Karl Jaspers
Karl Jaspers (* 23. Februar 1883 in Oldenburg (Oldb.), † 26. Februar 1969 in Basel) war ein deutscher Philosoph und Psychiater. Er gilt als herausragender Vertreter der Existenzphilosophie, die er strikt vom Existentialismus Sartres unterschied. Jaspers war Lehrer und väterlicher Freund von Hannah Arendt und stand zeitlebens im Briefwechsel mit Martin Heidegger, über den er ein briefliches Gutachten im Zuge der sog. Entnazifizierung verfasste. Auch mit Max Weber verband ihn eine langjährige Freundschaft.
Leben
Karl Theodor Jaspers war Schüler des Alten Gymnasiums in Oldenburg. Sein Elternhaus, das einer wohlsituierten Bankiersfamilie, bezeichnete er als liberal-konservativ, in dem sowohl fehlendes Verantwortungsbewusstsein als auch blinder Gehorsam verpönt waren. Von Kindheit an litt Jaspers an Bronchialproblemen und häufigen Infektionen. Der ihn stark belastende und einschränkende Gesundheitszustand, den er nur durch eiserne Disziplin im Griff behalten konnte, war immer ein immer zu bewältigendes Problem und hatte ohne Zweifel Einfluss auf Jaspers Weltsicht. Er studierte zunächst Ende 1901 in Heidelberg und später in München drei Semester Rechtswissenschaft. Nach einem Kuraufenthalt in Sils-Maria nahm er 1902 in Berlin ein Medizinstudium auf, das er ab 1903 in Göttingen und ab 1906 in Heidelberg weiterführte. Hier promovierte er mit Unterstützung von Karl Wilmanns Ende 1908 bei Franz Nissl, dem Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik, der ihm nach seiner Approbation 1909 bis 1914 auch als Volontärassistent Gelegenheit zur Mitarbeit gab.
1907 lernte er Getrud Mayer kennen, die Schwester seines Studienfreundes Ernst Mayer, aus einer orthodoxen jüdischen Kaufmannsfamilie stammend. Nach schneller Verlobung erfolgte die Heirat 1910. Hans Walter Gruhle machte Jaspers 1909 mit Max Weber bekannt, der ihm wissenschaftliches Vorbild wurde. Seine zeitweise Mitarbeit am Arbeitskreis zur frühen Psychoanalyse seines Mitassistenten Arthur Kronfeld 1910/11 mit Gruhle, den beiden späteren Nobelpreisträgern Otto Meyerhof und Otto Warburg u.a. hat Jaspers dagegen nie erwähnt. Am 13. Dezember 1913 konnte er sich mit seiner für die Psychiatrie wegweisenden Allgemeinen Psychopathologie bei Wilhelm Windelband an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg im Fachbereich Psychologie habilitieren.
Nach lediglich zwei Jahren Lehrtätigkeit am Philosophischen Seminar der Universität Heidelberg wurde Jaspers 1916 bereits zum außerordentlichen Professor ernannt. 1920, dem Jahr des Beginns seiner Freundschaft mit Martin Heidegger, konnte er in der Nachfolge von Hans Driesch sogar zum Extraordinarius aufrücken. Noch schneller wurde er ordentlicher Professor: im folgenden Jahr führten Bleibeverhandlungen wegen an ihn ergangener Berufungen dazu, dass für ihn ein persönliches Ordinariat eingerichtet und er damit neben Heinrich Rickert 1922 Mitdirektor des Seminars wurde. Zu diesem bestand von vorn herein große Distanz aufgrund der sehr unterschiedlichen Auffassung von Philosophie. Für Rickert, den wissenschaftsorientierten neukantianischen Philosophen, war die Berufung des fachfremden Jaspers mit seiner Orientierung an der Seinsfrage und dem Hintergrund der Psychologie ein Gräuel. Über die unterschiedliche Bewertung des von Jaspers hoch geschätzten Max Weber kam es früh zum Bruch zwischen beiden.
In den folgenden Jahren konzentrierte sich Jaspers auf ein intensives vertiefts Studium der Philosophie. Zunächst las er über die großen Philosophen und begann ab 1927 mit einem Grundriss der Philosophie, an dem er im regen Austausch mit seinem Freund und Schwager Ernst Mayer seit 1924 arbeitete. In diesen Jahren schuf er die Grundlagen für seine späteren philosophischen Veröffentlichungen.
Von den 1933 sofort eingeleiteten Maßnahmen der nationalsozialistischen Machthaber zur Gleichschaltung der Universitäten in Deutschland war Jaspers trotz seiner - nach dem Nazi-Jargon - „jüdischen Versippung“ bezüglich seiner Ehefrau Gertrud zunächst nur wenig betroffen; da er jedoch nicht bereit war, sich von ihr zu trennen, wurde er schließlich Ende September 1937 in den Ruhestand versetzt und ab 1938 mit Publikationsverbot belegt. Seine Arbeiten und Studien setzte Jaspers konsequent fort. Viele langjährige Freunde hielten zu ihm, so dass er nicht isoliert war. Er stand jedoch ständig unter der Bedrohung durch die Nationalsozialisten und im März 1945 erfuhr er von einem Freund, dass er am 14. April in ein KZ kommen sollte. Jaspers hatte bereits mit Zyankali vorgesorgt. Vor diesem Schicksal wurde er durch den glücklichen Umstand bewahrt, dass Heidelberg bereits am 30. März von amerikanishen Truppen eingenommen wurde. Aufgrund seiner untadeligen Haltung während des Dritten Reichs war Jaspers nun gefragt, so dass er 1945 zur Neubegründung und Wiedereröffnung der Universität Heidelberg wesentlich beitragen konnte.
Persönlich hochgeachtet durch die Wahl zum Ehrensenator der Universität im Jahre 1946 und die Verleihung des Goethe-Preises der Stadt Frankfurt im Jahr darauf, aber bald enttäuscht von der weiteren allgemein- und hochschulpolitischen Entwicklung im Nachkriegsdeutschland wechselte er 1948 nach Basel und nahm als Reaktion auf die Wahl des ehemaligen NSDAP - Mitglieds Kurt Georg Kiesinger zum Bundeskanzler sowie die Verabschiedung der Notstandsgesetze 1967 dort auch die Schweizer Staatsbürgerschaft an. Er gab weiterhin immer wieder stark beachtete Stellungnahmen zu Zeitfragen wie auch zu wissenschaftlichen Themen - beispielsweise zur Psychoanalyse - ab.
Darüber hinaus erhielt Jaspers 1953 die Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg, 1958 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 1959 den Erasmuspreis sowie Ehrendoktorate der Sorbonne in Paris und der Universität in Genf. 1962 zeichnete ihn seine eigene Universität mit einem medizinischen Ehrendoktor aus. Neben zahlreichen Ehrenmitgliedschaften in wissenschaftlichen Gesellschaften folgten weitere Auszeichnungen: 1963 der Preis der Oldenburg-Stiftung (eine Ordensverleihung durch die Bundesrepublik in diesem Jahr lehnte Jaspers ab), 1964 der Orden Pour le Mérite und 1965 der Internationale Friedenspreis Lüttich.
Das Werk von Jaspers umfasst über 30 Bücher mit etwa 12.000 Druckseiten und einen Nachlass von 35.000 Blättern sowie einige tausend Briefe.
Psychiatrie
Karl Jaspers war einer der ersten deutschen Psychiater, die die philosophischen Vorannahmen ihrer Disziplin untersuchten und beachteten. Zu diesen Pionieren gehörten neben Jaspers die Psychiater Ernst Kretschmer (Sensitiver Beziehungswahn, 1918) und Arthur Kronfeld (Das Wesen des psychiatrischen Erkennens, 1920). Diese Autoren bezogen sich auf Wilhelm Diltheys Unterscheidung von „Erklären“ und „Verstehen“. Dabei beabsichtigte Jaspers die Psychopathologie methodisch zu fundieren. Zu diesem Zweck beschrieb er die gesunden genauso wie die krankhaft veränderten seelischen Erlebnisweisen. Weitere Themen waren u.a. der Begriff der Demenz und Trugwahrnehmungen.
Er legte besonderen Wert darauf, die Grenzen der psychopathologischen Methode zu bestimmen. Hierzu beschrieb er ausführlich psychiatrische Vorurteile, wie die sogenannte Hirnmythologie (d.h. das Postulat einer Korrelation von Erleben und anatomischen Strukturen) und metaphysische Spekulationen über das Wesen seelischer Erkrankungen.
Jaspers betonte, das seelische Prozesse immer nur indirekt zugänglich sind: wir sind darauf angewiesen, dass die Patienten uns ihre Erlebnisse mitteilen. Es gibt demzufolge keine neutralen technischen Parameter für eine seelische Störung. Dies grenzt die psychopathologische Methode von den naturwissenschaftlichen Verfahren ab. Neben Wilhelm Griesinger, der, wie Binswanger betont hat, der „Psychiatrie ihre Verfassung“ gab („seelische Krankheiten sind Erkrankungen des Gehirns“), und Emil Krepelin, der als erster ein brauchbares nosologisches Bezugssystem in der Psychiatrie eingeführt hat, gilt Jaspers Allgemeine Psychopathologie als der „Beginn einer methodisch reflektierten psychopathologischen Forschung“ (Max Schmauß).
Philosophie
Wichtige Quellen der Philosophie von Karl Jaspers sind Kierkegaard, Spinoza, Nietzsche und vor allem Kant, dem er jedoch vorhielt, dass er die Dimension des Zwischenmenschlichen, insbesondere der Liebe, nicht erfasse. Seine Philosophie ist auch stark von lebensphilosophischen Elementen durchzogen. In einer sinnlosen Wirklichkeit, in der die Naturwissenschaften keine Hilfe bei der Selbstvergewisserung bieten, braucht der Mensch eine illusionslose Sicht seiner Existenz als Grundlage seiner Handlungsentscheidungen.
Seine Psychologie der Weltanschauungen aus dem Jahre 1919 ist ein Übergang von der Psychologie zur Philosophie und kann als erstes Werk der modernen Existenzphilosophie eingestuft werden. Jaspers interessierte sich vor allem für die seelischen Antriebe, die Weltanschauungen begründen. Bereits hier problematisierte er die „Grenzsituationen“ wie Tod, Leiden, Schuld, Geschichtlichkeit, die die Erfahrungen des Menschen bestimmen und in denen der Mensch Skeptizismus und Nihilismus überwinden kann, indem er sich als Existenz gegenüber der Transzendenz bewusst wird. Für ihn hatte dieses Buch nur Sinn für Menschen, die beginnen, sich zu verwundern, auf sich selbst zu reflektieren, Fragwürdigkeiten des Daseins zu sehen, und auch nur Sinn für solche, die das Leben als persönliche, irrationale, durch nichts aufhebbare Verantwortung erfahren. (Vorwort),
Nach einer Schreibpause, die intensiven Studien und Vorarbeiten gewidmet war, veröffentlichte Jaspers 1931 als 1000. Band der Sammlung Göschen die erste rein philosophische Schrift über Die geistige Situation der Zeit, in der er sich kritisch mit Themen der Massengesellschaft, der Entfremdung und der Herrschaft der Technisierung auseinander setzte. Nur im alle Sachkunde nutzenden, aber diese überschreitenden Denken kann der Mensch er selbst sein und die Massendaseinsordnung bewältigen. Diese Schrift war eine Vorarbeit zu seinem 1932 erschienenen dreibändigem Hauptwerk, das er schlicht Philosophie nannte. Die Bände tragen die Titel: I. Philosophische Weltorientierung; II.Existenzerhellung, III. Metaphysik. Mit dieser Dreiteilung übernimmt Jaspers die klassische philosophische Struktur der Fragen nach dem Kosmos, der Seele und Gott.
Philosophie war für Jaspers keine Wissenschaft, sondern Existenzerhellung, die sich mit dem Sein als Ganzes befasst. Jede Äußerung zur Philosophie ist schon Philosophie. Philosophie tritt da auf, wo Menschen wach werden. Philosophie ist das Gewahrwerden der eigenen Ohnmacht und Schwäche. Jaspers unterschiedt von der wissenschaftlichen Wahrheit die existentielle Wahrheit. Während die eine intersubjektiv nachvollziehbar ist, kann man bei der anderen nicht von Erkenntnis sprechen, da sie sich auf transzendente Gegenstände (Gott, Freiheit) richtet. Wissenschaft kennt Fortschritt, Philosophie nicht. Das Transzendente begegnet dem Menschen in Chiffren, die sich in besonderen Erlebnissen äußern, die ihm die Existenz von Höherem, materiell nicht Erfassbarem vermitteln.
In der Kommunikation von Mensch zu Mensch realisiert sich Philosophie im „liebenden Kampf“, in dem Angriff und Rechtfertigung nicht dem Gewinn von Macht dienen, sondern um sich gegenseitig nahe zu kommen und sich einander auszuliefern. So erreicht man das „Innewerden des Seins“, die „Erhellung der Liebe“ und die „Vollendung der Ruhe“.
In der Schrift Von der Wahrheit (1947) führte Jaspers seinen Schlüsselbegriff „das Umgreifende“ ein, das sich in der Existenz des Menschen sowie in der Transzendenz des Ganzen der Welt widerspiegelt, ohne dass der Mensch es je in seiner Ganzheit erfassen kann. Die Existenz des Menschen ist bestimmt durch die Freiheit, die sich weder beweisen noch widerlegen lässt, die aber den Menschen ständig in Entscheidungssituationen stellt und sich in dessen Lebenspraxis offenbart. Durch die Freiheit wählt der Mensch sich selbst. Zum Selbstsein gehört aber auch die Kommunikation in der Beziehung zum anderen. „Niemand kann allein selig werden.“ Auf dem Wege zu sich selbst stößt der Mensch auf Grenzsituationen. Er lernt, dass er mit den Fragwürdigkeiten der faktischen wissenschaftlichen Weltorientierung an den Abgrund des schlechthin Unbegreiflichen stößt. In Tod, Kampf, Leiden und Schuld zeigt sich die Ausweglosigkeit, ein Scheitern zu verhindern. Nur im Annehmen dieser Situation kann der Mensch zu seiner eigentlichen Existenz gelangen.
In einem seiner späteren Hauptwerke (Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung) lehnte Jaspers jede Art von Offenbarungsglauben ab und verweist das Individuum auf die philosophisch verstandene Ahnung der Transzendenz. Jaspers Philosophie ist oft als irrational bezeichnet worden. Doch dieses beruht auf einem Irrtum. Jaspers hatte durchgängig ein positives Verhältnis zu den Wissenschaften und der rationalen Philosophie. Er setzte sich nur mit dem Irrationalen und Absurden der Lebenswelt auseinander. Seine Grundfrage nach dem Ganzen des Seins und der Erhellung der Existenz setzt dort ein, wo alle Fragen der wissenschaftlichen Erkenntnis und der Vernunft beantwortet sind und nicht mehr weiterhelfen. Seine Antworten sind keine metaphysische Spekulation, sondern zeigen die Offenheit der Entscheidung und der Verantwortung des Menschen in seiner Freiheit. Seine Antworten sind vorwärts gerichtet im Gegensatz zu Heidegger, dem er eine ontologische Fixierung auf die Existentialien vorhielt. Auch den Nihilismus des Existenzialismus überwindet die Philosophie Jaspers’, indem sie dem Einzelnen in der Existenzerhellung sein mögliches Selbstbewusstsein bewusst macht und ihn auffordert, in der Freiheit seine Verantwortung wahrzunehmen.
Jaspers – Heidegger – Arendt
Martin Heidegger und Karl Jaspers standen sich als junge Akademiker verhältnismäßig nahe, da beide sich vom vorherrschenden Neukantianismus gelöst und den Begriff der Existenz des Individuums bei Abwesenheit einer sinnstiftenden höchsten Instanz in den Mittelpunkt ihrer Philosophie gestellt hatten. Kennen gelernt hatten sie sich auf einer Tagung im Jahr 1920 in Freiburg. Von da an erfolgten gegenseitige Besuche und ein reger Briefwechsel. Da ihre Positionen im Detail aber doch sehr unterschiedlich waren, hielt sich die fachliche Diskussion dabei in Grenzen. Hannah Arendt, die als Marburger Studentin eine Liebesbeziehung zu Heidegger hatte, promovierte 1926 – 1928 bei Jaspers und hielt danach ihrerseits ständigen Briefkontakt zu diesem.
Nach Heideggers berüchtigter Rektoratsrede 1933 brach der Kontakt zu Jaspers weitgehend ab. Nach Kriegsende wurde Jaspers aufgefordert in Hinblick auf Heideggers Lehrbefugnis eine Stellungsnahme zu Heidegger in der NS-Zeit abzugeben. Jaspers empfahl ein befristetes Lehrverbot, das nach Ablauf der Frist überprüft werden sollte. Er setzte sich aber immerhin für eine Publikationserlaubnis ein. Diese Stellungnahme war sicherlich nicht ohne Einfluss auf das Heidegger erteilte Lehrverbot. Dieser erhielt dann 1950 wieder die Lehrbefugnis.
Die Distanz zum ehemals befreundeten Philosophen findet man im Briefwechsel mit Hannah Arendt, wo Jaspers schieb: Kann man als unreine Seele – d.h. als Seele, die ihre Unreinheit nicht spürt und nicht ständig daraus herausdrängt, sondern gedankenlos im Schmutz fortlebt, - kann man in Unaufrichtigkeit das Reinste sehen? (1.9.1949). Hierauf antwortete Arendt: Was Sie Unreinheit nennen, würde ich Charakterlosigkeit nennen. (29.9.1949)
Der politische Schriftsteller
Noch vor Ende des Krieges hatte Jaspers in seinem Tagebuch notiert: „Wer es überlebt, dem muß eine Aufgabe bestimmt sein, für die er den Rest seines Lebens verzehren soll.“ Als praktische Handlungsanleitung seiner Philosophie sah Jaspers das Eintreten für die Freiheit, denn nur in Freiheit könne man wirklich zur Existenzerhellung gelangen. Jaspers zog für sich die Schlussfolgerung, zum politischen Leben künftig Stellung zu nehmen.
Mit der Schrift Die Schuldfrage von 1946, zugleich seine erste Vorlesung an der mit seiner Unterstützung neu begründeten Universität von Heidelberg, machte er den ersten Schritt. Hier entwickelte er ein Verständnis von Schuld, das auch heute noch die politische Diskussion maßgeblich beeinflusst. Er unterschied dabei die kriminelle, die politische, die moralische und die metaphysische Schuld. Die erste zu verurteilen ist Sache der Gerichte, die zweite Sache des Siegers. Doch der moralischen Schuld kann sich niemand entziehen, auch wenn darüber nicht vor Gericht entschieden wird. Die Verantwortung bleibt. Nur der kann vergeben, dem Unrecht geschehen ist. Der späte Jaspers erkennt nunmehr die Existenz Gottes an. Dass der Mensch überhaupt schuldig werden kann, sei Sache Gottes. In die kollektive Verantwortung bezog er sich selbst, der doch unter dem Nationalsozialismus zu leiden hatte und existentiell bedroht war, mit ein:
- „Wir Überlebenden haben nicht den Tod gesucht. Wir sind nicht, als unsere jüdischen Freunde abgeführt wurden, auf die Straße gegangen, haben nicht geschrien, bis man uns vernichtete. Wir haben es vorgezogen am Leben zu bleiben mit dem schwachen, wenn auch richtigen Grund, unser Tod hätte nichts helfen können. Daß wir leben, ist unsere Schuld. Wir wissen vor Gott, was uns tief demütigt.“
Mit dieser Stellungnahme wandte sich Jaspers, sperrig wie schon oft, gegen den Zeitgeist des Verdrängens und forderte auch, sich mit der Kollektivschuld auseinanderzusetzen. Vor allem warnte er vor einem Aufrechnen mit jedwedem anderen politischen Unrecht.
Auch in der Folgezeit nahm er immer wieder öffentlich Stellung zur politischen Situation. Gemeinsam mit Dolf Sternberger gab er von 1946 bis 1949 die Zeitschrift Die Wandlung heraus, in der prominente Autoren zur geistig moralischen und zur politischen Erneuerung aufriefen. Sein Programm zur Modernisierung und vor allem Demokratisierung der Heidelberger Universitätsverfassung konnte er nicht durchsetzen.
Viel Beachtung fand 1958 sein Buch Die Atombombe und die Zukunft des Menschen, in dem er sich gegen die Blockbildung und die Unterdrückung von Freiheit wandte. Sehr kritisch aufgenommen wurde seine Schrift über Freiheit und Wiedervereinigung von 1960, in der er dafür eintrat, einen eigenen Staat in der DDR zu akzeptieren, wenn dadurch auch für diesen Teil Deutschlands die Freiheit hergestellt werden könnte. Nach einem entsprechenden Fernsehinterview wurde er als Vaterlandsverräter und Handlanger des Kommunismus beschimpft.
Jaspers suchte dennoch weiter die Kontroverse. So erhob er 1966 mit dem Buch Wohin treibt die Bundesrepublik? Tatsachen – Gefahren – Chancen noch einmal warnend seine Stimme und geriet dabei in die Debatte um die damalige große Koalition und den „Selbstverrat“ der SPD bei der Anerkennung der Notstandsgesetze. Kritik erhielt er dabei fast unbesehen aus der Politik von rechts und links in gleicher Weise, fand jedoch auch eine breite Zustimmung in der Öffentlichkeit.
Zitate
- "Der Mensch findet in sich, was er nirgends in der Welt findet, etwas Unerkennbares, Unbeweisbares, niemals Gegenständliches, etwas, das sich aller forschenden Wissenschaft entzieht: Die Freiheit."
- "Es gibt keine Sache der Philosophie, die vom Menschen loslösbar ist. Der philosophierende Mensch, seine Grunderfahrungen, seine Handlungen, sein alltägliches Verhalten, die aus ihm sprechenden Mächte sind nicht beiseite zu lassen."
- "Im Handeln aus ursprünglicher Freiheit, in jeder Gestalt absoluten Bewusstseins, in jedem Akt der Liebe wird die darin nicht vergessene, vielmehr akzentuierte Zeitlichkeit, als Entscheidung und Wahl, zugleich durchbrochen zur Ewigkeit; die existentielle Zeit wird als Erscheinung eigentlichen Seins in einem die unerbittliche Zeit schlechthin und die Transparenz dieser Zeit in der Ewigkeit."
- "Wenn der Mensch sich innerlich behauptet im Geschick, wenn er unbeirrt standhält noch im Sterben, so kann er das nicht durch sich allein. Was ihm hilft, ist aber von anderer Art als alle Hilfe der Welt. Dass er auf sich selbst steht, verdankt er einer ungreifbaren, nur in seiner Freiheit selbst fühlbaren Hand aus der Transparenz."
- "Der philosophische Glaube ist der unerlässliche Ursprung allen echten Philosophierens."
- "Im Philosophieren spricht sich ein Glaube ohne jede Offenbarung aus, appellierend an den, der auf demselben Wege ist; es ist nicht ein objektiver Wegweiser im Wirrsaal; ein jeder fasst nur, was er als Möglichkeit durch sich selbst ist. Aber es wagt die Dimension, welche Sinn im Dasein für den Blick auf Transzendenz zum Leuchten bringt. In einer Welt, die in allem fragwürdig geworden ist, suchen wir philosophierend die Richtung zu halten, ohne das Ziel zu kennen."
- "Was geschah, ist eine Warnung. Sie zu vergessen, ist Schuld. Man sollte ständig an sie erinnern. Es war möglich, daß dies geschah, und es bleibt jederzeit möglich. Nur im Wissen kann es verhindert werden."
Werke
- Allgemeine Psychopathologie, Berlin 1913
- Psychologie der Weltanschauungen, Berlin 1919
- Die Idee der Universität, (Wissenschaftlicher) Springer Verlag, 2000, broschiert, 132 Seiten; Erstausgabe Berlin 1923, ISBN 3-540-10071-7
- Die geistige Situation der Zeit, Berlin/Leipzig 1931
- Philosophie 3 Bände (I. Philosophische Weltorientierung; II. Existenzerhellung; III. Metaphysik), Berlin 1932
- Vernunft und Existenz, Groningen 1935
- Nietzsche. Einführung in das Verständnis seines Philosophierens, Berlin 1936
- Descartes und die Philosophie, Berlin 1937
- Existenzphilosophie, Berlin 1938
- Die Schuldfrage, Heidelberg/Zürich 1946
- Nietzsche und das Christentum, Hameln 1946
- Von der Wahrheit, München 1947
- Der philosophische Glaube. Fünf Vorlesungen, München/Zürich 1948 (Gehalten 1947 als Gastvorträge in Basel)
- Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, München/Zürich 1949 (Darstellung der Achsenzeit)
- Einführung in die Philosophie. Zwölf Radiovorträge, Zürich 1950
- Die Frage der Entmythologisierung, München 1954 (vgl. Beiträge zu Rudolf Bultmann und Fritz Buri)
- Schelling. Größe und Verhängnis, München 1955
- Die großen Philosophen Piper-Verlag, Erstausgabe München 1957, ISBN 3-492-11002-9
- Die Atombombe und die Zukunft des Menschen, München/Zürich 1957
- Freiheit und Wiedervereinigung, München 1960
- Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung Piper-Verlag, Erstausgabe München 1962, ISBN 3-492-01311-2
- Nikolaus Cusanus, München 1964
- Kleine Schule des Philosophischen Denkens, München 1965
- Hoffnung und Sorge. Schriften zur deutschen Politik 1945 - 1965, München 1965
- Wohin treibt die Bundesrepublik? Tatsachen, Gefahren, Chancen, München 1966
Aus dem Nachlass:
- Schicksal und Wille. Autobiographische Schriften, München 1967
- Kant. Leben, Werk, Wirkung, München 1975
- Notizen zu Martin Heidegger, München 1978
- Briefwechsel 1926-1969, Hannah Arendt, Karl Jaspers, München/Zürich 1985
- Briefwechsel 1920-1963, Martin Heidegger, Karl Jaspers, München/Zürich 1990
- Wahrheit und Bewährung. Philosophieren für die Praxis, München/Zürich 1983
- Was ist Philosophie?, München 1976
Literatur
- Hans Saner: Karl Jaspers. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. 12. Aufl. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2005, ISBN 3-499-50169-4
- Werner Schüssler: Jaspers zur Einführung. Junius, Hamburg 1995, ISBN 3-88506-914-8
- Dietrich Harth (Hrsg.): Karl Jaspers. Denken zwischen Wissenschaft, Politik und Philosophie. Metzler, Stuttgart 1989, ISBN 3-476-00666-2
- Jeanne Hersch (Hrsg.): Karl Jaspers. Philosoph, Arzt, politischer Denker. Symposium zum 100. Geburtstag in Basel und Heidelberg. Piper, München u.a. 1986.
- Sombart, Nicolaus: Rendezvous mit dem Weltgeist. Heidelberger Reminiszenzen 1945-1951. S. Fischer, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-10-074422-5 (2.Teil, Kapitel „Karl Jaspers“)
- Matthias Bormuth: Lebensführung in der Moderne: Karl Jaspers und die Psychoanalyse. Diss. Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, ISBN 3-7728-2201-0
- Genoveva Teoharova: Karl Jaspers' Philosophie auf dem Weg zur Weltphilosophie. Diss. Königshausen und Neumann, Würzburg 2005, ISBN 3-8260-2661-6
Weblinks
- Vorlage:PND
- Tabellarische Biographie von Karl Jaspers beim DHM
- Zur Jaspers' Jahren an der Psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg unter Franz Nissl
- Jahrbücher Österreichische Karl-Jaspers-Gesellschaft
Personendaten | |
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NAME | Jaspers, Karl |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Philosoph und Psychiater |
GEBURTSDATUM | 23. Februar 1883 |
GEBURTSORT | Oldenburg |
STERBEDATUM | 26. Februar 1969 |
STERBEORT | Basel |