Zum Inhalt springen

Autonomie (Politikwissenschaft)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 28. Juli 2010 um 05:05 Uhr durch Benatrevqre (Diskussion | Beiträge) (Autonomie in der Fahrzeugtechnik). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
QS-BKS
Beteilige dich an der Diskussion!

Diese Seite wird im Sinne der Richtlinien für Begriffsklärungen auf der Diskussionsseite des Wikiprojektes Begriffsklärungsseiten diskutiert. Hilf mit, die Mängel zu beseitigen, und beteilige dich an der Diskussion! Hinweise zur Überarbeitung: Formatvorlage und FAQ.

Als Autonomie (von altgriechisch αυτονομία, (αὐτονομία) autonomía = sich selbst Gesetze gebend, Eigengesetzlichkeit, selbständig) bezeichnet man den Zustand der Selbständigkeit, Selbstbestimmung, Unabhängigkeit, Selbstverwaltung oder Entscheidungsfreiheit. Ihr Gegenteil ist die Heteronomie.

Näheres

Autonomie ist somit ein rechtlicher, politischer und sozialwissenschaftlicher Begriff, der in vielen Wissenschaften wie beispielsweise dem Völkerrecht, der Politikwissenschaft, Soziologie, Psychologie, oder Sozialen Arbeit verwendet wird. Soziologisch bestimmt sie Max Weber folgendermaßen: „Autonomie bedeutet, daß nicht, wie bei Heteronomie, die Ordnung des Verbands durch Außenstehende gesetzt wird, sondern durch Verbandsgenossen kraft dieser ihrer Qualität (gleichviel wie sie im übrigen erfolgt)[1]

Autonomie tritt im Rahmen von Herrschaftsstrukturen auf. Das Streben nach staatlicher oder rechtlicher Autonomie kann Bestandteil einer sozialen Frage und damit intensiver und gewaltsamer sozialer Konflikte sein.

Politisch autonome Gebiete

Volle Autonomie

Volle völkerrechtliche Autonomie (Souveränität) genießt ein Staat, der keiner Gesetzgebung, Exekutive und Rechtsprechung außerhalb seiner selbst untersteht.

Politisch kann der Begriff auch verschärft werden: Heute hat nur der Staat Autonomie, der über die Herstellung und Anwendung von Atomwaffen selber beschließen kann. (Egon Bahr)

Beschränkte Autonomie

Staaten oder Gebiete werden als autonom (früher gelegentlich auch als souverän) bezeichnet, wenn sie sich außenpolitisch von anderen Staaten vertreten lassen, nach innen aber selbständig sind. Dies sind oft Gebiete innerhalb von Staaten, in denen starke Minderheiten leben:

Teilautonomie

Eine Verwaltungseinheit oder ein Bundesstaat eines Staates kann in bestimmten Kompetenzbereichen vollständig unabhängig über seine eigenen Belange entscheiden. Zum Beispiel haben die Kantone der Schweiz Entscheidungsfreiheit in allen Bereichen, die nicht ausdrücklich an die Eidgenossenschaft delegiert wurden, und solange die Entscheidungen nicht der Bundesverfassung widersprechen. Hierunter fallen Teile des Bildungswesens, der inneren Sicherheit, des Sozial- und des Gesundheitswesens.

Bestimmte Verwaltungseinheiten eines zentralistisch regierten Staates haben gewisse Kompetenzbereiche, in denen sie frei über ihre Belange entscheiden dürfen. Zum Beispiel hat die französische Region Elsass eine Teilautonomie im sonst zentralisierten Bildungswesen. Davon betroffen sind Ausmaß und Gestaltung des Deutschunterrichts sowie Regelungen zur Benutzung der deutschen Sprache im Unterricht.

Sonderfall Italien

Der Staat Italien hat in den letzten Jahren durch Devolution einige seiner Kompetenzen an die Regionen übertragen. Diese genießen seither eine gewisse Autonomie. Das Gesundheitswesen und der Tourismus zum Beispiel fallen nun mehr in den regionalen Zuständigkeitsbereich.

Die Inseln Sizilien und Sardinien und die von Minderheiten bewohnten Grenzregionen Friaul-Julisch Venetien, Aostatal und Trentino-Südtirol verfügen über eine von einem Sonderstatut (ein Gesetz in Verfassungsrang) geregelte Autonomie. In Italien werden diese Regionen als autonome Regionen bezeichnet. In der Tat geht vor allem die finanzielle Autonomie weiter als die etwa der deutschen und österreichischen Bundesländer, da 60 bis sogar 100 Prozent aller Steuern den genannten Regionen zustehen. (Siehe auch Südtirol-Paket)

Sonderfall Spanien

Nach 1978 entstanden in Spanien 17 Autonome Regionen. Die Verfassung garantiert den Regionen ausdrücklich ihre Autonomie. Sie stellt aber für die jeweiligen Autonomiestatute nur einen flexiblen Rahmen dar, der für jede Region individuell eine weitergehende oder engere Autonomie ermöglicht. Das Baskenland, Navarra und Katalonien, mit dem Autonomiestatut von Katalonien, nehmen daher eine Sonderstellung ein. Die drei Regionen haben ihren eigenen Polizeikörper, die Ertzaintza im Baskenland, die Policía Foral in Navarra und die Mossos d’Esquadra in Katalonien. Diese besondere Rolle ist vor allem auf die jeweilige Geschichte zurückzuführen, die jahrhundertelang von Bevormundung und Unterdrückung durch die Zentralregierung in Madrid geprägt war.

Autonome orthodoxe Kirchen

Als autonome Kirchen werden in der Orthodoxie Kirchen bezeichnet, die nach innen selbständig sind, während sie nach außen einem Patriarchat unterstehen. Bei der Wahl eines neuen Kirchenoberhaupts hat das zuständige Patriarchat ein Mitspracherecht. Voll selbständige, unabhängige Kirchen werden demgegenüber als autokephal bezeichnet.

Als Autonomie bezeichnete Protestbewegungen

Der Begriff „Autonomie“ zur Kennzeichnung einer politischen oder kulturellen Protesthaltung kam in den 1970er Jahren auf und ging aus von der italienischen Bewegung Autonomia Operaia. In den USA gab es jedoch schon in den 40er Jahren literarische Protestbewegungen gegen die politischen und moralischen Ansichten der Mittelschicht. Das Ziel war, den herrschenden Werten und Regeln in Form einer „zweiten Gesellschaft“ entgegenzutreten und diese gegen die Mehrheitsgesellschaft durchzusetzen.

Radikale und sich beschleunigende soziale Konflikte mit dem staatlichen Gewaltmonopol, die sich aus diesem Konzept ergaben, führten mithin bis zur Selbstexklusion und Gewaltbereitschaft von Teilen von sozialen Bewegungen („Protestbewegungen“), wie sie zum Beispiel in Deutschland seit den frühen 1980er Jahren als „Autonome“ bekannt wurden.

Autonomie in der Psychologie

Die Psychologie betrachtet das Spannungsverhältnis zwischen Fremdbestimmung (Heteronomie) und Selbstbestimmung (Autonomie), während die Entwicklungspsychologie die Entwicklung des Kindes thematisiert, das eine „frühe Bindung“ zu einer erwachsenen Person aufbaut, um zu einer Person heranzuwachsen, die autonom Entscheidungen zur Planung und Gestaltung des eigenen Lebens treffen kann.[2]

Für eine sozial eingebundene Person steht eine partielle Fremdbestimmung nicht grundsätzlich im Widerspruch zur eigenen Entwicklung. Als Anschauungsbeispiel wird unter anderem das eines Orchesters angeführt, in dem verschiedene Musiker als Teil zum Ganzen beitragen. Eine ausgeprägte Selbstbestimmung kann sogar Probleme bereiten, wenn sie aus sozialer Perspektive als soziale Isolation betrachtet wird.[3]

Autonomie in der Pädagogik

Erziehung und Sozialisation haben, wenn sich Erziehung legitimieren muss, vor allem das Ziel, den Heranwachsenden von seinen Erziehenden zu emanzipieren (Psychologie), sodass ihm ein Leben in Unabhängigkeit und Freiheit möglich ist. Dieses Ziel muss nicht zwangsläufig erreicht werden. Der Erziehungsprozess kann vielmehr so strukturiert sein, dass er das Ziel (weitgehend) verfehlt.

  • Mangelnde Autonomie eines jungen Erwachsenen kann auf einem Beziehungsproblem mit den Erziehenden beruhen.
  • Es kann auch am situativen Kontext liegen, der Autonomie grundsätzlich be- oder verhindert. Der (psychische) Druck der Situation macht eine Autonomie unmöglich.
  • Auch mangelnde Fähigkeiten (des Erzogenen) können dazu führen, dass Autonomie nicht gewollt wird. (Die Abhängigkeit von Erziehenden mag z. B. bequemer sein als eine Selbständigkeit, die die letzten intellektuellen und emotionalen Reserven fordert.)

Gesellschaftliche und politische Verantwortung ist nur denkbar, wenn die Mitglieder einer sozialen Gruppe oder Gesellschaft die Möglichkeit zum autonomen Handeln besitzen.

Aus diesen Gründen werfen Erziehungsprozesse fortwährend die Frage auf, durch welche Erziehungsmethoden die Bildung einer autonomen Persönlichkeit gefördert werden kann. Dies muss eine der zentralen Fragestellungen der am Erziehungsprozess beteiligten Personen sein.

  • Weitgehend besteht Einverständnis darüber, dass in der Erziehung lenkende Methoden ungeeignet sind, wobei der Teufel im Detail liegt: Wie viel Lenkung ist in Erziehungsprozessen notwendig? – Wie viel Lenkung darf im Sinne der Autonomie realisiert werden? – Wie viel Selbständigkeit (Autonomie) ist z. B. in Gruppen möglich und akzeptabel?
  • Andererseits ist auch eindeutig, dass extreme Gängelung und Unselbständigkeit in der Erziehung Abhängigkeiten schaffen, die die Entstehung von Autonomie verhindern.

Letztendlich kann Autonomie im Sinne der Pädagogik nur durch denjenigen erarbeitet oder erstritten werden, der sie will oder wünscht. Insofern spielt die Eigendynamik des Betroffenen (Entwicklungspsychologie) beim Erreichen der Autonomie die bedeutende Rolle. Ein Kind oder Jugendlicher ohne Vorstellung von Autonomie wird es schwer haben, sich von seinen Erziehenden zu emanzipieren.

Auch der verantwortungsvollste Erzieher hat zur Autonomie des Zöglings ein zwiespältiges Verhältnis, da die faktische Autonomie des Heranwachsenden emotional als Verlust und rational als Gefährdung des Kindes bewertet werden kann, ganz abgesehen von den Risiken, die sich aus den ersten Erfahrungen mit Autonomie für das Kind oder den Jugendlichen ergeben.

Autonomie in der Fahrzeugtechnik

Der Begriff der „Autonomie“ wird auch in der Fahrzeugtechnik angewandt und bezeichnet hier die Tendenz, „Bedienungsfehler“ durch Computersteuerung zu bekämpfen.

Hier bezieht er sich auf selbsttätig fahrende Fahrzeuge. Vor allem im Bereich der Straßenfahrzeuge konnten in den letzten Jahren verstärkte Forschungsaktivitäten beobachtet werden. Diese sind auf eine Kombination aus in aktuellen Fahrzeugen häufig serienmäßig verbauter by-wire-Technologie (z. B. eine EPS) und der Förderung dieser Aktivitäten durch Veranstaltungen wie die DARPA Grand Challenge.[4]

Literatur

  • Thomas Benedikter, Autonomien der Welt. Eine Einführung in die Regionalautonomien der Welt mit vergleichender Analyse, ATHESIA, Bozen 2007
  • Thomas Benedikter, The World's Modern Autonomy Systems - Concepts and Experiences of Regional Territorial Autonomy, EURAC 2010 [1]

Siehe auch

Wiktionary: Autonomie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Max Weber in: Wirtschaft und Gesellschaft, Teil 1, Kap. 1, § 12
  2. L. Ahnert: Frühe Bindung, München 2004
  3. Günter Burkart (Hrsg.): Die Ausweitung der Bekenntniskultur – neue Formen der Selbstthematisierung? ISBN 3-531-14759-5 (google.com [abgerufen am 28. Januar 2008]).. Darin: Günter Burkart, Melanie Fröhlich, Marlene Heidel und Vanessa Watkins: Gibt es Virtuosen der Selbstthematisierung?, S. 27.
  4. So hat zum Beispiel das ‚autonome‘ Fahrzeug Stanley auf Grund des Gewinns der Grand Challenge 2005 Absatzerfolge erzielt.