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Friedensvertrag von Brest-Litowsk

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Der Friedensvertrag von Brest-Litowsk wurde zum Ende des Ersten Weltkrieges ausgehandelt. Vertragspartner waren einerseits die Mittelmächte (Deutschland, Österreich-Ungarn, Türkei und Bulgarien) und andererseits Sowjetrussland und die Ukraine. Letztere hatte mit Hilfe der Mittelmächte gerade die Unabhängigkeit von Russland errungen. Der Friedensvertrag von Brest-Litowsk besiegelte einen Separatfrieden zwischen Sowjetrussland und den Mittelmächten. Er kam auf den Druck und zu den Bedingungen der im Osten erfolgreichen Mittelmächte zustande. Vor allem die deutsche Oberste Heeresleitung (OHL) hatte letztendlich ihre Vorstellungen hinsichtlich einer territorialen Neugliederung der ehemals russischen Gebiete durchsetzen können. Für Sowjetrussland gab es am Ende nur die Alternativen Frieden um jeden Preis und damit die Erhaltung der Macht der Bolschewiki oder ein aussichtsloser Kampf gegen die deutschen Truppen. Im Ersten Weltkrieg hatte Russland bislang auf der Seite der Entente gestanden.

In der UdSSR und der DDR wurde die Bezeichnung "Raubfrieden von Brest-Litowsk" verwendet.

Hintergrund

Anlass ert und oft führungslos. Wirtschaftlich lag Russland weitestgehend am Boden. Die bolschewistische Regierung ersuchte die Mittelmächte um Frieden. Als Resultat des Friedensvertrages trat Sowjetrussland weite Gebiete im Osten des einstigen Imperiums ab. Die baltischen Staaten, Finnland, Polen und die Ukraine wurden der bolschewistischen Kontrolle entrissen. Die armenischen Gebiete Erdehan, Ardahan, Kars und das georgische Gebiet Batumi wurden der Türkei zur "Neuordnung" überlassen. Der im März 1918 unterzeichnete Vertrag war jedoch nicht von langer Dauer. Der Waffenstillstand des Deutschen Reiches mit den Staaten der Entente annullierte den Brest-Litowsker Frieden. Weil die Russen nicht an den Verhandlungen, die zum Abschluss des Versailler Vertrages führten, teilnahmen, wurde die Grenzziehung weiter Teile Osteuropas der Kriegsführung der dortigen Nationen überlassen.

Ziele der Vertragsparteien

Deutsche Delegation 1917 bei der Begrüßung durch Leo Trotzki

Den Mittelmächten, die sich in frucht- und sieglosen Kämpfen an der Westfront erschöpft hatten, kam ein Frieden im Osten sehr entgegen. So konnten sie den aufwändigen Zweifrontenkrieg beenden und alle verfügbaren Kräfte an die Westfront entsenden. Separatistische Bestrebungen unterstützend, sollte die Ukraine von Russland getrennt werden. So würde sich den Mittelmächten ein besserer Zugriff auf die Kornfelder der Ukraine eröffnen.

Die Bolschewiki brauchten dringend eine Atempause, um ihr Regime im eigenen Land zu etablieren. Die russische Delegation, erst unter Adolf Joffe (auch Ioffe), dann unter Trotzki beabsichtigte, die Verhandlungen absichtlich in die Länge zu ziehen. Während der Verhandlungen, die auf Antrag Trotzkis öffentlich geführt wurden, nutzte die russische Delegation jede Gelegenheit, Propaganda zu betreiben, die Weltöffentlichkeit von ihrer angeblichen Friedfertigkeit zu überzeugen und nebenbei den Funken einer sozialistischen Weltrevolution zu verbreiten. Sie hoffte außerdem darauf, dass die Mittelmächte bald von den Alliierten geschlagen werden würden und somit Friedensverhandlungen mit Zugeständnissen der russischen Seite gar nicht mehr nötig sein würden. Die deutsche Seite durchschaute die russische Verzögerungstaktik aber schließlich und drängte auf ein schnelles Ende der Verhandlungen mit der Drohung weiterer Kriegshandlungen.

Verlauf der Verhandlungen

Am 15. Dezember 1917 wurde ein Waffenstillstand zwischen dem Deutschen Reich und Russland geschlossen. Zur Aushandlung eines Friedensvertrages trafen sich die Parteien zu mehreren Verhandlungsrunden in Brest-Litowsk. Grob lassen sich zwei Stufen unterscheiden: Beim ersten Durchgang war Russland gleichberechtigter Partner, beim zweiten hatte es kapituliert und musste Bedingungen akzeptieren. Die erste Verhandlungsrunde wurde auf deutscher Seite von Diplomaten um Richard von Kühlmann bestimmt, in der zweiten Verhandlungsrunde, nach der Kapitulation des Sowjetrusslands, zwang die Oberste Heeresleitung unter Erich Ludendorff den Verhandlungsparteien ihre Forderungen auf. Bevollmächtigter der Obersten Heeresleitung war der General Max Hoffmann.

Der Aufnahme der Verhandlungen war der Vorschlag zum Waffenstillstand durch Trotzki vom 28. November 1917 vorangegangen. Während die Entente ablehnte, stimmten die Mittelmächte zu. Am 22. Dezember trafen sich die Delegationen zum ersten Mal. Die bolschewistische Delegation unterbreitet folgendes Angebot: Verzicht auf Annexionen, schnelle Räumung der besetzten Gebiete, Selbstbestimmungsrecht der Völker, Verzicht auf Kriegsentschädigungen (Reparationen).

Ottokar Graf Czernin (im Oktober 1918 in Laxenburg)

Nach dem ersten gemeinsamen Abendessen notierte Ottokar Graf Czernin, österreichisch-ungarischer Außenminister und Delegationsführer, anlässlich eines Gespräches mit dem russischen Delegationsleiter Adolf Joffe: „Merkwürdig sind diese Bolschewiken. Sie sprechen von Freiheit und Völkerversöhnung, von Friede und Eintracht, und dabei sollen sie die grausamsten Tyrannen sein, welche die Geschichte gekannt hat – sie rotten das Bürgertum einfach aus, und ihre Argumente sind Maschinengewehre und der Galgen. Das heutige Gespräch mit Joffe hat mir bewiesen, dass die Leute nicht ehrlich sind und an Falschheit alles das übertreffen, was man der zünftigen Diplomatie vorwirft – denn eine derartige Unterdrückung des Bürgertums zu betreiben und gleichzeitig von weltbeglückender Freiheit zu sprechen, sind Lügen.“

Zum Ausdruck kam die Position Sowjetrusslands in Bezug auf die Selbstbestimmung der Völker im Fall der Ukraine. Noch während der Verhandlungen ging die Rote Armee gegen die ukrainische Unabhängigkeitsbewegung militärisch vor. Dennoch entsandte die inzwischen in Kiew gebildete bürgerliche ukrainische Regierung der Ukrainischen Volksrepublik zum Verdruss der Bolschewiki ebenfalls eine Delegation nach Brest-Litowsk. Die Ukraine befand sich seit Ende Dezember 1917 im Kriegszustand mit den Sowjets. Am 7. Januar 1918 löste Trotzki Joffe als Delegationsführer ab und reiste nach Brest-Litowsk. Nachdem die Verhandlungen unter Joffe für die Bolschewiki bisher zu schnell vorangeschritten waren, hatte Trotzki die eindeutige Aufgabe, den Fortgang der Gespräche zu verlangsamen. Trotzki schrieb selbst über das Vorgehen der bolschewistischen Delegation: „In die Friedensverhandlungen traten wir mit der Hoffnung ein, die Arbeitermassen Deutschlands und Österreich-Ungarns wie auch der Ententeländer aufzurütteln. Zu diesem Zweck war es nötig, die Verhandlungen möglichst in die Länge zu ziehen, damit die europäischen Arbeiter Zeit hätten, die Tatsache der Sowjetrevolution und im besonderen ihre Friedenspolitik gehörig zu erfassen ... Die Hoffnung auf eine rasche revolutionäre Entwicklung in Europa gaben wir selbstverständlich nicht auf.“

Dementsprechend wurde Trotzki nicht müde, lange Propagandareden zu halten und die Geduld besonders der Deutschen zu strapazieren. General Hoffmann, der die Oberste Heeresleitung vertrat, wurde dieses Gerede schließlich zuviel. Er wies Trotzki am 18. Januar 1918 zurecht: „Die russische Delegation spricht mit uns, als ob sie siegreich in unserem Lande stünde und uns Bedingungen diktieren könnte. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Tatsachen entgegengesetzt sind ... Ich möchte dann feststellen, dass die russische Delegation für die besetzten Gebiete die Anwendung eines Selbstbestimmungsrechtes der Völker in einer Weise und einem Umfang fordert, wie es ihre Regierung im eigenen Lande nicht anwendet. Ihre Regierung ist begründet lediglich auf Macht, und zwar auf Macht, die rückhaltlos mit Gewalt jeden Andersdenkenden unterdrückt. Jeder Andersdenkende wird einfach als Gegenrevolutionär und Bourgeois für vogelfrei erklärt ...“ Hoffmann stellte erneut mit Nachdruck die deutschen Forderungen für einen Friedensvertrag: Unabhängigkeit für Polen und die baltischen Staaten Litauen und Livland (Lettland). Trotzki bat um eine Verhandlungspause, die ihm gewährt wurde und kehrte noch am 18. Januar nach St. Petersburg zurück.

Während der Verhandlungen kam es in Sowjetrussland zu einem Ereignis, das die Macht der Bolschewiki erschütterte und beinahe beendete. Die am 25. November 1917 abgehaltenen Wahlen zur konstituierenden Nationalversammlung ergaben eine herbe Niederlage für die Bolschewiki. Hätten sie das Wahlergebnis anerkannt, so wie es Lenin zuvor versprochen hatte, hätten Sozialrevolutionäre und Menschewiki die Regierung gebildet. Die Bolschewiki, die weniger als ein Viertel der Stimmen erhielten, hätten ihre erputschte Macht verloren. Am 19. Januar 1918 wurde die neugewählte Volksvertretung von den Bolschewiki mit Gewalt aufgelöst und durch Räte (Sowjets) ersetzt. In dieser turbulenten Situation gelang es Trotzki, die bolschewistische Führung einschließlich des zögernden Lenins davon zu überzeugen, die Friedensverhandlungen zu verlassen, ohne einen Friedensvertrag unterzeichnet zu haben. Er nannte diesen Ansatz „weder Krieg noch Frieden“. Am 30. Januar kehrte Trotzki an den Verhandlungstisch zurück. Angesichts von Massenstreiks in Deutschland und Österreich-Ungarn erhielt er von der Führung der Bolschewiki noch weitergehende Vollmachten, die Verhandlungen zu verzögern. Um einen weiteren Aufschub zu erreichen, weigerte er sich, an Gesprächen teilzunehmen, bei denen die ukrainische Delegation zugegen war. Trotzkis Taktik ging jedoch nicht auf. Die Mittelmächte schlossen mit der Regierung der unabhängigen Ukraine am 9. Februar einen Separatfrieden, sie erkannten einen ukrainischen Staat an, der gegen günstige Grenzziehungen und Autonomie umfangreiche Getreidelieferungen an die Mittelmächte versprach.

Trotzki hatte sich in eine Sackgasse manövriert. Die Deutschen drängten mit Verve auf die Fortsetzung der Gespräche ohne propagandistisches Geplänkel. Daraufhin verkündete Trotzki seine neue Politik. Er gab am 10. Februar bekannt: „... Russland, indem es darauf verzichtet, einen annexionistischen Vertrag zu unterzeichnen, erklärt seinerseits den Kriegszustand mit den Zentralmächten für beendet. Den russischen Truppen wird gleichzeitig der Befehl zur vollständigen Demobilisierung an allen Fronten erteilt.“ Seine Strategie war es, bis zum absehbaren Ende des Krieges weder Krieg noch Frieden zuzulassen. Die deutsche Delegation spielte jedoch nicht mit. Sie gab zu bedenken, dass ein Waffenstillstand ohne Abschluss eines Friedensvertrages unweigerlich zur erneuten Aufnahme der Kampfhandlungen führen werde. Trotzki hielt diese Drohung für gegenstandlos und fühlte sich bei der Abreise aus Brest-Litowsk als Sieger. Lenin, der ihn fragte, ob die Deutschen wirklich nicht wieder angreifen würden, antwortete er: „Es sieht nicht danach aus.“ Er sollte sich täuschen.

Am 16. Februar teilte die deutsche Heeresleitung dem russischen General Samoilo mit, dass Deutschland den Waffenstillstand am 17. Februar als abgelaufen betrachte. Wie angekündigt, begann die deutsche Offensive an diesem Tage. Die deutschen Truppen kamen sehr schnell voran, ihnen stellte sich so gut wie kein Widerstand entgegen. Die bolschewistische Führung sah sich aus allen Träumen gerissen. Der Ernst der Lage war ihr angesichts des unaufhaltbar scheinenden deutschen Vormarsches schnell bewusst. Mit „Wir müssen handeln, wir haben keine Zeit zu verlieren!“ trieb Lenin zu schnellen Entscheidungen. Angesichts der für die Bolschewiki katastrophalen Lage im Lande bat die Regierung des Sowjetrusslands am 19. Februar die Deutschen um Frieden. Am 20. Februar erklärte Lenin dem Moskauer Sowjet: „Es gibt keine Armee mehr. Die Deutschen greifen von Riga her die ganze Front an.“ Vier Tage vergingen, bis die deutsche Heeresleitung antwortete und die neuen Bedingungen nannte. Nun sollten Finnland, Lettland, Estland und die Ukraine geräumt sowie die russische Armee vollständig demobilisiert werden. Für eine Antwort wurde den Russen ein Frist von lediglich 48 Stunden eingeräumt. Für Verhandlungen waren maximal drei Tage vorgesehen.

Die Verhandlungen innerhalb der bolschewistischen Führung waren chaotisch. Trotzki lavierte und Bucharin votierte für die Fortsetzung des Krieges. Lenin erkannte bald die Gefahr für die bolschewistische Revolution und setzte eine Annahme der deutschen Forderungen unter Androhung seines Rücktrittes von allen Ämtern bei den Bolschewiki durch. Er forderte das Ende der „Politik der revolutionären Phrase“, die auch er selbst zuvor eifrig betrieben hatte. Dennoch spekulierte Lenin auch weiterhin auf einen baldigen Zusammenbruch der Mittelmächte oder den Sieg der Revolution in Deutschland. Am 3. März 1918 wurde der Friedensvertrag in Brest-Litowsk unterzeichnet, am 15. März vom Obersten Sowjet ratifiziert.

Ergebnis

Sowjetrussland verzichtete auf seine Hoheitsrechte in Polen, Litauen und Kurland. Die Zukunft dieser Gebiete sollte mit dem Deutschen Reich im Einvernehmen mit den dortigen Völkern nach dem Selbstbestimmungsrecht geregelt werden. Estland und Livland blieben von deutschen Polizeitruppen besetzt, die Ukraine und Finnland wurden als selbstständige Staaten anerkannt. Die Mittelmächte verzichteten auf Annexionen und Reparationen. Russland verlor durch diesen Friedensvertrag 26 % des damaligen Territoriums, 27 % des anbaufähigen Landes, 26 % des Eisenbahnnetzes, 33 % der Textil- und 73 % der Eisenindustrie sowie 73 % der Kohlegruben. Nichtsdestotrotz entwickelten sich die Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und Sowjetrussland gut. Ausdruck dessen war der Abschluss des Zusatzabkommens zum Friedensvertrag von Brest-Litowsk, das am 27. August 1918 in Berlin unterzeichnet wurde. Sowjetrussland verzichtete darin auf Estland, Lettland und Georgien (welches eine kurze Phase der Unabhängigkeit erlebte) und verpflichtete sich entgegen den Bestimmungen in Artikel 9 des Friedensvertrages zu Reparationszahlungen in Höhe von sechs Millionen Goldmark. Die deutsche Seite gab die Zusage, Weißrussland zu räumen und nicht zugunsten der Feinde der bolschewistischen Regierung zu intervenieren. Die Zusammenarbeit klappte so gut, dass von russischer Seite erwogen wurde, deutsche Truppen gegen alliierte Expeditionstruppen, die in Nordrussland standen, einzusetzen. Die Hoffnung der Mittelmächte, mit einem Frieden im Osten die Entscheidung im Westen herbeiführen zu können, erfüllte sich jedoch nicht. Zum einen blieben größere Verbände in den besetzten Gebieten gebunden, zum anderen war mit den USA ein entscheidender Faktor zuungunsten der Mittelmächte in den Krieg eingetreten.

Der weitere Verlauf des Ersten Weltkrieges sollte der bolschewistischen Führung Recht geben. Die Hinhaltetaktik war vielversprechend angesichts der desolaten Lage der Mittelmächte an der Westfront und dem Kriegseintritt der USA auf Seiten der Entente. Nur war Sowjetrussland viel zu schwach, um fast ein Jahr auszuhalten und die Deutschen, Österreicher und Ungarn hinzuhalten. Lenin verglich den Friedensvertrag von Brest-Litowsk mit dem Frieden von Tilsit und sollte damit Recht behalten. Die Unterzeichnung des Waffenstillstandes zwischen dem Deutschen Reich und den Staaten der Entente am 11. November 1918 beinhaltete die Annullierung des Friedensvertrages von Brest-Litowsk. Die deutschen Truppen im Osten und Südosten sollten auf die Grenzverläufe von 1914 zurückrücken. Die Truppen jedoch, die sich auf russischem Territorium, besonders im Baltikum, befanden, sollten dort ausharren und auf Befehle der alliierten Sieger des Krieges warten. Damit wollten sich die Entente-Staaten eine Handhabe im Russischen Bürgerkrieg sichern. Die Ukraine wurde bereits 1919 wieder von Russland erobert. Bis die baltischen Staaten gegen ihren Willen wieder in das Herrschaftsgebiet der Bolschewiki eingegliedert werden konnten, sollten noch etwa zwanzig Jahre vergehen. Finnland wahrte seine Unabhängigkeit, war jedoch des öfteren Zielscheibe sowjetischer Einmischung.

Selbst bei den Bolschewiki gewann später die Erkenntnis die Oberhand, dass sie mit einer Annahme der ersten Bedingungen der Mittelmächte weitaus besser gefahren wären. Dennoch sahen sie im Frieden von Brest-Litowsk stets ein für ihre Entwicklung positives Moment. Erst der Frieden mit den Mittelmächten hatte ihnen die benötigte Atempause gewährt, ihre Macht in Russland und den russisch beherrschten Gebieten des ehemaligen Zarenreiches zu konsolidieren. Die sowjetische Geschichtsschreibung wertete das russische Lavieren und Taktieren in Brest-Litowsk und in der Zeit danach denn auch als hervorragendes Beispiel für die Taktik Lenins, die tiefen Widersprüche im „imperialistischen Lager“ zur Festigung und zum Ausbau der bolschewistischen Macht zu nutzen. Womit sie nicht Unrecht hatte. Die siegreichen Staaten der Entente hatten für eine Nachkriegsordnung im Osten kein Konzept. Weder wussten sie, wie und in welcher Form sie sich gegenüber der neuen russischen Regierung verhalten sollten, noch wie mit dem erstarkten Nationalbewusstsein der osteuropäischen Völker umzugehen sei. Im Endeffekt jedoch hatte die Aufteilung des ehemals russisch beherrschten Gebiets durch das Diktat der Mittelmächte die Grenzziehung der Alliierten vorweg genommen: Unhabhängigkeit Polens, Finnlands und der baltischen Staaten, Zurückdrängung des bolschewistischen Einflusses. In Deutschland war die Wut über die Beschneidung des deutschen Einflusses in Osteuropa viel größer als die über die Niederlage im Westen. Auch die Gebietsverluste im Westen erregte die deutsche Volksseele nicht so stark wie der Verlust der gewonnen geglaubten Gebiete im Osten. In Deutschland wird jedoch oft verkannt, dass gerade der Diktatfriede von Brest-Litowsk in seiner Härte als Vorlage für den späteren Vertrag von Versailles gedient hat.

Verhalten der Entente

Das Verhalten der Staaten der Entente (auch Alliierte) war von Unwissenheit und Unsicherheit gekennzeichnet. Es existierten wilde Vorstellungen darüber, wie stark Deutschland nach einem Frieden im Osten sei und ob und in welcher Form Sowjetrussland mit dem Deutschen Reich kooperieren würde. Großbritannien glaubte, die Deutschen würden nun die Ölfelder am Kaspischen Meer besetzen wollen und entsandte ihrerseits Truppen dorthin, die Baku besetzten. Befürchtet wurde auch ein deutscher Marsch nach Indien. Falls der Krieg noch andauern würde, so der englische Generalstab im Mai 1918, sei Deutschland schon 1919 in der Lage, aus den besetzten vormals russischen Gebieten zwei Millionen Wehr- und Arbeitsfähige zu rekrutieren, womit ein Sieg Deutschlands an der Westfront sehr wahrscheinlich werden würde.

Daher setzten die Alliierten alles daran, Sowjetrussland zum Weiterkämpfen an der Seite der Entente zu bewegen. Während der Verhandlungen in Brest-Litowsk verkündete US-Präsident Wilson am 8. Januar seinen 14-Punkte-Plan, der jedoch auf kein Echo bei den Bolschewiki traf. Noch einmal, bevor der letztlich beschlossene Friede vom Obersten Sowjet ratifiziert werden sollte, wandte sich der amerikanische Präsident Anfang März an das russische Volk. Die Antwort des Obersten Sowjets war jedoch ablehnend und ein Appell an „das amerikanische Volk und in erster Linie die werktätigen und ausgebeuteten Klassen der Vereinigten Staaten, ... das Joch des Kapitalismus abzuwerfen und eine sozialistische Ordnung der Gesellschaft zu begründen.“ Wilson hatte seine Rede an das russische Volk adressiert und war dabei dem Irrtum aufgesessen, die bolschewistische Führung repräsentiere das russische Volk. Während der Friedensverhandlungen versuchten Abgesandte der Alliierten in Moskau, die Bolschewiki davon zu überzeugen, alliierte Truppen gegen die Deutschen ins Land zu rufen. Trotzki zeigte anfangs Sympathien für diese Pläne, ließ sie aber fallen, als offensichtlich wurde, dass die Deutschen an einem Sturz der Bolschewiki nicht interessiert waren. Im selben Maße sank die Möglichkeit der Einflussnahme der westlichen Gesandten. Ihr Plan, eine neue zweite Front im Osten zu eröffnen und so eine Entlastung an der Westfront herbeizuführen, war fehlgeschlagen. Also unternahmen sie den Versuch, selbst eine Front im Osten zu eröffnen. Bereits drei Tage nach dem Abschluss des Friedensvertrages von Brest-Litowsk landeten 130 britische Marinesoldaten im russischen Weißmeerhafen Murmansk. Einerseits wollten die Alliierten so die deutschen Truppen, von denen gerade einige in Südfinnland gelandet waren, bedrohen und binden, andererseits lagerten in Murmansk und den Häfen Archangelsk und Wladiwostok große Mengen militärischer Ausrüstung, die Russland von der Entente erhalten hatte, als es sich noch im Krieg gegen Deutschland befand. Aufgrund der Revolutionswirren und mangelnder Transportmöglichkeiten war das Material noch nicht weggeschafft worden. Nun fürchteten die Alliierten, dass es in die Hände der Deutschen fallen könnte. Später landeten noch weitere britische und US-amerikanische Truppen in Archangelsk, so dass im September 1918 15.000 alliierte Soldaten in Murmansk und etwa 7.000 in Archangelsk standen. Trotz der Intervention konnten sich die Alliierten zu keiner eindeutigen Position gegenüber den Bolschewiki durchringen. Während des Krieges waren alle ihre Handlungen gegen die deutschen Truppen gerichtet, auch wenn sie noch 1917 den gegen die bolschewistische Regierung kämpfenden Parteien in der Ukraine und Südrussland Geld zukommen hatten lassen. Die Alliierten hatten keine Vorstellung, wieweit das Deutsche Reich sich Sowjetrussland gefügig gemacht hatte oder wieweit dieses selbst den Deutschen entgegenkam. Aus Mangel an Informationen nahmen sie das Schlimmste an und versuchten zuallererst, den vermuteten deutschen Vormarsch nach Asien zu stoppen. Dabei verfingen sie sich gründlich in den Wirren des Russischen Bürgerkriegs. Ein Hinzuziehen Japans in die Invasionspläne erwies sich als sehr langwierig und letztendlich nutzlos. Japan besetzte Wladiwostok zusammen mit amerikanischen Truppen. Aber auch dieses Unternehmen hatte wie die anderen Invasionstruppen an der Peripherie des russischen Riesenreiches keine Berührung mit deutschen Truppen und behinderte weder die Bolschewiki noch die Deutschen in ihren Plänen. Erst als das Deutsche Reich an der Westfront geschlagen war, nahmen die Entente-Staaten eine eindeutige antibolschewistische Position ein. Ihr militärisches Vorgehen gegen die Bolschewiki war dennoch unkoordiniert und daher glücklos.

Literatur

  • Ladislaus Singer, „Sowjetimperialismus“, Seewald Verlag
  • Dr. Hans-Werner Rautenberg: Zusammenbruch und Neubeginn deutscher Ostpolitik nach dem Ersten Weltkrieg“ in „Deutschland und das bolschewistische Rußland von Brest-Litowsk bis 1941, Duncker und Humblot Verlag, 1991, ISBN 3-428-07248-0
  • Ploetz: Geschichte der Weltkriege, Verlag Herder, ISBN 3-89836-236-1
  • Winfried Baumgart: Deutsche Ostpolitik 1918 – Von Brest-Litowsk bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, R.Oldenbourg Verlag 1966
  • Wheeler-Bennett, John W.: Brest-Litovsk : the forgotten peace, March 1918. Repr. London : Macmillan, 1956.