Siegfried der Drachentöter
Siegfried im Nibelungenlied
Siegfried von Xanten, vom Heldengeschlecht der Wälsungen, ist eine Figur aus der nordischen Sagenwelt. Er taucht auf in der Edda (als Sigurd des Sigurdliedes), in der Völsungasaga, im Atlilied (um 800) und im Nibelungenlied. Bekannt ist, dass bereits Karl der Große (um 800) den Sigurd-Stoff liebte.
Wesentliche Elemente der Siegfried-Geschichten sind die Gewinnung des Drachenhorts und die Tötung des Drachens (oder Lindwurmes) Fafnir, die Erlösung Brunhildes nach Durchdringen der Waberlohe und Siegfrieds Ermordung durch Hagen von Tronje (das Alte Sigurdlied).
Der Sage nach badete Siegfried im Blut des erlegten Drachens, um seine Haut zu gerben. Dadurch wurde er unverwundbar – bis auf eine kleine Stelle an der Schulter, an der während des Badens ein Lindenblatt klebte (vgl. die griechische Sage von der Ferse des Achill). Siegfrieds Frau Kriemhild markierte, durch einen Vorwand getäuscht, diese Stelle durch Aufsticken eines Kreuzes am Rock. Hagen von Tronje konnte den Siegfried somit bei einer Gelegenheit hinterrücks speeren.
Siegfried besaß eine Tarnkappe, welche er dem Zwergenkönig Alberich nahm, als er den Nibelungenschatz an sich riss (ein ähnliches Motiv taucht in der Gestalt des „Tarnringes“ in Tolkiens Herr der Ringe-Trilogie wieder auf).

Die Figuren von Siegfried und Hagen von Tronje sind nicht nur als Mordopfer und Mörder verwoben; so stammen beide den Angaben nach aus Xanten am Rhein. Weitere Schauplätze der Sage sind unter anderem Lorsch am Rhein sowie Spessart und Odenwald. Hier dürfte freilich nicht der heutige Odenwald rechts des Rheingrabens gemeint sein, sondern ein gleichnamiger Auwald, den es früher linksrheinisch südlich der Stadt Worms gab. In den Reisen zur Werbung der Brunhild geht es vermutlich über die Niederlande hinaus ins nicht näher bestimmbare Nordische, eventuell ist mit „Isenland“ Island mit seinen Vulkanen gemeint. Doch ist nach den Fahrtangaben auch England möglich oder aber Dänemark, Norwegen oder gar Schweden, das durchaus auch für Isen (= Eisen) bekannt ist. Deutsche Ortsgründungen mit Isenburg datieren, soweit bekannt, maximal bis auf das 12. Jahrhundert zurück, also kurz vor dem vermuteten Entstehungszeitpunkt des mittelalterlichen Nibelungenliedes.
Der völlig andere Siegfried
Es ist oft behauptet worden, dass die Figur Siegfrieds bis in mythische Vorzeit zurückreichen soll. Schon im Jahre 1843 hatte Wilhelm Müller anhand dreier Sagen, die er bei Saxo Grammaticus in den Gesta Danorum gefunden hatte, eine Identität von Siegfried mit dem nordischen Freyr festgestellt. Norbert Lönnendonker postulierte im Jahr 2003, dass die an fünf Stellen der nordischen Thidrekssaga, die aber auf deutschen Quellen beruht, abweichenden Namensformen (Sigfrœđr) die These Müllers stützen. Sollte sich diese Vermutung als richtig erweisen, wäre Siegfried der alte germanische Fruchtbarkeitsgott Frô [1].
Ein anderer Beweis für diese These ist in einem weiteren Namen verborgen, der in der Thidrekssaga für Sigurd/Siegfried benutzt wird. Heinz Ritter-Schaumburg übersetzt den Namen „Sveinn” (Schwein) in seinem Buch Die Nibelungen zogen nordwärts immer mit „Jungherr”. Was er nicht genug berücksichtigt, ist, dass es sich bei dem Namen um einen skaldischen Ehrentitel handelt. Die Vanin Freya wird in der skaldischen Poesie „Syr” (Sau) genannt; Eofur (Eber) war der skaldische Ehrentitel des idealen Fürsten. Die Söhne des idealen Fürsten werden „Grisir” (Ferkel) genannt, und dazu passt Siegfrieds Ehrentitel „Sveinn” sehr gut. Der Eber war ursprünglich dem Gotte Frô heilig, wenn nicht der Gott aus einem Totemtier hervorgegangen ist. So passt sich der Name in die Reihe als Jungschwein ein, wie in dem obern erwähnten Buch ebenfalls geschildert wird.
Die Haut Siegfrieds muss bemerkenswert gewesen sein, denn er wird noch im Nibelungenlied (C) als von „vester hute” geschildert. Norbert Lönnendonker führt die Besonderheiten der Haut, die nach Nibelungenlied und Thidrekssaga auf ein Bad im Blute des Drachen weisen sollen, auf die erbliche Krankheit X-chromosomal rezessive Ichthyose zurück. Ähnlich war schon Ritter in seinem Buch Siegfried ohne Tarnkappe verfahren. Was Norbert Lönnendonker zusätzlich postuliert, ist, dass diese Erbkrankheit der eigentliche Grund für die Abneigung der germanischen Götterfamilie der Asen gegen die Geschwisterehe war. Die Erbkrankheit weist den gleichen Erbgang auf wie die bekannte Bluterkrankheit, und heutzutage leidet etwa einer von 6000 Männern an ihr. Da ohne Ehe zwischen nahen Verwandten keine Frauen nach außen Anzeichen der Krankheit zeigen können – Frauen können die Krankheit lediglich übertragen und werden, falls sie die Anlagen an ihre Nachkommen weitergeben können, Konduktorinnen genannt –, könnte die Abneigung der Asen in der Tat hierauf beruhen.
Bezüge zwischen Siegfried und den Merowingern beruhen nach Ansicht von Norbert Lönnendonker nicht auf verwandtschaftlichen Bezügen, sondern auf der Tatsache, dass manche Merowinger ebenfalls an dieser Erbkrankheit litten. Die Merowinger führten ihr Geschlecht auf „göttliche Abkunft” zurück und hatten hinsichtlich ihres Aussehens
- di helde von meres;
vil gewis sît ir des,
daz niht kuoners mac sîn:
an dem rucke tragent si borsten sam swîn.
(aus Jakob Grimm, Deutsche Mythologie, I. Band, Seite 324) eine ganz ähnlich phantasievolle Geschichte parat: als clodio Faramunds sohn mit der königin am gestade saſs, sich von der sommerschwüle zu kühlen, stieg ein ungeheuer (meer-schwein?) aus den wogen, ergrif und überwältigte die badende königin. sie gebar darauf einen sohn, seltsames ansehens, weshalb er Merovig und seine nachkommen, auf die das kennzeichen über gieng, die Merovinge heiſsen.
Im Falle Siegfried weicht die Drachentötersage erheblich von der sonst in der Indogermania üblichen Form ab. Apollon tötet den Drachen Python, aber von einer besonderen Haut Apollons ist nirgendwo die Rede.
Schon Jakob Grimm bringt die Besonderheit der Haut Siegfrieds mit dem Eberkult des germanischen Gottes Frô in Verbindung. Norbert Lönnendonker geht noch weiter und postuliert, dass die Namensform „Siggfrodr” sogar direkt auf den Eberkult Bezug nimmt und etwa „borstig durch [die Gnade des Gottes] Frô” bedeuten könne.
Es ist uns nicht mehr bewusst, aber der Name Siegfried, wie er uns überliefert ist, stünde in der ganzen Indogermania einzigartig da. Eine – grammatikalisch gesehen – Aufzählung ist dort nie zur Grundlage eines Namens gemacht worden. A. Scherer äußert 1953 selbst im Falle des Namens Siegfried mit deutlich erkennbaren „semantischen Bauchschmerzen”: „Vielleicht ist es ein Segenswunsch, Sieg und Frieden.” Man muss befürchten, dass die falsche Interpretation des Namens das ist, was den Germanenverehrern aller Zeiten so gut an dem Namen gefallen hat. Man konnte so schön von Siegen träumen, denen ein naturgesetzlicher Frieden der Starken folgte – und das mit verhängnisvollem Ergebnis, wie wir gesehen haben.
Was den Ort Xanten als Ort der Sage betrifft, so ist Norbert Lönnendonker der Auffassung, dass das „Santen” des Nibelungenliedes nicht am Niederrhein gelegen zu haben braucht, denn im Nibelungenlied äußert Gunther die Befürchtung, dass es für seine Schwester „eine zu weite Reise” sei, wenn sie die Brüder in Worms besucht. Von Xanten nach Worms kann eigentlich niemals „eine zu weite Reise” gewesen sein. Norbert Lönnendonker führt Beispiele an, wie aus anderen Grundwörtern (Beispiel: -tun, althochdeutsch Zaun) ein Santun, Santana, Santen entstanden sein könnte, was auch nicht am Niederrhein gelegen zu haben braucht und zu dem es tatsächlich „eine zu weite Reise” gewesen sein könnte.