Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher
In den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen wurden führende Personen aus der Zeit des Nationalsozialismus angeklagt und abgeurteilt.
Der Begriff Nürnberger Prozess steht in erster Linie für den am 14. November 1945 eröffneten ersten Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher der nationalsozialistischen Führung vor dem Internationalen Militärgerichtshof ("International Military Tribunal" IMT); im weiteren Sinne werden im Zusammenhang mit den "Nürnberger Kriegsprozessen" auch die Folgeprozesse gegen Ärzte, Männer der Wirtschaft u.a. gemeint, die vor amerikanischen Militärgerichten stattfanden.
Erstmals in der Geschichte wurden Politiker persönlich für das Führen eines Angriffskrieges und für Massenvernichtung von Menschen in Konzentrations- und Vernichtungslagern zur Verantwortung gezogen. Rechtshistorisch sind die Kriegsverbrecherprozesse damit Vorläufer des 2003 eingerichteten Internationalen Strafgerichtshof, (ICC) in Den Haag.
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Acht der Angeklagten in Nürnberg |
Vorgeschichte
Bei den Treffen in Teheran (1943), Jalta (1945) und Potsdam (1945) hatten sich die drei größten Krieg führenden Parteien USA, Großbritannien und die Sowjetunion darauf geeinigt, die Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Auch Frankreich erhielt einen Platz im Tribunal.
Die Sowjetunion wollte die Prozesse in Berlin durchführen, für Nürnberg sprach jedoch, dass der Justizpalast weitgehend unbeschädigt geblieben war und ein großes Gefängnis dazugehörte. Außerdem war Nürnberg die Stadt der NSDAP-Reichsparteitage gewesen, und somit war es auch von symbolischer Bedeutung, die führenden Nationalsozialisten gerade hier abzuurteilen.
Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher
Die Anklagepunkte
- Verschwörung gegen den Weltfrieden
- Planung, Entfesselung und Durchführung eines Angriffskrieges
- Verbrechen und Verstöße gegen das Kriegsrecht
- Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Als Kriegsverbrechen wurden besonders die Verbrechen an der Zivilbevölkerung untersucht; die Verbrechen des Holocaust wurden unter dem vierten Anklagepunkt verhandelt. 240 Zeugen wurden gehört, 300.000 Eidesstattliche Erklärungen zusammengetragen; das Sitzungsprotokoll umfasst 16.000 Seiten.
Angeklagte Organisationen
- NSDAP
- SA
- SS
- Reichsregierung
- Generalstab
- Gestapo und Sicherheitsdienst (SD)
Keine verbrecherischen Organisationen waren laut Urteil des Internationalen Militärgerichtshofs die Reichsregierung, das Oberkommando der Wehrmacht und die SA.
Die Ankläger
Die vier Hauptankläger waren
- Robert H. Jackson (USA),
- Roman A. Rudenko (UdSSR),
- Sir Hartley Shawcross (Großbritannien) und
- François de Menthon (Frankreich).
Sie bedienten sich eines umfangreichen juristischen Mitarbeiterstabs, um die Anklage vertreten und den Prozess zügig vorantreiben zu können.
Die Richter
Auf der Richterbank saßen:
- Francis A. Biddle und John J. Parker (USA),
- Iola T. Nikitschenko und Alexander F. Wolchkow (UdSSR),
- Sir Geoffrey Lawrence und Norman Birkett (Großbritannien) sowie
- Henri Donnedieu de Vabres und Robert Falco (Frankreich).
Den Vorsitz des Gerichts übernahm der für seine Umsichtigkeit bekannte Brite Lord Geoffrey Lawrence, die erste Sitzung des Gerichts im Kammergerichtsgebäude in Berlin wurde von Iola T. Nikitschenko eröffnet.
Die Auswahl der Angeklagten
Bei der Auswahl der Angeklagten versuchten die Ankläger, die sich in verschiedenen Bereichen weit fächernde kriminelle Energie des nationalsozialistischen Regimes abzudecken. Daher wurden mit Bedacht Personen ausgewählt, die repräsentativ für bestimmte Einrichtungen und Bereiche waren. Für die Anklagebank waren daher repräsentativ vorgesehen:
Für die nationalsozialistische Führung:
- Reichsmarschall Hermann Göring,
- Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß,
- Leiter der Parteikanzlei Martin Bormann (Verbleib damals unbekannt - war bereits tot)
- Außenminister Joachim von Ribbentrop,
- Reichsorganisationsleiter der NSDAP Robert Ley († vor Prozessbeginn)
- der ehemalige Reichskanzler Franz von Papen (als Wegbereiter Hitlers).
Für das Oberkommando der Wehrmacht (OKW):
- Der Chef des OKW Wilhelm Keitel,
- der Chef des Wehrmachtsführungsstabes Alfred Jodl.
Für die Kriegsmarine:
- Großadmiral Erich Raeder (Oberbefehlshaber bis 1943),
- Großadmiral Karl Dönitz (Oberbefehlshaber von 1943 - 1945).
Für das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) - und damit auch für Gestapo, Kriminalpolizei und SD:
- Der Chef des RSHA Ernst Kaltenbrunner.
Für die Kriegswirtschaft:
- Reichsminister für Bewaffnung und Munition Albert Speer,
- der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz Fritz Sauckel,
- Reichsbankpräsident (bis 1939) Hjalmar Schacht,
- Reichsbankpräsident (von 1939 - 1945) Walter Funk,
- Unternehmer Gustav Krupp von Bohlen und Halbach (vor Prozessbeginn ausgeschieden).
Für die Verbrechen in den (ehemals) besetzten Gebieten (und insbesondere in Konzentrationslagern):
- Der Generalgouverneur in Polen Hans Frank,
- der Reichskommissar in den Niederlanden Arthur Seyß-Inquart,
- Reichsminister für die besetzten Ostgebiet Alfred Rosenberg,
- der Reichsprotektor für Böhmen und Mähren (bis 1943) Konstantin von Neurath,
- der Reichsprotektor für Böhmen und Mähren (1943 - 1945) Wilhelm Frick.
Für die nationalsozialistische Propagandamaschinerie:
- Der Herausgeber des Hetzblatts "Der Stürmer" Julius Streicher,
- der Leiter der Rundfunkabteilung im Propagandaministerium Hans Fritzsche,
- (im weitesten Sinne dazugehörend) der Reichsjugendführer Baldur von Schirach.
Die institutionelle Zuordnung der einzelnen Angeklagten soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Verschränkungen in der Verantwortlichkeit für die zahlreichen Verbrechen unter dem nationalsozialistischen Regime gab. So zum Beispiel war Göring selbstverständlich mitverantwortlich für die Kriegsführung, die Befehle des Reichssicherheitshauptamtes und den Holocaust, ebenso, wie Kaltenbrunner nicht nur für die Deportationen, sondern auch für die Verbrechen in den Konzentrationslagern verantwortlich zeichnete.
Urteile gegen die Hauptangeklagten
Angeklagter | Anklagepunkte | Schuldig in | Urteil |
---|---|---|---|
Martin Bormann | 1,3,4 | 3,4 | Todesurteil (in Abwesenheit) |
Karl Dönitz | 1,2,3 | 2,3 | 10 Jahre Haft |
Hans Frank | 1,3,4 | 3,4 | Todesurteil |
Wilhelm Frick | 1,2,3,4 | 2,3,4 | Todesurteil |
Hans Fritzsche | 1,3,4 | - | Freispruch |
Walter Funk | 1,2,3,4 | 2,3,4 | lebenslange Haft |
Hermann Göring | 1,2,3,4 | 1,2,3,4 | Todesurteil (tötete sich vor der Vollstreckung selbst) |
Rudolf Heß | 1,2,3,4 | 1,2 | lebenslange Haft |
Alfred Jodl | 1,2,3,4 | 1,2,3,4 | Todesurteil |
Ernst Kaltenbrunner | 1,3,4 | 3,4 | Todesurteil |
Wilhelm Keitel | 1,2,3,4 | 1,2,3,4 | Todesurteil |
Gustav Krupp von Bohlen und Halbach | 1,2,3,4 | - | Verfahrenseinstellung aus gesundheitlichen Gründen |
Robert Ley | 1,2,3,4 | - | (tötete sich vor dem Urteilsspruch selbst) |
Konstantin von Neurath | 1,2,3,4 | 1,2,3,4 | 15 Jahre Haft |
Franz von Papen | 1,2 | - | Freispruch |
Erich Raeder | 1,2,3 | 1,2,3 | lebenslange Haft |
Joachim von Ribbentrop | 1,2,3,4 | 1,2,3,4 | Todesurteil |
Alfred Rosenberg | 1,2,3,4 | 1,2,3,4 | Todesurteil |
Fritz Sauckel | 1,2,3,4 | 3,4 | Todesurteil |
Horace Greely Hjalmar Schacht | 1,2 | - | Freispruch |
Baldur von Schirach | 1,4 | 4 | 20 Jahre Haft |
Arthur Seyß-Inquart | 1,2,3,4 | 2,3,4 | Todesurteil |
Albert Speer | 1,2,3,4 | 3,4 | 20 Jahre Haft |
Julius Streicher | 1,4 | 4 | Todesurteil |
Prozessdauer
Die Verhandlungen begannen am 14. November 1945. Am 30. September und am 1. Oktober 1946 wurden die Urteile verkündet. Die Todesurteile wurden am 16. Oktober 1946 in der Sporthalle des Nürnberger Gefängnisses vollstreckt.
Der Ort des Prozesses
Der Ort des Prozesses ist heute im Rahmen von Führungen am Wochenende zu besichtigen: Justizpalast, Schwurgerichtssaal 600, Fürther Str. 110, Nürnberg.
Die Folgeprozesse
- Fall 1 Ärzte (9. Dezember 1946 - 20. August 1947)
- Fall 2 Generalfeldmarschall Erhard Milch (2. Januar - 17. April 1947)
- Fall 3 Juristen (17. Februar - 14. Dezember 1947)
- Fall 4 SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt (13. Januar - 3. November 1947)
- Fall 5 Flick-Konzern (18. April - 22. Dezember 1947)
- Fall 6 IG-Farben (14. August 1947 - 30. Juli 1948)
- Fall 7 Generäle in Südosteuropa (15. Juli 1947 - 19. Februar 1948)
- Fall 8 Rasse- und Siedlungshauptamt (1. Juli 1947 - 10. März 1948)
- Fall 9 Einsatzgruppen (15. September 1947 - 10. April 1948)
- Fall 10 Krupp-Konzern (8. Dezember 1947 - 31. Juli 1948)
- Fall 11 Auswärtiges Amt und andere Ministerien ("Wilhelmstraßenprozess") (4. November 1947- 14. April 1948)
- Fall 12 Oberkommando der Wehrmacht (30. Dezember 1947 - 29. Oktober 1948)
Literatur
- Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg 14. November 1945 - 1. Oktober 1946. Amtlicher Text Verhandlungsniederschriften. Nürnberg 1947; Fotomechanischer Nachdruck: Delphin Verlag, München/Zürich 1984, Bände 1-23.
- Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg 14. November 1945 - 1. Oktober 1946. Amtlicher Text Urkunden und anderes Beweismaterial. Nürnberg 1947; Fotomechanischer Nachdruck: Delphin Verlag, München/Zürich 1984, Bände 1-18.
- Gerd R. Ueberschär (Hrsg.): Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943-1952. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3596135893.
Weblinks
- Informationen zum Ort des Prozesses
- Bildungszentrum Stadt Nuernberg. BZ-Materialien, Band 1, Gabi Mueller-Ballin, Die Nuernberger Prozesse 1945-1949, Vorgeschichte - Verlauf - Ergebnisse
- LeMO: Lebendiges virtuelles Museum Online. Nuernberger Prozesse
- SPIEGEL TV (Themenabend vom 31. August 2001, 22:05 Uhr, VOX). NS-KRIEGSVERBRECHEN: Die Chronik des Nuernberger Prozesses
- Oberlandesgericht Nuernberg. Beitraege zur Rechtsgeschichte. Nuernberger Kriegsverbrecher-Prozesse (1945-1949)
- Originaldokumente der Nürnberger Prozesse. Harvard Law School. (engl.)
- Originaldokumente der Nürnberger Prozesse - Donovan collection (engl.)