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Orthotropie

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Datei:Ortho.png
Ein Material wird mit horizontalen und vertikalen Strichen markiert (oben). Dann wird es in einem ersten Versuch (links) horizontal belastet und verformt sich zur Ellipse. In einem zweiten Versuch (rechts) wird es in einer anderen Richtung belastet und verformt sich wie im ersten Versuch. Gilt dies für jede Belastungsrichtung, so nennt man das Material isotrop.

Materialien, die unter einer Belastung unabhängig von ihrer Ausrichtung dasselbe Kraft-Verformungs-Verhalten besitzen, nennt man isotrop. Im Gegensatz dazu: Wenn das Kraft-Verformungs-Verhalten eines Materials von seiner Ausrichtung abhängt (wenn das Material also nicht isotrop ist), bezeichnet man es als anisotrop. Die Orthotropie (von griechisch ορθός orthos „richtig, korrekt, recht“ und τρόπος tropos „Weg, Richtung, Art und Weise“) ist ein Spezialfall der Anisotropie: Gilt eine bestimmte (Symmetrie-)Bedingung, dann bezeichnet man das anisotrope Material als orthotrop.

Im eben erwähnten Konzept teilt man die Menge aller Materialien auf in 2 disjunkte Mengen: Isotrope Materialien und anisotrope Materialien. Alternativ kann man die Menge der anisotropen Materialien aber auch als die allgemeinste Materialklasse (der Festkörper) verstehen. Dann wäre die Menge der orthotropen Materialien eine Teilmenge der Menge der anisotropen Materialien (da eine bestimmte Bedingung erfüllt sein muss, damit ein Material orthotrop ist, die im Allgemeinen nicht erfüllt ist). Und die Menge der isotropen Materialien wäre eine Teilmenge der Menge der orthotropen Materialien (da eine noch strengere Bedingung erfüllt sein muss, damit ein Material isotrop ist). D.h. in diesem alternativen Konzept wären isotrope Materialien auch anisotrop.

Zum Verständnis des Artikels sind Kenntnisse zu folgenden Themen hilfreich:

Bild 1: Belastung eines orthotropen Materials (Gewebe) in den Symmetrieachsen. Die Längskraft verursacht keine Schubverformung.
Bild 2: Belastung außerhalb der Symmetrieachsen. Die Längskraft verursacht nun eine Schubverformung.

In 2D: Dehnt man ein rechteckiges Stück Stoff senkrecht zu einer Symmetrieachse, so bleibt es reckteckig, siehe Bild 1. Dehnt man es jedoch in einer Richtung, die nicht senkrecht zu einer Symmetrieachse liegt, so wird es zum Parallelogramm, siehe Bild 2. Die Symmetrieachsen sind in der Orthotropie senkrecht auf einander.

In 3D: Im Dreidimensionalen treten Symmetrieebenen an die Stelle der Symmetrieachsen im Zweidimensionalen. Die Normalen dieser Symmetrieebenen stehen senkrecht auf einander. Zieht man in Richtung einer Normalen, so treten keine Schubverformungen auf.

Beispiele für orthotrope (oder mit guter Näherung als orthotrop anzusehende) Strukturen:

Das Elastizitätsgesetz eines orthotropen Materials lautet in Bezug auf eine Orthonormalbasis, deren Basisvektoren senkrecht auf den Symmetrieebenen stehen in 3D:

und in 2D:

Lineare Elastizitätstheorie und Voigtsche Notation

Der Zusammenhang zwischen Spannungen und Verzerrungen sei linear gemäß:

Dies gilt unabhängig davon, ob das Material orthotrop ist oder nicht. Es ist der allgemeinste lineare Zusammenhang, den es zwischen 2 Tensoren zweiter Stufe gibt. hat in diesem allgemeinsten Fall also Komponenten. In der linearen Elastizitätstheorie (symm. Spannungstensor, symm. Verzerrungstensor, Potential, siehe Voigtsche Notation) kann man für den Zusammenhang zwischen Spannungen und Verzerrungen auch eine 6x6-Matrix definieren, so dass

Im allgemeinen Fall verbleiben also im Materialgesetz 21 unabhängige Materialparameter.

Mathematische Beschreibung der Orthotropie

Definition mittels Nachgiebigkeitsmatrix

Ein Material heißt orthotrop, wenn eine Orthonormalbasis existiert, so dass das Elastizitätsgesetz dargestellt in Bezug auf diese Basis folgende Form (mit nur 9 Materialparametern) annimmt:

Die Inverse der Steifigkeitsmatrix (die Nachgiebigkeitsmatrix) ist ebenfalls symmetrisch und auch nur an denselben Stellen mit von Null verschiedenen Werten besetzt wie die Steifigkeitsmatrix. Für die Darstellung des Materialgesetzes mit der Nachgiebigkeitsmatrix ist die ganz oben verwendete Darstellung üblich, in der als die 9 Materialparameter verwendet werden.

Definition mittels Symmetriebedingung

Symmetriebedingung

S sei Untergruppe der eigentlich Orthogonalen Gruppe SO(3) und beinhalte die 4 Elemente , die 180-Grad-Drehungen beschreiben. Diese haben folgende Gestalt:

Ein Material heißt orthotrop (in Bezug auf die Achsen, auf die auch die Drehungen bezogen sind), wenn für die Funktion (die die Verzerrungen auf die Spannungen abbildet), folgende Symmetrie-Transformation gilt:

Legt man nun eine ONB auf die Drehachsen und stellt man in Bezug auf diese ONB dar, dann lautet die Orthotropie-Symmetriebedingung in Index-Schreibweise:

Es ist erlaubt, auf beiden Seiten dieselben Summationsindizes zu verwenden. Also kann man auch schreiben:

Da diese Gleichung für alle beliebigen gilt, müssen die Koeffizienten aller Komponenten von übereinstimmen. Es muss gelten:

Auswerten der Symmetriebedingung

Die letzte Gleichung ausgewertet für ergibt:


Dies ausgewertet für und ergibt:

denn ist beliebig wählbar, könnte also z.B. sein, so dass .

Die Auswertung der Orthotropie-Symmetriebedingung für und liefert:

Dies ausgewertet für und :

Und lässt sich so wählen, dass

Weitere Ergebnisse lassen sich entsprechend finden. Zusammenfassung:

Stellt man C in der Basis dar, die mit den Symmetrieachsen übereinstimmen, dann verschwinden bestimmte Komponenten. Die oben erwähnte Vertauschbarkeit bestimmter Indizes gilt außerdem.

Ergebnis in Voigtscher Notation

Bei Orthotropie lautet also das Materialgesetz bezogen auf die Orthotropieachsen (die Basis aus den Achsen senkrecht zu den Symmetrieebenen):

Die Kopplung zwischen Längskraft und Schub entfällt also. Dieses Ergebnis ist äquivalent zur Definition mittels Nachgiebigkeitsmatrix.

Literatur

  • H. Altenbach, J. Altenbach, R. Rikards: Einführung in die Mechanik der Laminat- und Sandwichtragwerke. Stuttgart: Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, 1996. ISBN 3-342-00681-1