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Kardiologie

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Das menschliche Herz mit beiden Lungenflügeln. Anatomische Darstellung aus "Gray's Anatomy" von 1918 (engl.)

Kardiologie, die Lehre vom Herzen, befasst sich mit der Struktur, der Funktion und den Erkrankungen des Herzens. Als Fachgebiet der Medizin ist die Kardiologie traditionell ein Teilgebiet der Inneren Medizin, das sich mit den Erkrankungen des Herzens, der herznahen Gefäße und des Kreislaufs beim Erwachsenen beschäftigt. Kardiologe ist in den deutschsprachigen Ländern ein geschützter Begriff und bezeichnet Ärzte, die im Rahmen einer speziellen Weiterbildung besondere Kenntnisse auf dem Gebiet der Kardiologie erworben und nachgewiesen haben. Die Kinderkardiologie wird in einem eigenen Artikel behandelt, sie ist in Deutschland und der Schweiz ein eigenständiges Teilgebiet der Kinderheilkunde.

Geschichte der Kardiologie

Menschen empfanden das Herz bereits seit langer Zeit als besonders verwundbares Organ, darauf weisen steinzeitliche Wandmalereien in Spanien hin. Heilkundige Chinesen, Griechen und Römer widmeten dem Herzen und dem Puls als Ausdruck mechanischer Herztätigkeit besondere Aufmerksamkeit. Herophilos von Chalkedon konstruierte um 300 v. Chr. eine Taschenwasseruhr zur Pulsmessung. Vor etwa 2000 Jahren beschrieb der römische Literat Seneca der Jüngere seine Angina pectoris so: "Der Anfall ist sehr kurz und einem Sturm ähnlich. Bei anderen Leiden hat man mit der Krankheit zu kämpfen, hier aber mit dem Sterben." Die Geschichte der modernen Kardiologie begann am ehesten im Jahre 1628, als der englische Arzt Harvey seine Entdeckung des Blutkreislaufes veröffentlichte.

Untersuchungsverfahren

Ohne entsprechende Untersuchungsmethoden jedoch wäre unser heutiges Wissen über die Funktion des Herzens nicht denkbar:

Hölzernes Stethoskop (aus Meyers Konversationslexikon 1890)
  • Blutdruckmessung: 1733 konnte der englische Pfarrer und Wissenschaftler Hales erstmals mit Hilfe blutiger Apperaturen bei einem Pferd den Blutdruck messen. 1896 beschrieb der italienische Arzt Riva-Rocci eine einfache Methode der "unblutigen" Blutdruckmessung, die in der 1905 vom russische Militärarzt Korotkow abgewandelten Form bis heute angewandt wird und nach Riva-Rocci ("RR") benannt ist.
  • Auskultation: 1816 erfand der Franzose Laënnec das Stethoskop, zunächst als recht einfachen hölzernen Zylinder. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts waren Stethoskope mit flexiblen Schläuchen für beide Ohren verbreitet.
  • EKG: 1903 entwickelt der Holländer Einthoven den Elektrokardiografen. Hände und Füße der Patienten wurden damals zur Ableitung der Herzströme in Salzlösung getaucht, erst in den 40er Jahren erfolgte die Registrierung mit Hilfe von Metallscheiben an den Hand- und Fußgelenken, die durch Drähte mit dem Registriergerät verbunden wurden.
  • Herzkatheter: 1929 schob sich der damalige chirurgische Assistenzarzt und spätere Urologe Forßmann in Eberswalde einen Gummischlauch durch seine Armvene in den rechten Vorhof. 1941 veröffentlicht Cournand seine Erfahrungen mit der Herzkathetererisierung als diagnostischer Methode. 1956 erhielten Forßmann und Cournand u.a. für diese Verdienste zusammen mit Richards den Nobelpreis.
  • Echokardiographie: 1950 wurden erste Untersuchungen durch Wolf-Dieter Keidel sowie 1954 von Inge Edler und Carl H. Hertz durchgeführt. Die dopplergestützte Echokardiographie wurde erstmals 1959 durch den Japaner S.Satomura eingesetzt, kam jedoch erst in den frühen 80er Jahren mit der Verfügbarkeit leistungsstarker Rechner durch K.Namekawa, William J. Bommer sowie Larry Miller zur Anwendungsreife.

Behandlungsmethoden

Bei der Betrachtung therapeutischer Verfahren wird deutlich, dass die Mehrzahl der heute wesentlichen Prinzipien noch keine 50 Jahre alt ist:

  • Medikamentöse Therapie: Im Jahr 1785 beschrieb Withering den Nutzen des Digitalis für die Behandlung der „Wassersucht“. 1959 brachten die deutschen Behring-Werke Streptokinase auf den Markt, das beim akuten Herzinfarkt das Blutgerinnsel im Herzkranzgefäß auflösen kann. Ebenfalls in Deutschland stellte 1963 das Unternehmen Knoll mit Verapamil den ersten Calciumantagonisten vor. Den ersten Beta-Blocker entwickelte 1964 der Schotte Black, der 1980 den Nobelpreis erhielt. 1981 führte die Pharmafirma Squibb Captopril als ersten ACE-Hemmer in die Therapie ein, 1987 entwickelte der in Amerika lebende Grieche Roy Vagelos das erste Statin.
  • Herzoperationen: Die erste Herzoperation wurde 1938 durch den amerikanischen Chirurgen Robert E. Gross vorgenommen, die erste Operation am offenen Herzen 1952 durch F. John Lewis. Am stillstehenden Herzen konnte erst nach Einführung der Herz-Lungen-Maschine durch Gibbon im Jahr 1953 operiert werden, die erste Operation mit diesem Gerät in Deutschland nahm 1957 der Berliner Chirurg Bücherl vor. Die erste künstliche Herzklappe wurde 1961 durch die beiden Amerikaner Albert Starr und Lowell Edwards implantiert, der erste Koronararterien-Bypass 1967 durch René G. Favaloro angelegt. Ebenfalls 1967 erfolgte die erste Herztransplantation durch Barnard. Die erste Bypass-Operation in minimal-invasiver Technik wurde 1994 in den USA durchgeführt, 1995 erstmals auch in Deutschland durch Joachim Laas in der Herz-Kreislauf-Klinik in Bad Bevensen.
  • Kathetertechniken: Der in Dresden geborene Grüntzig führte 1977 in Zürich die erste Ballon-Dilatation durch und begründete damit die interventionelle Kardiologie. Er starb 1988 bei einem Flugzeugabsturz. Der erste Stent wurde 1986 von Sigwart in Lausanne eingesetzt.
  • Herzrhythmusbehandlung: 1906 veröffentlicht der Japaner Tawara während seiner Tätigkeit beim Marburger Pathologen Aschoff die Grundzüge des Erregungsleitungssystems des Herzens. 1958 wurde am Karolinska-Spital in Stockholm der erste von Äke Senning und Siemens-Entwicklungschef Rune Elmqvist gebaute Herzschrittmacher implantiert. 1980 wurde an der Johns-Hopkins-Universität erstmals ein interner Defibrillator eingesetzt, um lebensbedrohliche Tachykardien und Kammerflimmern zu beenden.
  • Herzinfarkt-Behandlung: Nach einem Infarkt wurde noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für sechs bis acht Wochen jegliche körperliche Anstrengung verboten und strikte Bettruhe verordnet. Erst in den 60er Jahren fand das 1952 von Lown und Levine propagierte "armchair treatment" auch in Deutschland Anklang. Patienten konnten bereits eine Woche nach dem Infarkt täglich bis zu zwei Stunden im Sessel sitzen, um den Kreislauf anzuregen und Muskelabbau sowie Thrombosen vorzubeugen. Heute stehen Patienten nach einem unkomplizierten Infarkt am ersten oder zweiten Tag auf und werden nach sieben bis zehn Tagen aus dem Krankenhaus entlassen, in den USA bereits nach weniger als fünf Tagen.

Kardiologie heute

Verbreitung und Organisation

Nachdem die Kardiologie noch in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts recht elitär fast ausschließlich an den Universitätskliniken und in wenigen spezialisierten Zentren präsent war, ist sie im 21. Jahrhundert nahezu flächendeckend in Praxis und Klinik vertreten. Dabei hat die Zunahme von Wissen und speziellen Techniken zu einer zunehmenden Spezialisierung der Kardiologen insgesamt und auch innerhalb der Kardiologie geführt. Das ehemalige Teilgebiet der Inneren Medizin etabliert sich immer deutlicher als selbstständiger Schwerpunkt und innerhalb der Kardiologie entwickelt sich eine Subspezialisierung in nicht-invasive und invasive Kardiologie sowie ! align="right" bgcolor="#ABCDEF" |1984 ! align="right" bgcolor="#FFEBAD" |2003 |- | align="right" bgcolor="#FFEBAD" | 221.867 |- |} Neben der medikamentösen Therapie haben hier in den letzten zwei Jahrzehnten die invasiven Therapien immer mehr an Bedeutung gewonnen. Dabei handelt es sich um die von Herzchirurgen durchgeführte Bypass-Operation und die von inter269 Ballondilatationen vorgenommen.

Neben der KHK spielen für die heutige Kardiologie Herzrhythmusstörungen eine große Rolle, wobei das Vorhofflimmern zahlenmäßig überwiegt und lebensbedrohliche ventrikuläre Rhythmusstörungen (Ventrikuläre Tachykardie und Kammerflimmern) besonders bedeutsam sind. Erkrankungen der Herzklappen, primäre Erkrankungen des Herzmuskels (Kardiomyopathien) und die entzündlichen Herzkrankheiten (Endokarditis, Myokarditis und Perikarditis) spielen dagegen heute quantitativ eine eher untergeordnete Rolle.

Ein besonderes Problem stellt die kardiologische Versorgung von Patienten mit angeborenen komplexen Herzfehlern dar, die das Erwachsenenalter erreicht haben. Deren Zahl steigt ständig. Nach Operationen im Neugeborenen- und Kindesalter benötigen sie eine weitere Betreuung - in der Regel lebenslang. Der Übergang von der Kinderkardiologie zur Erwachsenenkardiologie ist bisher (2005) nicht abschließend geregelt da diese Krankheitsbilder neu sind und sich durch neue Operationsverfahren weiter entwickeln. Als mögliche Lösungen werden z. Z. eine besondere Zertifizierung von Abteilungen/Kliniken und ein neu zu schaffender "Facharzt für angeborene Herzfehler" durch die Fachgesellschaften diskutiert.

Ausbildung

Jährlich schließen in Deutschland etwa 300 bis 350 Ärzte ihre Weiterbildung zum Kardiologen mit einer Prüfung bei den Landesärztekammern erfolgreich ab. Die Kardiologie ist aus einer Spezialisierung innerhalb der Inneren Medizin hervorgegangen und war über Jahrzehnte als einer ihrer Schwerpunkte (wie Gastroenterologie oder Nephrologie) organisiert. So sind fast alle heute tätigen Kardiologen auch Fachärzte für Innere Medizin.

Kontrovers werden Initiativen der letzten Jahre beurteilt, die Kardiologie als eigenständige Fachdisziplin neben der "allgemeinen" Inneren Medizin und ihren anderen Teilgebieten anzusehen und entsprechend zu etablieren. In Deutschland sieht die 2003 verabschiedete Musterweiterbildungsordnung einen "Facharzt für Innere Medizin und Schwerpunkt Kardiologie" mit mindestens sechsjähriger Weiterbildung (davon drei Jahre in der Inneren Medizin) neben dem Facharzt Innere und Allgemeinmedizin vor. In der Schweiz ist bereits seit 2001 ein "Facharzt für Kardiologie" mit einer mindestens sechsjährigen Weiterbildung (davon die ersten zwei Jahre in der Inneren Medizin) vorgesehen, während die österreichische Ärzteausbildungsordnung das "Zusatzfach Kardiologie" mit einer mindestens siebenjährigen Weiterbildung (davon vier Jahre in der Inneren Medizin) noch innerhalb der Inneren Medizin sieht.