Die sechs Diener
Bei "Die sechs Diener" handelt es sich um ein Märchen, das die Gebrüder Grimm in den Kinder- und Hausmärchen publizierten.
Inhalt
Eine zauberkundige böse Königin lockt mit dem Versprechen, ihre Tochter dem zu geben, der ihre Aufgaben löst, viele Freier ins Verderben. Ein Königssohn, der um die Tochter als "schönstes Mädchen unter der Sonne" freien möchte, wird von seinem Vater zurückgehalten. Nachdem der junge Mann sieben Jahre lang krank darniederliegt, erlaubt der Vater ihm, sich auf den Weg zu machen. Unterwegs stellt der Königssohn sechs Diener mit außerordentlichen Fähigkeiten ein: 1. einen extrem Dicken, 2. einen extrem Langen, 3. einen Horcher, 4. einen, der alles durchschaut, 5. einen mit verbundenen Augen, dessen Blick alles sprengt und 6. einen, der es "mitten im Eis vor Hitze und mitten im Feuer vor Kälte" nicht aushalten kann. Am Hof der bösen Königin erfüllt der Königssohn drei Aufgaben: Er holt mithilfe des alles durchschauenden Dieners, des Dicken und des Langen den Ring der Königin aus dem Roten Meer, er verspeist 300 Ochsen und trinkt 300 Fässer Wein mithilfe des Dicken und er verbringt die Zeit von Abend bis Mitternacht mit der Königstochter in einer Kammer, wobei es zu Komplikationen kommt (der Königssohn schläft ein, die böse alte Königin entführt die Tochter, der Horcher hört sie in einer Felsenhöhle klagen, der Lange bringt den mit dem Sprengkraft-Blick hin und bringt die Königstochter zurück vor Mitternacht). Die erzürnte Königin hetzt nun ihre Tochter gegen den vermeintlich unwürdigen Freier auf, so dass diese noch eine Aufgabe stellt: Sie errichtet einen gewaltigen Scheiterhaufen, auf dem entweder der Bräutigam oder ein Diener ausharren müssen. Diesmal löst der, dem es im Feuer kalt wird, die Aufgabe. Mit der Braut begibt sich der erfolgreiche Königssohn, der immer noch seine Identität geheim hält, auf den Heimweg. Die böse Königin entsendet ein Heer, das die Diener besiegen. Dann gelangt das Paar zu einem Schweinehirten. Hier stellt nun der Königssohn der Braut eine Aufgabe: Er gibt sich als Sohn des Schweinehirten aus und erhält diese Lüge eine Woche lang aufrecht. Schließlich wird die Braut aufs königliche Schloß gebracht, wo sich ihr der Bräutigam als Königssohn offenbart. Nun wird die Hochzeit gefeiert.
Interpretation
Das Märchen folgt dem Strukturmuster der Heldenreise mit fünf Stationen:
- Aufgrund eines Mangels (Sehnsucht nach der schönen Tochter der Königin) bricht der Protagonist von daheim auf. Die sieben Krankheitsjahre verweisen dabei deutlich auf das Schema der Lebensalter, wobei hier die Pubertät (14 bis 21 Jahre) von Bedeutung ist.
- Er sammelt Kräfte auf dem Weg, welche durch die sechs Diener personifiziert werden. Diese Figuren sind also nicht selbständig zu sehen, sondern können in einer subjektalen Deutung als Persönlichkeitsteile des Helden betrachtet werden.
- Am fremden Königshof begegnet der Protagonist der Anima in zweierlei Gestalt von gefährlicher alter Zauberin/Königin und begehrenswert schöner junger Braut. Dabei erinnert die Konstellation an die Beziehung von Herodias und Salome, mit einer Mutter, die zudem ihre Tochter übermäßig beschützt und vollständig isoliert (Gefangenschaft in der Felsenhöhle).
- Der Rückweg wird trotz Gefahren gut überstanden.
- Der Protagonist hat sich als ehetauglich erwiesen. Man könnte auch von "Integration der weiblichen Seite" sprechen, die im Bild der Hochzeit ausgedrückt wird. Die Heldenreise endet also mit einer psychischen Transformation des Protagonisten auf einer höheren Stufe in der Persönlichkeitsentwicklung, die des autonomen,m reifen Individuums.
Interessant erscheint, daß die insgesamt fünf Aufgaben, welche die verschiedenen Figuren stellen, eine Art Generalprobe zur Hochzeit darstellen. Da muss ein Ring beschafft werden, Symbol für die Bindungswilligkeit des Königssohns und Hinweis auf den Ringwechsel bei der Hochzeitszeremonie am Altar. Dann muss er eine Riesenmahlzeit halten in Analogie zum Hochzeitsmahl. Als drittes muss er bis Mitternacht die Braut behüten, ein Verweis auf die Gefahren der Hochzeitsnacht, die hier besonders gut überstanden werden, weil der Bräutigam die Braut aus ihrer Seelischen Isolation befreien kann. Die Feuerprobe, welche die Prinzessin verlangt, verweist auf einen ersten Ehestreit, bei dem die Flammen der Leidenschaft auflodern, aber der Partner einen "kühlen Kopf" bewahrt: Der Diener, dem im Feuer kalt und im Eis heiß wird, personifiziert das Potential des Ausgleichen-Könnens, "cool bleiben", wo andere sich erhitzen und streiten und "Herzenswärme" zeigen, wo die Stimmung zwischenmenschlich zu eisig wird ... Die letzte Probe beim Schwinehirten, welche der Bräutigam der Braut abverlangt, ist eine Prüfung, ob die Prinzessin es ernst mit der Ehe meint und dem Mann "in guten wie in schlechten Tagen" die Treue hält.
Parallelen
Eine Gruppe von Dienern, Helfern oder Gefährten, welche dem Protagonisten beistehen und in tiefenpsychologischer Deutung seine Potentiale/Fähigkeiten symbolisieren findet sich in verschiedenen Mythen und Märchen:
- Im Perseus-Mythos ist an die Kyklopen zu erinnern.
- Jason wird von den 50 Argonauten unterstützt, als er das Goldene Vließ und Medea gewinnt.
- In Tolkiens "Der Herr der Ringe" bildet sich um den Ringträger Frodo ein Kreis von Gefährten, der aus Hobbits, Menschen, Zwergen und Elben besteht.
Große Ähnlichkeit mit "Die sechs Diener" hat das russische Märchen "Das fliegende Schiff". Dessen Protagonist Iwanuschka dürfte allerdings deutlich in einer früheren Lebensphase als der Königssohn stecken. Er löst die Aufgaben des Zaren, schlägt aber die Zarewna aus: "Sie gefiel ihm nämlich nicht." Mit einer Ladung Gold begibt er sich mit seinen Gefährten auf eine Insel. Die Bildung einer reinen Männergesellschaft verweist auf ein Lebensstadium, in dem eine relative Autonomie gewonnen wird, aber noch kein Interesse an Frauen besteht.