Oseltamivir
Oseltamivir ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Neuraminidase-Hemmer, der für die Therapie der Virusgrippe (Influenza) bei Kindern ab einem Jahr und Erwachsenen mit influenzatypischen Symptomen wie auch zur Postexpositions-Prophylaxe (Vorbeugung nach möglichem Kontakt mit einem Infizierten) bei Jugendlichen ab 13 Jahren und Erwachsenen zugelassen ist. Es ist neben Zanamivir und Amantadin zur Zeit das einzig wirksame Mittel gegen die echte Virusgrippe, ausgelöst durch Influenza-A oder Influenza-B Viren. Oseltamivir wird von der Firma Roche unter dem Markennamen Tamiflu® angeboten und unterliegt der ärztlichen Verschreibungspflicht.
Geschichte
Die Entwicklung eines wirksamen Grippemittels begann vor mehr als 14 Jahren. Wissenschaftler der Monash University in Parkville, Australien, präsentierten am 14. Oktober 1992 auf einem Infektiologiekongress in Los Angeles ein wirksames Mittel gegen Grippe an Mäusen, einen Vorläufer von Zanamivir ohne Arzneimittel-Zulasung. Es musste jedoch über die Lunge inhaliert werden, wo die Krankheit auch meist ausbricht. Norbert Bischofberger von der Bio-Tech-Firma Gilead in Foster City bei San Francisco versuchte nun ein Medikament zu entwickeln, das nach dem gleichen Wirkprinzip arbeitet aber in Tablettenform verabreicht werden kann. Nach der Entwicklung begann eine Zusammmenarbeit mit der Firma Roche und im November 1996 begannen die Tests zur Arzneimittelzulasung. Im Dezember 2000 erhält Tamiflu die Arzneimittelzulasung gegen Grippe in den USA und in Japan. Im Juni 2002 ist Tamiflu auch von der Europäischen Union zugelassen worden.
Wirkweise
Der Wirkstoff Oseltamivir wird nach oraler (durch den Mund) Einnahme zu mehr als 75% rasch im Magen-Darm-Trakt vom Organismus in das Blut aufgenommen (resorbiert) und nahezu vollständig durch spezielle Leberenzyme (hepatische Esterasen) in das aktive Stoffwechselprodukt (Metabolit) Oseltamivircarboxylat umgewandelt. Dieser so entstandene Wirkstoff hemmt gezielt (selektiv) die Neuraminidasen von Influenzaviren. Diese Neuraminidasen sind Glykoproteine, die auf der Oberfläche eines Virions (ein Virus, das noch nicht in eine Zelle eingedrungen ist) zu finden sind. Neuraminidase dient den Grippeviren dazu Sialinsäure aufzulösen, die Wirtszellen bedeckt. Dadurch kann sich das Virus von einer oft vorkommenden Verklebung mit den Körperzellen befreien. Die durch den Metaboliten gehemmten viruseigenen Neuraminidasen besitzen normalerweise eine enzymatische Aktivität, die für die Freisetzung von neu gebildeten Viruspartikeln aus infizierten Zellen entscheidend ist und damit auch für die weitere Verbreitung der infektiösen Viren im Körper.
Viren verändern mit jeder neuen Generation das Aussehen und die Genetische Sequenz ihres Neuraminidase Enzyms. Ein Spalt des Enzyms bleibt aber konstant. Er ist für die Auflösung der klebrigen Sialinsäure essentiell und wird von GG167 (Zanamivir) und auch GS4104 (Oseltamivir) verstopft.
Tamiflu vermindert also die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Influenzavirus im Körper ausbreitet und kann so dazu beitragen, dass die Krankheitsdauer verkürzt wird, die Symptome der Grippe gemildert und gefährliche Folgekomplikationen, wie z.B. Lungenentzündungen, verhindert werden.
Einsatz in der Therapie und Nebenwirkungen
Um wirksam zu sein, das heißt um die Symptome einer Virusgrippe zu mindern, wird vom Hersteller vorgegeben, das Medikament so früh wie möglich nach Beginn der Symptomatik einzunehmen. Optimal sei ein Behandlungsbeginn innerhalb von 36 Stunden nach dem Auftreten erster Grippesymptome, spätestens sollte der Einsatz nach zwei Tagen erfolgen. Je eher die Therapie beginnt, als desto größer gilt ein möglicher Therapieerfolg.
Tamiflu kann zusammen mit Paracetamol, Ibuprofen oder Acetylsalicylsäure (Aspirin) eingenommen werden, wobei als Wechselwirkung eine Verringerung der Wirksamkeit der Medikamente beschrieben wird.
Häufige Nebenwirkungen sind Übelkeit, Erbrechen und Magenschmerzen, ferner können allergische Reaktionen auftreten sowie eine Verschlechterung (!) bereits bestehender Erkrankungen der Atemwege. Um mögliche Nebenwirkungen auf den Magen- / Darmtrakt zu reduzieren, sollte Tamiflu möglichst zusammen mit etwas Nahrung eingenommen werden. Es gibt zur Zeit keine gesicherten Erfahrungen mit dem Wirkstoff bei der Behandlung von Patienten mit schweren chronischen Erkrankungen (zum Beispiel Asthma, Immunschwäche nach Operationen) oder anderen gravierenden Krankheitszuständen.
Einsatz in der Prophylaxe
Das Medikament kann eingeschränkt zur Vorbeugung eingesetzt werden, wenn im Umfeld bereits ein oder mehrere Influenzafälle eindeutig festgestellt wurden und ein Kontakt mit dem oder den Infizierten nicht ausgeschlossen werden kann. In der Fachinformation von Tamiflu (Stand: Februar 2005) wird allerdings darauf hingewiesen, dass dieses Medikament kein Ersatz für eine Grippeschutzimpfung gegen die bekannten, seit Jahren umlaufenden Humangrippe-Viren ist. Eine Verwendung zur Vorbeugung sei lediglich angezeigt, wenn eine Impfung vorher aus medizinischen Gründen bei einem Patienten nicht durchzuführen war, oder zu einem Zeitpunkt nicht möglich bzw. nicht mehr effektiv sei, wie zum Beispiel bei einer rasch auftretenden Pandemie.
Es scheint jedoch zur Zeit keine Studien zu geben zur Abschätzung der Folgen einer Einnahme über längere Zeitspannen (Wochen, Monate); das Auftreten zusätzlicher gravierender Nebenwirkungen ist daher nicht ausgeschlossen, sollte das Medikament zur Langfrist-Prophylaxe eingesetzt werden. Ob der Wirkstoff die Todesrate bei einer Grippe-Epidemie senken könnte, ist ebenfalls ungeklärt. Wie sinnvoll ein Einsatz des Wirkstoffs im Falle einer Epidemie tatsächlich sein könnte, ist somit unklar (siehe auch Science vom 5. August 2005, S. 871).
Die Anwendung von Arzneimitteln (Dosierung) zur Behandlung und Prophylaxe der Grippe sollte unbedingt auf der Basis aktueller offizieller Empfehlungen und denen des behandelnden Arztes erfolgen. Als aktuelle Informationsquelle kann hierzu auch das Robert-Koch-Institut verwendet werden.
Bei der Bevorratung von Tamiflu ist zu beachten, dass es 5 Jahre haltbar ist.
Maßnahmen zur Vorbeugung gegen eine H5N1-Pandemie
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat zur Verhinderung einer von ihr befürchteten Influenza-Pandemie durch das Vogelgrippe-Virus H5N1 allen Staaten geraten, so große Mengen dieses Mittels vorrätig zu halten, dass mit ihnen 25 Prozent der Bevölkerung versorgt werden könnten. Das Grippemittel ist möglicherweise geeignet, die Zeit bis zur Entwicklung eines Impfstoffs zu überbrücken. In Laborkulturen und auch in Testtieren wurde eine antivirale Aktivität gegen diesen Subtyp des Influenza-A-Virus nachgewiesen. Klinische Untersuchungen zur Wirksamkeit von Oseltamivir bei der Vogelgrippe fehlen auf Grund der geringen Anzahl an erkrankten Personen weitgehend.
Verschiedene Medien, unter anderen der Spiegel [1] am 14.10.2005, meldeten, dass es in Vietnam den ersten Fall eines Oseltamivir-resistenten Vogelgrippevirus gegeben hat. Es wird vermutet, dass sich ein junges Mädchen bei seinem Bruder und nicht direkt bei Geflügel angesteckt haben könnte. Eine genetische Analyse des in diesem Fall krankheitsauslösenden Erregers bestätigte erstmals eine Resistenz gegen Oseltamivir, die sich allem Anschein nach durch eine genetische Mutation gebildet hatte. Das Medikament schlug bei dem erkrankten Mädchen nicht in einer erwarteten Weise an, dennoch hat sich das infizierte Mädchen erholt. Ein Team von Wissenschaftlern um Yoshihiro Kawaoka von der Universität Tokio hat jedoch festgestellt, dass sich aber der Wirkstoff Zanamivir (Relenza®) bei diesem gegen Oseltamivir-resistenten Virus durchaus noch als wirksam erweist.
Nach Frankreich, Norwegen, Großbritannien, Schweiz und den USA hat auch Deutschland im August 2005 sechs Millionen Dosen des Grippemittels bestellt. Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass diese Zahl im Ernstfall viel zu gering wäre: Statt für 25% (WHO-Empfehlung) oder 20% (Robert-Koch Institut) der Bevölkerung werden in einigen Bundesländern lediglich für 10% (Hamburg) bzw. 4.5% (Sachsen-Anhalt) der Bevölkerung Medikamentendosen vorrätig gehalten [2]. Einem Unternehmenssprecher zufolge verhandle der Hersteller mit der deutschen Regierung über die Lieferung weiterer Dosen. Die französische Zeitung "Liberation" berichtete Ende August, die französische Regierung habe bereits fünf Millionen Dosen des Grippemittels gekauft und beabsichtige, diese Zahl bis Jahresende auf 14 Millionen Dosen zu erhöhen.
Da die Produktion dieses Medikaments sehr viel Zeit erfordert und sehr aufwendig ist, reservieren Staaten und Bundesländer (Niederösterreich, Steiermark, Brandenburg) bereits jetzt dieses Produkt, um im Falle einer Epidemie genügend Vorräte zu haben.
Weblinks
- Diese Animation erklärt den Wirkmechanismus von Tamiflu
- Robert Koch Institut offizielle Empfehlungen zur medikamentösen Therapie der Vogelgrippe
- Fachinformationen u.a. auch zu Tamiflu
- aktuelle Fachinformation zu Tamiflu
- Entwicklung des Grippemittels Tamiflu ZEIT