Nagetiere
Nagetiere | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Rodentia | ||||||||||||
Bowdich 1821 | ||||||||||||
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Die Nagetiere (Rodentia) stellen die größte Ordnung der Säugetiere dar. Sie sind mit mehr als 1700 Arten weltweit verbreitet und haben eine Vielzahl von verschiedenen Lebensräumen besiedelt. Ihre Körpergröße variiert von etwa 5 Zentimetern bei der Afrikanischen Zwergmaus bis etwa 130 Zentimetern beim Wasserschwein, die überwiegende Mehrzahl der Arten hat jedoch eine Körpergröße zwischen 8 und 35 Zentimetern.
Anatomie
Die Körperform der Tiere ist weitestgehend einheitlich bis auf wenige Ausnahmen, die in speziellen Lebensräumen leben und entsprechende Anpassungen aufweisen (Sprungbeine, Grabbeine, Gleitflächen etc.)
Gebiss
Das wichtigste Merkmal am Gebiss der Nagetiere stellen die vergrößerten Schneidezähne im Ober- und im Unterkiefer dar.
Das bleibende Gebiss umfasst 16 oder 20 Zähne. Es besitzt in jeder Kieferhälfte einen Schneidezahn (Dens incisivus, I), der auch als Nagezahn bezeichnet wird. Die Nagezähne des Unterkiefers sind meist länger als die des Oberkiefers. Hinter ihnen folgt eine als Diastema bezeichnete Lücke, Eckzähne sind nicht ausgebildet. Vordere Backenzähne (Prämolare, P) sind bei den meisten Arten ebenfalls nicht ausgebildet, bei den Meerschweinchenartigen (Cavioidea, zum Beispiel Meerschweinchen, Chinchilla) gibt es jedoch einen. In jeder Kieferhälfte gibt es 3 hintere Backenzähne (Molare, M).
Ein Zahnwechsel findet meist nicht statt (Monophyodontie), lediglich Meerschweinchenartige (Cavioidea) besitzen Milchzähne, die allerdings schon vor der Geburt durch die bleibenden ersetzt werden.
Die Nagezähne sind generell wurzellose Zähne. Sie haben eine zum Zahnfach hin offene Zahnhöhle und wachsen zeitlebens. Die Backenzähne haben dagegen bei den meisten Arten ein begrenztes Wachstum. Eine Ausnahme machen wiederum Meerschweinchenartige, bei denen alle Zähne wurzellos sind und deshalb bei Heimtieren auch die Backenzähne regelmäßig kontrolliert werden müssen.
Linke und rechte Gebisshälfte verhalten sich identisch, so dass üblicherweise nur eine Seite dargestellt wird. Grafisch lässt sich die Zahnformel der meisten Rodentia so ausdrücken:

Für Meerschweinchenartige (Cavioidea) gilt die Formel:

Das Gebiss ist mit ausgesprochen starken Kaumuskeln versehen, wobei besonders der Musculus masseter eine wichtige Rolle spielt. Durch die typische Anordnung dieser Muskulatur erhalten alle Nager eine recht ähnliche Kopfform.
Lebensweise

Die meisten Nagetiere sind nacht- oder dämmerungsaktiv, viele sind jedoch auch tagsüber anzutreffen. Sie leben einzeln oder in Gruppen, die im Fall der Nacktmulle (Heterocephalus glaber) mehr als 100 Tiere umfassen können. Nagetiere leben in allen Lebensräumen einschließlich des Luftraumes, den einige Arten wie die Gleithörnchen gelegentlich nutzen. Sie fehlen nur in der Antarktis und auf einigen kleineren Inseln sowie im Meer.
Nagetiere und Hasenartige haben eine besondere Anpassung an die pflanzliche Ernährung entwickelt, die Caecotrophie, bei der Nahrung durch Aufnehmen bestimmter Formen des Kots zweimal den Ernährungstrakt durchläuft.
Systematik
Externe Systematik
Ursprünglich wurden die Nagetiere mit den Hasenartigen zu einer gemeinsamen Ordnung Glires zusammengefasst. Nachdem dieses Konzept zwischendurch gänzlich verworfen worden war, gibt es neuerdings wieder Befürworter einer Theorie, nach der es eine enge Verwandtschaft zwischen beiden Taxa gebe. Die Hasenartigen sind demnach die Schwestergruppe der Nagetiere, mit denen sie zu einem gemeinsamen Taxon (Glires) vereint werden. Glires wird manchmal einem weiter gefassten Taxon (Anagalida) zugeordnet, dem als Schwestergruppe der Glires die Rüsselspringer zugeordnet werden.
Diese Thesen bleiben aber nicht unwidersprochen. Andere Untersuchungen kommen zu gegenteiligen Ergebnissen und sehen die Hasenartigen in einer gänzlich verschiedenen Stammlinie. Die Positionierung der Rüsselspringer in der Nähe der Nagetiere widerspricht außerdem dem auch in Wikipedia übernommenen Konzept, nach dem beide den unterschiedlichen Großgruppen der Afrotheria und Euarchontoglires zuzuordnen sind.
Interne Systematik
Traditionell wurden die Nagetiere in drei Unterordnungen: die Sciuromorpha (Hörnchenverwandte), Myomorpha (Mäuseverwandte) und Hystricomorpha (Stachelschweinverwandte). In jüngerer Zeit hat man allerdings erkannt, dass die Systematik der Nagetiere weit komplexer ist. Eine Reihe von Autoren erkennen nur noch zwei Unterordnungen an: Sciurognathi und Hystricognathi, die nach der Struktur des Unterkiefers unterschieden werden. Der folgende Ansatz folgt hingegen weitgehend Malcolm McKenna und Susan Bell (Classification of Mammals), mit einigen Abänderungen auf der Ebene der Familien.
Ordnung Nagetiere
- Unterordnung Hörnchenverwandte (Sciuromorpha)
- Stummelschwanzhörnchen (Aplodontiidae)
- Hörnchen (Sciuridae)
- Eichhörnchen (Sciura)
- Murmeltieren (Marmota)
- Biber (Castoridae)
- Unterordnung Stachelschweinverwandte (Hystricognatha)
- Überfamilie Meerschweinchenartige (Cavioidea)
- Pakas und Agutis (Cuniculidae)
- Pakarana (Dinomyidae)
- Meerschweinchen (Caviidae)
- Riesennager (Hydrochoeridae)
- Überfamilie Trugrattenartige (Octodontoidea)
- Trugratten (Octodontidae)
- Stachelratten (Echimyidae)
- Baumratten (Capromyidae)
- Überfamilie Chinchillaartige (Chinchilloidea)
- Chinchillas (Chinchillidae)
- Chinchillaratten (Abrocomidae)
- (nicht zugeordnet)
- Stachelschweine (Hystricidae)
- Baumstachler (Erethizontidae)
- Felsenratte (Petromuridae)
- Rohrratten (Thryonomyidae)
- Sandgräber (Bathyergidae) mit dem Nacktmull (Heterocephalus glaber)
- Laotische Felsenratte (Laonastidae)
- Überfamilie Meerschweinchenartige (Cavioidea)
- Unterordnung Dornschwanzhörnchenartige (Anumaluromorpha)
- Springhasen (Pedetidae)
- Dornschwanzhörnchen (Anomaluridae)
- Unterordnung Kammfingerartige (Sciuravida)
- Kammfinger (Ctenodactylidae)
- Unterordnung Mäuseverwandte (Myomorpha)
- Bilche (Gliridae)
- Taschenratten (Geomyidae)
- Taschenmäuse (Heteromyidae)
- Springmäuse (Dipodidae):
- Langschwanzmäuse (Muridae)
- Nesomyidae
Die Hörnchenverwandten, die meistens an die Wurzel der Nagetiere gestellt werden, stellen wahrscheinlich eine paraphyletische Gruppe; alle weiteren Unterordnungen mit Ausnahme der Stachelschweinverwandten scheinen aus diesen hervorgegangen zu sein.
Besonders umstritten ist die Systematik der Stachelschweinverwandten. Hierin gibt es eine Reihe südamerikanischer Gruppen (Meerschweinchen, Chinchillas und Verwandte, auch als Caviomorpha zusammengefasst), die nach Meinung mancher Zoologen ganz aus den Nagetieren herauszunehmen sind. Die These, dass die Meerschweinchen und ihre Verwandten ein eigenes Taxon außerhalb der Nagetiere stellten, wurde zuerst 1991 von Graur, Hide und Li in einem Artikel für Nature aufgestellt. Demnach wären die Nagetiere eine polyphyletische Gruppe, die als einheitliches Taxon nicht mehr haltbar wären. Diese Theorie ist allerdings umstritten; anhand früher Fossilien glauben manche Zoologen nachweisen zu können, dass die Caviomorpha in Afrika entstanden sind und von hier über Treibholz nach Südamerika gelangt sind, das im späten Eozän längst nicht so weit von Afrika entfernt gelegen hatte wie heute.
Das nachstehende Kladogramm folgt ebenfalls weitgehend McKenna und Bell:
Rodentia (Nagetiere) | |-- Hystricognatha (Stachelschwein-Verwandte) | |-- Hystricidae (Stachelschweine) | `-- N.N. | |-- Erethizontidae (Baumstachler) | `-- N.N. | |-- N.N. | | |-- Petromuridae (Felsenratten) | | `-- Thryonomyidae (Rohrratten) | `-- N.N. | |-- Bathygergidae (Sandgräber) | `-- Caviomorpha | |-- Chinchilloidea (Chinchillaartige) | | |-- Chinchillidae (Chinchillas) | | `-- Abrocomidae (Chinchillaratten) | |-- Octodontoidea (Trugrattenartige) | | |-- Octodontidae (Trugratten) | | `-- N.N. | | |-- Echimyidae (Stachelratten) | | `-- Capromyidae (Baumratten) | `-- Cavioidea | |-- Cuniculidae (Pakas und Agutis) | `-- N.N. | |-- Dinomyidae (Pakaranas) | `-- N.N. | |-- Caviidae (Meerschweinchen) | `-- Hydrochoeridae (Riesennager) `-- Sciuromorpha (Hörnchenverwandte, paraphyletisch) |-- Aplodontiidae (Stummelschwanzhörnchen) `-- N.N. |-- Sciuridae (Hörnchen) |-- Castoridae (Biber) |-- Anomaluromorpha (Dornschwanzhörnchenartige) | |-- Pedetidae (Springhasen) | `-- Anomaluridae (Dornschwanzhörnchen) |-- Sciuravida/Ctenodactylidae (Kammfinger) `-- N.N. |-- Glirimorpha/Gliridae (Bilche) `-- Myomorpha (Mäuseverwandte) |-- Geomyidae (Taschennager) `-- N.N. |-- Dipodidae (Springmäuse) `-- Muridae (Langschwanzmäuse)
Literatur
- Ronald M. Nowak: Walker's Mammals of the World. Johns Hopkins University Press, 1999 ISBN 0801857899
- Malcolm C. McKenna, Susan K. Bell: Classification of Mammals: Above the Species Level. Columbia University Press, 2000 ISBN 0231110138
- Robert Gerber: Nagetiere Deutschlands. Westarp Wissenschaften, 2004 ISBN 3894321555
- D. Graur, W. Hide, Li Wen Hsiung: Is the guinea-pig a rodent? In: Nature 1991, Nr. 351, S. 649-652