Zum Inhalt springen

Peter-Paul Zahl

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 21. März 2012 um 07:04 Uhr durch Emma7stern (Diskussion | Beiträge) (Berlin 1964 bis 1972: link korrektur). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Peter-Paul Zahl (2006)

Peter-Paul Zahl (* 14. März 1944 in Freiburg im Breisgau; † 24. Januar 2011 in Port Antonio, Jamaika) war ein deutsch-jamaikanischer Schriftsteller.

Leben

Peter-Paul Zahl wurde als Sohn der Sekretärin Hilde Zahl und des Juristischen Assessors Paul Zahl in Freiburg am Breisgau geboren. Dort hielten sich seine Eltern 1944 auf, da der Vater nach einer schweren Kriegsverletzung und Beinamputation vorort medizinisch versorgt werden konnte. Zum Ende des Krieges ging die Familie in ihren Heimatort Feldberg in Mecklenburg-Vorpommern zurück. 1948 kam Zahls Bruder Thomas zur Welt. Da der Vater seinen ursprünglichen Beruf nicht mehr ausüben konnte, gründete er 1947 den Kinderbuchverlag Peter-Paul, benannt nach seinem Sohn. Doch der Privatverlag stand der staatlichen Wirtschaftsplanung der neu gegründeten DDR entgegen, ihm wurde 1951 keine Neulizenzierung erteilt.[1] Im Frühjahr 1953 zog die Familie Zahl nach Westdeutschland und ließ sich zunächst in Wülfrath, später in Ratingen im Rheinland nieder. Zahl besuchte das Gymnasium bis zur Mittleren Reife und machte von 1961 bis 1964 in Düsseldorf eine Berufsausbildung zum Offsetdrucker, die er in der Gesellenprüfung mit der Note „Sehr gut“ abschloss.

Berlin 1964 bis 1972

1964 ging Zahl nach West-Berlin, um keinen Wehrdienst leisten zu müssen, und kam dort in Kontakt mit der Studentenbewegung und der Außerparlamentarischen Opposition (APO). 1965 heiratete er Urte Wienen, die ebenfalls aus Ratingen stammte. Aus der Ehe gingen ein 1969 geborener Sohn und eine 1971 geborene Tochter hervor. Die Ehe wurde 1973 geschieden.

Ab 1965 verfasste Zahl Prosatexte und Gedichte, die er in Zeitschriften und auf Flugblättern veröffentlichte. 1966 wurde er Mitglied in der von Max von der Grün initiierten literarischen Dortmunder Gruppe 61.[2]

Gemeinsam mit seiner Frau und mit der finanziellen Unterstützung der Schwiegereltern gründete Zahl 1967 die Druckerei Zahl-Wienen mit angeschlossenem Kleinverlag. Neben Firmendrucksachen und Werbeaufträgen übernahm der Betrieb den Druck diverser Schriften und Plakate der politischen und subkulturellen Szene. Der Verlag veröffentlichte vorwiegend gegenkulturelle Zeitschriften wie Hans Taegers pro these und rätekommunistische und anarchistische Texte. Auch gab er den Spartacus: zeitschrift für lesbare literatur (1967–1970)[3], die zwergschul-ergänzungshefte (1968-1970)[4] und das Magazin pp-quadrat (1968-1970)[5] heraus. Der erste pp-quadrat-Band enthielt die Broschüre amerikanischer faschismus von Bernd Kramer. Zahl schrieb für die Literaturzeitschrift Ulcus Molle Info und das Satireblatt Der Metzger. Laut Welt kompakt aus dem Jahr 2011 war Zahl damit als Propagandist linksterroristischer Gruppen aktiv.[6]

Um 1970 beteiligte Zahl sich an einer klandestinen Kleinorganisation, die sich Up against the wall, Motherfuckers! nannte und darauf spezialisierte, kriegsdienstunwilligen GIs aus Berliner Kasernen die Flucht nach Schweden zu ermöglichen, in dem man für sie Pässe fälschte.

In der Druckerei wurde ab Februar 1969 die anarchistisch-libertäre Zeitschrift Agit 883, an deren Redaktion Zahl bis 1971 beteiligt war, hergestellt. Im August 1969 kam es nach der Herausgabe der Nr. 25 zu einer ersten Hausdurchsuchung in dem Betrieb. Hintergrund war die beleidigende Darstellung des damaligen Innensenators Kurt Neubauer auf dem Titelbild, versehen mit dem Schriftzug „Gesucht wegen Menschenraubs“. Es folgten weitere Durchsuchungen aufgrund strafrechtlicher Ermittlungen gegen die Agit 883, unter anderem wegen Texten gegen den Vietnamkrieg, gegen die der Kommandant des amerikanischen Sektors von Berlin Strafantrag gestellt hatte. Ein aus diesem Anlass gegen Zahl eröffnetes Strafverfahren endete mit einem Freispruch, da dem Drucker nicht nachgewiesen werden konnte, dass er den Text kannte.

Nach internen Auseinandersetzungen in der Redaktion der Zeitschrift, zog sich Zahl mit der sogenannten Stadtguerilla-Fraktion von der Agit 883 zurück und gründete das anarchistische Untergrundblatt Fizz, das bis 1972 in zehn Ausgaben erschien.

1971 kam es wegen der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten zu einem weiteren Verfahren gegen Zahl. Es ging dabei um den Druck eines von Holger Meins gestalteten Plakats mit dem Titel Freiheit für alle Gefangenen!, auf dem eine Eierhandgranate und Patronenhülsen eine Sonnenblume stilisierten und in deren Blütenblättern die Namen internationaler Guerilla- und Befreiungsbewegungen wie Vietcong, Tupamaros und Black Panther eingetragen waren. Zahl wurde am 17. April 1972 zu einem halben Jahr Haft auf Bewährung verurteilt.[7]

Haft 1972 bis 1982

Wegen eines Schusswechsels mit Polizeibeamten, bei dem ein Beamter lebensgefährlich und Zahl schwer verletzt wurde, den darauf folgenden Prozessen und einem vielfach kritisierten zweiten Urteil stand Peter-Paul Zahl lange Zeit im Blick der Öffentlichkeit. Während seiner Haftzeit schuf er ein umfangreiches lyrisches Werk.

Schusswechsel mit Polizeibeamten

1972 geriet Zahl unter Verdacht, an einem im Februar des Jahres durchgeführten Banküberfall der RAF beteiligt gewesen zu sein, ein Verdacht, der sich im Nachhinein nicht erhärten ließ, und wurde zur „polizeilich gesuchten Person“ erklärt. Er beschaffte sich falsche Papiere und eine Schusswaffe und tauchte bei Freunden und Bekannten unter.[8] Am 14. Dezember 1972 wurde er in Düsseldorf, bei dem Versuch ein Auto anzumieten, von zwei Polizeibeamten gestellt. Zahl versuchte zu fliehen, die Beamten verfolgten ihn und es kam zum Schusswechsel, bei dem ein Polizist durch einen Schuss in die Brust lebensgefährlich verletzt wurde. Der Flüchtende wurde schließlich gestellt und festgenommen, auch er hatte eine Schussverletzung im Oberarm davongetragen.[9] Rekonstruktionen des Tathergangs ergaben aufgrund der aufgefundenen Patronenhülsen, dass Zahl mindestens dreimal und die Polizeibeamten mindestens neunmal geschossen hatten.[10] Nach seiner Festnahme mit der schweren Verletzung des Polizeibeamten konfrontiert, äußerte Zahl, dass er dies nicht gewollt habe. [11]

Verurteilung wegen versuchten Mordes

Am 24. Mai 1974 wurde Zahl vom Landgericht Düsseldorf wegen fortgesetzten Widerstands gegen die Staatsgewalt in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt. Eine Tötungsabsicht, auch in Form des bedingten Vorsatzes, verneinte das Gericht mit den Worten: „Die Tötung menschlichen Lebens ist hier nicht persönlichkeitsadäquat“. Nachdem die Staatsanwaltschaft Revision einlegte, hob der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs 1975 das Urteil mit der Begründung auf, die Erstinstanz habe „den Rechtsbegriff des bedingten Vorsatzes verkannt“. Dieser läge vor, „wenn der Täter bewußt hinnimmt, daß seine Handlung, auf die er unter keinen Umständen verzichten will, den von ihm als möglich und nicht ganz fernliegend erachteten schädlichen Erfolg herbeiführen kann.“ Zudem habe das Landgericht Düsseldorf näher ausführen müssen, „welche Umstände die Erwartungen oder auch nur die berechtigten Hoffnungen des Angeklagten rechtfertigen konnten, daß er seine Verfolger nur verletzen, aber nicht töten werde“.[12]

In einem neuen Verfahren wurde Zahl am 12. März 1976 wegen versuchten Mordes in zwei Fällen zu 15 Jahren Haft verurteilt. In seinem Schlusswort sprach er von einer „Faschisierung der westdeutschen Gesellschaft“ und der „Verpolizeilichung der Politik“. Nach einem ausführlichen Diskurs, dass die Gewalt vom Staat ausginge, äußerte er, in Replik auf ein Zitat von Walter Benjamin, wo Kapital, Staat und Bürokratie herrschten, könne es keine gewaltlose Einigung geben. Schließlich erklärte er, wer „so gefährlich“ wie er dargestellt werde, der müsse „wenn er es weiterhin wagt, für Leben und Menschenwürde, auch noch im Gefängnis, weiter zu kämpfen, physisch zerstört werden. Wenn schon nicht durch den Schornstein, dann wenigstens - 15 Jahre.“[11][13] Da das zweite Urteil in seiner Begründung umfangreich auf den politischen Hintergrund Zahls Bezug nahm, wurde es von dem Schriftsteller selber als „Gesinnungszuschlag von 11 Jahren“ bezeichnet [14] und löste eine öffentliche Kontroverse aus.[15] In einem Nachruf auf Zahl bezeichnete es die Frankfurter Rundschau als Justizskandal.[16]

Strafverbüßung

Zahl wurde die ersten Jahre seiner Strafverbüßung in Einzelhaft gehalten, die er zu einer umfangreichen literarischen Produktion nutzte. 1980 verlegte man ihn in den Normalvollzug nach Berlin in die Justizvollzugsanstalt Tegel. Im Februar 1980 verlieh die Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung dem inhaftierten Schriftsteller für seinen Roman Die Glücklichen den Literaturpreis der Stadt Bremen. Er durfte anlässlich der Preisverleihung die Haftanstalt verlassen und den Preis persönlich entgegennehmen. Der Vorgang wurde öffentlich als „kulturpolitischer Eklat“ diskutiert.[17] Von 1981 an war er Freigänger und konnte dies in den Jahren 1981/1982 für ein Regie-Volontariat an der Berliner Schaubühne nutzen. In dieser zeit verfasste er zudem ein Theaterstück über Georg Elser, das in der Spielzeit 1981/1982 im Schauspielhaus Bochum inszeniert wurde.[18]

Im Dezember 1982 entließ man Peter Paul Zahl nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe aus der Haft, nachdem im November 1980 ein Wiederaufnahmeantrag des Verfahrens und im April 1981 ein unter anderem von Heinrich Böll und Ernesto Cardenal unterstütztes Gnadengesuch abgelehnt worden waren.

Nach der Haftentlassung

Rose Hill/Long Bay – Peter-Paul Zahls Wohnort an der Ostküste Jamaikas

Nach seiner Haftentlassung hielt sich Zahl auf Grenada, in Nicaragua, auf den Seychellen und in Italien auf. Er arbeitete an Theaterinszenierungen, veröffentlichte Prosa und Lyrik und unternahm Lesereisen. 1986 heiratete er zum zweiten Mal. Mit seiner Familie lebte er abwechselnd in Long Bay Portland (Jamaika) und Ratingen. Neben Romanen schrieb er Theaterstücke für deutsche Bühnen, ab 1994 trat er als Autor von Kriminalromanen hervor.

Verlust und Wiedererwerb der deutschen Staatsangehörigkeit

Im September 2002 zog die deutsche Botschaft in Kingston (Jamaika) Peter-Paul Zahls deutschen Reisepass ein, da er 1995 in Jamaika eingebürgert worden war, ohne vorher eine Beibehaltungsgenehmigung einzuholen. Dadurch verlor er seine deutsche Staatsangehörigkeit. Dagegen führte Zahl ein Verfahren vor dem Berliner Verwaltungsgericht, außerdem stellte er beim Bundesverwaltungsamt in Köln einen Antrag auf Wiedereinbürgerung. Am 16. November 2004 wurde Peter-Paul Zahl wieder deutscher Staatsangehöriger. Das Bundesverwaltungsamt stellte ihm am 8. November 2004 eine Einbürgerungsurkunde aus. Darin heißt es: „Peter-Paul Gerhard Heinz ZAHL – hat mit dem Zeitpunkt der Aushändigung dieser Urkunde die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung erworben.“ Die Einbürgerungsurkunde erhielt Zahl am 16. November 2004 in der Deutschen Botschaft in Kingston überreicht, die Aushändigung des Passes verzögerte das Auswärtige Amt bis zum Mai 2005.

Am 19. April 2006 wurde vor dem Verwaltungsgericht Berlin verhandelt, ob Bundesregierung und Auswärtiges Amt – vertreten durch die Botschaft in Jamaika – seinen Pass zu Recht eingezogen hatten. Die beklagte Bundesregierung nahm den Bescheid über den Einzug des Passes zurück, die Kosten des Verfahrens wurden zwischen Kläger und Beklagtem geteilt. Zahl hatte nach seiner erfolgten Wiedereinbürgerung zwei Staatsbürgerschaften.

Krankheit und Tod

Zahl starb am 24. Januar 2011 in Jamaika, nachdem er sich im Vorjahr in Jamaika und Deutschland wegen eines Krebsleidens hatte behandeln lassen.[19]

Werk

Peter-Paul Zahls literarisches Werk umfasst Gedichte, Essays, Romane, Theaterstücke, aber auch Sozialreportagen, Aufrufe, Artikel und Pamphlete. Bekannt wurde er vor allem durch seine staatskritischen Gedichte und seinen Roman Die Glücklichen. Ein Schelmenroman, den er während seines Gefängnisaufenthalts schrieb und der 1979 veröffentlicht wurde. Mit seiner Prosa hat „er gerne die Abgründe der guten Gesellschaft erkundet und den kleinen Gesetzesbrechern Denkmäler [ge]setzt.“[20] Er galt nicht als politischer Theoretiker oder großer Denker, doch als kluger und begabter Schriftsteller und guter Erzähler. Viele seiner Veröffentlichungen sind „schrill, aggressiv, nahezu unerträglich plakathaft [...] mit spitzbösen Lanzenangängen“, doch aus ihnen spricht eine „als Lakonie getarnte Enttäuschung, ein Achselzucken der Vergeblichkeit.“[21] Hervorgehoben wird seine Ironie und insbesondere Selbstironie sowie ein „sehr lustbetontes Verhältnis zu seinem eigenen Text.“[22] Zutiefst politisch, aber undogmatisch, war er als Bad Boy der Literaturszene verschrien, da er in kein Klischee gepasst habe.

Publiziert hat Zahl vor allem in Verlagen der Undergroundpresse, aber auch in renommierten Unternehmen wie Rowohlt, Luchterhand oder bei Wagenbach. Außergewöhnlich war die Veröffentlichung des Gedichts mittel der obrigkeit im Mai 1976 in der FAZ im Rahmen der Frankfurter Anthologie.

„man muß sie gesehen haben
diese gesichter unter dem tschako
während der schläge
[...]
sage nicht: diese schweine
sag: wer hat sie dazu gebracht“[23]


In einem Brief an den Begründer der Anthologie Marcel Reich-Ranicki empörte sich Golo Mann, dass das „elende Zeug jenes Polizistenmörders“ gebracht wurde. Die Antwort Reich-Ranickis lautete „Was das Gedicht des Polizistenmörders betrifft, ich glaube, der Satz stammt von Wilde, dass damit, dass einer seinen Wechsel nicht bezahlt, noch nicht bewiesen sei, dass er schlecht Geige spielt.“[24]

Verglichen wurde Zahl aufgrund seiner Biografie und der Entstehungszusammenhänge seines Werks mit François Villon, Blaise Cendrars und Miguel de Cervantes, mit dem deutlichen Verweis auf die schriftstellerische Tätigkeit während einer Gefängnishaft.[25] Politisch naheliegend scheint auch das Suchen nach Parallelen zu Erich Mühsam und Ernst Toller, dabei werden insbesondere die von letzterem 1924 in der Haft verfassten „Schwalbenlieder“ hervorgehoben, denen Peter-Paul Zahls Knastlyrik nicht nachsteht.[26] Zahl selbst bezog sich in seinen Schriften vielfach auf Georg Büchner und Walter Benjamin, eine besondere Verehrung hatte er für Friedrich Hölderlin. So unterstützte er Mitte der 1970er Jahre die anfangs umstrittene Herausgabe der Frankfurter Hölderlin-Ausgabe von D. E. Sattler mit einem offenen Brief in den Blättern zur Frankfurter Ausgabe Nr. 1:

„Warum schließt ihr die Ohren? Warum verstopft ihr eure Poren? — Warum schließt ihr die Augen? Warum, verdammt, wehrt ihr euch, gegen die Zärtlichkeit und die Schönheit und ihre Derivate in der Sprache, einer Sprache, wie sie sein könnte, wären wir erst Menschen. Gäbe es Geschichte. Statt Vorgeschichte, statt Geschichten. Kommt, Schwestern und Brüder, ihr habt öfter Zeit, als ihr meint, lest doch mal Hölderlin, hört doch mal zu, was er uns zu sagen hat. Es lohnt.“

Peter-Paul Zahl: Le Pauvre Holterling, 1976[27]

Undogmatisches Frühwerk

Als erste Veröffentlichungen Peter-Paul Zahls, die erhalten blieben, zählen zwei sogenannte Spartacus-Flugblattgedichte von 1966. Sie waren als großformatige Maueranschläge gestaltet und dienten der Plakatierung lyrischer Texte, hier unter den Überschriften Berufsethos und Der Schornsteinmauer. Beide fanden Eingang in die Sammlung zeitgeschichtlicher Dokumente des Deutschen Historischen Museums in Berlin.[28] 1968 veröffentlichte er die Erzählung Elf Schritte zu einer Tat.

1970 erschien Zahls erster Roman Von einem der auszog um Geld zu verdienen, der von einem jungen Arbeiter handelt, der in ländlicher Gegend keine Arbeit findet und nach West-Berlin kommt. In der Stadt frustrieren ihn persönliche und politische Verhältnisse, er zieht weiter „in den Osten“ und wird von dort als unerwünscht wieder zurückgeschickt. Das Erstlingswerk fand Einzug in die Literaturkritik des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, die hervorhob, dass das literarisch vernachlässigte Thema Lohnarbeit entgegen dem überalterten Begriff von Realismus auch mit neueren Stilmitteln behandelt werden kann. Die abschließende Feststellung jedoch lautete: „dieses Stück Agitationsliteratur überfordert die Leser.“[29]

Weitere Texte veröffentlichte Zahl zwischen 1968 und 1970 insbesondere in der von ihm selbst herausgegebenen Reihe der zwergschul-ergänzungshefte. Dabei gilt das Nachwort zu der Ausgabe Nr. 4, die den Nachdruck von Georg Büchners Hessischen Landboten enthielt, als politische Stellungnahme Zahls, mit der er die sozialrevolutionäre Bedeutung Büchners mit der Karl Marx' auf eine Stufe stellte und auf den Aktualitätsbezug der „wortgewaltigen Dokumente deutscher Revolutionäre“ hinwies.[30]

Literarisches Schaffen im Gefängnis

Die Haftzeit von 1972 bis 1982 gilt als eine der produktivsten Schaffensphasen Peter-Paul Zahls. Er selbst sagte dazu: „Ich hab nur halt im Knast irrsinnig viel geschrieben. Um besser überleben zu können, [...] Übersetzungen, Aufsätze, den Roman Die Glücklichen, immens viele Beschwerden, Gedichte.“[31] Als Erstausgaben herausgegeben wurden in dieser Zeit, neben dem Roman Die Glücklichen und dem Theaterstück Johann Georg Elser. Ein deutsches Drama mehrere Aufsatz- und Artikelsammlungen sowie fünf Lyrik- und zwei Prosabände. Eine breite Rezeption erfuhr das Gedicht im namen des volkes, in dem Zahl seine Verurteilungen durch das Landgericht Düsseldorf kommentierte:

„am 24. mai 1974
verurteilte mich
das volk
[...]

zu vier Jahren
freiheitsentzug

am 12. märz 1976
verurteilte
mich das volk
[...]

in gleicher sache
zu fünfzehn jahren
freiheitsentzug

ich finde
das sollen
die völker
unter sich ausmachen

und mich
da rauslassen.“[32]


Ab 1973 schrieb Zahl an dem 1979 veröffentlichten Werk Die Glücklichen, es ist unter der Gattung des Schelmenromans angelegt und wird so bereits mit dem Untertitel benannt. Auch im Stil finden sich vielerlei Anknüpfungspunkte an die pikareske Literatur, die Helden der Geschichte leben im Milieu einer Kreuzberger Ganovenfamilie, die Erzählperspektive nimmt Partei für eine marginalisierte und sozial unterprivilegierte Schicht. Zugleich aber ist es die an einer subjektiven Realität orientierte Darstellung des Aufbruchs der 68er-Bewegung, die zwischen staatlicher Repression und der Zuspitzung der eigenen politischen Fragen zerrieben wird. So nimmt die Auseinandersetzung um einen bewaffneten Kampf im Untergrund zentralen Raum ein, mit den Protagonisten kritisiert Zahl die RAF und die Bewegung 2. Juni als eine sich isolierende „kämpfende Avantgarde“.[33] Die Erzählung lebt zugleich von dem Spannungsfeld zwischen der Fiktion eines sinnlichen, weltzugewandten Kollektivs der Subkultur und der weltentrückten Situation des Autors in der Einzelhaft.[34]

Der Roman geriet in den 1980er Jahren zum Kultbuch einer linksalternativen Szene, die von 1968 geprägt war und „sich vom selbstzerstörerischen Aktionismus der RAF zu lösen begann“.[35] Sehr prägnant ist die Beschreibung als eine „Textdroge, die in allem Witz auch entschiedenen Zorn auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zeigte“.[36] Dreißig Jahre nach seinem Erscheinen wurden Die Glücklichen als Werk einer Erinnerungskultur eingeordnet, Peter-Paul Zahl habe „einen Ursprungsmythos inszeniert, er habe versucht, die Geschichte für sich und seine Generation verfügbar zu machen.“[37]

Bühnenwerke

Während der letzten Jahre seines Gefängnisaufenthalts schrieb Zahl das 1982 veröffentlichte Theaterstück Johann Georg Elser. Ein deutsches Drama. Er griff damit die bis dato öffentlich wenig beachtete Geschichte des Schreiners Georg Elser (1903-1945) auf, der am 8. November 1939 im Münchener Bürgerbräukeller ein Bombenattentat auf Adolf Hitler verübte und kurz vor Kriegsende im KZ Dachau ermordet wurde. Mit dem Bühnenwerk wurde dem lange Zeit ignorierten Widerstandskämpfer ein Denkmal gesetzt. Darüber hinaus hat Zahl „den deutschen Faschismus aus der Exotik des „ganz Anderen“ herausgeholt und seine erschreckende Nähe und Aktualität aufgezeigt.“[38] Das Stück wurde in der Spielzeit 1981/1982 im Schauspielhaus Bochum von Claus Peymann und Hermann Beil inszeniert und am 27. Februar 1982 uraufgeführt.[39]

1984 fand, nun unter der Regie von Peter-Paul Zahl selbst, im Naturtheater Heidenheim eine weitere Inszenierung statt. 1996 überarbeitete der Schriftsteller das Bühnenstück zu einer Kammerspielfassung.

Mit Fritz, a German Hero oder Nr. 477 bricht aus schuf Zahl ein Jugendtheaterstück, das am 12. Februar 1988 unter der Regie von René Geiger am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt wurde. Es ist eine Darstellung über die Vereinnahmung Friedrich Schiller von Politikern und Germanisten aller Epochen.[40] Die 1990 veröffentlichte Komödie Die Erpresser schrieb Zahl gemeinsam mit dem österreichischen Liedermacher Georg Danzer, der das Stück vertonte und drei der Liedertexte schuf.[41] Don Juan oder der Retter der Frauen ist ebenfalls eine Komödie, die Zahl nach Motiven von Tirso de Molina schuf. Sie wurde am 20. Juni 1998 im Rahmen der Heidenheimer Volksschauspiele uraufgeführt.


Liste der Werke

„Ich hoffe, ich störe.“ – Peter Paul Zahl bei einer Lesung im Ratinger Buch-Café Peter & Paula am 28. September 2006
  • Elf Schritte zu einer Tat. Polyphem-Verlag, Berlin 1968, mit elf Lithographien von Dora Elisabeth von Steiger
  • Von einem, der auszog, Geld zu verdienen. Karl Rauch Verlag, Düsseldorf 1970
  • Eingreifende oder ergriffene Literatur. Gaiganz 1975
  • Schutzimpfung. Berlin 1975
  • Die Barbaren kommen. Hamburg 1976
  • Wie im Frieden. Leverkusen 1976
  • Alle Türen offen. Berlin 1977
  • Waffe der Kritik. Frankfurt (Main) 1977
  • Freiheitstriebtäter. Hamburg 1979
  • Die Glücklichen. Berlin 1979 ISBN 3-359-00874-X
  • Schreiben ist ein monologisches Medium. Berlin 1979
  • Die Stille und das Grelle. Frankfurt 1981
  • Johann Georg Elser. Ein deutsches Drama. Rotbuch, Berlin 1982, ISBN 3-88022-248-7
  • Konterbande. Frankfurt am Main 1982
  • Aber nein, sagte Bakunin und lachte laut. Berlin 1983
  • Der Staat ist eine mündelsichere Kapitalanlage. Berlin 1989
  • Die Erpresser. Eine böse Komödie. Musik und Lieder von Georg Danzer. Kramer, Berlin 1990, ISBN 3-87956-208-3
  • Der Meisterdieb. Frankfurt am Main 1992
  • Fritz, a German hero. Wien [u.a.] 1994
  • Der schöne Mann. Berlin 1994
  • Nichts wie weg. Berlin 1994
  • Teufelsdroge Cannabis. Berlin 1995
  • Lauf um dein Leben. Berlin 1996
  • Johann Georg Elser. [Kammerspielfassung], Grafenau 1996
  • Das Ende Deutschlands. Berlin 1997
  • Don Juan oder der Retter der Frauen. Grafenau-Döffingen 1998 ISBN 3-931786-04-8
  • Geheimnisse der karibischen Küche. Hamburg 1998
  • Ananzi ist schuld. Berlin 1999
  • Der Domraub. München 2002
  • Jamaika. München 2002
  • Anancy Mek It. (Bedtimes Stories) Kingston 2003
  • How the Germans Liberated Namibia. CD. Berlin und Long Bay 2004
  • Im Todestrakt. Frankfurt 2005
  • Kampfhähne. Frankfurt 2005
  • Miss Mary Huana. Köln 2007

Übersetzungen

  • Mit Reinhard Thoma: Otto René Castillo: Selbst unter der Bitterkeit. München 1983.
  • Ramón José Sender: Sieben rote Sonntage. Zürich 1991.
  • Victor Serge: Geburt unserer Macht. München 1976.

Preise und Auszeichnungen

Literatur

  • Erich Fried (Hrsg.): Am Beispiel Peter-Paul Zahl. Frankfurt 1976.
  • Der Fall Peter-Paul Zahl. Frankfurt 1978.
  • Von einem, der nicht relevant ist. Münster 1979.
  • Rudi Dutschke: Georg Büchner und Peter-Paul Zahl. In: Georg Büchner Jahrbuch. 4/84, Frankfurt 1986.
  • H.-V.Gretschel: Die Figur des Schelms im deutschen Roman nach 1945. Frankfurt 1993.

Einzelnachweise

  1. Der Peter-Paul-Verlag in Feldberg – eine Bibliografie, abgerufen am 9. März 2012
  2. Tagesspiegel vom 25. Januar 2011: Nachruf Peter-Paul Zahl: Das System ist der Fehler, abgerufen am 9. März 2012.
  3. Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Spartacus: zeitschrift für lesbare literatur, abgerufen am 9. März 2012
  4. Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: zwergschul-ergänzungshefte, abgerufen am 9. März 2012
  5. Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: pp-quadrat, abgerufen am 9. März 2012
  6. Anarcho-Autor Peter-Paul Zahl gestorben, Welt Online, 26. Januar 2011
  7. Heinrich Hannover: Die Republik vor Gericht. 1954 - 1974. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts, Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2000, ISBN 3-7466-7031-4, S. 410
  8. Heinrich Hannover: Die Republik vor Gericht. 1954 - 1974. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts, Berlin 2000, S. 411
  9. Der Spiegel, Artikel vom 11. Februar 1980: Bedauert nicht, abgerufen am 9. März 2012
  10. Heinrich Hannover: Die Republik vor Gericht. 1954 - 1974. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts, Berlin 2000, S. 412
  11. a b Der Spiegel, Artikel vom 6. Juni 1977: Ich wollte nicht um jeden Preis fliehen, abgerufen am 11. März 2012.
  12. Urteil des Bundesgerichtshof vom 29. Juli 1975 (3 STR 119/75), abgedruckt in: Erich Fried, Helga M. Novak: Am Beispiel Peter-Paul Zahl. Eine Dokumentation, 3. Auflage 1978, S. 81-85, hier S. 83
  13. Peter-Paul Zahl: Strafrecht oder Gesinnungsjustiz. Schlusswort vor Gericht, Düsseldorf 12. März 1976, abgedruckt in: Erich Fried, Helga M. Novak: Am Beispiel Peter-Paul Zahl. Eine Dokumentation, 3. Auflage 1978, S. 103-121, hier S. 117
  14. Heinrich Hannover: Die Republik vor Gericht. 1954 - 1974. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts, Berlin 2000, S. 412
  15. siehe dazu u.a.: Fritz J. Raddatz: Nachdenken über Peter-Paul Zahl. Von der Befragbarkeit der Justiz; im Archiv zeit online: Die Zeit vom 10. Februar 1977; Erich Fried, Helga M. Novak (Hrsg.): Am Beispiel Peter-Paul Zahl, Frankfurt am Main, 1978
  16. Frankfurter Rundschau vom 26. Januar 2011: Freiheit und Glück als Signatur, abgerufen am 11. März 2012
  17. Der Spiegel vom 11. Februar 1980: Narren aus der Zelle, abgerufen am 11. März 2012
  18. Peter-Paul Zahl: Johann Georg Elser. Ein deutsches Drama. In: Schauspielhaus Bochum (Hrsg.): Programmbuch. Nr. 31. Schauspielhaus Bochum, Bochum 1982.
  19. Jörg Sundermeier, "Schriftsteller Peter-Paul Zahl gestorben: Kein Heros vom Establishment", in: taz, 25. Januar 2011 [1]
  20. Wolfgang Harms: Anti-Autoritärer Aussteiger. Autor Peter-Paul Zahl wird 65 – Ein Porträt; Die Berliner Literaturkritik, 12. März 2009, abgerufen am 16. März 2012
  21. Fritz J. Raddatz: Nachdenken über Peter-Paul Zahl. Von der Befragbarkeit der Justiz; im Archiv zeit online: Die Zeit vom 10. Februar 1977, abgerufen am 16. März 2012
  22. Der Bad Boy der deutschen Literaturszene. Schriftsteller Peter-Paul Zahl ist tot. Gabriele Dietze im Interview bei deutschlandradio kultur
  23. Peter-Paul Zahl: mittel der obrigkeit; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Mai 1976
  24. Marcel Reich-Ranicki: Enthusiasten der Literatur. Ein Briefwechsel mit Golo Mann, Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2000. 291 Seiten, ISBN 3-100-62813-6; zitiert in: Literaturkritik: Marcel Reich-Ranicki, abgerufen am 16. März 2012. Der Brief von Golo Mann stammt vom 26. Mai 1976, die Antwort von Reich-Ranicki vom 31. Mai 1976.
  25. Hans W. Korfmann: Peter-Paul Zahl, Autor; in: Kreuzberger Chronik, 2002, abgerufen am 16. März 2012
  26. Fritz J. Raddatz: Nachdenken über Peter-Paul Zahl. Von der Befragbarkeit der Justiz; im Archiv zeit online: Die Zeit vom 10. Februar 1977, abgerufen am 16. März 2012
  27. Fördergesellschaft für die Frankfurter Hölderlin-Ausgabe (Hrsg.): Le Pauvre Holterling: Blätter zur Frankfurter Ausgabe Nr. 1., Verlag Roter Stern, Frankfurt 1976
  28. Datensatz des DHM: Peter Paul Zahl: Berufsethos und Datensatz des DHM: Peter Paul Zahl: Der Schornsteinmaurer, abgerufen am 16. März 2012
  29. Spiegel vom 28. Dezember 1970: Politische Ahnung. Peter-Paul Zahl: „Von einem, der auszog, Geld zu verdienen“, abhgerufen am 16. März 2012
  30. Dietmar Goltschnigg (Hrsg.): Georg Büchner und die Moderne. Texte, Analysen, Kommentar; Band II: 1945-1980. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2002, ISBN 978-3-503-06106-8, S. 12 f.
  31. Hans W. Korfmann: Peter-Paul Zahl, Autor; in: Kreuzberger Chronik, 2002, abgerufen am 16. März 2012
  32. Peter-Paul Zahl: im namen des volkes; in: Erich Fried, Helga M. Novak: Am Beispiel Peter-Paul Zahl. Eine Dokumentation, S. 165 f.
  33. Enno Stahl: Literatur und Terror. RAF-Rezeption in Romanen der letzten 25 Jahre, September 2003, abgerufen am 16. März 2012
  34. Sandra Beck: Reden an die Lebenden und die Toten. Erinnerungen an die Rote Armee Fraktion in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Mannheimer Studien zur Literatur- und Kulturwissenschaft, Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2008, ISBN 978-3-86110-443-8, S. 40
  35. Frankfurter Rundschau vom 26. Januar 2011: Freiheit und Glück als Signatur, abgerufen am 11. März 2012
  36. Deutschlandfunk Büchermarkt: Ein linker Schelmenroman, Artikel vom 16. Juni 2010, abgerufen am 16. März 2012
  37. H-Soz-u-Kult: Linksalternatives Milieu und Neue Soziale Bewegungen in den 1970er Jahren. Akademiekonferenz für den wissenschaftlichen Nachwuchs, Universität Heidelberg, September 2009
  38. Georg Elser Arbeitskreis Heidenheim, Archiv: Peter Paul Zahl, abgerufen am 16. März 2012
  39. Peter-Paul Zahl: Johann Georg Elser. Ein deutsches Drama. In: Schauspielhaus Bochum (Hrsg.): Programmbuch. Nr. 31. Schauspielhaus Bochum, Bochum 1982.
  40. Theatertexte: Fritz, a German Hero, abgerufen am 16. März 2012
  41. Pegasus: Die Erpresser, abgerufen am 16. März 2012