Friedensvertrag von Versailles
Der Friedensvertrag von Versailles, der am 28. Juni 1919 unterzeichnet wurde und am 10. Januar 1920 in Kraft trat, beendete formell den Ersten Weltkrieg zwischen dem Deutschen Reich und den Mächten der Entente.
Er ist der wichtigste der Pariser Vorortverträge und behandelt den Friedensschluss mit Deutschland. Weitere Vorortverträge sind unter anderem der Vertrag von Trianon mit Ungarn und der Vertrag von St. Germain mit Österreich. Der Versailler Vertrag konstatierte in Artikel 231 (Kriegsschuldartikel) des Vertrages die alleinige Kriegsschuld des Deutschen Reichs und verpflichtete Deutschland zu Reparationszahlungen an die Siegermächte.
Geschichtliches
Nachdem die Weiterführung des Krieges dem deutschen Generalstab unter Erich Ludendorff aussichtslos erschien, wurde den Parteien des "Interfraktionellen Ausschusses" (SPD, Zentrum, Fortschrittliche Volkspartei) das Mandat zu Waffenstillstandsverhandlungen erteilt. Jene Parteien hatten sich schon am 17. Juli 1917 für einen Verständigungsfrieden eingesetzt, und die deutsche Führung hoffte, durch sie bessere Bedingungen auszuhandeln. Insofern führten auf deutscher Seite die Gegner und nicht die Verursacher des Kriegs die Verhandlungen. Dies war eine der Voraussetzungen für die Entstehung der Dolchstoßlegende.
Deutschland war von den Versailler Verhandlungen ausgeschlossen. Daher leitet sich auch der Begriff "Versailler Diktat" ab, denn erstmals nach dem 30-jährigen Krieg saß der Besiegte nicht mehr mit am Verhandlungstisch, sondern empfing ein von den Siegern angefertigtes Vertragswerk. Das daraus entstandene Gefühl der Erniedrigung nutzten in der Zeit der Weimarer Republik deutschnationale und völkische Parteien und Verbände wie die NSDAP aus, um gegen Republik und Demokratie zu agitieren.
Die am 7. Mai 1919 bekannt gemachten Bedingungen wurden von der ersten Regierung der Weimarer Republik als unannehmbar abgelehnt. Aufgrund einer fortgesetzten Wirtschaftsblockade Deutschlands sowie einer Kriegsdrohung der Siegermächte unterzeichneten dann am 28. Juni 1919 Außenminister Hermann Müller (SPD) und Reichsverkehrsminister Johannes Bell (Zentrum) den Vertrag.
Das erste Protokoll über die Niederlegung der Ratifikationsurkunden ist am 10. Januar 1920 um 16.15 Uhr westeuropäischer Zeit in Paris errichtet worden. Danach ist der Versailler Vertrag zu diesem Zeitpunkt in Kraft getreten; Deutschland hatte ihn mit Reichsgesetz vom 16. Juli 1919 ratifiziert. Die USA und Großbritannien ratifizierten den Vertrag von Versailles nicht
Kriegsschuldartikel (Artikel 231) und Reparationen
Der Vertrag wies allein dem Deutschen Reich und seinen Verbündeten die Verantwortung für den 1. Weltkrieg zu. Diese einseitige Schuldzuweisung, vom Deutschen Reich stets zurückgewiesen, hat in den direkt folgenden Jahren und auch später zur Kriegsschulddebatte geführt. Politiker und Historiker beurteilen die Ursachen zum 1. Weltkrieg heute differenzierter, als es in dieser Schuldzuweisung ausgedrückt wird.
Der Artikel 231 diente den Alliierten als Grundlage für die Forderung von Reparationszahlungen Deutschlands. Die Höhe der Reparationen war im Versailler Vertrag nicht festgelegt.
siehe: Deutsche Reparationen nach dem Ersten Weltkrieg
Territoriale Bestimmungen
Deutschland musste zahlreiche Gebiete abtreten: Nordschleswig musste an Dänemark abgetreten werden, die Provinzen Westpreußen und Posen sowie das oberschlesische Kohlerevier an den neuen Staat Polen. Im Westen erhielt Frankreich das 1871 von Deutschland annektierte Elsass-Lothringen zurück, und Belgien erhielt als Kriegsentschädigung das Gebiet Eupen-Malmedy. Darüber hinaus wurde der gesamte deutsche Kolonialbesitz dem Völkerbund unterstellt. Insgesamt verlor Deutschland 13% seines ursprünglichen Gebietes, Österreich 88%. Die Vereinigung Deutschlands mit Österreich wurde untersagt.
Deutsche Gebietsverluste durch den Versailler Vertrag
1. Sofort abgetretene Gebiete:
- Elsass-Lothringen (an Frankreich)
- Jeweils fast ganz Westpreußen (ohne Danzig) und Posen (an Polen)
- die südliche Hälfte des ostpreußischen Kreises Neidenburg (an Polen)
- Hultschiner Ländchen (an die Tschechoslowakei)
- Die Teile Kameruns an Frankreich, die 1911 erst zur deutschen Kolonie wurden
2. Nach Volksabstimmung abgetreten:
- Nordschleswig (an Dänemark)
- Ostteil von Oberschlesien an Polen (obwohl 60% der Oberschlesier gegen den Anschluss an Polen stimmten)
- Eupen - Malmedy an Belgien; ursprünglich ohne Abstimmung, später stark verfälschte Scheinabstimmung zur Bestätigung des erlangten Status Quo; jedoch unproblematisch, da die Bevölkerung fast nur aus Belgiern bestand
3. Nach Volksabstimmung bei Deutschland geblieben:
- Südschleswig
- Westteil Oberschlesiens
- 9 Landkreise Westpreußens östlich und westlich des neuen polnischen „Korridors“ (siehe Westpreußen)
- Südteil Ostpreußens (aber ohne Soldau, Kreis Neidenburg)
4. Dem Völkerbund unterstellt:
- Saargebiet
- Politisch dem Völkerbund unterstellt
- Wirtschaftlich zu Frankreich
- nach 15 Jahren Abstimmung der Bevölkerung über Landeszugehörigkeit
- Danzig (Freie Stadt)
- Das Memelland wurde zunächst dem Völkerbund bzw. der französischen Besatzung unterstellt und fiel 1923 an Litauen
- Kolonien
5. Entmilitarisierte Gebiete:
Militärische Bestimmungen
Deutschland wurden weitgehende Beschränkungen auferlegt:
- Auflösung des Großen Generalstabes
- Berufsarmee mit maximal 100.000 Mann und ca. 4000 Offizieren
- keine allgemeine Wehrpflicht
- Verbot von militärischen Vereinen, Militärmissionen und Mobilmachungsmaßnahmen
- Marine mit 15.000 Mann, 6 Panzerkreuzern, 6 leichten Kreuzern und 12 Torpedobooten
- keine schweren Waffen wie U-Boote, Panzer, Schlachtschiffe oder Flugzeuge, chemische Kampfstoffe
- Beschränkung der Waffenvorräte (102.000 Gewehre, 40,8 Mill Gewehrpartronen)
- Entmilitarisierung des Rheinlands (50-km-Streifen östlich des Rheins)
- Verbot des Festungsbaus entlang der deutschen Grenze
- Verbot von Befestigung und Artillerie zwischen Ost- und Nordsee
- Im weiteren wurden jegliche Maßnahmen, die zur Vorbereitung eines Krieges geeignet sind, verboten. Dies hatte unter anderem Auswirkungen auf das Deutsche Rote Kreuz, das in der Folge seine Ursprungsaufgabe in den Hintergrund stellen musste.
Völkerbund
Außerdem sah der Vertrag die Gründung des Völkerbunds vor, eines der erklärten Ziele des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson. Dies war eine Art Vorläufer der heutigen UNO. Deutschland war bis 1926 nicht Mitglied dieser Organisation. Die USA, die den Völkerbund initiiert hatten, wollten sich nicht in Europa binden und blieben der Organisation fern.
Folgen des Vertrages
Die von deutscher Seite empfundene Ungerechtigkeit des Vertrags von Versailles ist zusammen mit der wirtschaftlichen Notlage, kaum bedingt durch die hohen bis 1993 geplanten Reparationszahlungen sondern eher durch die Weltwirtschaftskrise, als einer der Hauptgründe für die politische Radikalisierung in der Weimarer Republik und schließlich den Übergang in die nationalsozialistische Diktatur in der Zeit des Dritten Reiches angesehen worden. Nationalistische und rechte Gruppen warfen der Weimarer Regierung vor, durch die Annahme der Vertragsbedingungen die Interessen Deutschlands verraten zu haben und forderten eine Revision des als "Schandfrieden" oder "Schanddiktat von Versailles" bezeichneten Vertrags.
Einen ähnlich harten Friedensvertrag hatte allerdings noch kurz zuvor, am 3. März 1918, das Deutsche Reich in Brest-Litowsk mit dem revolutionären Russland abgeschlossen. Dieser Vertrag, der nur bis zum endgültigen Waffenstillstand im November 1918 in Kraft blieb, sah für Russland massive Gebietsabtretungen und Reparationszahlungen vor. Allerdings saß hier der Besiegte in Form von der von Leo Trotzki geführten sowjetrussischen Delegation mit am Verhandlungstisch, auch hatte der Friedensvertrag von Brest-Litowsk nur ein Dutzend Artikel und kann somit nicht mit dem Versailler Vertrag verglichen werden.
Die durch den Versailler Vertrag begründeten schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen und die außenpolitische Isolation Deutschlands versuchte Walther Rathenau im Vertrag von Rapallo zu entschärfen. Darin wurde zumindest das Verhältnis zur Sowjetunion normalisiert und auf gegenseitige Ansprüche verzichtet.
Einige Historiker sind der Ansicht, dass die Bedingungen (Gebietsverluste, Reparationen) des Versailler Friedensvertrages mit zur Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs gehören. Andere Historiker bestreiten dagegen insbesondere die teilweise behauptete Zwangsläufigkeit eines neuen Krieges und betonen die friedensfördernde Wirkung des Vertrages durch Schaffung klarer zwischenstaatlicher Regelungen.
Insgesamt wurde es von verschiedenen Historikern als ein Geburtsfehler des Versailler Vertrages bezeichnet, dass er zwei Ziele gleichzeitig zu erreichen versuchte. Zum einen waren die Wilsonschen Ideale der Selbstbestimmung der Völker und der territorialen Übereinstimmung zwischen Volk und Staat, zum anderen bestanden die Siegermächte, insbesondere Frankreich darauf, Deutschland entscheidend zu schwächen. Zusammen mit der erzwungenen Unterschrift hinterließ der Vertrag bei den Siegern ein schlechtes Gewissen und bei den Verlierern, das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden.
Zitate
„Welche Hand müsste nicht verdorren, die sich und uns in solche Fesseln legte?“ - Reichskanzler Philipp Scheidemann (SPD) in der Nationalversammlung am 12. Mai 1919
„Wir stehen hier aus Pflichtgefühl, in dem Bewußtsein,daß es unsere verdammte Schuldigkeit ist, zu retten zu suchen, was zu retten ist... Wenn die Regierung ... unter Vorbehalt unterzeichnet,so betont sie, daß sie der Gewalt weicht, in dem Entschluß, dem unsagbar leidenden deutschen Volke einen neuen Krieg, die Zerreissung seiner nationalen Einheit durch weitere Besetzung deutschen Gebietes, entsetzliche Hungersnot für Frauen und Kinder und unbamherzige längere Zurückhaltung der Kriegsgefangenen zu ersparen.“ - Ministerpräsident Bauer am 22. Juni 1919 zum Versailer Vertrag
„Ich bin imstande, auf die Straße zu laufen und zu schreien: Nieder mit der westlichen Lügendemokratie“ - Thomas Mann in seinem Tagebuch
„Das ist kein Frieden. Das ist ein zwanzigjähriger Waffenstillstand.“ - französischer Marschall Foch
Siehe auch
Weblinks
- http://www.dhm.de/lemo/html/weimar/versailles/index.html - Seite zum Vertrag von Versailles beim LeMO mit vielen Grafiken
- http://www.documentarchiv.de/wr/vv.html - Vollständiger Vertragstext
- http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/versailles/index.html - Gekürzter Vertragstext