Mitbestimmung
Mitbestimmung bezeichnet die Gewährung von Entscheidungsbefugnissen für diejenigen, die zwar von den Ergebnissen der Entscheidungen betroffen sind, aufgrund formaler Rechts- oder Besitzverhältnisse aber zunächst keinen Einfluss auf den Entscheidungsprozess haben.
Häufig bezieht sich Mitbestimmung auf den Zugewinn von Einflußmöglichkeit von Arbeitnehmern auf (im weitesten Sinne) wirtschaftliche Entscheidungen.
Ziele der Mitbestimmung
Primäres Ziel ist die Mitbestimmung an sich, also die Beteiligung von Arbeitnehmern an wirtschaftlichen Entscheidungen.
Arbeitnehmerinteresse
Der Arbeitnehmer strebt mittels Mitbestimmung die Sicherung und Verbesserung seiner sozialen Situation an. Im Einzelnen versucht er folgende Ziele zu verwirklichen (so jedenfalls die gängige Sichtweise nach der Maslowschen Bedürfnispyramide):
- Genügend hohes, sicheres und gerechtes Einkommen
- Befriedigung des Bedürfnisses nach Sicherheit der Beschäftigung
- Befriedigung des Bedürfnisses nach Kooperation und sozialer Geltung
- Entfaltung der Persönlichkeit (Streben nach Selbsterfüllung) durch eine zufriedenstellende Tätigkeit
Durch Mitbestimmung wird prinzipiell die allein am Ziel der Gewinnmaximierung orientierte Unternehmenspolitik modifiziert. Die Alleinbestimmung des Eigentümers soll durch die Mitwirkung der Arbeitnehmer auf eine breitere Legitimationsbasis gestellt werden. Mitbestimmung wird als Möglichkeit verstanden, Nachteile und Belastungen der Arbeiter auf zweckmäßige, geregelte Weise auszugleichen. Der Grundtatbestand eines Interessengegensatzes zwischen Kapital und Arbeit besteht allerdings fort und kann durch Mitbestimmung nicht aufgehoben werden, da die Entscheidungsbefugnis der Arbeitnehmer in klaren Grenzen bleibt.
Dem Arbeitnehmer werden Mitbestimmungsrechte eingeräumt damit er seine eigenen Ziele zweckmäßig verwirklichen kann.
Arbeitgeberinteresse
Aber auch der Arbeitgeber hat ein Interesse an Mitbestimmung aus ökonomischer Sicht. So wird sie als ein zeitgemäßes Instrument zur Steigerung der Leistungsfähigkeit einer Unternehmung angesehen. Es wird kalkuliert, dass die Reibungsverluste durch die Auseinandersetzungen wegen des oben genannten Interessenkonfliktes größer sind als die angenommenen Effizienzeinbußen bei Einräumung von Mitbestimmungsrechten.
Als weitere Interessenpartei sind die Anteilseigner, die Aktionäre, zu nennen, die unternehmerische Entscheidungen im Aufsichtsrat mitbestimmen. Ihre Ziele decken sich mit denen der Arbeitgeber:
- Durch Ertragssteigerung und Minimierung des Aufwandes in erster Linie ein möglichst hohes Einkommen erzielen (Gewinnmaximierung).
Zu diesem Zweck ist der Arbeitgeber bestrebt,
- Die Existenz seiner Unternehmung zu sichern
- Seine Unternehmung durch Ausweitung der Marktstellung zu fördern
Arten der Mitbestimmung
Es wird unterschieden zwischen:
- arbeitsrechtliche Mitbestimmung
- unternehmerische Mitbestimmung.
arbeitsrechtliche Mitbestimmung
Gegenstand der arbeitsrechtlichen Mitbestimmung sind Einzelfragen die das Arbeitsverhältnis beinhalten. Sie ist im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geregelt. Insbesondere werden darin Informations-, Anhörungs-, und Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer geregelt. Im Vordergrund steht das Schutzbedürfnisse der Belegschaft im Arbeitsalltag.
Organ der arbeitsrechtlichen Mitbestimmung ist der Betriebsrat. Seine Aufgabe ist die Interessenvertretung der Arbeitnehmer. Ab einer Belegschaft von fünf ständigen Arbeitnehmern besteht rechtlicher Anspruch auf die Wahl zum Betriebsrat. Er ist das wichtigste Organ der arbeitsrechtlichen Mitbestimmung.
unternehmerische Mitbestimmung
Gegenstand der unternehmerischen Mitbestimmung sind alle unternehmerischen Entscheidungen. Hier stehen die Partizipationsrechte des Faktors Arbeit im Vordergrund. In Deutschland unterliegen Unternehmen grundsätzlich der unternehmerischen Mitbestimmung, wenn sie als juristische Personen geführt werden und mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen. Hier greifen die vergleichsweise schwachen Mitbestimmungsregelungen des Betreiebsverfassungsgesetzes. Werden mehr als 2000 Mitarbeiter beschäftigt, gelten weiterreichende Mitbestimmungsregelungen des Mitbestimmungsgesetzes (MitBestG). Die gravierendsten Mitbestimmungsregelungen sind im Montan-Mitbestimmungsgesetz (MontanMitbestG) enthalten. Es gilt für Montanbetriebe (Bergbau, Eisen, Stahl) die mehr als 1000 Mitarbeiter beschäftigen.
Organe der unternehmerischen Mitbestimmung ist der Aufsichtsrat. Der Aufsichtsrat besteht aus Arbeitnehmern und Anteilseignern, seine Aufgaben sind die Bestellung und Abberufung des Vorstandes, die Überwachung der Geschäftsführung und die Prüfung der Bücher.
Geschichtliche Daten
Entwicklungen und Ereignisse, die als Vorläufer der Mitbestimmungsforderungen und – regelungen bezeichnet werden:
- 1848: Die verfassungsgebende Nationalversammlung behandelt den Minderheitenentwurf einer Gewerbeordnung, in der unter anderem der Unternehmerwillkür Grenzen durch die Vorgesetztenwahl und durch eine paritätische Besetzung der einzurichtenden Gewerbekammern gesetzt werden sollten.
- 1891: Nach Aufhebung der Sozialistengesetze konnten Arbeiterausschüsse auf freiwilliger Basis gegründet werden. Dies geschah aber nur dort, wo es auch aktive Gewerkschaften bzw. deren Vorläufer gab (z. B. Druckgewerbe).
- 1905: Als Reaktion auf den Streik im Ruhrkohlebergbau, wurde im preußischen Berggesetz die Einführung von Arbeiterausschüssen im Bergbauunternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten verankert.
- 1916: Das Gesetz des Vaterländischen Hilfsdiensts sah Arbeiterausschüsse für alle kriegs- und versorgungswichtigen Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten vor. Diese Arbeiter- und Angestelltenausschüsse hatten ein Anhörungsrecht in sozialen Angelegenheiten
- 1920: Das Betriebsrätegesetz wurde verabschiedet. Für Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten war ein Betriebsrat vorgesehen, dessen Aufgaben darin liegen sollten, die sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten und Einfluss auf die Betriebsleitung und – leistung zu nehmen.
- 1933: Das Betriebsrätegesetz wurde durch das Gesetz zur Ordnung der Nationalen Arbeit außer Kraft gesetzt und die Auflösung der Gewerkschaften betrieben.
- 1945: Nach dem Zusammenbruch erfolgte eine Neuordnung der Wirtschaft
- 1946/47: Durch das Kontrollratsgesetz No. 22 wurde die Bildung von Betriebsräten nach dem Muster der Weimarer Zeit erlaubt. In verschiedenen Länderverfassungen wurden Mitbestimmungsregelungen und Sozialisierungsgebote vorgesehen.
- 1951: Durch das Mitbestimmungsgesetz in der Montanindustrie kam als neue Ebene Mitbestimmung auf der Unternehmensebene hinzu. Betriebe mit mehr als 1000 Mitarbeitern haben einen Aufsichtsrat zu besetzen.
- 1952: Das Betriebsverfassungsgesetz regelt die Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer.
- 1972: Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes
- 1976: Das Mitbestimmungsgesetz führt eine Mitbestimmung auf der Unternehmensebene außerhalb der Montanindustrie in Kapitalgesellschaften mit mehr als 2000 Beschäftigten ein.
Mitbestimmungsgesetze
Betriebsverfassungsgesetz vom 15.1.1972
Direkter Vorgänger dieses Gesetzes ist das BetrVG 1952, das in manchen Teilen übernommen wurde. Das BetrVG 1952 stellt eine Regelung dar, die die Arbeitnehmer vor negativen Auswirkungen von Unternehmerentscheidungen schützen soll, diese wirtschaftlichen Entscheidungen aber selbst unangetastet lässt. Der Betriebsrat hat abgestufte Beteiligungsrechte in wirtschaftlichen, personalen und sozialen Angelegenheiten.
Im BetrVG 1972 wurden unter anderem die Mitbestimmungsrechte im sozialen und personalen Bereich und der Schutz des Betriebsrates ausgebaut. Neben der Stellung der Gewerkschaft wurden auch die Rechte des einzelnen Arbeitnehmers gestärkt, dem gewisse Mitwirkungs- und Beschwerderechte eingeräumt werden. Kaum verändert hat sich der überwiegend reaktive, auf Vetorechten beruhende Charakter der Mitbestimmung, der fast ausschließlich auf den sozialen Schutz der Arbeitnehmer und auf die Kontrolle von Machtmissbrauch durch die Unternehmerseite ausgerichtet ist. Einige wenige Initiativrechte gibt es nur im sozialen und personalen Bereich. Nicht verändert hat sich das zugrunde liegende Harmonieprinzip, bei dem man neuerdings jedoch nicht mehr die „Berücksichtigung des Gemeinwohls“ fordert. Und nicht geändert hat sich auch das Fehlen echter Mitbestimmung in wirtschaftlichen Fragen, sieht man von einer Informationspflicht im Wirtschaftsausschuss und den Informations- und Beratungsrechten bei geplanten Betriebsänderungen ab, soweit diese „wesentliche Nachteile“ für die Belegschaft zur Folge haben.
Die Montanmitbestimmung von 1951
Nach einer massiven Streikandrohung der Gewerkschaften wurde durch das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen- und Stahlerzeugenden Industrie vom 21.5.1951 die paritätische Mitbestimmung eingeführt. Dieses Gesetz sieht eine paritätische Besetzung der Aufsichtsräte mit Arbeitnehmervertretern vor. Zur Auflösung möglicher Patt-Situationen ist ein neutrales Mitglied vorgesehen, auf das sich die Parteien einigen müssen. Im Vorstand muss ein Mitglied für die Personal- und Sozialbelange (Arbeitsdirektor) vertreten sein. Seine Bestellung kann nicht gegen die Stimmen der Mehrheit der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat erfolgen.
Die folgenden Jahre waren gekennzeichnet vom Versuch der Unternehmen, das Montan-Gesetz auszuhöhlen, bzw. seinem Geltungsbereich zu entfliehen. Ende der sechziger Jahre schlug diese Entwicklung um und führte zu verstärkten Überlegungen, wie die Montanmitbestimmung oder eine ähnliche Regelung für die gesamte Wirtschaft verbindlich gemacht werden könnte.
Das Mitbestimmungsgesetz vom 4.5.1976
Nach langen Vorüberlegungen und Auseinandersetzungen im Parlament wurde 1976 das Mitbestimmungsgesetz für alle Kapitalgesellschaften über 2000 Beschäftigte verabschiedet. Es sieht eine scheinbare Parität der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat vor, denn diese haben zwar die gleiche Anzahl an Sitzen wie die Kapitalvertreter, die Möglichkeit, sich gleichberechtigt und gleichgewichtig durchzusetzen, ist aber durch zwei Modifikationen geschwächt: zum einen ist zwingend auf der Arbeitnehmerseite ein leitender Angestellter vertreten; zum anderen wird eine mögliche Patt-Situation schließlich durch das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden, den in aller Regel die Kapitaleignerseite stellt, aufgelöst.