht von seinen Trieben festgelegt, sondern umweltfrei und weltoffen. Hierdurch kann er Geschichte gestalten, Kultur schaffen und sein Handeln nach Normen und Werten ausrichten.
  • Als biologische Erscheinung, als Lebewesen sei der Mensch ein „erblich krankes Tier“, das sich „in einer Sackgasse verlaufen“ hat, ein „Übergang“, ein „faux pas“, im Grunde eine bloße Verlegenheit der Natur. Insofern ist diese Annäherung an den Menschen von der Natur aus abzulehnen.
  • Der Versuch einer natürlichen Erklärung des Menschen führt immer wieder zur Wiederholung des großen Irrtums der europäischen Geistesgeschichte: zum Humanismus.
  • Das wahre Wesen des Menschen liegt jenseits seiner biologischen und sozialen, auch vernünftigen Funktionen: der Verstand ist biologisch gesehen eine Krankheit.
  • Das wahre Wesen des Menschen sei seine geistige Personalität, die darin gründet, dass der Mensch transzendiert, ja selbst eine Gestalt der Transzendenz ist. Als geistige Person ist der Mensch nicht „Teil der Welt“, der objektiven Realität, sondern der idealen Wirklichkeit.
  • Um sich als geistige Person zu konstituieren, muss er die Wirklichkeit „entwirklichen“, von dem, was „ist“, abstrahieren, es als nicht existierend denken. Mit anderen Worten: Der Mensch als Wesen, „das Gott sucht“, als „Gottsuchender“ bzw. „Gottsucher“ und als „lebendiges x“. Nicht Gott ist, so dekrediert Scheler gegen die wissenschaftliche, auf Ludwig Feuerbach zurückgehende Religionskritik, eine anthromorphe Erfindung, sondern umgekehrt: der Mensch ist theomorph.

Der gesamten philosophischen Anthropologie ist als Grundzug die Abkehr von der humanistischen Menschenauffassung der klassischen Philosophie eigen. Eine ahumane und apologetische Tendenz durchzieht diese Disziplin von ihren Anfängen bis zu ihren gegenwärtigen Ausgestaltungen. Scheler schrieb dereinst:

„Wer sehe nicht, daß hinter der scheinbar so harmlosen Gleichheitsforderung stets und immer, um welche Gleichheit es sich auch handle - nur der Wunsch auf die Erniedrigung der Höherstehenden, Mehrwertbesitzenden auf das Niveau der Niedrigstehenden verbirgt“ (in: Umsturz 193).

Und Alexis Carrel fragt bezeichnend in seiner Schrift Der Mensch, das unbekannte Wesen,

„ob die starke Abnahme der Sterblichkeit im kindlichen und jugendlichen Alter nicht ihre unerwünschten Seiten hat...Mit all ihrer großzügigen Arbeit zum Besten des Menschengeschlechts erreichen die Ärzte und Erzieher doch niemals ihr Ziel, denn sie haben schematische Vorstellungen, die nur einen Teil der Wirklichkeit umfassen.“

Helmuth Plessners Position des Exzentrischen

Auch Helmuth Plessner, Zoologe und Schüler Husserls, verfolgte einen biologisch fundierten Ansatz. In seinem zeitgleich zu Scheler im Jahr 1928 erscheinenden Hauptwerk Die Stufen des Organischen und der Mensch bestimmte Helmut Plessner den Menschen als exzentrisches Wesen. Während das Tier an seine unmittelbare Umwelt gebunden ist, kann der Mensch gleichsam aus sich heraustreten und die Perspektive eines Beobachters seiner selbst einnehmen. Er nimmt eine exzentrische Position ein. Im Gegensatz zu Scheler waren für ihn Körper und Geist eine Einheit. Ich bin Leib und habe einen Körper. Der Mensch ist weltoffen (hat einen Drang nach Erfahrung), hat aber keine feste Identität (sein Wesen ist unbestimmbar, er ist ins Nichts gestellt), sondern muss zu sich selber Stellung beziehen. Er ist gesetzt durch seine Körperlichkeit und muss sich selber setzen im Verhältnis zu dem Anderen. Plessner lehnte eine teleologische Deutung der Evolution ab. Für ihn gab es drei anthropologische Grundgesetze. Das erste besteht in der vermittelten Unmittelbarkeit, was bedeutet, dass der Mensch seine Umwelt bloß vermittelt (entfremdet, durch kulturelle Medien, durch Sprache) erfassen kann. Zum zweiten die natürliche Künstlichkeit, d.h. die Fähigkeit zur Gestaltung der Natur als Grundeigenschaft. Drittens der utopische Standort, den der Mensch einnimmt, wenn er mit der Frage nach dem Sein, der kontingenten Welt konfrontiert wird. Die Lösung dieses Problems sucht der Mensch in der Transzendenz der Religion. Bekannt wurde Plessner auch mit der Arbeit Lachen und Weinen (1941), in der er das Verhalten von Menschen in Extremsituationen untersucht.

Arnold Gehlens Mängelwesen

Arnold Gehlen strebte eine empirisch fundierte Philosophie als pragmatische Orientierung an. Gehlen, dessen Hauptwerk Der Mensch – Seine Natur und seine Stellung in der Welt 1940 erschien, lehnte eine Erklärung des Wesens des Menschen aus einer biologischen Betrachtung ab, weil so die Sonderstellung des Menschen nicht erklärbar sei. Der Mensch als Mängelwesen (Herder) sowohl in Hinblick auf seine körperlichen Fähigkeiten als auch bei den Instinkten (K. Lorenz) kann sein Leben nur als ein ganzheitliches System führen. Zu seinen Bedingungen gehören Selbstzucht und Erziehung. Fehlende Instinkte können durch Gewöhnung zum Teil ersetzt werden (ähnlich dem Maschinenschreiben oder Radfahren). Der Mensch ist weltoffen, kann aber der Reizüberflutung entgehen, indem er sich in sich zurückzieht. Der Mensch sichert sein Überleben als Handelnder. Kultur ist die Kompetenz des Menschen, seine Mängel zu kompensieren. Er ist in der Lage, seine Umwelt zu verändern, um sein Überleben zu sichern. Zudem organisiert der Mensch sich in dauerhaften gesellschaftlichen Einrichtungen, den Institutionen, die der Angstbewältigung des „Ritualtieres“ Mensch dienen.

Ernst Cassirers Animal Symbolicum

Wohl weil die maßgebliche Arbeit in der Emigration entstand, ist der Ansatz Cassirers in der Diskussion der philosophischen Anthropologie kaum zu finden. Dabei ist er im Vergleich zu den drei oben vorgestellten Klassikern noch immer relevant in der Diskussion der Gegenwart. Cassirers Konzept entwickelte sich systematisch aus seiner Erkenntnistheorie und der zunächst als Kulturphilosophie ausgelegten Philosophie der symbolischen Formen. Als philosophische Anthropologie formulierte er sein Konzept im Versuch über den Menschen (engl. 1944). Vorläufer für diesen Ansatz findet man hinsichtlich des Symbols in der Identitätstheorie mit dem Schlüsselbegriff eines signifikanten Symbols von George Herbert Mead und in der Theorie der kulturellen Symbolisierung von Alfred North Whitehead, die beide bei Cassirer allerdings nicht zitiert werden, der sich vielmehr auf Hermann von Helmholtz und Heinrich Hertz bezieht. In Bezug auf den sprachlichen Aspekt bilden Wilhelm von Humboldt und Herder den Ausgangspunkt.

Nach den Entwicklungen in der Psychologie, der Biologie und der Evolutionstheorie bedurfte es zur Beantwortung der Frage, was ist der Mensch, eines neuen Schlüssels. Diesen sah Cassirer in der Bedeutungstheorie der symbolischen Formen. Erkenntnis findet nicht nur begrifflich in der Sprache statt, sondern auch durch Mythen, in der Religion und in der Kunst. Auch Geschichte, Wissenschaft, Technik und Politik haben ihre eigenen symbolischen Formen.

Jeder Organismus besitzt nach Jakob Johann von Uexküll entsprechend seiner anatomischen Struktur jeweils ein Merknetz und ein Wirknetz. Komplexere Tiere wie auch der Mensch haben – entsprechend den Ergebnissen der Gestaltpsychologie – ein kompliziertes gesamthaftes Wahrnehmungssystem. Tiere haben in Bezug auf ihre Wahrnehmungen üblicherweise ein festes Reiz – Reaktionsschema. Bevor der Mensch handelt, verarbeitet er das Wahrgenommene hingegen im Denken zu Symbolen, die quasi als vermitteltes Symbolnetz zwischen Merken und Wirken (Handeln) stehen. Bis auf wenige, gering entwickelte Ausnahmen verarbeiten Tiere ihre Wahrnehmungen als reine Zeichen und können sich auch nur zeichenhaft ausdrücken (Ruf des Eichelhähers). Sie bewegen sich gleichsam auf der Ebene der emotionalen Sprache ohne syntaktische oder logische Strukturen. Sie drücken etwas aus, können aber nichts darstellen. Indem der Mensch in der Lage ist, Aussagen mit Sinngehalt zu machen, also proportionale Sätze zu formulieren, unterscheidet er sich vom Tier. Indem das Zeichen eine Bedeutung erhält, wird es zum Symbol. Erst aufgrund des symbolischen Denkens kann der Mensch die abstrakte Bedeutung von Beziehungen verstehen.

Raum und Zeit als organische Sphäre hat der Mensch mit dem Tier gemeinsam. Der Mensch hat darüber hinaus aber auch die Fähigkeit, gedanklich einen abstrakten Raum zu bilden. Wie schwierig das ist, zeigt die Beschreibung des Demokrit, der diesen abstrakten Raum ein Nichtsein mit wahrer Wirklichkeit nennt. Der abstrakte Raum des Physikers folgt keinen sinnlichen, sondern nur logischen Prinzipien. Die Fähigkeit der abstrakten Symbolsprache ist Voraussetzung für Wissenschaft. Auch in der Zeitvorstellung verwendet der Mensch über das reine Vorher und Nachher hinaus Symbole. Erinnern ist nicht Wiederherstellen eines vorhandenen Bildes, sondern Rekonstruktion. An die Zukunft denken und in der Zukunft leben ist ein notwendiger Teil der menschlichen Natur. Sowohl die Wiedergabe des Vergangenen als auch die Erwartungserlebnisse basieren auf symbolischem Denken. Die theoretische Idee der Zukunft ist eine Bedingung der kulturellen Tätigkeit des Menschen. Symbolische Formen haben eine Ausdrucksfunktion (das freundliche Lächeln nimmt Angst), eine Darstellungsfunktion (sprachliche Bezeichnung von Sachverhalten mit einem pragmatischen Bezug zur Welt) und eine Bedeutungsfunktion (abstrakte, relationale Theorien auf logisch–mathematischer Basis).

Der gemeinsame Ursprung der symbolischen Formen ist der Mythos, der zusammen mit der Sprache und der Technik die ursprüngliche Orientierung des Menschen ermöglicht. Mythen sind Denkformen mit Erkenntnischarakter. Im Mythos sind die symbolischen Formen noch mimetisch unmittelbar. Die Welt ist für den Menschen Inkarnation, sie tritt ihm wesenhaft gegenüber. Der Mensch lebt mit den Tabus der Sippe und erklärt sich das Gewitter mit dem Hammer des Donnergottes. In dem Moment, in dem die Menschen ihre Lebenssituation hinterfragen, wird das Denken analog. Es entstehen Religionen mit abstrakten Geboten und einer Loslösung von den mythischen Bildern. Die erscheinenden Gegenstände (Substanzen) werden in einem festen Raum – Zeit – Gefüge in eine pragmatische Ordnung eingepasst. Es entstehen Unterscheidungen von Form und Inhalt und darauf aufbauend von Erscheinung und Wirklichkeit. Mit der Reflexion der Vernunft erfolgt eine erneute Loslösung nun von konkreten Schöpfungsvorstellungen, so dass die Vorstellungen über gesellschaftliche Normen rein symbolisch werden. Das Denken verliert seine Gegenständlichkeit und löst sich von der demonstrativen Beziehung zum Hier und Jetzt. Aus Abbildtheorie der Substanz werden nichtanschauliche und nichtrepräsentative Relationen. Zu beachten ist, dass in der Geschichte die Phasen der menschlichen Entwicklung jeweils in sich verwoben sind, wobei die Frühkulturen weniger, die Moderne hingegen viel stärker zur Abstraktion befähigt ist.

Anthropologie der Bedürftigkeit und Ethik bei Wilhelm Kamlah

Aufgrund des möglichen Vorhalts eines naturalistischen Fehlschlusses vom Sein auf das Sollen (Moore) haben die meisten philosophischen Anthropologien auf eine Verknüpfung der Analyse der menschlichen Identität und Lebenswelt mit Handlungsregeln verzichtet. Allerdings kann man durchaus den jeweiligen Status vom Standpunkt der Zweckmäßigkeit aus beurteilen und unter diesem Gesichtspunkt normative Aussagen treffen. Dies ist der Ansatz von Wilhelm Kamlah, der alle Handlungen des Menschen in Abhängigkeit von seinen Bedürfnissen und Widerfahrnissen betrachtete. Dabei ist der Mensch kein Einzelwesen, sondern immer auf den Anderen angewiesen. Daraus leitet sich die Notwendigkeit von Handlungsregeln ab, die Kamlah in einer eudämonistischen Ethik als Philosophie der Lebenskunst sah. Die hierin eingeschlossene Kritik am Verbot des Selbstmordes bei entsprechend negativen Lebensbedingungen setzte er 1976 mit seinem Freitod selbst um.

Dialogische Anthropologie bei Martin Buber und Kuno Lorenz

Martin Buber entwickelte eine Dialogik. Zentrale Kategorie ist das sich in der Begegnung aktualisierende Zwischen. Der Mensch lernt, das Grundwort ICH-DU zu sprechen und bleibt nicht immer nur beim ICH-ES.

Im Anschluss daran und in Auseinandersetzung mit der anthropologischen Philosophie von Ernst Cassirer, Albert Camus und Wilhelm Kamlah entwickelt Kuno Lorenz eine dialogische Anthropologie. Nur durch differenzierte Ausbildung von Ich und Du und damit die Rückbindung der Werke des Menschen an die in ihnen verkörperten Prozesse der Individuation und der Sozialisation können Menschen ihres Menschseins innewerden. Zwar wird eine (im Handlungsvollzug mögliche) dialogische Übergangsmöglichkeit zwischen Ich-Rolle und Du-Rolle erarbeitet, aber es wird vor einer Einebnung von Gegenstandsebene und Zeichenebene in der Handlungsdarstellung gewarnt.

Anthropologie und Existenzialismus bei Helmut Fahrenbach

Eine Verbindung der Anthropologie Plessners mit dem Existentialismus und der Philosophie Heideggers findet sich bei Helmut Fahrenbach, der darauf verweist, dass der Mensch „sich aufgegeben“ ist, also nur lebt, indem er ein Leben führt. Er kann sich selbst wählen (Kierkegaard), ohne die Moral aus seinem Selbstverhältnis ausschließen zu können. In diesem Sinne nimmt Fahrenbach eine Verknüpfung von Anthropologie, Normativität und Ethik vor, wie sie bei den Klassikern der Anthropologie noch nicht zu finden ist.

Ansätze in der Gegenwart

Die nachfolgend geschilderten Ansätze stehen als Beispiele für aktuelle Diskussionen.

Odo Marquard beschreibt den Menschen als Homo Compensator. Die Kompensationsidee, die sich sowohl bei Plessner als auch bei Gehlen findet, hat sich in weiten Bereichen der Pädagogik und der Soziologie platziert. Konrad Lorenz und Karl-Otto Apel haben die Moral als Kompensationsmechanismus beschrieben. Der Mensch kompensiert auf natürliche Weise durch hohe Geburtenraten nach großen Seuchen. Das Gehirn kompensiert bei Schädigungen. Kompensation gibt es als Vergeltung und Kompensation gibt es als Entschädigung. Schon Cicero vertrat eine Theorie der kompensatorischen Lebenskunst der Weisen. Marquard konstruiert einen Gegensatz zwischen Geschichtsphilosophie und philosophischer Anthropologie, der er eine rein naturalistische Position zuweist und diese gleichzeitig kritisiert.

Robert Spaemann sieht das Wesen des Menschen im Nachvollzug von Kant in der Verbindung des Natürlichen und des Vernünftigen:

„Vernunft heißt Versöhnung mit dem was vor ihr ist: Der Natur. […] Vor allem aber: Anerkennung eines fremden Vernunftwesens kann sich nur realisieren als Anerkennung dieses Wesens in seiner Natürlichkeit.“

Spaemann wendet sich vor allem gegen den Materialismus, der oft mit der Evolutionstheorie verbunden wird. Begriffe wie System, Information, Programm oder Struktur sind Abstraktionen und damit nicht frei von Annahmen, sondern „theoriebeladen“. Es sind Erklärungsbegriffe für die Bedingungen für das Auftreten neuer Phänomene, die nicht den Ursprung dieser Phänomene selbst begründen können.

Humberto Maturana und Francisco J. Varela entwickelten die Theorie vom Menschen als sich selbst organisierendes (autopoietisches) System in Verbindung mit der Evolutionären Erkenntnistheorie. Ob der dahinter stehende radikale Konstruktivismus ein notwendiges Weltbild darstellt, ist stark umstritten. Die Idee des autopoietischen Systems beeinflusste auch Niklas Luhmann, der die Systemtheorie in die Soziologie übertrug.

Bálint Balla legt seiner Soziologie das Axiom zu Grunde, dass der Mensch ein Wesen sei, das sich auf die ihm eigene Weise mit dem Grundproblem der "Knappheit" auseinandersetzt.

Gunter Gebauer will den Menschen in seiner Lebenswelt unter seinen Lebensbedingungen betrachten. Anthropologie soll nicht des Wesen des Menschen in Abgrenzung zum Tier leisten, sondern den Menschen aus Sicht des anderen Menschen reflektieren. Anthropologie hat nicht die Ideen, das Universale oder Ewige zum Gegenstand. Der Mensch hat zwar biologische Ausgangsbedingungen, ist aber Produkt seiner selbst. Der Mensch ist in seine Umwelt hineingeboren, aber er verändert sie. Durch sein Handeln gibt der Mensch der Welt objektive Gestalt. Anthropologie ist geschichtlich, sowohl in ihrem Objekt, als auch in ihren Methoden. Sie fragt nicht nur, wer ich bin, sondern auch, wie ich geworden bin, was ich bin. „Anthropologie ist zuerst der Ausdruck von Unsicherheit. Was ist die Bestimmung des Menschen, wenn sie in seine eigene Hand gelegt ist?“

Thomas Rentsch will den Menschen in seiner Lebensweise verstehen und eine praktische Ethik daran anschließen. Hierzu muss in der Nachfolge Kants erst die menschliche Grundsituation analysiert werden. Die Existenz des Menschen ist bestimmt durch die sich jeweils gegenseitig bedingenden Situativität, Selbstreflexivität und Sprachlichkeit. Moralität ist ein von der menschlichen Praxis untrennbarer Bestandteil. Der Mensch verfügt über Freiheit zur Selbstgesetzgebung und Selbstregelung, denn der Unbestimmtheit, der Geworfenheit der Menschen entspricht seine Freiheit zu allen möglichen Setzungen. Ethik muss daher immer im Horizont der philosophischen Anthropologie stehen, sie ist Bestandteil der Lebenswelt.

Karl-Siegbert Rehberg nimmt die Institutionenlehre Gehlens auf: Er weist gesellschaftlichen Institutionen zwei Dimensionen zu: zum einen eine restriktive und stabilisierende Funktion für die Akteure, zum anderen gesellschaftliche Integration individueller Handlungen. Institutionen sind idealtypisch solche Sozialformen, in denen eine Synthese zwischen Sozialstruktur, Organisation, Normen- und Faktenwissen hergestellt wird. Institutionen sind Vermittlungsinstanzen kultureller Sinnproduktion, durch welche kulturelle Objektivationen verbindlich gemacht werden. Institutionen werden auch als symbolische Ordnungen aufgefasst. Dies beruht auf der anthropologischen, der erkenntnistheoretischen und der kulturphilosophischen Grundannahme der symbolischen Vermitteltheit aller Welt- und Selbsterkenntnis des Menschen (siehe Ernst Cassirer), der als Kulturwesen Situationen deuten und andere Handlungsmöglichkeiten bereithalten muss. Der Gebrauch von Zeichen und Symbolen ermöglicht solche Transzendierungsleistungen und die Verfügung über „signifikante Symbole“ (Symbole, deren Bedeutungen mit anderen geteilt werden), heißt gleichzeitig „Geist“ zu haben (G.H. Mead). Symbole dienen der Entlastung von Druck aufgrund sinnlicher Triebe oder vom Bewusstsein der Sterblichkeit.

Fragestellungen der modernen Philosophischen Anthropologie

Eine allgemeine Kritik an der Philosophischen Anthropologie, die z.B. Martin Heidegger vertreten hat, ist, dass bei der Untersuchung des Bildes vom Menschen schon immer ein vorher festliegendes Menschenbild zugrunde liegt, das die jeweiligen Ergebnisse bestimmt. Diese Kritik hat allerdings jede Philosophie gegen sich. Auch Jürgen Habermas stellt sich kritisch zur Anthropologie, in der er nur eine auf die Einzelwissenschaften reagierende Disziplin sieht.

Als Grundfragen der Disziplin kann man herausheben:

a) Wie ist die Stellung und die Sonderrolle des Menschen im Bereich des Lebendigen?
b) Wie kann man die Mehrdimensionalität des Menschen in einem Bild seiner Lebenswelt zusammenfassen?
c) Gibt es für den Menschen als Handelnden ein richtiges Verhalten? (Konflikt zur Ethik!)

Die modernen mit dem Menschen befassten Naturwissenschaften haben gezeigt, dass dieser dem Tier nicht nur ähnlich ist, sondern auch ähnliches Verhalten aufweist. Der Mensch ist dem Schimpansen näher verwandt (Hominide) als dieser dem Orang Utan. Die Soziobiologie zeigt, dass die egoistischen Gene sogar Altruismus zulassen. Der Erkenntnisapparat ist auf die Orientierung in der Umwelt, und nicht auf die Erkenntnis von Wahrheit ausgerichtet. Was wird die Evolution dem Menschen noch bringen? Einige Implikationen dieser Fragen führen weiter in den Bereich der Tierethik.

Wie können die heute noch kaum kommunizierenden Evolutionswissenschaften (Evolutionäre Erkenntnistheorie, Evolutionäre_Psychologie, Soziobiologie) und die Kultur- und Sozialwissenschaften in einen produktiven Dialog treten? Braucht die philosophische Anthropologie eine Systematik oder kommt in ihrer Vielschichtigkeit und in der Vielzahl von Positionen die Pluralität des Menschen erst recht zum Ausdruck? Kann man ein einheitliches Menschenbild überhaupt noch anstreben oder ist nicht die Achtung vor der Sicht des Anderen und damit die Selbstrelativierung Voraussetzung für den interkulturellen Austausch?

Ein wesentliches Merkmal des Menschen ist die Fähigkeit, sich künftige Bedürfnislagen zu vergegenwärtigen. Daraus resultieren Neugier und Experimentierfreudigkeit, aber auch Ängste vor dem Ungewissen. Warum werden in der philosophischen Anthropologie die Intersubjektivität, die Bedürftigkeit oder Stimmungen (Fröhlichkeit, Trauer, Leid) des Menschen als wesentliche Elemente seines Seins kaum thematisiert? Hat Heidegger mit seiner Kritik doch Recht? Oder sind dies Themen einer Fachdisziplin Existentialismus?

Der Mensch als gesellschaftliches Wesen ist Schöpfer neuer Stoffe, Gentechniker und Gefährder der Natur. Kann der im Zivilisationsprozess enthaltenen Selbstbedrohung noch entgegengewirkt werden? Bedeuten die ökologischen Krisen, dass der Mensch die Natur doch nicht beherrscht, sondern diese wieder Macht über ihn gewinnt? Was bedeutet die Mediengesellschaft für den Menschen? Wird er in Zukunft mit tatsächlicher Künstlicher Intelligenz konfrontiert?

Als Einzelwesen ist der Mensch mit Grenzsituationen (Krankheit, Unglück, Schuld) und seiner Endlichkeit konfrontiert. Er ist dem Zufall unterworfen. Der Zölibat ist ein Beispiel der Überwindung der biologischen Gesetze der Evolution. Kann der Mensch also seine vielschichtige soziale und instrumentelle Intelligenz nutzen, um sich mit sich selbst zu versöhnen, oder bleibt er ewig die Bestie, von der Krieg und Gewalt ausgeht?

Siehe auch

Literatur

Einführungen
  • Gerhard Arlt: Philosophische Anthropologie. Metzler, Stuttgart u.a. 2001, ISBN 3-476-10334-X
  • Gerd Haeffner: Philosophische Anthropologie. 3. Aufl. Kohlhammer, Stuttgart u.a. 2000, ISBN 3-17-016688-3
  • Kuno Lorenz: Einführung in die philosophische Anthropologie. 2. Aufl. WBG, Darmstadt 1992, ISBN 3-534-04879-2
  • Christian Thies: Einführung in die philosophische Anthropologie. WBG, Darmstadt 2004, ISBN 3-534-15470-3
Vertiefende Sekundärliteratur
Texte von Philosophen
Evolution