Dynamischer Segelflug
Im Dynamischen (Segel-)Flug sammelt das Flugzeug Energie aus einem örtlich nicht konstanten Windfeld. Wie das geschieht, erkennt man an einer Energiebilanz oder alternativ an einem 2-Schichten-Modell.
Beschreibung mit Energiebilanz
Inertialsystem und äußere Kräfte
sei eine am Boden fixierte Orthonormalbasis mit nach oben zeigend. Der Ortsvektor zum Flugzeug, welches als Massepunkt beschrieben wird, sei beschrieben mit Koordinaten (x,y,z) in Bezug auf diese Basis, die als Inertialsystem angesehen wird.
Neben den Luftkräften greift als äußere Last die Gewichtskraft des Flugzeugs am Massepunkt an. Sie ist proportional zur Masse und zur Erdbeschleunigung g.
Es gilt
und für den Geschwindigkeitsvektor ggü. Grund
Wind und Impulsbilanz
Das Flugzeug (der Massepunkt) habe die Masse m. v sei die Geschwindigkeit über Grund des Flugzeugs. w sei der Vektor der Windgeschwindigkeit (ggü. Grund), und u sei der Vektor der Geschwindigkeit des Flugzeugs ggü. Luft. Dann gilt
Der Vektor der spezifischen Auftriebskraft A (Einheit N/kg) ist per Definition senkrecht zur Anströmungsrichtung. Da das Flugzeug den Geschwindigkeitsvektor u relativ zur Luft hat, ist -u die Anströmrichtung. Daher ist
Die Widerstandskraft W sei neben der Auftriebskraft und der Gewichtskraft die einzige äußere Kraft, die am Flugzeug angreift. Der Vektor der spezifischen Widerstandskraft W ist per Definition parallel zur Anströmung u. Dann gilt nach dem Impulssatz
Energiebilanz
Um eine Energiebilanz zu gewinnen, wird die letzte Gleichung skalar mit u multipliziert und es wird eingesetzt, dass . Es folgt
Einsetzen der ersten Gleichung v=w+u liefert
Setzt man noch ein, dass (was aus den ersten beiden Gleichungen folgt), dann erhält man
Anwendung der Produktregel rückwärts ergibt
Auf der linken Seite der Gleichung steht die zeitliche Änderung der spezifischen Energie des Flugzeugs. Diese Energieänderung wird auch von Variometern in Segelflugzeugen gemessen. Die zeitliche Veränderung dieser Energie wird durch die drei Terme auf der rechten Seite beeinflusst: Der rote Term ist die spezifische Leistung aufgrund des Widerstands. Dieser Term ist immer negativ. Der grüne Term ist die spezifische Leistung aus Auf- bzw. Abwind. Bei Aufwind ist , d.h. Aufwinde erhöhen die Energie des Flugzeugs. Der blaue Term ist die spezifische Leistung aufgrund zunehmenden Gegenwinds entlang der Flugbahn, denn zunehmender Gegenwind bedeutet .
Dieser letzte Term ist entscheidend im Dynamischen Segelflug: Das Flugzeug muss, um viel Energie einsammeln zu können, so fliegen, dass der Gegenwind immer möglichst stark ansteigt. Oder, gleichbedeutend, dass der Rückenwind nachlässt.
Beschreibung mit 2-Schichten-Modell
Alternativ lässt sich der Energiegewinn des Flugzeugs an einem 2-Schichten-Modell verdeutlichen.
Modellannahmen
- Schreibweise: v sei der Betrag des Geschwindigkeitsvektors über Grund, w sei der Betrag des Windgeschwindigkeitsvektors.
- Unterhalb einer Trennschicht herrsche kein Wind, d.h. w=0. Oberhalb der Schicht herrsche Wind w nach rechts.
- Das Flugzeug erzeuge, während es entweder über oder unter (aber nicht in) der Trennschicht fliegt, keinen Widerstand.
- Beim Durchfliegen der Trennschicht bleiben die Luftkräfte unabhängig von der Trennschichtdicke beschränkt.
- Das Flugzeug durchfliege die Trennschicht wie dargestellt unter sehr kleinem Winkel.
2 verschiedene Zustandsänderungen
Das Flugzeug erlebt 2 verschiedene Zustandsänderungen:
- Das Fliegen entweder nur innerhalb der oberen oder nur innerhalb der unteren Schicht (ohne Berührung der Trennschicht) auf einem beliebigen Flugweg: Während das Flugzeug sich innerhalb einer dieser Schichten aufhält, verfügt es (da es keine Reibung gibt) über eine zeitlich konstante Gesamtenergie, die sich zusammensetzt aus der potentiellen und der kinetischen Energie (gegenüber Luft), nämlich E / m = 0.5 u u + g z. Das bedeutet, dass das Flugzeug an 2 verschiedenen Punkten, die auf derselben Höhe z liegen, immer dieselbe Geschwindigkeit ggü. Luft hat - unabhängig von seiner Flugrichtung. Dass E / m = 0.5 u u + g z für das Fliegen innerhalb einer Schicht eine Erhaltungsgröße ist, sieht man auch daran, dass die rechte Seite der letzten Gleichung im Abschnitt "Beschreibung mit Energiebilanz" für das Fliegen in einer Schicht mit konstantem Wind (wie hier gegeben) gleich Null ist.
- Das Durchstoßen der Trennschicht: Beim Durchfliegen der Trennschicht bleibt der Impuls, also die Geschwindigkeit ggü. Grund, erhalten. Dies liegt daran, dass die (Widerstands-)Kraft, die beim Durchfliegen der Schicht auf das Flugzeug wirkt, endlich ist und dass gleichzeitig die Zeitdauer des Durchfliegens der Schicht sehr gering ist, siehe hierzu Kraftstoß. Die Schicht kann schließlich in Gedanken immer dünner gemacht werden (und/oder das Flugzeug immer schneller), bis sich der Impuls des Flugzeugs beim Durchfliegen überhaupt nicht ändert, so dass v konstant bleibt.
Beschreibung der Zustände an 4 Stellen
- Stelle 1: Einfliegen in die Trennschicht: Geschwindkeit ggü. Grund ist (Anfangsgeschwindigkeit). Da kein Wind ist, ist die Geschwindigkeit ggü. Luft .
- Stelle 2: Die Geschwindigkeit ggü. Luft ist angestiegen auf , Geschwindigkeit über Grund weiterhin (Flugzeug fliegt nach links).
- Stelle 3: Hier ist und (Flugzeug fliegt nach rechts und hat Rückenwind, vorher flog es nach links mit ).
- Stelle 4: Nun ist und (unabhängig von der Flugrichtung).
Dieser Prozess lässt sich nun wiederholen. Die kinetische Energie des Flugzeugs steigt dabei immer weiter an.
Literatur
- Friedhelm Kuypers: Klassische Mechanik. Wiley-VCH Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-527-40989-1.