Lobbyismus
Lobbyismus ist eine Form der Interessenvertretung in der Politik, bei der Regierungsmitglieder, Beamte und gewählte Volksvertreter durch Interessengruppen – den Lobbys – im direkten Kontakt gezielt angesprochen werden und indirekt die öffentliche Meinung über die Medien beeinflusst wird.
Begriff
Der Begriff geht auf die Lobby (Vorhalle, Wandelhalle) des Parlaments – insbesondere des britischen Unterhauses und des US-amerikanischen Kongresses – zurück, in der ursprünglich Vertreter verschiedener Gruppen die Parlamentarier an ihre Abwahlmöglichkeit erinnerten und so eine Form der Kontrolle ausübten. Vergleicht man verschiedene Definitionen des „Lobbying“, so lassen sich die drei frequentiertest erscheinenden Merkmale der Begriffsbestimmungen durch Einflussnahme, Informationsbeschaffung und Informationsaustausch zusammenfassen. Weiterhin finden die definitorischen Ansätze einen Konsens in der strategischen Ausgerichtetheit der Tätigkeit.
Nach Strauch bezeichnet eine Lobby "einen Zusammenschluss von Personen oder Organisationen zur Vertretung gemeinsamer Interessen gegenüber Dritten, insbesondere Gesetzgeber und Verwaltung." Lobbyismus versteht er als Methode der Einwirkung auf Entscheidungsträger und Entscheidungsprozesse durch präzise Information im Rahmen einer festgelegten Strategie. Es handelt sich hierbei um punktuelle Beeinflussungen spezifischer Sachentscheidungen und nicht um anhaltende Mitgestaltung der (staats-)politischen Rahmenbedingungen.
Ein Lobbyist beschreibt dementsprechend die Person oder Personenmehrzahl, die im Auftrage eines Dritten oder im Rahmen eines Dienstvertrages das Lobbying durchführt
Darstellung des unternehmerischen Lobbyingprozesses:
Lobbyismus und Demokratie
Voraussetzung für Lobbyismus ist Geld und Zeit zur Verfügung zu haben, um Kontakte zu einflussreichen Personengruppen aufbauen zu können. Lobbyisten versuchen, die Interessen einer Gruppe (Partikularinteressen) durchzusetzen. Lobbyismus ist eine undemokratische Interessenvertretung, da die Stimmen der Vertretungen faktisch mit Geld, politischem Einfluß usw. gewichtet werden. Zudem werden auch Stimmen ausländischer Institutionen und Personen einbezogen.
Demokratietheoretisch ist Lobbyismus umstritten:
- Einerseits stellt er eine Form der direkten pluralistischen Einflussnahme auf das politische System dar.
- Andererseits zeigt sich praktisch, dass die notwendigen Voraussetzungen für erfolgreichen Lobbyismus, insbesondere der personelle und finanzielle Aufwand, nur von bestimmten Interessengruppen erbracht werden können, beispielsweise Industrie- und Unternehmensverbänden oder auch Gewerkschaften. Demgegenüber verfügen nichtstaatliche Organisationen über keine vergleichbare finanzielle und personelle Ausstattung und oftmals existieren für gesellschaftliche Gruppen überhaupt keine sie vertretenden Verbände oder diese fühlen sich von ihnen nicht ausreichend vertreten (z.B. Arbeitnehmer, Konsumenten, Patienten, Studenten, Jugendliche, Subkulturen, Arbeitslose, Ausländer). So haben diese Gruppen meist eher keine mächtige Lobby, und wenn sie in Konflikt mit durch Lobbys gut vertretene Interessen geraten, wenig Möglichkeiten, ihre Sicht darzustellen und ihre Interessen zu wahren, sogar wenn ihr Anteil an der Bevölkerung größer ist als der der durch Lobbys besser vertretenen. Es kommt dann zu einem Ungleichgewicht, und manche Interessen setzen sich verstärkt gegenüber anderen durch. Zudem wird Lobbyismus oft im Zusammenhang mit mangelnder Transparenz und Korruption genannt und wird von einigen – besonders in Deutschland und den USA – in Kombination mit der undurchsichtigen Parteispendenpraxis an die großen Parteien für bedenklich gehalten.
Beispiele
Situation in Deutschland
Lobbyismus war lange Zeit ein großes Tabuthema im parlamentarischen System der Bundesrepublik Deutschland. Spätestens seit dem Umzug des Bundestages nach Berlin und dem Aufblühen der dortigen Lobbyisten- bzw. Beraterlandschaft verändert sich aber auch das Bild der Lobbyisten langsam, die sich zunehmend als professionelle „Berater“ sehen. Lobbyisten sind bislang sehr erfolgreich, wenn es um den Erhalt von Subventionen oder Steuerprivilegien geht. Dieser langanhaltende Erfolg wird regelmäßig für die geringe Reformfähigkeit Deutschlands verantwortlich gemacht.
Lobbyorganisationen können sich beim Bundestag offiziell registrieren lassen und erhalten damit direkten Zutritt zu Abgeordnetenbüros.
Die Struktur des Lobbyismus in der Bundesrepublik hat sich gewandelt. Neben die großen Verbände wie Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und Kirchen traten, besonders in den letzten Jahren, kleinere, spezialisierte nichtstaatliche Organisationen, die Lobbying betreiben. Ihre Methoden sind vielfältig und abwechslungsreich. Sie reichen von öffentlichkeitswirksamen Protestaktionen und Medienarbeit und gezielter Beeinflussung von Politikern bis hin zum Entwurf von Detailregelungen für zu verabschiedende Gesetze.
Verstärkt seit dem Ende der 1990er Jahre entstand in Deutschland eine große Zahl von Initiativen, die sich für als notwendig angesehene marktwirtschaftliche Reformen und gegen Reformstau einsetzen. Viele dieser Gruppen verstehen sich selbst als Basisbewegungen, Kritiker bezeichnen sie oft als Lobby-Organisationen der Wirtschaft und verweisen als Beleg auf ihre Finanzierung. Sie nutzen beispielsweise große Anzeigen in Tageszeitungen, aber auch Rundfunk, um für ihre (politischen) Ziele (Reformen) zu werben und so in ihrem Sinn Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen.
Lobbyismus geht auch dahin, dass Abgeordnete, die in Firmen im Aufsichtsrat tätig sind, zuweilen hohe Tantiemen erhalten, so dass die Firma sich meist ziemlich sicher sein kann, dass der jeweilige Abgeordnete bei Abstimmungen im Bundestag oder auch in Landtagen in ihrem Sinne stimmt.
In Diskussionen wie um Atomkraft, Biotechnologie, Urheberrecht/Tauschbörsen oder um Softwarepatente wird immer wieder kritisiert, dass Industrie und Großkonzerne über massive Lobbyarbeit Gesetze auf Bundes- oder EU-Ebene (EU-Kommission) durchsetzen, die in ihrem Interesse, aber nicht im Interesse des Mittelstandes oder des durchschnittlichen Verbrauchers seien. Die Befürworter verweisen dann auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit.
Situation in Österreich
Lobbying und Public Affairs sind in Österreich noch immer häufig verpönte und scharf kritisierte Begrifflichkeiten. In der zweiten Republik waren traditionell starke Interessensvertretungen wie Kammern, Gewerkschaften oder Industriellenvereinigungen die stärksten Lobbys. Seit dem EU-Beitritt und der Öffnung Richtung Osten setzt jedoch ein Umdenken ein. Zur Zeit werden ungefähr 50 Public Affairs Manager geschätzt sowie weitere 50 dürften direkt von Unternehmen angestellt sein.
Mit der Gründung von PASA – Public Affairs Society Austria – haben sich Public Affairs Manager führender Agenturen erstmals dem Konzept von Transparenz und Verhaltensstandards verschrieben. Die einflussreichste Vereinigung von Lobbying Unternehmen in Österreich ist ALPAC - Austrian Lobbying and Public Affairs Council.
Situation in den Organen der EU
Wie beim Bundestag können sich Lobbyisten zum Beispiel beim Europaparlament akkreditieren lassen. Da die Legislative der EU vor allem auch in der EU-Kommission und im EU-Ministerrat stattfindet, und der Ratsvorsitz alle sechs Monate von Land zu Land wechselt, ist Lobbyismus in der EU vor allem von großen europäischen Lobbying-Organisationen bestimmt.
Insbesondere auf der Ebene des Europäischen Parlamentes werden Lobbyisten auch gerne wegen ihres Detailwissens in Anspruch genommen. Bei der Vielzahl von komplexen Entscheidungen liefern sie oft notwendiges Detailwissen, um diese kompetent treffen zu können. Das Risiko allerdings besteht darin, dass dieses Wissen nicht unbedingt vollständig und in den meisten Fällen parteiisch selektiert ist. Im Parlament sind derzeit 5000 Vertreter von Lobbyorganisationen akkreditiert.
Die Brüsseler Lobby steht auch mit der Osterweiterung vor neuen Herausforderungen.
Bedeutende Lobbygruppen
- ACC - American Chamber of Commerce
- AMUE - Association for the Monetary Union of Europe (€-Einführung)
- Bertelsmann-Stiftung
- Bilderberg-Konferenz (Bilderberg-Gruppe, Bilderberger)
- BRT - US Business Round Table
- CEFIC - European Chemical Industry Council
- CEPS - Center for European Policy Studies
- CHE - Centrum für Hochschulentwicklung (Einflussnahme auf Bildungspolitik in Deutschland)
- CMA - Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft mbH
- EFPIA - European Federal of Pharmaceutical Industustries
- ERT - European Roundtable of Industrialists
- ESF - European Service Forum
- EuropaBio - European Association of Bioindustries
- Fedesa/IFAH - International Federation of Animal Health
- GBD - Global Business Dialogue on Electic Commerce
- ICC - International Chamber of Commerce
- INSM - Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
- IPC - Intellectial Property Commitee
- Stiftung Marktwirtschaft
- TABD - Transatlantic Business Dialogue
- TPN - Transatlantic Policy Network
- UNICE - Union of Industiral and Employer's Confederation of Europe
- USCIB - US Council on International Business
- USCSI - US Coalation of Service Industries
- VDMA - Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau
- WBCSD - World Business Council for Sustainable Development
- WEF - World Economic Forum
Siehe auch
- Denkfabrik
- Transparency International - nichtstaatliche Organisation zur Bekämpfung der Korruption
- Korruption in der EU
- Verwaltungsethik
- Propaganda - Öffentlichkeitsarbeit
- Politikberatung
- Channel-Politik
- Public Affairs
Literatur
- Gunnar Bender, Lutz Reulecke: Handbuch des deutschen Lobbyisten ISBN 3899810058
- Steffen Dagger, Christoph Greiner, Kirsten Leinert, Nadine Meliß, Anne Menzel: Politikberatung in Deutschland - Praxis und Perspektiven, VS-Verlag für Sozialwissenschaften 2004, ISBN 3531144642
- Thomas Leif, Rudolf Speth (Hrsg.): Die stille Macht. Lobbyismus in Deutschland Westdeutscher Verlag 2003. ISBN 3-531-14132-5
- Marco Althaus, Sven Rawe, u.a. (Hrsg.): Public Affairs Handbuch
- Florian Busch-Janser: Staat und Lobbyismus - Eine Untersuchung der Legitimation und der Instrumente unternehmerischer Einflussnahme ISBN 3-938456-00-0
- Hans Merkle: Lobbying ISBN 3896782339
- Christian H. Schuster: Politikberatungsagenturen in Deutschland ISBN 3-938456-52-3
- Mirco Milinewitsch: Professionalisierung der Interessenvermittlung durch externes Public Affairs Management ISBN 3-938456-50-7
- Florian Busch-Janser, Sandra Gerding und Mario Voigt (Hrsg.): Politikberatung als Beruf ISBN 3-938456-01-9
- Belén Balanyá, Ann Doherty, Olivier Hoedeman, Adam Ma'anit und Erik Wesselius: Europe Inc.: Regional and Global Restructuring and the Rise of Corporate Power. (Vorwort: George Monbiot) 2. Aufl., Pluto Press, London 2003, ISBN 0-7453-2163-1
- Belén Balanyá, Ann Doherty, Olivier Hoedeman, Adam Ma'anit und Erik Wesselius: Konzern Europa. Die unkontrollierte Macht der Unternehmen. (Vorwort: Peter Niggli; Übersetzung der 1. Auflage von Europe Inc.) Rotpunktverlag, Zürich 2001, ISBN 3-85869-216-6 (Europe Inc. war die erste systematische Untersuchung des Einflusses der transnationalen Konzerne und ihrer Lobby-Gruppen (AMUE, ERT, ICC, TABD, UNICE u.a.) auf die EU-Politik und andere internationale Institutionen wie OECD, WTO und die UN).
- Jens Kirsch: Geographie des deutschen Verbandswesens: Mobilität und Immobilität der Interessenverbände im Zusammenhang mit dem Regierungsumzug. LIT Verlag, Münster 2003.
- Cerstin Gammelin, Götz Hamann: Die Strippenzieher. Manager, Minister, Medien – Wie Deutschland regiert wird. Econ, 1. Auflage, Berlin 2005, ISBN 3430130115
- Berg, N. (2002): Public Affairs Management, Diss., 1.Aufl., Wiesbaden Universität Dortmund 2003.
- Strauch, M. (1993): Stand der Lobby-Diskussion in Europa – ein Standesrecht für Lobbyisten?, in Strauch, M. (Hrsg.): Lobbying. Wirtschaft und Politik im Wechselspiel, Wiesbaden 1993, S. 91 - 142.
- Joos, K. (1997): Interessenvertretung deutscher Unternehmen bei den Institutionen der Europäischen Union, Berlin 1998.
- Köppl, P. (1998): Lobbying als strategisches Interessenmanagement, in Scheff, J./ Gutschelhofer, A. (Hrsg.): Lobby Management: Chancen und Risiken vernetzter Machtstrukturen im Wirtschaftsgefüge, Wien 1998, S. 1 - 37.
- Weyel, P. (2005): Lobbying in Japan - Methoden der unternehmerischen Interessenvertretung - , Seminararbeit Universität Mannheim, [1] (www.hausarbeiten.de), 2005.
Weblinks
- Datenbank des Deutschen Bundestages mit allen registrierten Verbänden
- Die Koalition gegen Korruption
- Politikberatung in Deutschland, Sammelband zu Politikberatung/Lobbyismus
- Sourcewatch US-amerikanisches Wiki-Projekt zur Dokumentation von Lobbyismus
- deutsches Exzerpt aus Europe Inc. in SWB 01/1998
- Dokumentation über die Nebenverdienste prominenter bundesdeutscher Politiker
- Die Zeit: Geld für gute Worte
- Die Welt: EU - Die Lobbyisten werden untersucht
- Standpunkt von Albrecht Müller
- Die Revolution von oben Markus Grill, stern, 17. Dezember 2003
- Artikel von politik&kommunikation zu Lobbyismus und Osterweiterung
- Umfangreiche Seite von Hans-Peter Martin über Lobbyismus in der EU
- www.lobbycontrol.de : blog Initiative für Transparenz und Demokratie