Sonett
Das Sonett (aus dem Italienischen: sonare = „tönen, klingen“) ist eine Gedicht-Form.
Ob das Sonett eine komplett neue Erfindung war, die Mischung aus mehreren älteren Gedichtformen oder, wie August Wilhelm Schlegel es wohl gerne gesehen hätte, eine von Gott gegebene Form, ist kaum nachzuweisen. Was nachzuweisen ist, hat Ernest Hatch Wilkins in seinem Aufsatz über die Geschichte des Sonetts zusammengetragen.
Poetische Form
Ein Sonett besteht aus 14 metrisch gegliederten Verszeilen, die in der italienischen Originalform in vier kurze Strophen eingeteilt sind: zwei vierzeilige Quartette oder Quartinen und zwei sich daran anschließende dreizeilige Terzette oder Terzinen.
Das italienische Sonett steht im sog. Endecasillabo (Elfsilber), dem im Deutschen ein sechshebiger Jambus meist mit Zäsur, auch Alexandriner genannt, entspricht.
In der französischen Klassik und in der ersten Rezeptionsphase in Deutschland während der Barockzeit war das bevorzugte Versmaß der Alexandriner, ein sechshebiger Vers mit „Dihärese“, d.h. mit einer Zäsur in der Mitte; der Dramenvers der französischen Klassik.
In Deutschland gilt seit A. W. Schlegel als Idealform der fünfhebige Iambus mit weiblicher (zweisilbiger) oder männlicher (einsilbiger) Kadenz und dem Reimschema
- abba – abba – cdc – dcd
In den beiden Terzetten kamen jedoch zu allen Zeiten viele Varianten vor, z. B.
- abba – abba – ccd – eed
- abba – abba – cde – cde
- abba – abba – ccd – dee
etc.
Poetischer Inhalt
Ideale inhaltliche Strukturierungen sind:
a)
- These im 1. Quartett
- Antithese im 2. Quartett
- Synthese in den Terzetten
b)
- These in den Quartetten
- Antithese in den Terzetten
Textbeispiel:
Dieses Sonett von Goethe war ohne Überschrift einem Vorspiel zur Eröffnung des Lauchstädter Sommertheaters 1802 vorangestellt. Heute zitiert man meist die Anfangsworte als Titel.
- Natur und Kunst
- Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen
- und haben sich, eh man es denkt, gefunden.
- Der Widerwille ist auch mir geschwunden,
- und Beide scheinen gleich mich anzuziehen.
- Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!
- Und wenn wir erst in abgemessnen Stunden
- mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden,
- mag frei Natur im Herzen wieder glühen.
- So ist´s mit aller Bildung auch beschaffen:
- Vergebens werden ungebundne Geister
- nach der Vollendung reiner Höhe streben.
- Wer Großes will, muss sich zusammenraffen;
- in der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
- und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.
- Goethe
Geschichte
Beginn in Italien, 13. Jahrhundert
Der Ursprung des Sonetts liegt im Italien des 13. Jahrhunderts. Es wurde vermutlich am apulisch-sizilischen Hof des staufischen Kaisers Friedrich II. vor 1250 „erfunden“. Hier befand sich die höfische sizilianische Dichterschule, die mit der Sprache der sizilianischen volgare Minnelyrik verfasste. Hans Jürgen Schlütter mutmaßt in seinem Buch über das Sonett, dass Giacomo da Lentini, der eine Spitzenstellung in der Sizilianischen Dichterschule innehatte, wohl der Erfinder des Sonetts sei.
Die Gedichte aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts wiesen alle das gleiche Muster auf: Sie hatten alle vierzehn Verse, die in eine Oktave und ein Sextett aufgeteilt waren und die exakt elf Silben maßen. Die Oktave unterlag einer Zweizeilerstruktur aus alternierenden Reimen (a b a b a b a b). Nach dem vierten Vers kam ein stärkerer Sinneseinschnitt, der die Oktave sinnvoll in zwei Hälften teilte. Das Reimschema des Sextetts war beliebig, meist cde cde oder cd cd cd. Das erste Schema tauchte dabei weit häufiger auf. Auch das Sextett wies einen Sinneseinschnitt nach der Hälfte der Verse auf, zeigt also einen deutlichen Terzettcharakter. Diese Gruppe der ältesten bekannten Sonette umfasst 19 Gedichte. Fünfzehn von Giacomo da Lentini, von Jacopo Monstacci und Pier della Vigna jeweils eines und zwei weitere vom Abt des Klosters Tivoli. Wer von diesen Dichtern das erste Sonett geschrieben hat ist ungewiss, wie auch eine genaue Datierung der Sonette nicht möglich ist.
Durchgesetzt hat die Sonettform, die bis heute erhalten ist, ohne Zweifel Francesco Petrarca. Seine Gedichtsammlung, der Canzoniere, besteht im Wesentlichen aus Sonetten und legt somit die Form des Gedichtes nachhaltig fest. Spätere Sonette beziehen sich meist auf ihn, weshalb man vom Petrarcismus redet und seine Form des Sonetts als Petrarca-Sonett bezeichnet. Sein Zeitgenosse Antonio da Tempo beschrieb in seinem Buch „Summa artis rithmici“ schon 16 Arten des Sonetts. Vier dieser Formen wurden später zur hohen Sonettdichtung gezählt. Das waren die vier Arten, die Petrarca in seinem Canzoniere genutzt hatte. Petrarca nutzte die umschlingenden (abba/ abba) und die alternierenden Reime für die Oktave, die Dreireimige (cde/cde) und die Alternierende (cdc/dcd) für das Sextett. Die anderen zwölf Formen werden als niedere Sonettdichtung bezeichnet.
Ausbreitung über Europa, 16. Jahrhundert
Nach einer ersten Blüte bei Dante und Petrarca verbreitete es sich mit dem Petrarkismus des 16. Jahrhunderts im ganzen romanischen Raum, ab dem 16. Jahrhundert in England, wenig später in Deutschland, den Niederlanden und Skandinavien. Ein berühmter Petrarkist und Sonettdichter ist u.a. Michelangelo Buonarroti. Mit der Romantik wurde das Sonett auch in den slawischen Ländern populär.
Um 1500 gelangte der reformierte Petrarcismus nach Spanien und Portugal und von da aus nach Frankreich und Holland. Nach Deutschland gelangte die Form erst um 1520, allerdings da erst in Übersetzungen vornehmlich französischer Dichter. In Frankreich, wie später in Deutschland, musste das Sonett seine erste Hürde nehmen. Das von den Italienern bevorzugte elfsilbige Versmaß fand im Französischen keine Entsprechung. Die französischen Dichter verwendeten daher den Alexandriner, einen sechshebigen Jambus mit einer Zäsur in der Mitte, der auch von den deutschen Dichtern adaptiert wurde.
Georg Rudolf Wekherlin und Ernst Schwabe schrieben unabhängig voneinander die ersten Sonette in Deutschland nach dem Vorbild Ronsards, eines französischen Sonettdichters. Bedeutender für den Siegeszug des Sonetts in Deutschland waren aber die Gedichte und die Poetik von Martin Opitz. Allerdings arteten seine Ausführungen bei den Dichtern seiner Zeit in Spielereien aus, in der die Sonettform von den Dichtern in alle Richtungen ausgetestet, die Regeln gedehnt, gezielt erweitert oder gebrochen wurden. Bei diesen Spielereien stellte sich die Anpassungsfähigkeit des Sonetts heraus, das bei jedem Versmaß, jeder Veränderung geschmeidig blieb.
Die Themen der deutschen Sonettdichtung waren, in Anlehnung an Petrarca, die Liebe, später auch das christliche Leben, wie Geburt, Taufe, Hochzeit und Tod. Andreas Gryphius, als „größter Sonettist deutscher Sprache“, verhalf dem deutschen Sonett im 17. Jahrhundert zu einem Höhepunkt. Er vereint die religiöse Dichtung mit dem Vanitasgedanken der Zeit und verarbeitete im Sonett die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges.
Nach dieser Hoch-Zeit folgt eine Zeit, in der die überanspruchte Form von den Dichtern gemieden oder die Regeln bewusst gebrochen werden. Christian Gryphius schrieb ein Sonett ohne Reime, Jöhann Birkard Menke eines, das er passend mit „Kein Sonett“ überschrieb. Oft hatten die Gedichte komödiantische Züge oder einfallsreiche Pointen. Johann Christian Günther schrieb an seinen Freund C. G. Birnbaum ein sechzehnzeiliges Sonett, weil seine Freundschaft für vierzehn Zeilen zu groß war.
Das Sonett in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert
An ernsthafter Bedeutung gewann das Sonett erst wieder mit der Gedichtsammlung von Gottfried August Bürger 1789. Bürger nutzte für seine Sonette den zu dieser Zeit modernen fünfhebigen Jambus und brachte es dadurch zu neuem Weltruhm.
Sein Schüler August Wilhelm Schlegel machte das Sonett mit seiner Poetik und seinen Gedichten zum Vorbild der deutschen Romantik. Er steigerte die Qualität der Sonette durch einen ausschließlichen weiblichen Reim und fünffüßigen Jambus, was er aus romanischem Vorbild entlehnte. Die Themen wenden sich der Kunstphilosophie zu. Es entstehen Sonette auf Gemälde oder Musikstücke. Ludwig Tieck baute ein Sonett in ein Drama ein, wobei er es auf verschiedene Sprecher aufteilte, Friedrich Schlegel schafft es, aus einem Sonett ein Drama zu dichten, das die Handlungseinheit des Sonnetts hielt.
Wie zuvor ruft diese angesehene Form aber auch Spott hervor. Sonettliebhaber und Gegner führen einen regelrechten Krieg aus. Unter diesen Bedingungen zog auch Goethe Position und knüpfte mit seinem Minna-Herzlieb-Zyklus an die Tradition Petrarcas an. Unter den antinapoleonischen Befreiungskämpfen wird das Sonett zum politischen Sonett (Friedrich Rückerts Geharnischte Sonette), was es wiederum aktualisiert und auf die Höhe der Zeit bringt.
Durch das Junge Deutschland und den Vormärz wird das Sonett „zur häufigsten verwendeten lyrischen Form des 19. Jahrhunderts“. Allerdings gibt es auch nicht viele wirklich fest gefügten Gedichtsformen.
Mit dem kommenden Symbolismus spiegelt das Sonett im Wesentlichen wieder Zeitgeschehen. Es findet einen erneuten Höhepunkt mit Stefan George, Hugo von Hofmannsthal und Rainer Maria Rilke. Von hier aus gelangt es in den Expressionismus, wo es den Untergang der alten Werte oder Groteskes und Komisches widerspiegelt.
Der sittlichen Anti-Ordnung des national-sozialistischen Staates stellt Reinhold Schneider christliche Gesinnung in der streng geordneten Sprache seiner Sonette entgegen. Sie wurden damals in einer Art Samisdat verbreitet und durften erst nach dem Ende des Krieges gedruckt werden.
In und nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges klammern sich Verfolgte (Leopold Marx, Neujahrsgruß), Eingekerkerte (Albrecht Haushofer, Moabiter Sonette), Emigranten und Überlebende an die strenge Form des Sonetts oder zertrümmern es, wie alles in Deutschland dieser Zeit und schaffen die Gattung der Krypto-Sonette.
Eine wirkliche Hoch-Zeit erlangte das Sonett seitdem nicht mehr. Während es in der DDR noch ein kurzes Aufblühen der Form gab, verschwand es im Westen fast ganz. (Siehe jedoch unten: „Deutsche lebende Sonnettisten“.)
Das Sonett hat im Laufe seiner ganz eigenen Geschichte Höhen und Tiefen gleichermaßen überlebt. An jede Hoch-Zeit schlossen sich Spott und schließlich Vermeidung der Form und an jedes Tief ein erneutes Hoch. Wenn man die heutige Zeit als Tief bezeichnet, kann sich das Sonett auf die Zukunft freuen.
Deutsche lebende Sonettisten
Ernst-Jürgen Dreyer, Ludwig Harig, HEL, Brigitte Lange, Klaus M. Rarisch, Georg Milzner, Robert Wohlleben (vgl. auch die „Meiendorfer Drucke“ als einzige dt. Reihe von Sonetteditionen)
Das Sonett im Barock
Im Zeitalter des Barock war man sich einig, dass die Dichtkunst für jedermann erlernbar sei, da es nach dem immer gleichen Schema aufgebaut sei. Es war nichts besonderes zu dieser Zeit und es gab sogar Bücher, die ein „Rezept“ beinhalteten, wie man ein Sonett zu dichten hätte.
Herleitung des Namens
In seinem Buch „Buch von der deutschen Poeterey“ (1624) beschrieb Martin Opitz schon, woher der Name Sonett kommen mag, und was er zu bedeuten hat.
„[…] Weil die Sonnet vnnd Quatrains oder vierversichten epigrammata fast allzeit mit Alexandrinischen oder gemeinen versen geschrieben werden / (denn sich die anderen fast darzue nicht schicken) als wil ich der selben gleich hier erwehnen.
Wann her das Sonnet bey den Frantzosen seinen namen habe / wie es denn auch die Italiener so nennen / weiß ich nicht anders zue sagen / als dieweil Sonner klingen oder wiederschallen / vnd sonnette eine klingel oder schelle heißt / diß getichte vielleicht von wegen seiner hin vnd wieder geschrenckten reime / die fast einen andern laut als die gemeinen von sich geben / also sey getauffet worden. Vnd bestetigen mich in dieser meinung etzlich Holländer / die dergleichen carmina auff jhre sprache klincgetichte heissen: welches wort auch bey vnns kan auffgebracht werden; wiewol es mir nicht gefallen will. […]“
- (originale Rechtschreibung)
die Dichtungsweise
Im selben Buch beschrieb Martin Opitz wie ein Sonett zu dichten wäre.
„[…] Ein jeglich Sonnet aber hat vierzehen verse / vnd gehen der erste / vierdte / fünffte vnd achte auff eine endung des reimens auß; der andere (zweite) / dritte / sechste vnd siebende auch auff eine. Es gilt aber gleiche / ob die ersten vier genandten weibliche termination haben / vnd die anderen viere männliche: oder hergegen. Die letzten sechs verse aber mögen sich zwar schrencken wie sie wollen; doch ist am bräuchlichsten / das der neunde vnd zehende einen reim machen / der eilffte vnd viertzehende auch einen / vnd der zwölffte vnd dreyzehende wieder einen. […]“
- (originale Rechtschreibung)
Sonettzyklen
Oft werden mehrere Sonette zu größeren Zyklen zusammengestellt:
- Tenzone: Streitgespräch zwischen zwei Dichtern, wobei in einer strengen Form die Reim-Endungen des vorangehenden Sonetts aufgegriffen werden.
- Sonettenkranz: Der Sonettenkranz ist gefügt aus 14 + 1 Einzelsonetten, wobei jedes Sonett in der Anfangszeile die Schlusszeile des vorangehenden aufnimmt. Aus den 14 Schlusszeilen ergibt sich in unveränderter Reihenfolge das 15te oder Meistersonett.
- Cent Mille Milliards de Poèmes von Raymond Queneau, 1961 (literarischer Hypertext avant la lettre)
Literatur
- Aristoteles: Poetik. Übersetzt und Herausgegeben von Manfred Fuhrmann; Reclam Stuttgart 1982
- Jörg-Ulrich Fechner 1969: Das Deutsche Sonett. Dichtungen – Gattungspoetik – Dokumente. München
- Schlütter, Hans Jürgen 1979: Sonett. Sammlung Metzler; 177: Abt. E, Poetik, Stuttgart
- Jochen Vogt 2002: Einladung zur Literaturwissenschaft. 3., durchgesehene und aktualisierte Auflage, München
- [1] Ablesung 8. November 2004
- Friedhelm Kemp, 2002: Das europäische Sonett. Münchener Universitätsschriften : Münchener komparatistische Studien; Band I. Göttingen
- Duden: Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. 3., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Duden Band 7, Mannheim – Leipzig – Wien