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Schiefe der Ekliptik

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Die Schiefe der Ekliptik ist eine der zehn wichtigsten Basisgrößen zur Definition von Koordinatensystemen und von Berechnungen in der Astronomie und Geodäsie. Sie wird meist mit ε bezeichnet und beträgt derzeit 23.44 Grad. Um diesen Winkel ist die Bahnebene der Erde¹ (die Ekliptik) zu ihrer Äquatorebene (Himmelsäquator) geneigt.

Ekliptik mit 4 Sonnenörtern und Himmelskoordinaten
Ekliptik mit 4 Sonnenörtern und Himmelskoordinaten

Ekliptik heißt griech. Finsternis (Ekleïpsis, εκλειψις). Sonnen- oder Mondfinsternisse kommen nur dann vor, wenn der Neu- bzw. Vollmond genau in der Ekliptik steht.

Jahreszeiten und Ekliptikschiefe

Während die Erde jährlich die Sonne umrundet, bleibt die Stellung ihrer Achse im Raum fast unverändert². Dadurch weist in (unserem) Sommer die Nordhalbkugel etwas mehr zur Sonne, im Winter aber die Südhalbkugel. Dieser variable Einfallswinkel der Sonnenstrahlen ist die Ursache für den Wechsel der Jahreszeiten.

Die Schiefe der Ekliptik beträgt derzeit 23.44 Grad. Sie ändert sich jedoch langperiodisch, weil kleine Gravitationseinflüsse aus dem Sonnensystem an der nicht ganz kugelförmigen Erde angreifen. Daher variiert ε innert 40.000 Jahren zwischen etwa 21°55' und 24°18'. Dieser Effekt trägt - neben zwei anderen Perioden ähnlicher Länge - zur Entstehung der Eiszeiten bei:

Je stärker die Ekliptikschiefe, desto ausgeprägter werden die Jahreszeiten - und auch die Unterschiede zwischen dem Winter auf der Nord- und Südhalbkugel. Letztere hat strengere Winter (Juli bis September) als der Norden, weil im Juli die Erde ihren sonnenfernsten Punkt (Aphel) durchläuft. Da sich aber die "Apsidenlinie" (Aphel - Perihel ebenfalls langperiodisch verschiebt, genügt eine relativ kleine regionale Klimaänderung, dass sich eine Art "kalte Welle aufschaukelt". Ist nämlich die Erde mehr als sonst von Eis bedeckt, strahlt dieses mehr Sonnenwärme ins Weltall zurück und kühlt noch mehr aus.

Anmerkungen

¹) Streng genommen ist die Ekliptik nicht die Bahnebene der Erde, sondern das Baryzentrum (Schwerpunkt) von Erde und Mond, die sozusagen als Doppelplanet die Sonne umrunden.

Daher läuft die "geozentrische Sonne" (vom Erdzentrum gerechnet) nicht genau in der Ekliptik, sondern hat eine kleine ekliptikale Breite, die im Monatsrhythmus um etwa ±0.7" schwankt. Die ekliptikale Länge (im Bild λ, von 0-360°) folgt etwa den Keplerschen Gesetzen.

²) Tatsächlich bleibt die Erdachse zur Ekliptik etwa gleich geneigt – durchschnittlich 66.5° + dε/dt +Nutation (±20") – doch beschreibt sie wie ein schräglaufender Kinderkreisel eine Präzession auf einem Kegelmantel mit Öffnungswinkel 2ε. Der "Erdkreisel" ist freilich wegen seiner großen Masse (6 Mio.Mrd.Mrd. Kilogramm) so stabil, dass er dafür 25 800 Jahre braucht.

Tabelle der Ekliptikschiefe -3000 bis +3000

-3000  24°01.6'       0  23°41.7'      +1600  23°29.5'    
-2500  23°58.7'    +500  23°38.0'      +1700  23°28.7'
-2000  23°55.6'   +1000  23°34.1'      +1800  23°27.9'
-1500  23°52.4'   +1500  23°30.3'      +1900  23°27.1'
-1000  23°49.0'   +2000  23°26.4'      +2000  23°26.4'
- 500  23°45.4'   +2500  23°22.5'      +2100  23°25.6'
    0  23°41.7'   +3000  23°18.6'      +2200  23°24.8'

Man sieht bereits aus diesen 6 von 40 Jahrtausenden, dass sich die Änderung per 500 Jahre von -3.1' auf -4.1' beschleunigt, weil die absinkende Sinuswelle noch bis ins 5. Jahrtausend "steiler" wird ( Mittelwert ε = 23°06' um das Jahr 4300).

Geschichtliches zur Ekliptik-Forschung

Vom Altertum bis Leonhard Euler und Laplace

Seit etwa der Zeitenwende wissen die Astronomen, dass die Erdachse mit den erwähnten 26.000 Jahren präzediert. Dass sich außer ihrer Richtung auch die Schiefe der Ekliptik verändert, ahnte man erst im Mittelalter. Man vermutete damals, dass ihr Winkel im Lauf der Jahrtausende alle Werte von 0° bis 90° annimmt (Trepidation). Erst um 1600 wurde klar, dass die Schwankungsbreite viel geringer war.

Die Ursache für die Änderungen (siehe Tabelle oben) sind die anderen 7 Planeten, deren Bahnebenen von jener der Erde um 1° (Jupiter, Uranus) bis 7° (Merkur) abweichen. Sie üben wegen der Abplattung der Erde auf sie drehende Kräfte aus (Abweichung von der Kugelform 0,33530 % oder 21 km).

Die erste theoretische Berechnung dieser Änderung in ε gelang Leonhard Euler im Jahr 1754. Ergebnis seiner Analyse war dε / dt = -47.5" / Jhdt, woraus er für 1817 ε = 23° 27' 47,0" zurückrechnete. Als die Massen der Planeten genauer bekannt waren, wiederholte Joseph-Louis Lagrange 1774 Eulers Berechnungen, woraus er -56,2" pro Jahrhundert und für 1817 der Wert 23° 47' 48.0" erhielt. 1782 kam er mit verbesserter Theorie auf -61,6", wogegen Jerome Lalande um 1790 in seinen Astronomie-Tafeln -33,3" / Jhdt. und 23°47'38,9" erhielt.

Diese doch beträchtlichen Unterschiede zwischen so hervorragenden Mathematikern veranlassten Pierre-Simon Laplace (1789-1827) zu einer noch gründlicheren Analyse, aus der ein Schwankungsbereich von ± 1,358° folgte. Er weicht vom heutigen Wert nur um 0,6° (in 20 Jahrtausenden) ab. Der Mannheimer Astronom Friedrich Nicolai - ein Schüler von Carl Friedrich Gauß - errechnete für das Jahr 1800 ε = -49,40" / Jhdt (nach heutigem Wissensstand 47"). Auch andere berühmte Himmelsmechaniker erforschten den Verlauf dieser fundamentalen Größe, und Urbain Le Verrier publizierte 1858 die theoretische Formel

 ε = 23° 27' 31.83" - 47,594 T -0,0129 T²

(T zählt in Julianischen Jahrhunderten ab 1850.0). Leverrier bemerkte aber als erstes, dass seine -47,6" / Jhdt dem beobachteten Wert von etwa 45,8" leicht widersprachen.

Die Ekliptikschiefe von Newcomb (1895) bis zur Raumfahrt

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war der allgemein akzeptierte Wert jener von John Nelson Stockwell (1873), nämlich ± 1.311379° bzw. -48.968" / Jhdt. Später wurde für dieses Problem ein Preis ausgeschrieben, für den Paul Hermann Harzer 1895 alle säkularen Bahnstörungen der 8 großen Planeten berechnete. Um hierfür die (vor Albert Einstein noch unerklärliche) Periheldrehung des Merkur zu berücksichtigen, nahm er eine spezielle Massenverteilung in der Sonne an, und erhielt 47.499" (bzw. ohne die Korrektur 0.14" weniger). Im selben Jahr entwickelte Simon Newcomb seine Theorie der Fundamentalastronomie und benützte Beobachtungen vieler berühmter Sternwarten. Seine bis etwa 1970 verwendeten Werte sind:

ε = 23° 27' 08.26" - 46.844 T -0.0017 T²  (T ab 1900.0).

Eine Neuberechnung von Eric Doolittle 1905 wich davon nur um 0.07" ab, was nicht viel über der damaligen Messgenauigkeit von ε lag. Das in T quadratische Polynom trifft allerdings nicht ganz zu, weil sich die Ekliptikschiefe ja periodisch ändert. Um 1960 nahm man dafür 41050 Jahre an.

Heute kennen wir durch die interplanetaren Raumsonden die Planetenmassen etwa 100mal genauer. 1970 berechnete J.Lieske den Trend zu dε / dt = -(46.841 ± 0.006") / Jhdt. Aus allen geeigneten Beobachtungen bis zurück zur Zeit Leonhard Eulers (s. oben) erhält man für 1817 ε = 23° 27' 47.1" - was von den Werten der damaligen Astronomen nur um 0.5" abweicht. Um 1990 ging man auf die Bezugs-Epoche 2000.0 über, wofür ε = 23° 26' 21.4056" ± 0.0005" gilt. Der Unterschied zum System 1970 liegt mit 0.008" unter der damaligen Standardabweichung.

Wie misst man die Schiefe der Ekliptik?

Die Ekliptikschiefe wird am besten durch präzise "Mittagshöhen" der Sonne bestimmt (etwa am Meridiankreis), was zu verschiedenen Jahreszeiten wiederholt wird. Aus dem Höhenwinkel erhält man durch Berücksichtigung von geografischer Breite, atmosphärischer Strahlenbrechung (Refraktion) und verschiedener Eichgrößen des Fernrohrs die Deklination δ der Sonne.

Durch den zeitlichen Verlauf von δ zwischen den Grenzen +ε und -ε erhält man letzteres zum mittleren Zeitpunkt der Beobachtungen. Dabei wird δ als Sinus-ähnliche Funktion von ε und der ekliptischen Länge λ angesetzt; letztere hängt mit Keplers Gesetzen zusammen. Die Bahnstörungen gegenüber diesen machen die Sache allerdings recht kompliziert: Die Theorie würde wohl einige Dutzend Seiten ausmachen.
Unsere heutigen Analyse- und EDV-Methoden erlauben solche Berechnungen – unter anderem mittels Simulation der Planetenbahnen durch Numerische Integration – wesentlich schneller und genauer als zu Zeiten von Newcomb. Dennoch hat man erst um 1980 und 2000 die fundamentalen "IAU-Konstanten" den neuesten Resultaten anpassen müssen.

Den früheren Astronomen, Geodäten und Mathematikern gebührt also ein großes Maß an Bewunderung.

Siehe auch

Bahnstörungen, Chronologie, Keplersche Gesetze, Ekliptik, Jahreszeiten, Milankovic-Zyklen, Sonnenfinsternis, Himmelsmechanik, Tag-Nacht-Grenze