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Orgasmus

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Der Orgasmus (lat. Climax) ist der Höhepunkt der Lustempfindung beim Geschlechtsverkehr, beim Masturbieren oder bei anderen sexuellen Handlungen in Zusammenhang mit unwillkürlichen Muskelkontraktionen im Bereich der weiblichen und männlichen Geschlechtsorgane.

Oft versteht man den Orgasmus als Abschluss des Koitus, aber er kann auch durch andere Sexualpraktiken erreicht werden. Viele Menschen, insbesondere die meisten Frauen, kommen durch den bloßen Genitalverkehr nicht zum Orgasmus.

Der erotische Höhepunkt in Literatur, Kunst und Kultur

Eine französische Umschreibung für den Orgasmus ist "la petite mort", der kleine Tod.

Die folgende Beschreibung des Orgasmus stammt von Felix Roubaud (1855):

Climax
Foto: Julica da Costa
Beim Orgasmus beschleunigt sich der Blutkreislauf ... Die blutunterlaufenen Augen werden trüb ... Die Atmung geht bei den einen keuchend und stoßweise, bei den anderen setzt sie aus ... Die gestauten Nervenzentren übermitteln nur noch unklare Empfindungen und Willenimpulse ... Die Gliedmaßen, von konvulsivischen Zuckungen und mitunter Krämpfen erfasst, bewegen sich nach allen Richtungen oder erschlaffen und werden hart wie Eisen; die aufeinander gepressten Kiefer lassen die Zähne knirschen, und manche Menschen erleben das erotische Delirium so stark, dass sie den Genossen ihrer Wollust vergessen und eine unvorsichtigerweise dargebotene Schulter bis aufs Blut beißen.

(Zitiert nach Philippe Ariès und Georges Duby: Geschichte des privaten Lebens, Frankfurt 1989, Band 5, S. 310.)

Evolutionärer Hintergrund und anthropologische Theorien

Es ist ungeklärt, wann und warum das mit dem Geschlechtsakt verbundene Glücksgefühl entstanden ist. Sicher ist nur, dass es ein im wesentlichen zentral-nervöser Vorgang bzw. eine Folge von bestimmten Gehirnleistungen ist. Daher kann man den Orgasmus aus biologischer Sicht deutlich von der Ejakulation, der Fortpflanzung, dem Eisprung und anderen körperlichen Veränderungen unterscheiden.

Ob ein sexueller Höhepunkt auch bei Tieren stattfindet, lässt sich wegen der Schwierigkeiten, ihn zu beobachten und nachzuweisen, nicht eindeutig beantworten. Für viele Tierarten könnte sich eine derartige neurologische Abwesenheit gegenüber potenziellen Fressfeinden nachteilig auswirken. Bei Weibchen der Katzenartigen, die üblicherweise keine Fressfeinde haben, löst ein Reflex während der Begattung den Eisprung aus, sie reagieren auf diesen Vorgang oft lautstark. Es ist aber strittig, ob es sich dabei um ein dem menschlichen Orgasmus vergleichbares Phänomen handelt. Aber auch bei bestimmten Primaten wird vereinzelt über Beobachtungen berichtet, die auf die Existenz eines sexuellen Höhepunktes bei ihnen schließen lassen.

DNS-selektive Funktionen des Orgasmus

Es gibt Frauen, die zu mehreren Orgasmen in Folge fähig sind, welche dann ohne Erholungspausen als sogenannter multipler Orgasmus auftreten können. Über diese Erscheinungsform gibt es biologisch-anthropologische Erklärungsversuche, wonach sich die vorzeitliche Frau von mehreren Männchen in rascher Folge begatten ließ, wobei nur das Männchen mit dem qualitativ und quantitativ befruchtungsfähigsten Sperma die Fortpflanzung erreicht habe. Neuere Untersuchungen versuchen das zu belegen, indem sie wahre „Spermienkriege“ im Unterleib der Frau nachweisen: in einer britischen Studie wurde beobachtet und dokumentiert, wie sich die Samenfäden verschiedener Männer regelrecht „auffraßen“.

Gegen solche Auslegungen spricht die Homogenität des äußeren Aufbaus von Spermien verschiedener Individuen und Arten. Wären Spermien für den Konkurrenzkampf untereinander gerüstet, hätten sich vermutlich im Laufe der Evolution der Erfahrung nach spezialisierte Organe oder molekularbiologische Einrichtungen eingestellt, die das Spermium dahingehend optimieren. Zudem dürfte das Phänomen bei monogamen Arten, bei denen in der Regel keine Konkurrenz fremder Spermien zu erwarten ist, nicht auftreten. Daher wären vergleichende Studien bei Tieren interessant. Zieht man die Befruchtungsfunktion der Spermien in Betracht, ist eine andere Auslegung des Phänomens naheliegender: Die Spermien versuchen sich gegenseitig zu befruchten, was aber ihre gegenseitige Zerstörung zur Folge hat. Während der Maiglöckchenduft, dem das Spermium bei der Befruchtung offenbar folgt, speziell als eine der pheromonialen Fernerkundung dienliche Eigenschaft verstanden werden kann, kommen im Nahbereich verstärkt andere Selektionskriterien für die angestrebte Gametenfusion zum Tragen. Dieser Umstand könnte ein Hinweis darauf sein, dass hier lediglich die Begegnung der Gameten mit einem fremden haploiden Genom die Befruchtungsreaktion auslöst.

Die Partnerschafts-selektive Eigenschaft des Orgasmus

Der längeren Vorlaufzeit des Orgasmus bei den meisten Frauen wird u.A. folgende anthropologisch gedeutete Funktion zugesprochen: Indem sich der Mann um die sexuelle Befriedigung der Frau bemüht und seine eigene zeitweilig zurückstellt, beweist er wichtige Eigenschaften wie Empathie, Leistungsbereitschaft und Geduld, die für eine stabile Partnerschaft und die Aufzucht des Nachwuchses von Bedeutung sind.

Die verschiedenen Stimulationsmöglichkeiten, mit denen sich ein Orgasmus erreichen lässt, und die damit verbundenen Möglichkeiten, den Höhepunkt zu erleben, ihn sogar zu gestalten, fordern zudem eine weitere wichtige typisch menschliche Eigenschaft heraus: die Kreativität. Sie ermöglicht den Menschen hier vielfältige und intensivierte orgastische Erlebnismöglichkeiten, die eine partnerschaftliche Bindung fördern, weil sie Vertrauen und Empathie voraussetzen und verstärken. Zusätzlich unterstützt wird dies durch eine mit dem positiven Erleben verbundene psychologische Prägung auf den Partner. Aus evolutionsbiologischer Sicht ist der Orgasmus daher Teil einer entwicklungsrelevanten Auslese, mit der die Kreativität als eine kognitive und empathische Leistung schon frühzeitig mit der Partnerbindung belohnt wurde, was wiederholte Paarungen und die genetische Reproduktion begünstigte.

Andererseits ermöglicht die Kreativität bei der Erlangung sexueller Höhepunkte die Loslösung vom bloßen Akt der genetischen Reproduktion und eröffnet andere, nicht ursächlich der Fortpflanzung dienende, Sexualpraktiken und alternative Formen der Partnerschaft, z. B. gleichgeschlechtliche Beziehungen.

Die Sicht der Evolutionsbiologie

Evolutionsbiologen fragen nicht nach den aktuellen, für die handelnden Individuen bedeutsamen Motiven und Ursachen, sondern nach den stammesgeschichtlichen Wurzeln des Handelns. Sie unterscheiden zwischen proximaten und ultimaten Ursachen von Verhalten.

Evolutionsbiologen führen stammesgeschichtlich aufzeigbare Neuerwerbungen darauf zurück, dass sie den Überlebenswert und die Reproduktionsrate der betreffenden Art erhöhen. Im Falle des Orgasmus ist es der Steigerung der Reproduktionsrate sehr förderlich, wenn Mann und Frau sexuelle Interaktionen wegen der damit verbundenenen äußerst angenehmen Gefühlszustände häufig und gern wiederholen.

Die Argumentation der Evolutionsbiologen stimmt also mit der heutigen gesellschaftlich populären Anschauung überein, dass Sex um seiner selbst willen praktiziert werde. Gleichwohl argumentieren sie, dass es über Jahrtausende durch Selektion zu dieser Veränderung kam und es sich um genetisch beeinflusste Verhaltens- und Erlebnisweisen handelt.

Die Orgasmusfähigkeit von Mann und Frau trägt - stammesgeschichtlich betrachtet - wesentlich zur Arterhaltung bei, weil in einer gefestigten Partnerschaft sowohl der Nachwuchs besser versorgt als auch der Geschlechtsverkehr relativ umstandlos herbeigeführt werden konnte. (Vergl. Partnerschafts-selektive Eigenschaft des Orgasmus)

Dieser evolutionsbiologischen Argumentationskette folgend interpretieren Sexualwissenschaftler auch die verschiedenen Formen homosexueller Beziehungen als Folge der ursächlich den Fortbestand der Art förderlichen Partnerbindung, die sich dann von der starren Festlegung auf gegengeschlechtliche Partner gelöst habe.

Wissenschaftliche Forschungen und Erkenntnisse im Verlauf der Zeiten

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts

Da die Scheidenwand fast keine Nerven aufweist, erleben die meisten Frauen den Orgasmus nur, wenn bestimmte erotische Zentren stimuliert werden, z.B. die Klitoris, der G-Punkt, A-Punkt oder andere - Frauen haben bei der Stimulation individuelle Vorlieben und reagieren darauf jeweils sehr unterschiedlich. Aus diesem Grund nahmen Wissenschaftler lange an, dass Frauen grundsätzlich nicht orgasmusfähig seien. (Vergl. Kapitel Orgasmus und Rollenklischees)

Zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts

Veränderte Moralansprüche, die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges, der schwindende Einfluss der Kirchen und bessere wissenschaftliche Untersuchungs- und Forschungsmethoden haben es den Forschern ermöglicht, Licht in das Dunkel des Orgasmus zu bringen:

  • In den 50er Jahren entdeckte der Gynäkologe Ernst Gräfenstein ein Lustzentrum der Frau, den nach ihm benannten G-Punkt.
  • Wenig später machte der Zoologe und Sexualforscher Alfred Charles Kinsey bahnbrechende Entdeckungen im Bereich der weiblichen Lust.
  • Masters und Johnson untersuchten in den 1960er Jahren den menschlichen sexuellen Reaktionszyklus und den dabei ablaufenden Orgasmus aus wissenschaftlicher Sicht. Dabei sollten die Versuchspersonen ihren Koitus und die Stimulation bis zum Orgasmus unter Laborbedingungen durchführen. Sie untersuchten primär die sexuellen Reaktionen von Menschen, die ein außergewöhnlich hohes sexuelles Interesse hatten. Es entstand eine Idealkurve, die allerdings eher für sexuelle Hochleistungssportler als für die Durchschnittsbevölkerung repräsentativ war. Masters und Johnson gingen vom ständigen Vorhandensein eines sexuellen Triebes aus, der lediglich einer effektiven Stimulation bedarf, um einen Orgasmus zu produzieren. Spätere Wissenschaftler warfen ihnen vor, die Sexualität auf das Erreichen des Orgasmus zu reduzieren.

Neueste Erkenntnisse des 21. Jahrhunderts

In New Scientist vom 11. Juni 2005 wurde eine Studie an insgesamt knapp 1400 eineiigen und zweieiigen weiblichen Zwillingspaaren vorgestellt. Die Frauen im Alter von 19 bis 83 Jahren wurden u. a. befragt, ob sie beim Masturbieren und beim Geschlechtsverkehr zum Orgasmus kommen.

Nur 14 Prozent der Befragten gaben an, beim Geschlechtsverkehr immer, hingegen 16 Prozent, dabei nie zum Orgasmus zu kommen; 32 Prozent sagten, dass sie auf diese Weise nicht häufiger als jedes vierte Mal einen Orgasmus erlebten. Beim Masturbieren kommen der Studie zufolge 34 Prozent der befragten Frauen immer zum Orgasmus, 14 Prozent nie.

Aufgrund des Studienansatzes mit ein- und zweieiigen Zwillingen und den festgestellten Parallelen schlussfolgern die Forscher um Tim Spector, St. Thomas' Hospital, London, dass die Erbanlagen einen erheblichen Einfluss auf die Orgasmusfähigkeit von Frauen haben. Hierfür spreche besonders, dass beim Onanieren zwar der externe Faktor – ein Mann oder eine andere Frau – entfalle, gleichwohl aber eine deutliche Korrelation zwischen sexuellem Erleben und verwandtschaftlicher Nähe nachweisbar sei. Die Forscher wiesen darauf hin, dass die verbreitete Erwartungshaltung und die damit verbundene Definition von „Normalität“, dass Frauen einen Orgasmus haben müssen, nicht haltbar sei; man könne nicht jede fünfte Frau als „abnorm“ bezeichnen.

Biologische Mechanismen

Während der Orgasmusphase haben idealerweise beide Partner bzw. der Masturbierende eine sehr lustvolle Empfindung mit anschließender wohltuender Lösung der sexuellen Spannung.

Die heute noch gültige Einteilung des sexuellen Reaktionszyklus (siehe dort) stammt von den amerikanischen Forschern Masters und Johnson aus den 60er Jahren.

Die Zahl von Orgasmen, die ein gesunder Mensch erleben kann, ist unbegrenzt. Der speziell auf die Ejakulation bezogene Spruch „Nach 1.000 Schuss ist Schluss“ ist Unsinn; Sperma wird normalerweise ab der Pubertät ein Leben lang gebildet. Eine regelmäßige sexuelle Befriedigung ist beim Mann sogar aus medizinischer Sicht zur Vorbeugung von Prostatabeschwerden sinnvoll. Die Ejakulation von befruchtungsfähigem Sperma ist keine Voraussetzung für den Orgasmus, was u.a. bei einer Sterilisation von Belang ist. Die Spermien stellen einen ausschließlich unter Laborbedingungen messbaren und subjektiv nicht feststellbaren Mengenanteil des Ejakulats dar, der sich von Mann zu Mann und von mal zu mal erheblich unterscheiden kann.

Auch Frauen können ein klares Sekret aus dem G-Punkt-Drüsenzentrum ausscheiden, dem wegen der unterstützenden Eigenschaften auf das Ejakulat des Mannes eine besondere Bedeutung zugeschrieben wird: Wenn das männliche Ejakulat zu dickflüssig ist oder zu wenig beträgt, und die Bewegungsmöglichkeit der Spermien deshalb eingeschränkt ist, kann die Frau diesen Mangel durch ihr Ejakulat ausgleichen. Außerdem beeinflusst das weibliche Ejakulat das Basen-Säuren-Verhältnis in der Vagina günstig: Die Vaginalflora hat normalerweise einen sauren pH-Wert, Spermien aber brauchen eine alkalische Umgebung. Das weibliche Ejakulat ist leicht basisch und erhöht deshalb dort für eine kurze Zeit den pH-Wert, so dass die Spermien während der befruchtungsfähigen Phase der Frau ungehindert in die Gebärmutter gelangen können. Ebenfalls unterstützend wirken hier die mit dem Orgasmus einhergehenden Muskelkontraktionen, bei denen der Gebärmuttermund rhythmisch und mit peristaltischen Bewegungen in die Samenflüssigkeit eintaucht.

Der Orgasmus in Gesellschaft und Kultur

"Orgasmuspotenz" und Formen des Orgasmus

Wegen der hohen Priorität, die auch heute noch dem Vaginalverkehr und dem Orgasmus als ultimes Ziel des sexuellen Aktes beigemessen wird, fühlen sich einige Frauen, die noch nie einen koitalen Orgasmus erlebt haben, als sexuell minderwertig. Manche spielen deshalb ihrem Partner einen Orgasmus vor (siehe auch Orgasmuslüge) – mitunter auch aus dem Grund, um das Selbstbewusstsein des Mannes zu stärken und ihn seinerseits nicht als "Versager" dastehen zu lassen. Andere wiederum fühlen sich durch leistungsbetonte und daher angestrengte Bemühungen des Partners unter Druck gesetzt. Zuweilen setzen Frauen dann einen vorgetäuschten Orgasmus ein, um die für Beide angestrengende Interaktion zu entspannen. Männer wie Frauen fühlen sich häufig im Leistungssinne zum weiblichen Orgasmus verpflichtet. Diese oft unbewusste Haltung ist jedoch dem Erleben eines Orgasmus abträglich und erheblich störend für ein ungezwungenes Empfinden der Zweisamkeit und für die natürliche Neugier, Kreativität und Freude, die dem Spiel innewohnt (daher Liebesspiel).

Die Orgasmusfähigkeit von Frauen nimmt mit zunehmendem Lebensalter und zunehmender sexueller Erfahrung zu, u.A. weil Frauen mit der Zeit mehr und mehr lernen, durch welche Stimulationen sie am besten zum Orgasmus kommen und an Selbstbewusstsein gewinnen, wodurch sie ihre sexuellen Wünsche besser vertreten können. Auch tritt die weibliche Vorsteherdrüse (prostata feminina oder Gräfenberg-Zone, kurz G-Punkt) mit zunehmendem Alter und mit zunehmender Reizung mehr und mehr aus dem umliegenden Vaginal-Gewebe hervor, was bei der vaginalen Stimulation einen Zugewinn an sexuellem Lustempfinden bedeutet und manchen Frauen sogar einen vaginalen Orgasmus beschert. Besonders nach der ersten (Vaginal-)Geburt bestätigen viele Frauen eine Zunahme des sexuellen Genusses.

Ähnlich der Zunahme des sexuellen Selbstbewusstseins der Frau und der zunehmenden Entwicklung ihrer Orgasmusfähigkeit, lernen Männer nach und nach, ihren Orgasmus und die Ejakulation besser zu kontrollieren. Hierbei entwickeln sie mit zunehmender Erfahrung vor allem die Fähigkeit, willentlich den Orgasmus hinauszuzögern, was oft beidseitig größeren Genuss ermöglicht.

Die meisten Männer können beim Vaginalverkehr einen Orgasmus erleben, sie brauchen allerdings in der Regel eine längere Erholungsphase als Frauen, um die sexuelle Spannung für einen weiteren Orgasmus erneut aufzubauen (vergl. sexueller Reaktionszyklus), während manche Frauen sogar zu multiplen Orgasmen fähig sind. Durch ein gezieltes Training des PC-Muskels gelingt es jedoch auch einigen Männern, die Fähigkeit zu entwickeln, mehrere Orgasmen hintereinander zu erleben - allerdings mit kurzen Erholungspausen dazwischen, die von Höhepunkt zu Höhepunkt länger werden. Die Menge des Ejakulats nimmt dabei von Mal zu Mal ab, weil die Hoden eine gewisse Zeit brauchen, um erneut Samenfäden und Samenflüssigkeit zu produzieren. Ähnlich wie beim weiblichen G-Punkt können manche Männer durch die (rektale) Massage der Prostata einen Orgasmus erleben, der sich in der Art des Erlebens von einem Orgasmus, der durch die Reizung des Penis hervorgerufen wird, unterscheidet. Dieser Effekt wird in der Literatur mit dem vaginalen Orgasmus verglichen und kann bei den betreffenden Männern meist erst im fortgeschrittenen Lebensalter erzielt werden.

Einen oft größeren sexuellen Genuss und einen intensiveren Höhepunkt als die oben geschilderte leistungsbetonte Orgasmusjagd bewirkt ein bewusstes Hinauszögern des Orgasmus durch wiederholte Unterbrechung der Stimulation, sobald ein relativ hohes Erregungsniveau erreicht ist. Letzteres findet auch Ausdruck in den Sexualtechniken des buddhistischen Tantras, wobei der Orgasmus sich hier nicht in einer explosiven Entladung der sexuellen Energien äußert, sondern mittels bestimmter Atemtechniken in andere Energieformen transformiert wird, die sich in einem ganzkörperlichen und lang anhaltenden Zustand hoher Ekstase äußern. Im Buddhismus steht hierbei jedoch nicht die Maximierung der eigenen Erlebnistiefe im Mittelpunkt. Diese ist lediglich ein Nebenprodukt der als spirituell angesehenen Handlung. Ziel ist dabei nach traditioneller Auffassung vielmehr, eine Nähe zu den Göttern, insbesondere der Doppelgottheit Shiva/Shakti herzustellen und durch das orgastische Erleben einer Auflösung der Ichgrenzen, zu dieser zu werden. Diese Bereitschaft zur Selbstaufgabe wiederum begünstigt hierbei vermutlich eine erhöhte Erlebnistiefe.

Wie häufig und durch welche Stimulationen ein Mensch Orgasmen erleben kann, sagt wenig über seine sexuelle Genussfähigkeit aus. Sie hängt vielmehr von der Tiefe seiner Hingabe, seiner Fähigkeit zur Überwindung der Selbstkontrolle und seinem Selbstwertgefühl ab.

Die Orgasmus-Lüge

Wegen des hohen Wertes, der dem Erreichen eines Orgasmus beim heterosexuellen Geschlechtsverkehr beigemessen wird (vergl. Orgasmuspotenz und Formen des Orgasmus), kommt es häufig dazu, dass vorrangig Frauen - nach neueren Untersuchungen aber auch etliche Männer - ihren Sexualpartnern Orgasmen vortäuschen. Nur 20 Prozent der deutschen Frauen und 41 Prozent der deutschen Männer haben nach einer Emnid-Umfrage im Auftrag der Frauenzeitschrift Marie Claire ihrem Partner noch nie einen Orgasmus vorgetäuscht. 54 Prozent der Interviewten fanden, dass Sex auch ohne Orgasmus befriedigend sein könne, jeder zweite Befragte meinte, dass der Orgasmus generell viel zu wichtig genommen werde. Für 28 Prozent der Frauen und 42 Prozent der Männer sei er das Schönste am Sex.

Die Gründe der männlichen Orgasmuslüge sind ähnlich den weiblichen - es werden Leistungsdruck und Erwartungshaltungen der Partnerin angegeben. Auch ist zuweilen der Wunsch nach Entspannung größer als der sexuelle Trieb und durch das Orgasmus-Vortäuschen wird der Druck einer vermeintichen Rechtfertigung gegenüber der Partnerin verhindert.

Neben heterosexuellen Männern täuschen auch sogenannte Stricher und Callboys, die sich auf homosexuellen Kontakt spezialisiert haben, zuweilen einen Orgasmus vor. Bei weiblichen Prostituierten gehört das glaubhafte Vortäuschen eines Orgasmus zum Standardrepertoire.

Orgasmus und Rollenklischees

Die Enttäuschung, beim Sex mit dem Partner keinen Orgasmus zu erreichen, scheint laut Umfragen bei Frauen geringer zu sein als bei Männern - das legt die Vermutung nahe, dass Frauen stärker als Männer zwischen Orgasmus und sexueller Befriedigung unterscheiden. Zahlreiche Umfragen und Untersuchungen bestätigen, dass viele Frauen die intensivsten Orgasmen bei der Masturbation erleben, aber trotzdem mit ihrem Sexualleben in der Partnerschaft zufrieden sind. Hierbei stützen sich die zugrundeliegenden Untersuchungen vorrangig auf die Aussagen von Heterosexuellen. Möglicherweise sind die Gründe dieser selbstverständlichen Hinnahme vielmehr in der veralteten Rollenverteilung der Geschlechter und in tradierten sexuellen Vorstellungen zu finden. Demnach sollten oder brauchten Frauen keinen Spaß an der körperlichen Liebe haben, was unterbewusst bis heute nachwirkt (vergl. Abschnitt weiter unten). Umfragen bei homosexuellen Frauen haben ergeben, dass sie häufiger Orgasmen erleben, und dass zudem der Orgasmus selbstverständlicher zum Liebesspiel dazugehört, als es bei Frauen mit heterosexuellen Kontakten der Fall ist. Diese Aussagen unterstützen die These der unbewussten Rollenkonformität.

Erst in der neueren Zeit wurde die Frage des Rechtes der Frau auf ihre eigene Sexualität von der feministischen Bewegung neu definiert. In den 50er Jahren erfasste und erforschte der weltberühmte Zoologe und Sexualforscher Kinsey in seinem Buch Das geheime Leben der Frauen das Thema und machte es zum Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung. Bis dahin war der weibliche Orgasmus ein Mythos, wenn nicht sogar ein Tabu.

Bis ins 20. Jahrhundert war der weibliche Orgasmus offiziell unbekannt. Dennoch war etwa ab dem 15. Jahrhundert die manuelle Auslösung einer sogenannten Hysterischen Krise, dem damaligen verkennenden Synonym für den weiblichen Orgasmus, abgeleitet von griechisch hystera: Gebärmutter, gängige ärztliche Behandlungsmethode bei "hysterischen Beschwerden", worunter man damals z.B. nervöse Kopfschmerzen und "allgemeine Unleidlichkeit" verstand. Im 19. Jahrhundert starb diese populäre Behandlungsmethode nach und nach aus, weil spezielle Geräte für die häusliche Selbstbehandlung aufkamen: Vibratoren, die heute ganz offiziell als Sexspielzeug gelten.

Literatur

zum Kapitel Orgasmus und Rollenklischees:

  • Rachel P. Maines: The Technology of Orgasm: Hysteria, the Vibrator, and Women's Sexual Satisfaction, Johns Hopkins University Press, ISBN 0801859417

zum Kapitel "Orgasmuspotenz" und Formen des Orgasmus:

  • Margo Anand: Tantra oder Die Kunst der sexuellen Ekstase, Verlag Goldmann, ISBN 3442138477 (Zwar wird hier der Begriff Tantra auf den Bereich der Sexualität reduziert, jedoch regt das Werk an zu neuen Betrachtungsweisen der Themen Sex und Orgasmus und veranschaulicht allgemein verständlich die tantrischen Techniken)
  • Susan Crain Bakos: Sex-Geheimnisse für den ultimativen Lust-Trip, Verlag Golmann, ISBN 3442165385 (Die Autorin hat weltweit recherchiert und trotz des reißerischen Titels und des expandierenden Schreibstils viel Wissenswertes zum Thema Sex, Sexualtechniken und zum Thema Orgasmus zusammengetragen.)

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Siehe auch

Beschneidung, Eichel, G-Punkt, Geschlechtsorgane, Injakulation, Klitoris, Orgasmuslüge, Orgasmustheorie, PC-Muskel, Sexualpraktiken