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Belgica-Expedition

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Die Belgica-Expedition war eine belgische Expedition an die Küste der Westantarktis zwischen 1897 und 1899, die nach dem von ihr benutzten Schiff Belgica benannt wurde. Leiter der Expedition war der Belgier Adrien de Gerlache de Gomery, als Zweiter Offizier fungierte der damals noch junge und unbekannte Roald Amundsen. Ein ebenfalls bekannt gewordener Teilnehmer war der Schiffsarzt Frederick Cook, der die Expedition fotografisch dokumentierte. Die Belgica-Expedition markiert den Beginn des sogenannten Heldenzeitalters der Antarktisforschung.

Die Belgica vor Mount William

Vorgeschichte

Adrian de Gerlache

Bereits seit 1892 hatte Adrien de Gerlache Planungen und Vorbereitungen für eine Expedition in die Antarktis getroffen. Sein Interesse galt hierbei insbesondere dem sogenannten Grahamland, der heutigen Antarktischen Halbinsel. Zur Vorbereitung dieser Expedition fuhr er bei norwegischen Walfängern mit und analysierte praktisch alle Reiseberichte aus den Polargebieten. Allerdings herrschte zu Beginn seiner Planungen kaum Interesse daran. Belgien hatte erst kürzlich große Gebiete in Afrika erworben (Belgisch-Kongo) und der belgische König, Leopold II., förderte Expeditionsreisen in den afrikanischen Urwald, nicht jedoch an die Küste des damals noch recht unerforschten antarktischen Kontinents.

Auf dem Internationalen Geographischen Kongress wurde 1895 in London beschlossen, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts mit allen verfügbaren Mitteln die noch wenig bekannte Antarktis zu erforscht. Daraufhin gründete eine Vielzahl von Nationen, u. a. auch Großbritannien und das Deutsche Reich, Institute und Organisationen für Polar- und Antarktisforschung. In dieser Aufbruchstimmung entschloss sich König Leopold II., ebenfalls eine umfassende Expedition in die Antarktis zu unterstützen. Da die Pläne von de Gerlache bereits in der Schublade lagen und die Finanzierung gesichert war, konnte die Expedition bereits am 16. August 1897 mit dem umgebauten norwegischen Robbenfängerschiff Belgica (zuvor Patria) von Antwerpen aus in See stechen.

Die Expedition

Probleme bei der Hinreise

Der Expeditionsverlauf

Bereits auf der Hinreise stand die Expedition unter keinem guten Stern. Die Belgica war übermäßig mit Proviant, Munition und Forschungsgeräten beladen, sodass bei der Atlantiküberquerung mehrmals eine Kenterung drohte. Teile der Besatzung erwiesen sich als vollkommen unerfahren, zudem hatte der Schiffsarzt kurz vor der Abreise seine Teilnahme abgesagt. In Rio de Janeiro gelang es de Gerlache, Frederick Cook, den deutschstämmigen amerikanischen Schiffsarzt und Experten für Polarmedizin, zur Teilnahme an der Expedition zu bewegen. Als de Gerlache immer stärker von seinem Zweiten Offizier Amundsen kritisiert wurde, gelang es Cook durch sein energisches Eingreifen mehrfach, die beiden wieder zur gemeinsamen Arbeit zu motivieren.

Die Schäden am Schiff nahmen indes durch mehrere Stürme weiter zu. Kurz vor Kap Hoorn im chilenischen Feuerland mussten vier Matrosen das Schiff verlassen. Je nach Darstellung hatten sie ihre Belastungsgrenze überschritten oder waren zu inkompetent. Nach dem Erreichen von Kap Hoorn ertrank der norwegische Matrose August Wiencke am 22. Januar 1898 bei dem Versuch, Kohlestücke aus den Wasserabflüssen zu entfernen. Die verzweifelten Rettungsversuche, ihn aus dem eisigen Wasser zu ziehen, scheiterten. Später wurde die Wiencke-Insel im Palmer-Archipel an der Antarktischen Halbinsel nach ihm benannt.

Die Belgica wird vom Packeis umschlossen

Auf der Belgica wurden die Forschungsaktivitäten aufgenommen. Praktisch stündlich wurde die Tiefe des Meeres gelotet, Temperatur, Niederschlag und Luftdruck gemessen, Inseln wurden geologisch untersucht und kartographiert. Bereits zu Beginn kamen de Gerlache und der polnische Geologe Henryk Arctowski zu dem Schluss, dass die Antarktis ein eigenständiger Kontinent sein muss, den ein Eispanzer überzieht.

Die Belgica im Packeis

Im März 1898, kurz vor Beginn des antarktischen Winters, überschritt das Schiff den 71. Breitengrad Süd und befand sich damit so weit südlich wie kein Mensch zuvor. Der Plan sah im weiteren Verlauf vor, einen Überwinterungsplatz für vier Männer zu suchen und zu Forschungszwecken eine Hütte zu errichten; die Belgica sollte dann ins australische Melbourne segeln. Da der Küstenverlauf damals völlig unbekannt war, wusste man nicht, ob dies entlang der antarktischen Küste oder auf eine andere Art und Weise geschehen sollte. Doch de Gerlache ließ sein Schiff weiter nach Süden segeln, was dazu führt, dass die Belgica bereits wenige Tage später vom Packeis umschlossen wurde. Für die Mannschaft begann nun die untätige Zeit des Wartens mit der Hoffnung, sich im antarktischen Sommer zwischen November und Januar vom Packeis befreien zu können.

Die erste Überwinterung

Gleichzeitig ergaben sich damit Chancen für die Wissenschaftler: So konnte man gefahrenlos das Eis untersuchen und leichter weitere meteorologische Messungen durchführen. Zum ersten Mal konnten Menschen die Küstengebiete der Antarktis untersuchen und erforschen. Aus den Lücken des Packeises wurden eine Vielzahl bis dato unbekannter Lebewesen gefischt.

Die Belgica. Das Foto wurde von Schiffsarzt Cook während der beginnenden Polarnacht aufgenommen.

Doch die Lage im Packeis, die Polarnacht und die einseitige Ernährung schlugen sich auf das Gemüt der Teilnehmer nieder, sodass eingige starke psychische Schäden davontrugen. Als einer der Männer aufhörte zu sprechen, beschloss Cook eine radikale Änderung der Lebensweise an Bord.

Um die Winterdepressionen zu vertreiben, ließ Cook die Männer stundenlang nackt vor dem heißen Schiffsofen sitzen und unternahm alles, damit die Männer in gleißend helles Licht schauten. Er selbst bezeichnete diese ungewöhnliche Therapie als Bratkur. Doch bereits nach 14 Tagen zeigten sich die großen Erfolge dieser Bratkur, die Stimmung hob sich und der gesundheitliche Zustand verbesserte sich.

Ein weiteres Problem war die einseitige Mangelernährung, wegen der die Mannschaft Gefahr lief, an Skorbut zu erkranken. Cook wusste, dass Inuit nicht an der Krankheit litten, was er auf den Verzehr von rohem Robbenfleisch zurückführte. Daher wurde rohes Pinguin- und Robbenfleisch benötigt. Zu Beginn hatte nur Amundsen Erfahrung mit dem Erlegen dieser Tiere. In dieser Position wurde er gemeinsam mit Cook praktisch zum Leiter der Expedition.

Die zweite Überwinterung und die Fahrrinne ins offene Meer

Obwohl im Oktober 1898 der antarktische Sommer begonnen hatte, war keine Befreiung aus dem Packeis in Sicht. Im Dezember 1898 äußerte Cook de Gerlache gegenüber die Befürchtung, dass vier Männer eine zweite Überwinterung nicht überleben würden. Die Vorräte wurden streng rationiert, Cooks Bratkur weiter durchgeführt und die Forschungen fortgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Belgica bereits 3000 km Packeisdrift hinter sich.

Bei Beobachtungen stellte man Mitte Februar fest, dass man sich in der Nähe des offenen Meeres befand. Als es nach einigen Tagen nur noch 600 m bis dort waren, fingen die Männer an, eine Fahrrinne durch das Packeis zu schlagen. Die Fortschritte hielt sich jedoch bei bis zu vier Meter hohen Eisschollen in Grenzen. Auch der mitgenommene Tonit-Sprengstoff (auf Basis von Cellulosenitrat)[1] enttäuschte zunächst beim Sprengen des Packeises. Arctowski und Amundsen versuchten, den Sprengstoff in Keksdosen zu füllen, diese dann in das Eis hineinzuhacken und erst dann die Sprengung durchzuführen. „Kein Anarchistenknast hat je eifrigere Bombenbastler gesehen als die Belgica“ soll Arcotwski laut de Gerlaches Reisebericht gesagt haben.

Anfang März machte ein Sturm die Arbeit zunichte und verschloss die Fahrrinne wieder. Beim Versuch, die Fahrrinne wieder zu öffnen, ging der Sprengstoff aus. Nun blieben der Mannschaft nur die eigene Muskelkraft und der Einsatz von Eispickeln. Mitte März riss ein Sturm die Fahrrinne auf, sodass sich die Belgica am 14. März 1899 nach 377 Tagen Packeisdrift wieder im offenen Meer befand.

Nachdem nunmehr die Mannschaft gerettet war, keimte der Streit zwischen Amundsen und de Gerlache wieder auf. In Punta Arenas, der Hauptstadt des chilenischen Feuerlands, verließ de Gerlache aus Protest das Schiff. Ohne ihn lief die Belgica am 5. November 1899 im Hafen von Antwerpen ein und wurde dort begeistert empfangen.

Die Belgica

Die Besichtigung der Belgica

Ab 1895 machte sich de Gerlache persönlich auf die Suche nach einem geeigneten Schiff für seine Expedition. Dabei versuchte er insbesondere in Norwegen fündig zu werden. Dort fand er das bereits ausgediente Robbenfängerschiff Patria. Es handelte sich um ein Dampfschiff mit einer Leistung von 150 PS. Allerdings besaß es auch drei Segelmasten. Die Länge der Belgica betrug 30 Meter und die Breite 7 Meter. Obwohl es notwendig gewesen wäre, das Schiff eismeertauglich umzurüsten, unterblieb dies aus finanziellen Gründen. Bei der mehr als einjährigen Packeisdrift zeigte sich jedoch, dass das Schiff überraschend stabil war und dem Packeis trotzen konnte.

Nach der Antarktisexpedition wurde die Belgica weiterhin für Forschungszwecke und Polarreisen genutzt. De Gerlache fuhr noch dreimal bis zum Ersten Weltkrieg mit der Belgica ins Nordmeer. Danach diente das Schiff wieder seinem ursprünglichen Zweck: Es wurde als Robbenfangschiff von Norwegen gekauft und auf den Lofoten im nördlichen Norwegen eingesetzt. 1940 wurde es bei einem Luftangriff von der deutschen Wehrmacht zerstört.

Die Mannschaft

Roald Amundsen
Frederick Cook
Datei:Racovitza.jpg
Emil Racoviță
Nach der Belgica-Expedition unternam de Gerlache noch drei weitere Fahrten mit ihr ins Nordmeer. Während des Ersten Weltkrieges wird er in Skandinavien zum Fürsprecher Belgiens, das vom Deutschen Reich überfallen worden war.
  • Georges Lecointe (1869–1929): Belgien – Geophysischer Beobachter, Erster Offizier
Er wurde später Professor der Astronomie in Uccle (Belgien). Während des Ersten Weltkrieges geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft.
Während der Belgica-Expedition war der Norweger noch völlig unbekannt. Von 1903 bis 1906 durchquerte er als erster die Nordwestpassage und erreichte am 14. Dezember 1911 als erster Mensch den Südpol.
Er gehörte nach der Expedition zu den gefragtesten und anerkanntesten Experten für Polarforschung.
  • Emile Danco (1869–1898): Belgien – Geophysischer Beobachter
Danco starb während der Packeisdrift. Nach ihm ist ein Küstenabschnitt auf der Antarktischen Halbinsel benannt.
Er wurde Professor für Biologie und der Begründer der Biospeläologie (Höhlenforschung). Er ist Namensgeber für die Antarktisstation Law-Racoviță.
Der Arzt behauptete später, 1908 als erster am Nordpol gewesen zu sein. Seine Kenntnisse über Polarmedizin sind bis heute aktuell.
Er arbeitete zunächst bei Lecointe in Uccle. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er Professor für Meteorologie in Warschau.
  • Jules Melaerts (* 1876): Belgien – Dritter Offizier
Er machte später eine Reise in die Arktis und wurde Zweiter Offizier eines Trainingsschiffes der belgischen Marine in Zeebrugge.
  • Henri Somers (* 1863): Belgien – Chefmaschinist
  • Max van Rysselberghe (* 1878): Belgien – Maschinist
Nach der Expeditionen siedelte er nach Chile über und arbeitete dort bei der chilenischen Eisenbahn.
  • Louis Michotte (1868–1926): Belgien – Koch
  • Adam Tollefsen (* 1866): Norwegen – Matrose
Während der Fahrt litt Tollefsen unter Halluzinationen, konnte jedoch geheilt werden.
  • Ludvig-Hjalmar Johansen (* 1872): Norwegen – Matrose
  • Engelbret Knudsen (1876–1900): Norwegen – Matrose
  • Gustave-Gaston Dufour (1876–1940): Belgien – Matrose
  • Jean Van Mirlo (1877–1964): Belgien – Matrose
  • Carl-August Wiencke (1877–1898): Norwegen – Matrose
Er starb auf der Reise zur Antarktis. Nach ihm ist eine Insel benannt.
  • Johan Koren (1877–1919): Norwegen – Matrose und Assistenz-Zoologe

Erfolg der Expedition

Die Expeditionsteilnehmer stellten zum ersten Male fest, dass es sich bei der Antarktis um einen eigenständigen, von einem Eispanzer überzogenen Kontinent handelt. Durch die lange Packeisdrift von 377 Tagen konnten erstmals umfassende meteorologische Untersuchungen über den Zeitraum von mehr als einem Jahr durchgeführt werden. Es wurden eine Vielzahl unbekannter Pflanzen- und Gesteinsarten zurück nach Europa gebracht. Erstmalig waren die Strömungsverhältnisse an der antarktischen Küste untersucht worden. Außerdem war die Westküste der Antarktischen Halbinsel und eine Vielzahl von Inseln umfassend kartographiert worden und es wurden während dieser Expedition die ersten Fotos in der Antarktis geschossen.

Durch diese Daten konnte man sich in Europa ein genaueres Bild über die Antarktis machen. Die Daten kamen so späteren Expeditionen zugute, wie der von Ernest Shackleton oder Robert Falcon Scott.

Literatur

  • Adrien de Gerlache de Gomery: Le Voyage de la Belgica, Brüssel 1902
  • Frederick A. Cook: Die erste Südpolarnacht 1898–1899 Kempten, Verlag d. Jos. Kösel'schen Buchhandlung 1903
  • Georges Lecointe: In Penguin Country Société Belges de Librarie, Oscar Schepens & Cie, Editeurs, Brüssel 1904
  • Hugo Decleir (red.): Roald Amundsens Belgica-dagboek. De eerste Belgische zuidpoolexpeditie, Hadewijch, Antwerpen/Baarn 1998
  • GEOspecial März 2003: Arktis und Antarktis, S. 92-96
  • Detlef Brennecke: Roald Amundsen, Rowohlt, Hamburg 1995
  • Dr. Christian Walther: Antarktis – Ein Reise- und Informationsbuch, Conrad Stein, Welver 2004
  • Christine Reinke-Kunze: Antarktis – Porträt eines Kontinentes, westermann, Braunschweig 1992
  • Emil Racoviță: Dem Süden entgegen, Bukarest 1960
  • Emil Racoviță: La vie des animaux et des plantes dans l’Antarctique(Das Leben der Tiere und Pflanzen in der Antarktis), Brüssel 1900

Einzelnachweise

  1. Sprengarbeiten in: Victor von Röll: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Urban & Schwarzenberg Verlag, Berlin/Wien 1912–1923, Digitalisat
Commons: Belgica – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien