Zum Inhalt springen

Nizza-Modell

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 11. Juni 2012 um 21:04 Uhr durch MichaelSchoenitzer (Diskussion | Beiträge) (Literatur). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Das Niza-Modell auch englisch nice model, nach der Stadt Nizza ist ein im Jahr 2005 von Gomes, Tsiganis, Morbidelli & Levison (in alphabetischer Reihenfolge) in drei Nature Artikeln vorgeschlagenes Modell für eine späte Migration der Planeten im Sonnensystem. Es ist in der Lage etliche Eigenschaften des Sonnensystems vorherzusagen.

Darstellung der Simulation des Nizza-Modells: zu sehen sind die Riesenplaneten und die Planetesimalscheibe. a) Vor der Instabilitätsphase. b) Während der Streuung der Planetesimalen c) nach der Instabilitätsphase.

Das Modell

Position der Riesenplaneten in Abhängigkeit der Zeit. Man erkennt deutlich die Instabilitätsphase ausgelöst durch den 2.1 MMR (gestrichelte Linie) und das vertauschen von Uranus und Neptun.

Das Modell beschreibt eine Migration der Planeten, nachdem sich die protoplanetare Gasscheibe aufgelöst hat, es ist also kein Migrationsmodell im engeren Sinne. Das Modell nimmt an das die Planten ursprünglich auf nahe zu kreisförmigen, kompakten Bahnorbits liefen. Außerdem nimmt das Modell an, dass bei der Planetenentstehung eine Scheibe von Planetesimalen außerhalb der Planetenorbits bis hinaus zu einer Entfernung von 35 AU reicht und eine Gesamtmasse von etwa 35 Erdmassen hatte.

Die Riesenplaneten des Sonnensystems streuen nun zunächst vereinzelt Planetesimale aus der Scheibe, dabei wird Drehimpuls übertragen und die Bahn der Planeten ändert sich leicht. Es kann gezeigt werden, dass dadurch Saturn, Uranus und Neptun langsam nach außen und Jupiter langsam nach innen wandern. Nach ein paar hundert Millionen Jahren kommt es zu einer 2:1 Resonanz (Mean Motion Resonance, MMR) zwischen Jupiter und Saturn. Dadurch steigen die Exzentrizitäten und das System destabilisiert sich. Die Planeten Saturn Uranus und Neptun kommen sich gegenseitig und der Scheibe aus Planetesimalen nahe. Dadurch werden die Planetesimale praktisch schlagartig zerstreut, ein teil der Planetesimale fliegt in das innere Planetensystem und löst dort das Late Heavy Bombardment aus. Nach etwa hundert Millionen Jahren erreichen die Planeten schließlich ihrer heutigen Entfernungen, ihre Exzentizitäten werden gedämpft und das System stabilisiert sich wieder.

Neben den Positionen, Exzentrizitäten und Inklinationen der Riesenplaneten und dem Late Heavy Bombardment erklärt das Modell noch eine Reihe weitere Eigenschaften des heutigen Sonnensystems:

  • Während der Globalen Instabilität sind die Co-Orbit-Regionen von Jupiter gravitativ offen. Die gestreuten Planetisimale können in dieser Zeit in diese Regionen beliebig hinein und wieder heraus fliegen. Am Ende der Instabilitätsphase sind die Regionen vergleichsweise plötzlich wieder gravitativ geschlossen und die Objekte die zu diesem Zeitpunk dort waren sind gefangen. Dies erklärt die Jupiter-Trojaner und Hildas-Asteroiden. Analoges gilt auch für die Trojaner von Neptun. Das Modell stimmt in allen wesentlichen Eigenschaften der Trojaner – bis auf deren großen Inklinationen – überein.
  • Saturn, Uranus und Neptun kamen sich und den Planetisimalen während der Globalen Instabilität nahe, daher sind Dreifachstöße zwischen zwei Planeten und einem Plantetisimal vergleichsweise wahrscheinlich. Bei solchen Begegnungen wird der Planetesimal von einem der beiden Planeten eingefangen und umkreist diesen fortan als Mond. Da es keine Notwendigkeit gibt, dass der Mond den Planeten in der Äquatorialebene umkreisen sollte, erhält man einen bei den äußeren Planeten häufig vorkommenden irregulären Mond. Dadurch können prinzipiell die irregulären Monde der Riesenplaneten, bis auf die des Jupiters erklärt werden. Die Voraussagen stimmen bezüglich Inklination, Exzentrizität und große Halbachse mit den Beobachtungen überein. Die zunächst vorhergesagte Massenverteilung der Planeten entspricht nicht der gemessenen, dies lässt sich jedoch erklären, wenn man annimmt das es zu Kollisionen zwischen den Irregulären Monden gekommen ist.
  • 99% der Masse der Planetisimal-Scheibe geht durch die Stöße verloren – die verbleibenden Körper hingegen bilden den Kuiper Belt. Dabei ist das Modell in der Lage alle wichtigen Eigenschaften des Kuiper Belts zu erklären, was davor noch keinem Modell gleichzeitig gelungen ist:
    • Die Co-existenz von resonanten und und nicht-ressonanten Objekten
    • Die relative Verteilung der Großen Halbachse und Exzentrizität des Kuper Gürtels
    • Die Existenz eine Aussenkannte bei der Enfernung einer 2:1 Resonanz mit Neptun
    • Die bimodale Verteilung der Objekte und die dabei bestehende Korrelation zwischen der Inklination und den Eigenschaften des Objekts
    • die orbitale Verteilung der Plutinos und der 2:5 Libratoren (eine 1975 von Franklin et al. beschrieben Klasse von Asteroiden)
    • Die Existenz der extended scattered disc
    • Den Massendefizit des Kuiper Gürtels
  • In 50% der simulierten Fälle tauschen Uranus und Neptun während der Instabilitätsphase die Reihenfolge. Das Springen der Neptuns über den Uranus kann erklären, warum die Rotationsachse der Uranus um etwa 90 Grad gekippt ist.

Kritik und Erweiterung

Das Modell beschreibt die Migration in der protoplanetaren Gasscheibe nicht, sondern es setzt erst danach an. Die Probleme und offenen Fragen der klassischen planetaren Migration werden dadurch also nicht gelöst.

Bei der Entwicklung des Modells wurden nur die vier äußeren Riesenplaneten betrachtet, die Auswirkung auf die Bahnen der terrestrischen Planeten wurden nicht berücksichtigt. In der Instabilitätsphase würden diese jedoch wahrscheinlich gestört werden. Auch neigen derart instabile Systeme dazu Planeten zu verlieren. Beides kann möglicherweise dadurch vermieden werden, dass man dem System ursprünglich einen weiteren Riesenplaneten hinzufügt, welche das System stabilisierte und dabei selbst aus dem Sonnensystem geworfen wurde. David Nesvorny vom Southwest Research Institute zeigte 2011, dass die Wahrscheinlichkeit dafür wesentlich höher ist, als für ein Modell ohne 5ten Riesenplaneten. Dabei wurden eine Vielzahl von Simulationen mit unterschiedlich Anfangsbedingungen, Migrationsraten der Planeten, Auflösungsgeschwindigkeiten der Gasscheibe, Massen der Scheibe aus Planetesimalen und Massen des zusätzlichen Planeten (zwischen 1/3 und 3 Uranusmassen) gemacht und nach vier Kriterien ausgewertet:

  • Kriterium A: Am Ende muss das System genau 4 Riesenplaneten haben
  • Kriterium B: Die Planeten müssen am Ende vergleichbare Umlaufbahnen zu den heute beobachtbaren haben. (z.B: max 20% Abweichung in der Großen Halbachse)
  • Kriterium C: Gewisse Parameter müssen so sein das die Möglichkeit zum Einfang von irregulären Monden – wie oben beschrieben – besteht
  • Kriterium D: Der Abstand zwischen Jupiter und Saturn muss so sein, dass die inneren terrestrischen Planeten überleben.

Bei der Auswertung stellte man fest, das das Kriterium A bei anfangs 4 Riesenplaneten in unter 13% der Simulationen erfüllt ist, während es bei anfangs 5 Planeten bei 37% der Simulationen erfüllt ist; Kriterium B ist bei 4 Planeten in nur 2,5% der Fällen erfüllt, während es bei Hinzunahme eines 5 Planeten in 23% der Fälle erfüllt ist. Bei richtiger Wahl der Masse des 5ten Planeten von 1/2 Uranusmassen steigen die Wahrscheinlichkeiten für Kriterium A und B sogar auf 50% bzw. 20-30%. Die inneren Planeten überleben beim klassischen Modell nur in etwa 1% der Fälle – beim um einem Planeten erweiterten Modell steigt die Wahrscheinlichkeit jedoch auf etwa 10%.

Die Untersuchung zeigt jedoch auch das das Kriterium C bei beiden Modellen nur sehr selten erfüllt ist, da das Modell die auch irregulären Mode von Jupiters nicht beschreiben kann, ist es fragwürdig, ob es zur Erklärung von irregulären Moden herangezogen werden kann.

Literatur

  • Gomes et al., "Origin of the cataclysmic Late Heavy Bombardment period of the terrestrial planets", Nature 435, 2005, PDF
  • Tsiganis et al., "Origin of the orbital architecture of the giant planets of the Solar System", Nature 435, 2005, PDF
  • Morbidelli et al., "Chaotic capture of Jupiter's Trojan asteroids in the early Solar System", Nature 435, 2005, PDF
  • Aurélien Crida, Solar System Formation, 2009, ArXiv
  • David Nesvorny, "Young Solar System's Fifth Giant Planet?", ApJ Letters 742, 2011, ArXiv