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Massenanfall von Verletzten

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Massenanfall von Verletzten und Erkrankten (MANV) bezeichnet eine Situation, bei der mit einer großen Zahl von Notfallpatienten zu rechnen ist. Diese Situation tritt zum Beispiel bei Eisenbahnunglücken, Bombenattentaten, Lebensmittelvergiftungen oder Flugzeugabstürzen ein. Dabei stößt der reguläre Rettungsdienst einer Region sehr schnell an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit - vgl. dazu Triage.

Bei einem Massenanfall von Verletzten wird versucht, die verschiedenen Rettungskräfte nach einem einheitlichen Schema in den Einsatz einzubinden und eine organisierte Struktur am Einsatzort aufzubauen. Hierzu werden in der Nähe der Unglücksstelle Verletztenablagen, Sammelstellen für Unverletzte, Behandlungsplätze für Verletzte/Erkrankte, Bereitstellungsraum für Rettungsmittel usw. errichtet. Diese wichtigen organisatorischen Maßnahmen müssen bereits von den ersteintreffenden Rettungskräften begonnen werden, typischerweise führt das zum Interessenskonflikt mit der Behandlung von Patienten. Deshalb wird so schnell wie möglich eine erweiterte Führungsstruktur geschaffen, in der Einsatzleiter (Organisatorischer Leiter, Leitender Notarzt und Hilfskräfte) die Aufgaben der Koordination übernehmen. Zusätzlich werden Verstärkungskräfte herangeführt.

Nicht als MANV wird gewertet, wenn es sich um einen Spitzenbedarf handelt, bei dem zufällig mehrere Notfälle gleichzeitig auftreten oder wenn für einzelne Notfälle Spezialmaterial (Schutzausrüstung, technische Hilfe) notwendig ist, das ggf. auch weiter herangeführt werden muß.

MANV-Stufen

Die Größenordnung eines MANV hängt von der Anzahl der Betroffenen, von den örtlichen Möglichkeiten bzw. der Notwendigkeit spezieller Ressourcen und vom betroffenen Gebiet ab.

Demnach kann man einen MANV in folgende Stufen einteilen (Quelle: "Schutzdatenatlas der Bundesrepublik Deutschland", Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe):

Stufe 1

Der MANV Stufe 1 kann mit eigenen Verstärkungskräften (Schnelleinsatzgruppen) und Hilfe aus benachbarten Rettungsdienstbereichen abgearbeitet werden. Als Anzahl der Betroffenen wird dabei etwa bis zu 50 Personen angenommen.

Stufe 2

Bei der MANV-Stufe 2 sind überregionale Ressourcen notwendig, die weit über die übliche nachbarschaftliche Hilfe hinausgehen. Die Betroffenenanzahl wird hierbei auf ca. 50-500 Personen geschätzt.

Hierzu wurde der Begriff ÜMANV geprägt (Ü = "Überregionale Hilfe").

ÜMANV

Es gibt verschiedene Untergruppen unter denen dann überregionale Hilfe angefordert werden kann.

ÜMANV - S Sofort hier werden zwei Rettungsmittel und ein NEF angefordert
ÜMANV - T Transport hier wird eine Transportkapazität von 16 Liegendtransporten angefordert
ÜMANV - B Behandlungsplatz hier wird ein eigenständig betriebsfähiger Behandlungsplatz für 50 Patienten angefordert

Dieses Konzept ist in Hessen und Nordrhein-Westfalen verbreitet. Andere Bundesländer haben abweichende oder gar keine entsprechenden Detailregelungen.

Stufe 3

Die MANV-Stufe 3 erfordert bereits länderübergreifende und internationale Hilfe. Das ist bei einer Betroffenenanzahl von mehr als 500 Personen der Fall.

Stufe 4

Die höchste MANV-Stufe 4 ist gekennzeichnet durch zerstörte Infrastruktur, die trotz massiver externer Hilfe die Bewältigung erheblich erschwert.

Ablauforganisation

Triagepunkt / Triageplatz

Die Patienten werden von Ersthelfern und Rettungskräften an den Triagepunkt möglichst außerhalb des unmittelbaren Gefahrengebietes abgelegt. Hier wird vom Leitendenden Notarzt die Triage durchgeführt und die Patienten werden nach verschiedenen Behandlungsprioritäten eingeteilt.

Der Rettungsdienst/Sanitätsdienst übernimmt dort die Patienten und bringt sie auf zu den Behamdlungsplätzen.

Die DIN 13050 definiert die Patientenablage als Verletztenablage folgendermaßen: Eine Stelle an der Grenze des Gefahrenbereiches, an der Verletzte oder Erkankte gesammelt und soweit möglich erstversorgt werden. Dort werden sie dem Rettungs-/Sanitätsdienst zum Transport an einen Behandlungsplatz oder weiterführende medizinische Versorgungseinrichtungen übergeben.

Behandlungsplatz

Wenn nicht ausreichend Rettungsmittel bereit stehen oder noch weitere Maßnahmen durchgeführt werden müssen, wird ein zentraler Behandlungsplatz eingerichtet.

Transport

Nach der notfallmedizinischen Versorgung und der Herstellung der Transportstabilität werden die Patienten in Krankenhäuser transportiert.

(Hilfs-)Krankenhaus

Die Patienten werden möglichst sinnvoll auf Krankenhäuser verteilt. Das bedeutet, dass geeignete Versorgungsmöglichkeiten ausgewählt werden (z.B. Schwerverletzte in Schwerpunktkliniken und Traumazentren) und einzelne Krankenhhäuser nicht überlastet werden. Es ist üblich, dass sich Krankenhäuser mit einem internen Ablaufschema auf die erhöhte Anzahl an Patienten einstellen und möglichst schnell Kapazitäten frei machen (z.B. durch den Stop nicht unbedingt notwendiger Operationen und Alarmierung von dienstfreiem Personal).

Falls es notwendig ist, müssen sogar Hilfskrankenhäuser errichtet werden, zum Beispiel wenn Fahrtwege nicht benutzbar sind oder reguläre Krankenhäuser keine Patienten mehr aufnehmen können.

Bereitstellung von Rettungsmitteln

KTW- und RTW-Bereitstellungsraum bei einer ManV-Übung

Im Bereitstellungsraum (auch genannt: Krankenkraftwagen-Halteplatz (KKWHP)) stehen (möglichst geordnet) die zum Abtransport der Patienten benötigten Rettungsmittel (RTW, KTW, NAW usw., auch Mannschaftswagen und Busse) und nehmen nach Anforderung durch den Transportkoordinator die Betroffenen auf. Ein besonderer Bereitstellungsraum ist der Hubschrauberlandeplatz. Der Bereitstellungsraum ist aber nicht mit dem Rettungsmittelhalteplatz zu verwechseln; während der Bereitstellungsraum durchaus in einiger Entfernung zum Einsatzgebiet oder gar zum Behandlungsplatz liegen kann, liegt der Rettungsmittelhalteplatz direkt am Behandlungsplatz, um dort die zu transportierenden Patienten in die dafür bereitstehenden Fahrzeuge zu schaffen.

Betreuung und Versorgung Unverletzter

Neben dem Massenanfall an Verletzten und Erkrankten ist auch mit einem hohen Aufkommen an Unverletzten zu rechnen. Diese werden vom Betreuungsdienst gesammelt und in Notunterkünften untergebracht bzw. zu anderen Unterkünften oder Angehörigen weitergeleitet.

Literatur

  • H.Peter: "Notarzt und Rettungsassistent beim MANV - Aufgaben des zuerst eintreffenden Rettungsteams", 3. Auflage 2001, Stumpf und Kossendey-Verlag, Edewecht, ISBN 3-932750-61-6
  • J.Bittger: "Großunfälle und Katastrophen - Einsatztaktik und -organisation", 1996, Schattauer-Verlag, Stuttgart, ISBN 3-7945-1712-1