Petrus Abaelardus


Petrus Abaelardus (Geburtsname: Pierre Abaillard. Auch: Peter Abaelard, Pierre Abélard, Pierre Abaelard, Abailardus, Abaielardus sowie zahlreiche Varianten) (* 1079 in Le Pallet; † 21. April 1142 in St. Marcel) war ein bekannter und umstrittener französischer Philosoph und Scholastiker. Er lehrte in Paris Theologie, Logik und Dialektik.
Abaelard vertrat viele Jahrhunderte vor der Aufklärung den Primat der Vernunft nicht nur in der Philosophie, sondern auch in Glaubensfragen. Dadurch - aber auch wegen einer Liebesaffäre - geriet er in einige Konflikte. Neben dem umfangreichen Briefwechsel sind seine theologischen Dispute bis heute interessant, unter anderem mit Bernhard von Clairvaux.
Leben
Abaelard wurde 1079 in Le Pallet im Südosten von Nantes als Sohn des Ritters Berenger geboren. Er verzichtete auf sein Erbe, um sich ganz der Wissenschaft widmen zu können und wurde darin von seinem Vater unterstützt. Zunächst studierte er bei Roscelin von Compiègne und Wilhelm von Champeaux in Paris. Nachdem er letzteren in mehreren Disputen bloßstellen konnte, gründete Abaelard um 1102 in Melun, später in Corbeil eine eigene Schule, die sich rasch einen großen Ruf erwarb. Die Jahre 1105 bis 1108 verbrachte Abaelard bei seiner Familie in der Bretagne, vermutlich weil Wilhelm von Champeaux sich mit Erfolg gegen Abaelards Schule eingesetzt hatte.
Wilhelms Stellvertreter erlaubte Abaelard 1108 zwar wieder in Paris zu lehren, er musste sich aber bald wieder zunächst nach Melun, dann auf den Genovevaberg nahe Paris zurückziehen. 1113 studierte Abaelard bei Anselm von Laon Theologie, den er bald gleichsam herausforderte und mit eigenen Vorlesungen an Beliebtheit übertraf. Anselm untersagte ihm die weitere Lehre, 1114 konnte Abaelard jedoch in Paris Logik und Theologie unterrichten. Dort wurde er Hauslehrer von Héloïse, zu der Abaelard bald eine Liebesbeziehung aufbaute. Ihr Onkel und Beschützer, der Kanoniker Fulbert, bemerkte die Beziehung erst, als Héloïse bereits schwanger war. Sie flüchtete mit Abaelard zu dessen Familie nach Le Pallet, wo sie einen Sohn (Astrolabius) zur Welt brachte. Abaelard bemühte sich um einen Ausgleich mit Fulbert: Obwohl Héloïse mit Blick auf Abaelards Reputation als Gelehrter entschieden dagegen war, wollte Abaelard sich mit ihr vermählen, vorausgesetzt, die Ehe würde geheimbleiben. Fulbert willigte ein, ließ die Hochzeit aber trotzdem bekanntwerden. Héloïse wurde darauf Nonne im Kloster Argenteuil. Fulbert betrachtete dies als Versuch Abaelards, sich von seinen ehelichen Pflichten zu befreien. Zutiefst gekränkt, ließ Fulbert Abaelard überfallen und entmannen.
Abaelard überlebte die Verstümmelung und trat bald in die Abtei Saint-Denis ein. Sein Ruf war nach wie vor groß und er konnte wieder Vorlesungen halten. Dies führte jedoch zu weiteren Anfeindungen seiner Gegner, was schließlich auf der Synode von Soissons 1121 dazu führte, dass Abaelard seine Schrift Theologia Summi Boni eigenhändig verbrennen musste. Als Abaelard durch seine kritische Haltung gegenüber dem historischen Klosterpatron Dionysius von Paris auch die Leitung von Saint-Denis gegen sich aufbrachte, floh er in die Champagne. Dort gründete er die Einsiedelei Le Paraclet (griechisch Tröster), in die ihm bald zahlreiche Studenten folgten, um sich weiter von ihm unterrichten zu lassen. Um sich den ständigen Anfeindungen endgültig zu entziehen, ließ sich Abaelard 1128 zum Abt des Klosters Saint-Gildas-en-Rhuys in der Bretagne wählen. Die Nonnen von Argenteuil - unter ihnen Héloïse, die inzwischen Priorin geworden war - drohten aus ihrem Kloster vertrieben zu werden. Abaelard schenkte ihnen den Paraclet und betreute sie, indem er Hymnen, Predigten und Ordensregeln für ein solches Frauenstift verfasste. Auch in St. Gildas kam Abaelard nicht zur Ruhe: Seine Versuche, in dem abgelegenen Kloster die angemessene Ordnung durchzusetzen, brachte die dortigen Mönche gegen ihn auf und führten zu mehreren Attentaten auf ihn. Abaelard gab das Klosterleben auf und kehrte 1135 oder 1136 als Lehrer auf den Genovevaberg zurück.
Immer noch war Abaelard das Ziel von Verfolgungen seiner Gegner, insbesondere Bernhard von Clairvaux bekämpfte seine Lehren. 1140 schaffte er es, Abaelard vor der Synode von Sens der Häresie anklagen zu lassen. Abaelards Forderung, seine Lehren verteidigen zu dürfen, wurde von dem Konzil abgelehnt, auch eine Appellation an Papst Innozenz II. blieb wirkungslos. Die Synode ließ Abaelards Lehrsätze verbrennen und der Papst verurteilte ihn zu ewigem Schweigen.
Abaelard wollte sich in Rom persönlich verteidigen. Eine Erkrankung zwang ihn dazu, im Kloster Cluny unter der Obhut des Abts Petrus Venerabilis Zuflucht zu suchen. Dieser erreichte eine Aussöhnung zwischen Abaelard und Bernhard von Clairvaux, in dessen Folge das päpstliche Urteil aufgehoben wurde. Abaelard verbrachte die Monate bis zu seinem Tod am 21. April 1142 in St. Marcel (nahe Chalon-sur-Saône), einem Priorat von Cluny. Sein Leichnam wurde auf Héloïses Bitten hin ins Paraclet-Kloster überführt. Héloïse wurde nach ihrem Tod 1164 neben Abaelard bestattet. Das Grab wurde während der französischen Revolution verwüstet.
Seit 1817 liegen Abaelard und Héloïse auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris begraben.
Schriften
Abaelard hat eine autobiographische Darstellung seines Lebens bis zu seiner Zeit in St. Gildas verfasst, die Historia Calamitatum (Leidensgeschichte), deren Authentizität nach langen Kontroversen inzwischen weithin als sicher gilt. Anders verhält es sich mit dem Briefwechsel zwischen Abaelard und Héloïse, der von einigen Forschern als alleiniges Werk von Abaelard betrachtet wird.
Die logischen Abhandlungen von Abaelard kommentieren die Logik von Aristoteles, Porphyrius und Boëthius in vielen Fällen mehrfach: Abaelard schreibt sowohl erklärende Einführungen für Anfänger (introductiones parvulorum), als auch diskutierende und eigene Beiträge zu Problemen der Logik (Logica Ingredientibus, Logica Nostrorum petitioni sociorum, sein Hauptwerk zur Logik: Dialectica).
Im Universalienstreit hatte Abaelard die konträren Positionen bei seinen Lehrern, zunächst den radikalen Nominalismus bei Roscelinus und danach den entschiedenen Realismus bei Wilhelm von Champeaux kennen gelernt. Abaelard rückte bei seiner Untersuchung dieser Frage in seinen Schriften Logica Ingedientibus und Logica Nostrorum Petitioni Sociorum neben dem rein ontologischen Aspekt auch die sprachlogische Perspektive in den Vordergrund. Zunächst kritisierte er die vorhandenen Argumente. Für ihn konnten die Universalien nicht jeweils eine einheitliche Entität sein, weil sie nicht verschiedenen, getrennten Dingen zugleich innewohnen können. Auch konnte das Universale nicht etwas Zusammengefasstes sein, weil das Einzelne dann das Ganze enthalten müsse. Ebenso wies er die These zurück, Universalien seien zugleich individuell und universell, da der Begriff der Individualität als Eigenschaft des Universellen dann durch sich selbst widersprüchlich definiert würde. So können z.B. Begriffe wie Lebewesen nicht existieren, weil diese nicht zugleich vernunftbegabt (Mensch) und nicht-vernunftbegabt (Tiere) sein könnten.
Da die Argumente für die Realität der Allgemeinbegriffe nicht zu einem haltbaren Ergebnis führten (Wilhelm von Champeaux musste sich verärgert korrigieren), schloss Abaelard, dass die Universalien Wörter sind, die vom Menschen zur Bezeichnung festgelegt werden. Soweit sie sich auf sinnlich konkret Wahrnehmbares beziehen, sah Abaelard in ihnen nur Benennungen, also uneigentliche Universalien (appelatio). Soweit sie sich auf sinnlich nicht Wahrgenommenes beziehen, handelt es sich um echte Allgemeinbegriffe (significatio). Solche Begriffe werden vom Menschen konzipiert, um das Gemeinsame und nicht Unterscheidende verschiedener gleichartiger Gegenstände zu bezeichnen. Die Erkenntnis hierüber entsteht nicht durch körperliche Sinneswahrnehmung (sensus), sondern durch gedankliches Begreifen (intellectus) der Seele, indem der Geist (animus) eine Ähnlichkeit (similitudo) herstellt. Stoff und Form existieren verbunden und werden nur durch die Einbildungskraft (imaginatio) der Vernunft (ratio) im Wege der Abstraktion (forma communis) getrennt. Universalien sind damit weder vor den Dingen (Realismus), noch nach den Dingen als Bezeichnungen (Nominalismus), sondern rein im Verstand als Abstraktion der einzelnen Dinge entstanden. Sie liegen damit in den Dingen (in rebus). Das Wort als Naturlaut (vox) ist Bestandteil der Schöpfung. Das Wort aber als Sinn (sermo) ist eine menschliche Einrichtung (institutio). Dadurch dass Allgemeinbegriffe eine eigene Bedeutung haben, stehen sie zwischen den realen Dingen und den reinen Bezeichnungen. Universalien sind damit semantisch existent. Diese Position Abaelards wurde später als Konzeptualismus bezeichnet.
Ein wichtiger Schritt zur Auflösung dogmatischer Starrheit in der kirchlichen Lehre war Abaelards Schrift Sic et Non (Ja und Nein). Hier listete er in 158 Abschnitten Widersprüche in den Texten der Kirchenväter (insbesondere Augustinus) sowie in den Texten der Bibel auf, um aufzuzeigen, dass nur mit Hilfe der Interpretation Konflikte aus der Tradition heraus gelöst werden können. Damit wendete er sich gegen die starre Bindung des Dogmatismus an die Texte, weil nur so der eigentliche Sinn des Ausgesagten erfasst werden könne. Erst wenn die Theologie sich auf die Hilfe der Vernunft stützt, können Zweifelsfragen in sinnvolle Antworten aufgelöst werden. Dabei forderte Abaelard insbesondere zur textkritischen Analyse auf. Durch seinen systematischen hermeneutischen Ansatz hat er mit dieser Schrift wesentlich zur Entwicklung der scholastischen Methode beigetragen.
In seinen theologischen Werken (Theologia Summi Boni, Theologia Christiani und Theologia Scholarum) wandte er sich u.a. gegen die vorherrschende (auf Augustinus zurückgehende) Lehre, dass Gott durch den Kreuzestod dem Teufel die Rechte am Menschen, die dieser aufgrund der Erbsünde erworben habe, wieder abgekauft habe. Die Erbsünde sei nicht Schuld des Einzelnen, sondern nur Folge der Schuld Adams. Vielmehr wollte Gott als Gott der Liebe ein Zeichen setzen, indem er den Menschen durch sein Opfer die Gnade der Erlösung gewährte und damit die Chance zu einem Neuanfang. Abaelard kehrte den Wahlspruch credo ut intelligam (Augustinus, Anselm) um, indem er die Vernunft einsetzte, um zum Glauben zu finden. So versuchte er aufzuzeigen, wie insbesondere die Bekehrung der Heiden durch Zeugnisse der Philosophen (insbesondere Platon) gelang, dass gezeigt wurde, dass Gott das Weltganze liebend bewegt und als weltbegründende Weisheit das Gute selbst ist. Jedoch ist der Glaube an das Mysterium der Menschwerdung für das Heil unabdingbar. Seo seien die geometrischen Strukturen der Welt Ausdruck der Güte Gottes, die höher ist als die menschliche Vernunft.
Auch in der Ethik beschritt Abaelard neue Wege. Schon der Titel Scito te ipsum (Erkenne dich selbst), also dem Spruch den Sokrates vom Orakel in Delphi erhalten hatte, verwies er darauf, dass nicht äußere Normen, Dogmen und die Handlungen als solche den Maßstab bilden sollten, sondern die innere Haltung des Menschen. Ähnlich wie später bei Kant kommt es darauf an, welche Absichten man habe, wie der innere Akt der Zustimmung aussehe, ob eine Handlung als sittlich einzuschätzen sei. Nur die Gesinnung sei der rechte Maßstab für das Urteil Gottes. Umgekehrt sei Zustimmung zum Bösen Sünde, die als Missachtung Gottes zu werten sei.
In Dialogus inter Philosophum, Iudaeum et Christianum lässt Abaelard einen (heidnischen) Philosophen, einen Juden und einen Christen miteinander über Fragen der Metaphysik und Theologie diskutieren. Abaelard geht von einem Kern der Vernunft aus, der allen mediterranen Völkern und monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam) gemeinsam ist. Dabei zeigt sich, dass in jeder Lehre Wahrheit zu finden ist und es darauf ankommt, diese Wahrheit zu finden; denn alle Wahrheit ist auf göttliche Weisheit zurückzuführen. Damit eröffnete Abaelard das Gespräch zwischen den Religionen und forderte zum Dialog auf, auch wenn er sicherlich vor Augen hatte, so sowohl den heidnischen Philosophen als auch den Juden durch die christliche Wahrheit zu bekehren.
Luise Rinser hat in ihrem Roman Abaelards Liebe Pierre Abaelard und Héloïse ein Denkmal gesetzt.
Literatur
- Michael T. Clanchy: Abaelard. Primus, Darmstadt 2000, ISBN 3-89678-214-2
- Stephan Ernst: Petrus Abaelardus. Aschendorff, Münster 2003, ISBN 3-402-04631-8
- Ursula Niggli (Hg.): Peter Abaelard. Leben - Werk - Wirkung. (= Forschungen zur europäischen Geistesgeschichte; Band 4). Herder, Freiburg 2003, ISBN 3-451-28172-4
- Regine Pernoud: Heloise und Abaelard. Ein Frauenschicksal im Mittelalter. Kösel, München 1991, ISBN 3-466-34267-8
- Luise Rinser: Abaelards Liebe. Roman. Fischer, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-10-066043-9
- Rudolf Thomas (Hg.): Petrus Abaelardus. Person, Werk und Wirkung. (= Trierer theologische Studien; Band 38). Paulinus, Trier 1980 ISBN 3-7902-0041-7
Siehe auch
Philosophie des Mittelalters, Liste der Philosophen
Weblinks
- Vorlage:PND
- http://www.abaelard.de - umfangreiche Abaelard-Homepage von Werner Robl
Personendaten | |
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NAME | Petrus Abaelardus |
ALTERNATIVNAMEN | Petrus Abelardus; Pierre Abaillard; Abelaerd; Abélard; Abaelard; Abälard; Abailardus; Abaielardus |
KURZBESCHREIBUNG | französischer Philosoph, Scholastiker und Schriftsteller |
GEBURTSDATUM | 1079 |
GEBURTSORT | Le Pallet, Frankreich |
STERBEDATUM | 21. April 1142 |
STERBEORT | St. Marcel, Frankreich |