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Wilhelm Tell

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Wilhelm Tell ist der Nationalheld der Schweiz, der um 1291 gelebt haben soll.

Gessler und Tell, Illustration von 1880

.

Entstehung einer Legende

Die geschichtliche Existenz Wilhelm Tells ist zwar nicht erwiesen, aber der Freiheitskämpfer und Tyrannenmörder war bereits in der mittelalterlichen Schweiz als mythische Gestalt lebendig, die auch in Theaterspielen auftrat. Der Chronist Aegidius Tschudi verdichtete um 1570 verschiedene überlieferte Versionen der Tell-Erzählung zu einer Sage, die dann vor allem durch die Dramatisierung Friedrich Schillers zunächst in Europa und später weltweit bekannt wurde.

Wilhelm Tell Denkmal in Altdorf um 1900

In Tschudis Tell-Legende lässt der habsburgische Landvogt Gessler zu Altdorf einen Hut auf eine Stange stecken und befiehlt den schweizerischen Untertanen, diesen jedesmal zu grüßen, wenn sie an ihm vorüber gehen. Wilhelm Tell, ein weitherum bekannter Armbrustschütze, verweigert den Gruß und der Vogt befiehlt ihm darauf, einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schießen. Sein Kind müsse andernfalls mit ihm sterben. Tell tut widerstrebend, wie ihm geheißen und trifft den Apfel. Als er aber auf die Frage nach dem Zweck des zweiten Pfeils, den er zu sich gesteckt hatte, antwortet, dass derselbe für den Vogt bestimmt gewesen sei, wenn er sein Kind getroffen hätte, befiehlt dieser, ihn gefesselt auf seine Burg nach Küssnacht zu überführen. Auf dem Vierwaldstättersee aber bringt ein Sturm das Schiff in Gefahr, und Tell wird seiner Fesseln entledigt, um dasselbe zu lenken. Geschickt steuert er es gegen das Ufer, wo der Axenberg sich erhebt, springt dort von Bord auf eine hervor ragende Felsplatte, welche noch heute Tellsplatte heißt, eilt darauf über das Gebirge nach Küssnacht, erwartet den Vogt in einem Hohlweg, Hohle Gasse genannt, und erschießt ihn aus sicherem Versteck mit der Armbrust.

Von Tells weiterem Leben wird nur berichtet, dass er 1315 in der Schlacht bei Morgarten mit gefochten und 1354 in dem Schächenbach beim Versuch der Rettung eines Kindes den Tod gefunden habe.

Nachdem schon der Freiburger Guillimann 1607, dann die Basler Christian und Isaak Iselin, der Berner Pfarrer Freudenberger 1752 sowie Voltaire ("Annales de l'Empire") die Geschichte Tells als Fabel bezeichnet hatten, wurde im 19. Jahrhundert durch die Forschungen Kopps u.a. in unzweifelhafter Weise aufgezeigt, dass dieselbe, wie überhaupt die gewöhnliche Tradition von der Befreiung der Waldstätte, einerseits im Widerspruch mit der urkundlich beglaubigten Geschichte steht, und dass sie anderseits in keinen zeitgenössischen oder der Zeit näher stehenden Quellen mit irgend einer Silbe erwähnt wird. Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts taucht die Tellsage auf, und zwar in mindestens zwei Versionen.

Quellenmäßig ist die Erzählung fassbar in einem um 1470 entstandenen Volkslied, sodann in der Luzerner Stadtchronik, die 1482 bis 1488 von Melchior Russ geschrieben wurde. Ruoss erblickt in Tell den Haupturheber der Befreiung und Stifter des gegen die habsburgische Herrschaft gerichteten Bundes der Eidgenossen. In einer anderen Version, im anonym verfassten in dem ebenfalls um 1470 geschriebenen anonymen Weißen Buch von Sarnen wird Tells Tat nur als isolierte Episode geschildert und die Initiative im Freiheitskampf vornehmlich der Gestalt des Werner Stauffacher zugeschrieben. Diese Version erscheint auch in der 1507 gedruckten Chronik des Luzernes Etterlin. Erst Tschudi hat die beiden Traditionsstränge zu einer Gesamtsage verwoben, die dann im Lauf der Jahrhunderte noch mancherlei Zusätze bekam und durch den Schweizer Historiker Johannes von Müller und Friedrich Schiller weltweit bekannt geworden ist.

Tellskapelle, Reproduktion eines Stiches in einer Tell-Ausgabe von 1914

Die so genannten Tellskapellen auf der Tellsplatte, in Bürglen und in der Hohlen Gasse stammen erst aus dem 16. Jahrhundert und sind zum Teil nachweislich zu Ehren von Kirchenheiligen gestiftet worden. In Uri ließ sich keine Familie Tell ermitteln; die Erkenntnisse der Urner Landsgemeinden von 1387 und 1388, welche Tells Existenz bezeugen sollten, sowie die den Namen "Tello" und "Täll" enthaltenden Totenregister und Jahrzeitbücher von Schaddorf und Attinghausen sind als Erdichtungen und Fälschungen nachgewiesen.

Der Autor Max Frisch verfasste eine eigene "Version", nämlich "Wilhelm Tell für die Schule", wo er sich unter anderem auf die dänische Sage bezieht.

Herkunft der Apfelschuss-Sage

Die Sage vom Apfelschuss ist ein uralter indogermanischer Mythos, der in anderem Gewand auch in der persischen, dänischen, norwegischen und isländischen Heldensage vorkommt. In letzterer wird der Held Eigil genannt, von dessen Sohn, König Orentel, Tell vielleicht den Namen erhalten hat. In der dänischen Variante heißt der Held Toko. In der Schweiz ist die offenbar schon vor 1400 im Volk verwuzelte Variante dieses Mythos von den Chronisten des 15. Jahrhunderts zur Ausschmückung der Befreiungssage übernommen worden.

Der Berner Pfarrer Freudiger (1738 bis 1743 Prediger am Inselspital in Bern, Pfarrer von Frutigen und 1747 bis 1752 in Ligerz) betätigte sich als Geschichtsforscher und stellte 1760 die These auf, dass es sich beim schweizerischen Wilhelm Tell um die Nachdichtung einer Episode aus den Gesta Danorum des dänischen Geschichtsschreibers Saxo Grammaticus (ca. 1140 bis 1220) handele. Aus Angst vor den Auswirkungen veröffentlichte er die Abhandlung anonym. Die Saga des Schützen Toko, im Dienste des dänischen Königs Harald Blauzahn (939-966), besagt, dass dieser prahlerische Schütze vom König gezwungen wurde, einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schießen und Toko den König als Rache während eines Liebesabenteuers erschoss. Gottlieb Emanuel Haller übersetzte die Abhandlung ins Franzöische und veröffentlichte sie wegen der Befürchtungen Freudigers unter seinem eigenen Namen.

Schillers Tell

Datei:Tell vorm Hut.jpg
Alter Stich

Das Schauspiel Wilhelm Tell wurde 1803-1804 von Friedrich Schiller geschrieben und am 17. März 1804 am Weimarer Hoftheater uraufgeführt.

Johann Wolfgang von Goethe hatte zwischen 1775 und 1795 mehrmals die Schweiz besucht und war von der Gegend um den Vierwaldstättersee und der Tellsage angetan. Goethe beschaffte sich auch Tschudis Schweizer Chronik und erwog, die Schweizer Befreiungssage dichterisch umzusetzen. Goethe machte Schiller mit der Sage bekannt und schilderte ihm seine Eindrücke von der Gegend. Schiller, welcher niemals in der Schweiz weilte, aber sich als Historiker gut zu unterrichten wusste, schrieb darauf das Tell-Drama in fünf Aufzügen und zeigte dabei eine bemerkenswert gute Ortskenntnis.

Schiller stellt in seiner Interpretation den Schritt Tells aus der Naivität heraus dar, in die er nach dem Tyrannenmord nicht wieder zurückkehren kann. Während Tell zu Anfang des Stückes intuitiv handelt und alles mit wortkargen Kurzstatements abzutun weiß, wird er im letzten Aufzug zu einer redegewandten, fast schon philosophischen Gestalt. Schon im 19. Jahrhundert wurde der fünfte Aufzug allerdings entweder stark gekürzt oder gar nicht gespielt, da gemäss der seit Ludwig Börne herrschenden Lesart Tell hier eine unzeitgemäße Auffassung von Natur und Freiheit zum Ausdruck bringt.

Im Dritten Reich wurde das Stück virtuos in die Nazi-Propaganda integriert. In den ersten Jahren wurde es als "Führerdrama" gepriesen und häufig aufgeführt. Die Hauptfiguren Tell und Werner Stauffacher wurden als ideale Führerpersönlichkeiten interpretiert, Tell-Zitate fanden sich in den meisten Lesebüchern. Schillers Motiv des gerechtfertigten Tyrannenmords scheint jedoch nach mehreren Attentaten auf Hitler (verübt u.a. von dem Schweizer Maurice Bavaud) zu einer völligen Abkehr der Nazis vom Tell geführt zu haben; die Änderung der Einstellung war so dramatisch, dass das Stück am 3. Juni 1941 auf Anweisung Hitlers verboten wurde.

1941 war auch das Jahr, in dem die Schweiz ihr 650jähriges Bestehen feierte. Im Rahmen dieser Feierlichkeiten wurde oft Bezug auf Wilhelm Tell und insbesondere Schillers Stück genommen; so führte die Tellspiel-Gesellschaft von Altdorf am 1. August die "Rütlischwur"-Szene auf dem Rütli auf. Es ist möglich, dass diese intensive Bezugnahme auf Schillers Tell als Darstellung eines Schweizervolks, das seine Freiheit und Unabhängigkeit erkämpft, mit dazu beitrug, dass er in Deutschland so plötzlich unerwünscht war.

2004 wurde das Stück zu seinem 200-Jahr-Jubiläum erstmals auf dem Rütli aufgeführt und zwar vom Deutschen Nationaltheater Weimar.

Der Originaltext ist frei verfügbar bei DigBib.Org.

Rossinis Oper

1829 komponierte Gioacchino Rossini die Oper Guillaume Tell. Die Tell-Ouvertüre daraus wurde weltbekannt (Hörprobe).

"Maskottchen" des frühen schweizerischen Nationalstaates

Wer nicht an die geschichtliche Existenz des Freiheitskämpfers Tells glaubte, galt in der Schweiz des 19. Jahrhunderts schon fast als Vaterlandsverräter: In der Eidgenossenschaft gehörte diese Optik zum Widerstand der "Konservativen" gegen die wirtschaftsliberale Staatsauffassung, welche zumindest teilweise auf den Ideen der Französischen Revolution von 1789 fusste. Als um 1830 der liberale Luzerner Historiker Kopp es wagte, die auf Schillers Tell basierenden patriotischen Deutungen in Zweifel zu ziehen, geschah auf dem Rütli ein weiteres "Attentat": eine Kopp darstellende Puppe wurde verbrannt.

Dass sich bei der Gestaltung des schweizerischen Bundesstaates von 1848 die liberalen Kräfte durchsetzten, bedeutete jedoch keineswegs das Ende der Tell-Verehrung. 1848 wurde nämlich Tell - neben Helvetia - offiziell als nationales Freiheitssymbol der jungen Schweiz eingeführt. Anlässlich der Feiern "600 Jahre Eidgenossenschaft" 1891 wurde Tell endgültig zum Symbol der nationalen Identität erhoben. So trug der von Schiller geschaffene Zentralschweizer Heldenmythos schließlich zur Versöhnung der "Liberalen" mit den "Konservativen" bei.

Siehe auch

Vorlage:WerkeSchiller