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Neusaßer Linde

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Die Neusaßer Linde ist ein Naturdenkmal bei der Wallfahrtsirche Neusaß, welches zum Kloster Schöntal, einem Ortsteil von Schöntal gehört. Die Sommerlinde (Tilia platyphyllos) hat ein Alter von etwa 300 bis 500 Jahren und einen Stammumfang von 8,62 Meter. Die Linde wurde in den letzten 35 Jahren mehrmals fachgerecht saniert. Bis 1978 befand sich eine Plattform in ihrer Krone und mehrere Jahrhunderte lang fanden bis 1876 Markttreiben um der Linde statt. Das Deutsche Baumarchiv zählt die Linde zu den national bedeutsamen Bäumen (NBB).[1]

Lage

Linde mit Forsthaus und Wallfahrtskirche

Die Linde steht bei der Wallfahrtskirche Neusaß, etwa 1,5 Kilometer südöstlich vom Kloster Schöntal und 2,5 Kilometer südlich von Schöntal in einer Höhe von etwa 335 Meter über Normalnull. Sie steht völlig frei auf einer Wiese, die halbseitig von einer Hecke umgeben ist. In etwa 50 Meter Entfernung zur Linde steht das Neusaßer Forsthaus, früher auch Jägerhaus genannt, welches aus einem klösterlichen Wirtschaftshof hervorgegangen ist, und aus dem 18. Jahrhundert stammt. Zwischen Forsthaus und Linde stand bis 1969 eine Scheune, Weinhäusle genannt, die im Zuge des Baues einer Garage abgerissen worden ist.[2] Ebenso stand in der Nähe der Linde bis um das Jahr 1880 die Accishütte.[3] Dort wurden die Abgaben der Weinschenken und Metzger eingezogen. Auf der anderen Seite des Forsthauses steht die im Jahre 1397 erstmals genannte Wallfahrtskirche, zu der heute wie in früheren Jahren regelmäßig Wallfahrten stattfinden.[4]

Geschichte

Stammansicht

Erste Hinweise zur Linde gibt es aus dem Jahre 1750.[5] In einer Karte aus dieser Zeit ist an der Stelle der heutigen Linde der Vermerk Linden, was auf ursprünglich mehrere Linden hinweißt, die mit der Zeit zusammen gewachsen sind. An anderen heiligen Orten, wie hier in der Nähe der Wallfahrtskirche, wurden drei Linden in Anlehnung an die christliche Auffassung von der Dreifaltigkeit eng beieinander gepflanzt.[5] Die erste schriftliche Erwähnung stammt aus dem Jahre 1883 vom Oberamt Künzelsau. Im Buch Beschreibung des Oberamts Künzelsau heißt es über Neusaß. „Hinter dem Jägerhaus liegt der ehemalige Marktplatz mit prächtiger Linde.“[6] Im Schwäbischen Baumbuch aus dem Jahre 1911 werden Maßangaben zur Linde gemacht. Es wird dort ein Umfang von 5,5 Meter und eine Höhe von 25 Meter angegeben.[5] Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs kam es in der Region um Neusaß zu kurzen, teilweiße recht heftigen Kämpfen. Im April haben Amerikanische und Französische Truppen, die in das Landes innnere einmarschierten, auf sich wehrende Deutsche Truppen geschossen. Dabei erhielt die Krone der Linde einen Volltreffer durch eine Granate.[7] Am 13. April 1955 wurde die Linde unter Schutz gestellt.[8] In den zahlreich aufstrebenden Ästen war in der Krone über einen längeren Zeitraum eine aus Stangen gefertige Plattform mit Geländer, die über eine Leiter erreichbar war.[5] Diese Plattform war groß genug, damit 10 bis 15 Personen dort oben Essen konnten. Darüber wird in der Hohenloher Zeitung aus dem Jahre 1958 mit der Überschrift Sommernachtsfest auf der alten Linde berichtet:[9]

„Viele Wege führen nach Schöntal, dem Rom des Jagsttales. Ungezählte Besucher kommen jedes Jahr dahin, um das alte, ehemalige Kloster zu bestaunen. In solchen Zeiten, vornehmlich in den Sommermonaten, nehmen die Schöntaler Bürger die Gelegenheit gerne wahr, dem fremden Trubel für einige Stunden zu entfliehen. Auf stillem Wegen ziehen sie nach Neusaß um hier ein improvisiertes Fest im Hotel zum grünen Blatt zu feiern. In der Gastronomieliste wird ein Etablissement gleichen Namens zwar nirgends zu finden sein. Auch wird kein Alkohol oder ein sonstiges Frühlingswasser ausgeschenkt. Aber Revierförster Mainka kann manches Liedchen singen von den Sommernachtsfesten, die hier vor seiner Haustüre und über seinem Dach improvisiert werden, ohne Rücksicht auf Wetter und Wochentag. Denn hier steht eine 800 jährige Linde, schätzungsweise so alt wie das Kloster selbst. Auf die besagte Linde führt eine stabile Leiter hinauf, und droben harren etliche Bänke und ein Tisch der Besucher. Wind und Sturm und wohl auch mancher Blitzschlag haben den alten Baum gespalten und für eine Plattform Raum geschaffen, auf der sich im Schatten der Blätter besser sitzt als im schönsten Fernsichtcafe. Für die mitgebrachten Getränke muss ja auch kein Bedinungszuschlag entrichtet werden. Einr echt außergewöhnlicher Fall. Und weil alles außergewöhnlich an diesem Baum ist, angefangen an den Ästen, die so stark sind wie anderswo die Linden selbst, setzt die Dicke des Baumes den Besucher auch nicht mehr sonderlich in Erstaunen. 10 Kinder können mit ausgestreckten Armen den Stamm gerade noch umfassen. Wen es in nächster Zeit einmal nach Schöntal ziehen sollte, wird sicherlich nicht die günstige Gelegenheit verstreichen lassen, auch einmal die alte Linde in Neusaß hinaufzuklettern.“

Hohenloher Zeitung. 1958.

Im Jahre 1978 wurde die sichtbar altersschwach gewordene Linde vom Forstamt Schöntal, in Zusammenarbeit mit dem Landratsamt als Untere Naturschutzbehörde und der Bezirksstelle für Naturschutz und Landschaftspflege saniert.[10] Hierbei wurde die Plattform abgebaut und das faule Holz aus dem Stamminneren entfernt. Die so entstandenen Wunden wurden mit Holzschutzmitteln versorgt, um so einen Pilzbefall zu vermeiten. Einige Ästen wurden mit Drahtseilen verbunden, um so ein Auseinanderbrechen der Krone vorzubeugen. Über die Jahre gesehen genügte diese Maßnahmen nicht. Im Jahre 1989 wurde die Krone stark eingekürzt.[10] Daraufhin hat die Linde zahlreiche neue Äste gebildet und sich so stark belaubt, dass im Jahre 2001 erneut ein Teil der Äste entfernt werden mussten.[10] Dadurch konnte mehr Licht in das Innere der Krone eindringen und das Gewicht der Krone wurde reduziert. Im Jahre 2004 fand eine weitere Sanierung der Linde statt.[11] Das Forstrevier Niedernhall, welches seit kurzem im benachbarten Forsthaus ansässig ist, führten die Arbeiten durch. Die Kosten von 3000 Euro übernahmen das Land und das Forstamt.[11] Hierbei wurde aus Sichherheitsgründen die große Krone eingestutzt. Aufgrund der Einbringung von Stahlseilen bei der Sanierung im Jahre 1978 haben die tragenden Äste zu wenig Stützholz ausgebildet. Die Äste können sich nicht mehr selber halten. Da es droht, dass die Verankerungen aus den Ästen zu reißen, ist der Baum gefährdet. Die aufstrebenden Stämme sind von Fäule ausghöhlt und bilden kaum frisches Holz. Im Zuge der Sanierung wurde auch der Platz um die Linde für Kraftfahrzeuge gesperrt. Von den parkenden Autos wurden die Wurzeln beschädigt.[11]

Beschreibung

Der Stamm der Linde ist vollständig hohl. In verschiedenen Richtungen haben sich unterschiedlich große Öffnungen ausgebildet. Der Stamm ist auch nach oben hin teilweise geöffnet. Ursprünglich hat der Stamm wohl aus drei Linden bestanden, die mit der Zeit verwachsen sind. Zum Boden hin hat der Stamm einen ausgeprägten Stammfuß gebildet. In weniger als zwei Meter Höhe geht der erste Ast ab. Mehrere große Äste bilden die große Krone, die mit Seilen gesichert ist, der Linde. Die Linde ist etwa 22 Meter hoch bei einem Kronendurchmesser von etwa 25 Metern. Die erste Umfangsangabe stammt aus dem Schwäbischen Baumbuch aus dem Jahre 1911 mit 5,5 Meter Umfang. Der Umfang im Jahre 2002 betrug 8,3 Meter.[5] Im Mittel der letzten 90 Jahre hat die Linde um ein Zentimeter an Stärke zugenommen.[5] Das Deutsche Baumarchiv gab im Jahre 2000 an der Stelle des geringsten Durchmessers (Taille) einen Umfang von 8,23 und im Jahre 2002 in einem Meter Höhe von 8,38 Metern an.[1] Im Jahre 2012 betrug der Umfang an der Stelle des geringsten Durchmessers (Taille), welche auf 1,3 Meter Höhe liegt, wie der Höhe des sogenannten Brusthöhendurchmessers (BHD), 8,62 Meter. Das Alter wird teilweise mit 800 bis 1000 Jahren angegeben. Aufgrund des großen Dickenwachstums der letzten 100 Jahre ist dieses Alter nicht erklärbar, sondern liegt bei eher 350 bis höchstens 500 Jahre.[5] Das Deutsche Baumarchiv gibt für die Linde ein Alter von 300 bis 420 Jahren an.[1]

Marktfest

In der Umgebung der Linde fanden in früheren Jahren zweimal im Jahr ein über die Grenzen der Gemeinde hinaus bekannten und viel besuchten Markt statt. Noch heute lautet der Fluername neben der Linde, dem Zufahrtsweg entlang, Marktplatz. Der Markt wurde nicht in Regie der Gemeinde, da Neusaß und Schöntal erst seit 1834 einer angehören, durchgeführt.[12] Die Marktgerechtigkeit wurde direkt vom Königlichen Kameralamt, dessen Sitz in Schöntal war, an das Höchstgebot versteigert. Die Märkte fanden zweimal im Jahr, im Frühjahr und Spätsommer statt. Sie dauerten jeweils drei Tage. Der Markt soll schon seit der Gründung des Klosters Schöntal regelmäßig stattgefunden haben.[10] Dafür gibt es jedoch keine Beweise.[10] Der älteste schriftliche Hinweis findet sich im Jahre 1661 in der Schöntaler Chronik.[10] Laut Kameralamt soll es einen privilegierten Markt erst seit etwa 1650 gegegben haben.[10] Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts kam es zur Krise. Die Besucher wurden weniger, die Zahl der Pachtinteressenten sank, zwischen den Händlern gab es Streit um die Qualität des bereitgestellten Standmaterials. Im Jahre 1876 fand der letzte Markt statt.[13]

Einzelnachweise

  1. a b c Bernd Ullrich, Stefan Kühn, Uwe Kühn: Unsere 500 ältesten Bäume: Exklusiv aus dem Deutschen Baumarchiv. 2. neu bearbeitete Auflage. BLV Buchverlag GmbH & Co. KG, München 2012, ISBN 978-3-8354-0957-6, S. 226.
  2. Hellmut Vianni: Neusaß: Wallfahrtskirche, Forsthaus und Linde. S. 9.
  3. Hellmut Vianni: Neusaß: Wallfahrtskirche, Forsthaus und Linde. S. 10.
  4. Hellmut Vianni: Neusaß: Wallfahrtskirche, Forsthaus und Linde. S. 5.
  5. a b c d e f g Hellmut Vianni: Neusaß: Wallfahrtskirche, Forsthaus und Linde. S. 13.
  6. W. Kohlhammer: Beschreibung des Oberamts Künzelsau. Hrsg.: Königlich statistisch-topographischen Bureau. Johann Christian Dieterich, Stuttgart 1883, S. 817 (Online bei Wikisource).
  7. Friedrich Blumenstock: Der Einmarsch der Amerikaner und Franzosen im nördlichen Württemberg im April 1945. 1957, S. 85.
  8. Neusasser Linde. Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg, abgerufen am 3. Juni 2012.
  9. Hellmut Vianni: Neusaß: Wallfahrtskirche, Forsthaus und Linde. S. 14.
  10. a b c d e f g Hellmut Vianni: Neusaß: Wallfahrtskirche, Forsthaus und Linde. S. 15.
  11. a b c Susanne Hämmerle: Friseurtermin für die große Linde. Stimme.de, 7. Juli 2004, abgerufen am 3. Juni 2012.
  12. Hellmut Vianni: Neusaß: Wallfahrtskirche, Forsthaus und Linde. S. 16.
  13. Hellmut Vianni: Neusaß: Wallfahrtskirche, Forsthaus und Linde. S. 18.

Literatur

  • Hellmut Vianni: Neusaß: Wallfahrtskirche, Forsthaus und Linde.
  • Bernd Ullrich, Stefan Kühn, Uwe Kühn: Unsere 500 ältesten Bäume: Exklusiv aus dem Deutschen Baumarchiv. 2. neu bearbeitete Auflage. BLV Buchverlag GmbH & Co. KG, München 2012, ISBN 978-3-8354-0957-6.
  • Michel Brunner: Bedeutende Linden: 400 Baumriesen Deutschlands. Haupt Verlag AG, Bern/Stuttgart/Wien 2007, ISBN 978-3-258-07248-7.