Zum Inhalt springen

Theaterskandal

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 18. März 2012 um 12:33 Uhr durch Algebraa (Diskussion | Beiträge) (19. Jahrhundert). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Bericht der New York Times über die Uraufführung von Igor Strawinskys Ballett Le Sacre du Printemps (1913).

Als Theaterskandal bezeichnet man Konflikte um Theateraufführungen, die an gesellschaftliche, moralische, religiöse oder künstlerische Tabus rühren, und dadurch die Reaktion der öffentlichen Meinung herausfordern.

Seitdem die Theaterregie als eigenständige künstlerische Leistung gilt, steht oft nicht nur das Werk selbst, sondern auch dessen Interpretation im Mittelpunkt von Theaterskandalen. Solche Konflikte entzünden sich besonders auch an der Oper, deren Publikum besonders traditionsorientiert ist. Es kommt dabei zu Missfallenskundgebungen, Protesten oder sogar Tätlichkeiten im Zuschauerraum, in der Folge auch zu Zeitungskampagnen oder politischen Konsequenzen wie Zensur oder Verbot.

Künstlerische Skandale waren oft vorhersehbar, ereigneten sich nicht zufällig und glichen Inszenierungen mit klaren Rollenvorgaben: Auf der einen Seite das Publikum, das sein Recht auf ungestörten, gepflegten Kunstgenuss einfordert, auf der anderen Seite der Künstler, der eben diesen Genuss verweigert und glaubt, der Gesellschaft den Spiegel vorhalten zu dürfen.[1] Seitdem um die Mitte des 19. Jahrhunderts Künstler ihre Aufgabe nicht mehr darin sahen, den ästhetischen Normenkatalog zu erfüllen, sondern sie diese Normen fortwährend zu sprengen versuchten, ist der Skandal auch Ausweis einer selbstgewählten Außenseiterrolle.[2]

17. Jahrhundert

1677–1688 kam es im Hamburgischen Theaterstreit zu einer Auseinandersetzung, in der es um die Frage der sittlichen Erlaubtheit von Oper und Schauspiel ging. In einem zweiten Streit 1768 und 1769 ging es konkret um die Frage der Beteiligung von Geistlichen als Besucher und Autoren. In beiden Fällen wurde der Streit mit großem publizistischem Aufwand und Anteilnahme der Öffentlichkeit geführt.

Die Räuber, Titelblatt des Erstdruckes 1781, noch ohne Angabe des Autors.

18. Jahrhundert

1782 Die Räuber von Friedrich Schiller sorgte bei der Uraufführung am Nationaltheater Mannheim für einen Skandal, nachdem das Stück durch seine anonyme Veröffentlichung im Jahr zuvor bereits berüchtigt war. Das revolutionäre Stück spielte fast in der Gegenwart und konnte als Aufruf zum Umsturz missverstanden werden. Ohnmachtsanfälle und hysterische Reaktionen bestimmten die Atmosphäre der Aufführung. Ein Augenzeuge berichtete: "Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraum! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Türe. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht!"[3])

19. Jahrhundert

1808 Der zerbrochne Krug von Heinrich von Kleist provozierte am Weimarer Hoftheater bei der dilettantisch ausgeführten Uraufführung unter Johann Wolfgang Goethe einen Skandal, da das Stück mit Zusätzen versehen und mit einem überflüssigen musikalischen Vorspiel versehen wurde. "Bei der Aufführung ereignete sich ein Vorfall, der in dem kleinen Weimarschen Hoftheater noch nie da gewesen und als etwas Unerhörtes bezeichnet werden konnte. Ein herzoglicher Beamter hatte die Frechheit, das Stück auszupfeifen. Das Stampfen des Publikums wurde zu einem Getöse, und auch Goethe selbst hätte sich dem Protest angeschlossen, wenn es seine Stellung erlaubt hätte“.[4] Kleist selbst sah sich als Opfer einer Intrige. Er glaubte, Goethe habe sein Stück verhunzt und trage die Schuld am Debakel. Kleist wollte Goethe zum Duell mit Pistolen fordern, aber Freunde brachten ihn von diesem Entschluss ab. Da er den gehassten Dichterfürsten nicht totschießen konnte, verfasste Kleist Spottverse, die er in einer Zeitschrift anonym veröffentlichte.

1814 Ponce de Leon von Clemens Brentano (Lustspiel) sorgte am Wiener Burgtheater unter dem Titel Valeria oder Vaterlist für einen Theaterskandal. Als spektakulärer Theaterskandal mit erbittertem Nachgefecht in den führenden Wiener Literaturzeitungen ist sie in die Theatergeschichte eingegangen.

1830 Hernani von Victor Hugo führte bei der Uraufführung in der Comédie-Française zur Schlacht um Hernani. In Paris gab es eine jahrhundertelange Tradition, politische Konflikte im Weg über das Theater auszutragen, wie im Buffonistenstreit seit 1752. Zudem waren dort die Spielpläne infolge des Napoleonischen Theaterdekrets (1807) sehr einheitlich: In jedes Theater ging eine bestimmte Gesellschaftsschicht mit ganz bestimmten Vorstellungen. So konnten selbst geringe Störungen dieser Erwartungen Missfallen beim Publikum auslösen, was manche Kulturschaffende als Reiz zur Provokation betrachteten.

Richard Wagner (Porträt von Cäsar Willich), um 1862

1849 Macbeth von Shakespeare führte während einer Aufführung in New York City beim Astor Place Riot zu Protesten eines proletarischen Publikumsteils gegen einen britischen Schauspieler. Es gab einen Aufruhr mit mindestens 25 Todesopfern.

1858 Der Barbier von Bagdad von Peter Cornelius. Die Uraufführung in Weimar unter dem Dirigenten Franz Liszt wurde zum größten Eklat der Weimarer Theatergeschichte, der vom Direktor Franz von Dingelstedt gegen Liszt angezettelt wurde. Bereits als Liszt vor das Ensemble trat, begannen Teile des Publikums zu raunen, und in den Begrüßungsapplaus mischte sich deutliches Zischen. Offensichtlich sollten die Mitwirkenden nervös gemacht werden. Während des Schlussapplauses eskalierte die Situation: „Eine bis dahin in den Annalen Weimars noch nicht erhörte Opposition stellte sich mit hartnäckigem Zischen gleich von Anfang dem Applaus gegenüber, sie war eine bestellte, wohlorganisierte, zweckmäßig verteilte. (...) Am Schluß erhob sich ein Kampf von zehn Minuten. Der Großherzog hatte anhaltend applaudiert, die Zischer fuhren nichts destoweniger fort.“[5]

1861 Tannhäuser von Richard Wagner erlebte bei der Pariser Première an der Opéra einen der berühmtesten Opernskandale der Musikgeschichte. Aufgrund der Weigerung Wagners, ein Ballett im zweiten Akt einzuführen, was den französischen Gepflogenheiten entsprochen hätte, und der Verlagerung des Balletts an den Anfang der Vorstellung veranstalteten Mitglieder des einflussreichen Jockey-Clubs durch Trillerpfeifen und Zwischenrufe einen Tumult, gefolgt von Feindseligkeiten fast der gesamten Pariser Presse, was zum Absetzen der Oper nach nur drei Aufführungen führte. „Die Ouvertüre und der erste Aufzug verliefen ohne Störung. Aber bei der Wandlung (...) brach plötzlich der lang vorbereitete Angriff aus, und ein gewaltiges Pfeifen und Lärmen unterbrach die Musik. Die Herren des Jockey-Clubs betrieben ihre boshaften Störungen wegen des fehlenden Balletts nicht einmal im Verborgenen, sondern saßen, recht geflissentlich sichtbar, in ihren mit Glacéhandschuhen bedeckten Händen die kleine Trillerpfeife haltend. So ging es die ganze Aufführung weiter. Die Sänger benahmen sich dabei wirklich heldenmütig. Oft mußten sie 15 Minuten und noch länger anhalten, um den Sturm, der im Publikum tobte, vorüberzulassen.“[6]

1889 Vor Sonnenaufgang von Gerhart Hauptmann war bei der Uraufführung am Lessingtheater in Berlin ein Skandal, da das naturalistische Stück Selbstmord und soziales Elend ungeschönt auf die Bühne brachte.[7] Der Augenzeuge Adelbert von Hahnstein schrieb: „Von Akt zu Akt wuchs der Lärm (…) schließlich lachte und jubelte, höhnte und trampelte man mitten in die Aufführung hinein und als der Höhepunkt des Stücks nahte, erstieg auch das Toben seinen Gipfel“.[8] Der Berliner Arzt Isidor Kastan schwang während des fünften Aktes (wo dem Text folgend „deutlich das Wimmern der Wöchnerin“ zu hören sein sollte) eine Geburtszange über dem Kopf und bot laut seine Dienste als Arzt an. Dabei bekümmerte es ihn auch nicht, dass man gerade um Tumulte zu verhindern, diese Stelle für die Aufführung gestrichen hatte. Infolge der Störung Kastans schwoll der Lärm im Saal derart an, dass die Schauspieler das Stück nur mühsam zu Ende bringen konnten.[9] Nach dieser „dramatischen Theaterschlacht“ folgte ein nicht weniger hitziger Streit unter den Rezensenten des Dramas. Der Skandal verhalf nicht nur Hauptmann zum Durchbruch, auch der Naturalismus als Bewegung erzielte zum ersten Mal eine breite Öffentlichkeitswirkung. Die deutsche Bühne war mit einem Schlag revolutioniert. Der Naturalismus am Ende des 19. Jahrhunderts produzierte zahlreiche Theaterskandale.

1898 Erdgeist von Frank Wedekind rief bei seiner Aufführung einen Theaterskandal hervor.

1898 Der Eroberer von Max Halbe wurde in Berlin uraufgeführt und verursachte einen Theaterskandal. Dem Verhalten des Publikums am Abend ging eine publizistische Kundgebung voraus. Das Kleine Journal veröffentlichte am Morgen des Aufführungstages einen Artikel, in dem gegen die Leitung des Theaters Stimmung gemacht wurde. [10]

20. Jahrhundert

Schauspiel

1907 Der Held der westlichen Welt (The Playboy of the Western World) von John Millington Synges erzeugte bei der Uraufführung in Dublin einen Theaterskandal, weil die klischeehafte Darstellung des ländlichen katholisch-irirschen Unterschichtmilieus als gewalttätig und primitiv von irischen Nationalisten wie dem Sinn Féin-Führer Arthur Griffith als Verhöhnung empfunden wurde. Die "Playboy Riots" im Januar 1907 wandten sich auch dagegen, dass das Stück einen anscheinenden Vatermord humoristisch verarbeitete.

Arthur Schnitzler (Fotografie von Ferdinand Schmutzer, ca. 1912)

1921 Reigen von Arthur Schnitzler führte zum größten Theaterskandal des frühen 20. Jahrhunderts. Das Stück schildert in zehn erotischen Dialogen die „unerbittliche Mechanik des Beischlafs“ und zeichnet ein Bild der Moral in der Gesellschaft des Fin de siècle. Wenige Stunden vor der Berliner Uraufführung am 23. Dezember 1920 wurde die Vorstellung vom preußischen Kultusministerium verboten und den Direktoren sechs Wochen Haft angedroht, die Premiere fand dennoch statt. Am 22. Februar 1921 kam es zu Ausschreitungen, nachdem ein hoher Beamter der Berliner Polizei eine systematische Hetze gegen die Aufführungen initiiert hatte. Am 22. Februar gab es organisierte Tumulte in der Aufführung und eine johlende Saalschlacht. Abkommandierte völkische Beobachter, die meisten von ihnen im jugendlichen Alter, warfen Stinkbomben. Theaterleiter und Darsteller wurden in der Folge wegen „unzüchtiger Handlungen“ im sogenannten Reigen-Prozess vor Gericht gestellt, nach dem Schnitzler ein Aufführungsverbot für das Stück verhängte, das bis zum 1. Januar 1982 in Kraft war. Bei der Vorstellung in Wien stürmten am 7. Februar 1921 Demonstranten die Vorstellung und riefen „Nieder mit dem Reigen!“ und „Man schändet unsere Weiber!“, die Vorstellung musste abgebrochen werden. Am 16. Februar warfen Zuschauer Stinkbomben und 600 Demonstranten stürmten das Haus, zertrümmerten die Glasscheiben, drangen ins Parkett und in die Logen ein, von wo aus sie Stühle und Teer-Eier auf die Zuschauer warfen. Die Bühnenarbeiter beendeten den Tumult durch Einsatz der Feuerwehrschläuche.

1928 Die Verbrecher von Ferdinand Bruckner, ein Drama, in dem es um die Diskriminierung der Homosexuellen und um deren Erpressbarkeit infolge des § 175 geht, löste am Hamburger Schauspielhaus einen Skandal aus.

1929 Das Badener Lehrstück vom Einverständnis von Bertolt Brecht und Paul Hindemith sorgte bei der Uraufführung in Baden-Baden aufgrund der Darstellung von Tod und Gewalt für einen Skandal. Die Zuschauer zeigten sich zunächst schockiert von der als Film gezeigten, drastischen Darbietung „Totentanz“ von Valeska Gert. Der eigentliche Skandal aber wurde durch eine brutale Clownsszene mit Theo Lingen in der Hauptrolle ausgelöst. Zwei Clowns zerlegten einen dritten Clown unter dem Vorwand zu helfen. Schmerzende Glieder wurden unter Einsatz großer Mengen Theaterblut einfach abgetrennt. Am Ende war das Opfer vollständig zerlegt und lag blutüberströmt am Boden. "Mit einem Blasebalg, der Blut enthielt, mußte ich auch noch das Blut dazu spritzen: das war dem Publikum nun wirklich zu viel. Und als man mir dann noch den Kopf absägte, da ich über Kopfschmerzen klagte, brach ein Skandal aus, wie ich ihn nie wieder am Theater erlebt habe. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, flog auf die Bühne. Fluchtartig verließen meine Mitspieler den Schauplatz."[11] Nicht nur die Zuschauer zeigten sich schockiert, die Baden-Badener Verantwortlichen beendeten nach der Aufführung ihre Unterstützung für das Musikfestival.

1945 Haben von Julius Hays wurde bei der Premiere am Wiener Volkstheater zum ersten großen Theaterskandal der hysterisierten Nachkriegszeit, es kam sogar zu einer Saalschlacht im Parkett, als die Hebamme Képes (gespielt von Dorothea Neff) während einer Szene unter einer Madonnenstatue Gift versteckt und Schüler des katholischen Piaristengymnasiums und Angehörige der ehemaligen Hitlerjugend Tumulte vom Zaun brachen. Mitgliedern des Theaters und Kulturstadtrat Viktor Matejka gelang es, die Situation zu beruhigen.

1947 Es steht geschrieben von Friedrich Dürrenmatt rief bei der Uraufführung in Zürich einen Theaterskandal hervor. Das erste Stück Dürrenmatts, ein ironisch skeptischer Bilderbogen aus der münsterischen Schreckensherrschaft 1534-36, wurde als „unzüchtig und nihilistisch" empfunden.

1948 Geschichten aus dem Wiener Wald von Ödön von Horváth geriet bei der österreichischen Erstaufführung am Wiener Volkstheater zu einem der größten Theaterskandale der Nachkriegszeit. Publikum und Presse standen Horváths Vivisektion der Wiener Seele – von Erich Kästner „ein Wiener Volksstück gegen das Wiener Volksstück“ genannt – empört gegenüber. Bei der zweiten Vorstellung kam es im letzten Bild, „in der Wachau“, sogar zu Tumulten, als Dorothea Neff als Großmutter den von ihr verschuldeten Tod des kleinen Leopold verkündet. Karl Skraup musste die Störer mit extemporierten Sätzen beruhigen.[12]

1961 Die Geisel von Brendan Behan provozierte am Ulmer Theater in der Inszenierung der deutschen Erstaufführung von Peter Zadek Skandal und Furore durch eine freche Mischung aus Bordell und Bürgerkrieg, Schunkeln und Sterben, nackten Frauen und betrunkenen Guerilleros. Pulverdampf, der ins Publikum zog, irritierte die Zuschauer. Der Ulmer Gemeinderat debattierte über die Absetzung des Stückes, die Presse empfand die Kontroverse wegen der scheinbar inkongruenten Stilelemente und der politischen Aussage als eine Belebung der deutschen Bühnenlandschaft und wählte die Inszenierung zur „Aufführung des Jahres“.

1963 Der Stellvertreter von Rolf Hochhuth wirbelte bei der Berliner Uraufführung enormen Staub auf und entfachte Polemiken über das Verhalten des Papstes Pius XII. gegenüber Hitler-Deutschland. Während der Aufführungen am Wiener Volkstheater kam es 1964 zu tumultartigen Szenen, sogar zu Handgreiflichkeiten im Parkett. Direktor und Regisseur Leon Epp erschien bei offenem Vorhang auf der Bühne und verteidigte die Wahl des Stückes mit den Worten: „Jeder, der dieser Aufführung beiwohnt, möge sich doch fragen, ob er nicht an den hier geschilderten Dingen irgendwie mitschuldig gewesen ist!“

Edward Bond, Januar 2001

1968 Gerettet von Edward Bond inszenierte Peter Zadek in Berlin. In einer Szene werfen Rowdys Steine in einen Kinderwagen und bringen das darin liegende Baby um. Zadek schreibt in seiner Biografie, dass die Szene „die Fantasie des Zuschauers zwar anstößt, ihn aber nichts kostet“. Er spitzte das Geschehen zu, ließ die Jungen eine Puppe brutal zerstören. Während dieser Szene stürmten die Zuschauer die Bühne. „Wegen der Direktheit mit der sichtbaren Puppe hatte niemand mehr die Möglichkeit für einen gemütlichen Voyeurismus“, schreibt Zadek. Die protestierenden Studenten hätten vor allem kritisiert, „dass bei der Aufführung nicht genügend auf die sozialen Ursachen der Gewalt hingewiesen wurde“.

1969 Clavigo von Goethe wurde in Fritz Kortners Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus zum Theaterskandal. Thomas Holtzmann in der Rolle des Clavigo[13] gähnte, während er sprach, da Kortner eine Szene in die Nacht gelegt hatte, und der völlig übermüdete Mann konnte deshalb vor Müdigkeit kaum noch sprechen.[14] Kortner unterbrach die große Auseinandersetzung zwischen Clavigo und Beaumarchais durch eine Nacht, in der man Clavigo an seinem Tisch schlafen sah.[15] Kortners "jugendlich wißbegieriger Umgang mit Goethe" (Hellmuth Karasek) provozierte Zwischenrufe, höhnisches Gelächter und Buh-Geschrei, während Kortner am Ende des Stückes zeigte, daß Sterben nichts klassisch Schönes, sondern etwas widersinnig Komisches sein kann, daß der Tod den Gemordeten nicht einmal mehr das läßt, was das Theaterherkommen als "Würde" verklärt.[16] Kurz darauf wurde die Aufführung in Berlin beim Theatertreffen zum triumphalen Publikumserfolg.

1969 Trauer zu früh (Early Morning) von Edward Bond inszenierte Peter Stein am Zürcher Schauspielhaus als deutschsprachige Erstaufführung. Das Publikum protestierte gegen die Mischung aus Bestialität und gutbürgerlichem Verhalten, Slapstick und Trauer und ließ die Premiere in empörten Zwischenrufen und einem wütenden Buh-Konzert ertrinken. Die Aufführung ging in einem schier unglaublichen Theaterskandal unter. Aufgeregte Damen riefen nach Verantwortlichen, Türen wurden geknallt, ja selbst Schauspieler, die in Zürcher Ehren ergraut waren, distanzierten sich durch Gesten während des Schlußbeifalls und Buh-Konzerts von Stein.[17] Mit diesem Theater-Eklat vertrieben die Zürcher einen Regisseur und seine Theatertruppe (Edith Clever, Jutta Lampe, Bruno Ganz, Heinrich Giskes, Günter Lampe und Dieter Laser), die später als Schaubühne am Halleschen Ufer in Berlin Weltgeltung erlangte.

Christoph Schlingensief (Wien 2009)

1971 Hartnäckig und Heimarbeit von Franz Xaver Kroetz leiteten in München die Laufbahn des bayerischen Stückeschreibers mit einem Skandal ein. Rechtsradikale Schreier vor dem Theater, Stinkbomben im Theater; am Ende der Vorstellung mußte das Publikum auf Schleichwegen in Sicherheit gebracht werden. Im Werkraumtheater der Kammerspiele erlebte man die trotz aller Tumulte triumphale Uraufführung. Das damals auf einer Bühne fast noch Unvorstellbare war zu sehen: ein Abtreibungsversuch mit einer Stricknadel. Die langsame Ermordung eines Kindes. Der einsame Liebesakt eines Mannes am eigenen Leibe. Das eigentlich Skandalöse aber war wohl die unbegreifliche, furchtlose Liebe, mit der Kroetz mitten hineinschaute ins grausigste Leben.[18]

1971 Sprintorgasmik von Wilhelm Pevny löste bei der Uraufführung, die gemeinsam mit Peter Turrinis Rozznjogd am Wiener Volkstheater stattfand, einen Skandal aus. Das avantgardistische Körpertheater und die ungewohnte Rhythmik auf einer Bühne aus Klettergestängen und Metalltonnen, begleitet von „zermürbenden Licht- und Klangeffekten“ überforderte das Publikum, das – angeführt vom ORF-Fernsehspielchef Walter Davy – scharenweise das Theater verliess oder über die Sitzreihen stieg, um sich gegenseitig zu ohrfeigen.[19]

1976 Othello von Shakespeare sorgte in Peter Zadeks Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus (Intendant: Ivan Nagel) für einen der größten Theaterskandale der Nachkriegszeit. Der Zuschauerraum war von lautstarker Ungeduld, wutentbrannten Zwischenrufen und aggressiven Skandalreaktionen beherrscht, als Eva Mattes als Desdemona vor dem rasenden Othello Ulrich Wildgruber in der Titelrolle mit Schuhcreme am ganzen Körper schreiend flüchtete, zappelnd gefangen wurde, ihr Körper sich beim Würgen konvulsivisch wehrte, Othello, als er gestellt wurde, mit der Leiche im Arm panisch über die Bühne irrte, sie dann wie im Wahnsinn zu verstecken trachtete, indem er sie über eine Stellwand hängte. Das Publikum gab ihm zu verstehen, daß man „so“ in einem klassischen Stück nicht lebt und liebt und stirbt; „so“ spricht man nicht im Othello, dem erhabensten Muster von Liebe, Eifersucht und Tod.[20]

1977 Claus Peymann, Intendant des Stuttgarter Theaters, stiftete Geld für die Zahnreparatur der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin, nachdem Ensslins Mutter ihn in einem Brief über die Situation der Stammheimer Häftlinge informiert hatte, und heftete den Ensslin-Brief im Theater ans Schwarze Brett, es kamen 611 Mark zusammen. "Der Hilferuf", so erläuterten später Kollegen Peymanns in einem offenen Brief, "schien die Kehrseite zu einer um sich greifenden Mentalität, die Erbarmen nicht kennt"; Hilfe zu leisten war den Spendern "nicht mehr als ein humanitärer Akt". [21] Nach einem Artikel in der Bildzeitung wurde Peymann in Hunderten von "Sympathisant", "Mörderkomplize", "Kommunistenschwein" genannt. Anonyme Schreiber drohten, demnächst würden im Theater "die Fenster klirren", und dies sei "nur der Anfang". Einige stellten Bomben in Aussicht und sahen das Theater "in Schutt und Asche". Der Chef der baden-württembergischen Polizeigewerkschaft, Jan Dietrich Siemann, forderte deren Mitglieder auf, "nicht mehr in Stuttgart ins Theater zu gehen, solange der Schauspieldirektor Peymann heißt". Der Fraktionsvorsitzende der CDU im Stuttgarter Landtag, Lothar Späth, verlangte die fristlose Entlassung des so geächteten Künstlers. Claus Peymann hat mit seinem Engagement für radikal linke Positionen über Jahrzehnte Kontroversen ausgelöst und Skandale provoziert, etwa auch als er 2007 dem Ex-RAF-Terroristen und verurteiltem Mörder Christian Klar ein Praktikum am Berliner Ensemble anbot.[22]

1982 Stigma von Felix Mitterer, das Drama einer Magd, die stigmatisiert das Leiden Christi am eigenen Leib erlebt, wurde zum Skandal. Die Stadt Hall in Tirol, die damals die Tiroler Volksschauspiele beherbergte, weigerte sich, die Passion der Dienstmagd Moid auf den Spielplan zu setzen. Von „Schweinereien“ und „Religionsverhöhnung“ war die Rede, Bombendrohungen wurden ausgesprochen, Wallfahrten organisiert. Dies führte dazu, dass die Volksschauspiele nach Telfs wanderten, erst drei Jahre nach der Premiere wagten sich auch andere Theatermacher an Mitterers Stück.

1985 Der Müll, die Stadt und der Tod von Rainer Werner Fassbinder löste in Frankfurt am Main Kontroversen über Antisemitismus aus.

1988 Heldenplatz von Thomas Bernhard erregte bei der Uraufführung am Wiener Burgtheater (Regie: Claus Peymann) [23] den größten österreichischen Theaterskandal der Nachkriegszeit.[24]

Elfriede Jelinek, 2004

2000 Ausländer raus! Schlingensiefs Container, eine Aktion von Christoph Schlingensief bei den Wiener Festwochen vor der Wiener Staatsoper verlegte den Theaterskandal in die (Medien-)Öffentlichkeit.

2005 Macbeth von Shakespeare in Jürgen Goschs drastischer Inszenierung am Düsseldorfer Schauspielhaus zeigte „wilde Blutspritzereien und nackte Hexen am Donnerbalken, Männer, die in Frauenrollen ihren Penis zwischen die Beine klemmen und sich wild im Dreck am Boden suhlen“. Die Kritiker liefen Sturm gegen das „Ekeltheater“ und den „Sudel-Macbeth“, Zuschauer verließen wütend den Saal. Doch später erhielt Gosch für das Stück den renommierten Faust-Theaterpreis.

2006 Der Schauspieler Thomas Lawinky ging während der Premiere des Stückes Das große Massakerspiel oder Triumph des Todes von Eugène Ionesco am Schauspiel Frankfurt auf den Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier los, indem er ihm mit den Worten: „Mal sehen, was der Kerl da schreibt!“ den Notizblock wegnahm und nach kurzem Durchblättern wieder zurückgab. Als Stadelmaier die Aufführung daraufhin verließ, rief er ihm „Hau ab, du Arsch! Verpiss dich!“ nach. Stadelmaier sah dies als Angriff auf seine Rolle als Kritiker. Als Reaktion darauf kündigte Thomas Lawinky um seiner Entlassung zuvorzukommen. Es entbrannte eine Diskussion innerhalb der deutschen Theaterlandschaft, wobei bekannte Theaterleute auch Partei für den Schauspieler Lawinky ergriffen.

2010 Rechnitz (Der Würgeengel) von Elfriede Jelinek, ein Text über das Massaker von Rechnitz in einer Inszenierung von Hermann Schmidt-Rahmer, der auch eine vierminütige Toneinspielung, die sich an den Fall des "Kannibalen von Rotenburg" anlehnt, verwendet wurde, führte zu einem Eklat. Zuschauer im Central, einer Spielstätte des Düsseldorfer Schauspielhauses, riefen „Aufhören!“, andere schimpften vor sich hin. 70 Prozent des Publikums verliessen kurz vor Schluss der zweiten Aufführung den Zuschauerraum [25]

2012 Sul concetto di volto nel figlio di Duo (Über das Konzept des Angesichts bei Gottes Sohn) des Regisseurs Romeo Castellucci mit der italienische Theatergruppe Societas Raffaelo Sanzio aus Cesena sorgte im Berliner Hebbel am Ufer für Aufruhr und Protest. Die Aufführung zeigte, wie ein alter Mann von seinem Sohn, versorgt wird. Der Alte ist inkontinent, beschmutzt sich und seine Wohnung, der einst Kleine sorgt für den Papa, der wieder zum Kind wird, dies vor einem überdimensionalen Christusbild von Antonello da Messina. Die Zuschauer in Berlin zeigten sich über den Fäkaliengeruch und „die Handlung zwar teils schockiert“,[26], akklamierten das Stück aber. Die Inszenierung hatte zuvor bereits in verschiedenen italienischen Städten zu heftigen Diskussionen und Protesten durch konservative katholische Gruppen geführt, zum Teil militant. Vorstellungen in Paris konnten nur unter Polizeischutz stattfinden. Der deutsche Kardinal Rainer Maria Woelki sprach von Blasphemie - ohne jedoch das Stück gesehen zu haben. Die Presse verteidigte die Aufführung: „Früher brauchte das Theater den Skandal. Hier wollen Kirchenleute ihn herbeireden. Um etwas zu schützen, das ihnen entglitten ist – die Seele und das Gefühl der Zeitgenossen.“[27]

Igor Strawinski

Oper und Ballett

1913 Le sacre du printemps von Igor Strawinsky sorgte bei der Uraufführung für einen der größten Skandale der Musikgeschichte. Zur Generalprobe hatte der Impresario der Ballets Russes Sergej Diaghilew die Pariser Presse eingeladen, so dass das Premierenpublikum vorbereitet war. Schon vor Beginn der Aufführung herrschte im Zuschauerraum eine regelrechte Jahrmarktsstimmung, man trieb allen möglichen Klamauk und rief ironische Bravos in Erwartung des Ungeheuerlichen, das kommen sollte. In seinem Manifest Le coq et l'arlequin beschreibt Jean Cocteau den Verlauf des Abends: „Bei der Uraufführung des Sacre spielte das Publikum die Rolle, die ihm zugedacht war: Es revoltierte von Anfang an. Man lachte, höhnte, pfiff, ahmte Tierstimmen nach, und vielleicht wäre man dessen auf die Dauer müde geworden, wenn nicht die Menge der Ästheten und Musiker in ihrem übertriebenen Eifer das Logenpublikum beleidigt, ja tätlich angegriffen hätte. Der Tumult artete in einem Handgemenge aus. Mit schiefgerutschtem Diadem in ihrer Loge stehend, schwang die alte Comtesse de Pourtalès ihren Fächer und schrie mit hochrotem Gesicht: ‚Zum ersten mal seit sechzig Jahren wagt man es, sich über mich lustig zu machen!‘ Die gute Dame meinte es aufrichtig; sie glaubte an eine Fopperei.“ Claude Debussy prägte den Ausdruck „Massacre du Printemps“, und der Musikkritiker Carl van Vechten schrieb, daß das Publikum Strawinskys Ballett als einen gotteslästerlichen Versuch betrachtet habe, Musik als Kunst zu zerstören: „Das Orchester spielte, ohne daß man es hörte, außer wenn zufällig ein wenig Ruhe eintrat.“[28]

1917 Parade von Erik Satie (Ballett) in Paris.

1926 Ballet Mécanique des amerikanischen Komponisten George Antheil mit zehn Klavieren, Schlagzeug, Flugzeugpropellern und elektrischen Türklingeln wurde zum größten Skandal seit der Aufführung von Strawinskys Sacre du Printemps. Sylvia Beach schreibt: „Die Wirkung des Ballet Mécanique auf das Publikum war merkwürdig. In dem Geschrei, das sich im ganzen Haus auf allen Seiten erhob, ging die Musik völlig unter. Gegnern im Parkett antworteten Verteidiger von oben, man hörte Ezras Stimme sich über alle anderen erheben, und jemand erzählte, daß man ihn mit dem Kopf nach unten von der vierten Galerie hatte hängen sehen. Man sah auch Leute, die einander ins Gesicht boxten, man hörte das Gejohle, aber nicht einen Ton vom Ballet Mécanique, das, nach den Bewegungen der Ausführenden zu schließen, die ganze Zeit über weiterging.“[29] Die Aufführung am 10. April 1927 in der New Yorker Carnegie Hall wurde zu einem ‚Waterloo’ für Antheil, zu einem der größten Skandale der Musikgeschichte. Hauptverantwortlich für das Misslingen war eine Public-Relations-Kampagne, die auf angeblich skandalöse Aufführungen in Paris verwies und das Ereignis als „…Biggest Musical Event of the Year!“ und Antheil als „…Sensational American modernist composer“ ankündigte.

Béla Bartók 1927

1926 Der wunderbare Mandarin von Béla Bartók (Ballettpantomime) verursachte bei der Kölner Uraufführung wegen der angeblich unmoralischen Handlung einen Theaterskandal, die Beschreibungen gipfelten in Formulierungen wie „Kaschemmenstück niedrigster Art“, „Dirnenstück voll der rohesten und brutalsten Instinkte“, die Diffamierung reichte von übersteigertem Nationalismus bis zu offenem Antisemitismus. Hinter diesem Pfeifkonzert, das diesmal nicht wie üblich von der Galerie, sondern von den Logen ausging, wurde ein von langer Hand vorbereitetes Komplott vermutet. Der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer ließ alle weiteren Aufführungen verbieten[30], die Stadtverwaltung und der Theaterausschuß ließen sich von den Protesten jedoch nicht beeindrucken und gaben der Theaterleitung Rückendeckung.

1948 Abraxas von Werner Egk, uraufgeführt von Marcel Luitpart mit dem Bayerisches Staatsballett in München war ein Skandal „wegen allzu großer Freizügigkeiten“, nach nur fünf Vorstellungen verfügte der Bayerische Kultusminister, dass das Werk abgesetzt werden musste.[31].

1968 Das Floß der Medusa von Hans Werner Henze (Oratorium) scheiterte bei der Hamburger Uraufführung, da Studenten vor der Aufführung die Bühne besetzten und Spruchbänder, eine rote Fahne und ein Bildnis Che Guevaras aufpflanzten, um den Abbruch der Veranstaltung oder eine Diskussion mit dem Premierenpublikum zu erzwingen. Die Presse hatte den Eklat allerdings im Vorfeld schon inszeniert und half mit, ihn vorzubereiten. Der Intendant des NDR, der das Konzert live übertragen wollte, sah sich genötigt, die Polizei zu rufen und den Saal stürmen zu lassen. Während Hans Werner Henze sich mit den Podiumsbesetzern solidarisierte und in die „Ho Chi Minh“-Rufe einstimmte, wurde der Librettist Ernst Schnabel irrtümlicherweise von der Polizei verhaftet. Die Veranstaltung mußte schließlich abgebrochen werden, der NDR sendete stattdessen einen Mitschnitt der Generalprobe.

1971 Staatstheater von Mauricio Kagel („Szenische Komposition“) erzeugte bei der Hamburger Uraufführung zur Zeit der ersten Intendanz von Rolf Liebermann einen solchen Theaterskandal, dass es bis zu anonymen Bombendrohungen einer „„Aktionsgemeinschaft junger Freunde deutscher Opernkunst“ kam.[32]

Patrice Chéreau, 2009

1976 Der Ring des Nibelungen von Richard Wagner löste zum 100. Jubiläum der Uraufführung bei den Bayreuther Festspielen (Regie: Patrice Chereau, Dirigent: Pierre Boulez) einen Skandal vor allem unter Wagnerianern aus, da die Handlung in die Ära der frühen Industrialisierung verlegt wurde. Wohlerzogene Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft verwandelten sich in schreiende Furien, Damen in langen dunklen Roben schüttelten die Fäuste wie die Megären, die Dinnerjackets, Smokings wurden zu Kampfanzügen. Lautes Blöken und Brüllen erfüllten den Raum, schwarze Wolkenklänge, bestürmten empfindsame Nerven.[33]

1980 Jesu Hochzeit von Gottfried von Einem, eine Mysterien-Oper nach dem Libretto von Lotte Ingrisch, die auf Bibel-Zitaten und eigenen Versen der Librettistin beruht, löste bei der Uraufführung im Theater an der Wien (Regie: Giancarlo del Monaco) eine drastische Ablehnungsfront von ultrakatholischen Kreisen gegen das Werk ein, dass eine Aufführung fast nicht zustande kam, obwohl Kardinal König eigens versichert, dass gegen eine Aufführung seitens der katholischen Kirche Österreichs nichts einzuwenden sei.

1981 Aida von Giuseppe Verdi erregte in Frankfurt am Main (Regie: Hans Neuenfels) einen Skandal, in dem Aida als Putzfrau und Radames als hemdsärmeliger Manager auftraten. Die Sklaven waren Wilde, die mit Hähnchenkeulen um sich warfen, und der Chor der Ägypter war als festliches Opernpublikum in Frack und Abendkleid kostümiert.

1982 Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach an der Hamburger Staatsoper (Regie: Jürgen Flimm, mit Neil Shicoff in der Titelrolle). In der Aufführung war Hoffmann ein Alkoholiker, Womanizer und toller Komponist , in einem großen leeren Raum waren Schränke, in denen Hoffmann Sachen sammelte wie Spazierstöcke und Schmetterlinge. Hoffmann lag betrunken im Bett, um ihn leere Weinflaschen. Während der Ouvertüre entstieg dem Bett ein Mädchen mit einem T-Shirt bekleidet. Die Geschichten wehten durch das Fenster, durch die Türen in den Saal hinein und wehten wieder hinaus. „Die Leute haben geschrien, waren außer sich. Diese vornehmen Hamburger, die zeigten die italienische ‚Leck-mich-am-Arsch‘-Geste, rollten die Programmhefte zusammen zu Verstärkern für ihre ‚Buhs‘ – es war unglaublich. Und als wir rauskamen beim Bühnenausgang, kam mir eine Frau entgegen, die hat mich angeschrien: ‚Herr Flimm - warum nehmen Sie uns unseren Hoffmann weg?‘“[34]

1983 Figaros Hochzeit von Mozart an der Stuttgarter Staatsoper (Regie: Peter Zadek, Ausstattung: Johannes Grützke). Die Zuschauer tobten und schrien (unter anderem "Scheiße! Scheiße!"), da die Oper in eine andere, gröbere Zeit verlegt wurde: Susanna trat im Minirock auf, Figaro mit Hosenträgern, Bauch und Nickelbrille. Zu Mozarts Musik erklangen so unerhörte Sätze wie: "Auf seine eigene Frau hat der Herr keinen Bock mehr."[35]

1987 Das Buch mit sieben Siegeln, ein Oratorium von Franz Schmidt, sorgte in der Inszenierung von George Tabori bei den Salzburger Festspielen in der Salzburger Universitätskirche durch vermeintlich obszöne Darstellungen im sakralen Raum für einen Skandal. Die Inszenierung wurde nach der Premiere abgesetzt, da man „Kopulationsbewegungen“ gesehen zu haben vermeinte, was jedoch nicht den Tatsachen entsprach, da es sich um eine Szene handelte, in der sich die Menschen aus Furcht vor der Apokalypse verzweifelt aneinanderklammerten.[36] ÖVP Generalsekretär Michael Graff regte an, die Festspiele sollten Tabori „eine schöne Bedürfnisanstalt anbieten, damit er sich dort in angemessenem Rahmen künstlerisch" betätigen könne. Die Kronenzeitung schrieb: „Der Verhunzer war ein gewisser Herr Tabori, ein reichlich unappetitlich anmutender Mensch, der uns auch im Fernsehen schon erklärt hatte, was es mit der Produktion auf sich hätte: Ich will zeigen, was der Mensch dem Menschen antut. Gut, aber wozu muß dann in der Kirche zu fließendem Blut geschnackselt werden?"

1999 Die Czardasfürstin von Emmerich Kálmán an der Dresdner Semperoper (Regie: Peter Konwitschny) sorgte bei der Premiere für einen Theaterskandal, da der Regisseur Teile des Geschehens auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges und damit in die Entstehungszeit des Werkes verlegte. Lautstark störte ein Teil des Publikums die Aufführung. Sänger und Orchester waren mitunter kaum noch zu verstehen.[37]

2003 Der Troubadour von Giuseppe Verdi an der Oper Hannover (Regie: Calixto Bieito) schockte mit Schlägereien, homo- und heterosexuellen Vergewaltigungen und Folterexzessen von natural born killers, gipfelnd in einer offenbar Pasolinis "Salò" nachempfundenen Szene, in der eine vertierte Soldateska über der Leiche einer gefolterten und geschändeten Frau uriniert. Graf Luna, vor lauter Lust, daß die Heldin sich ihm hingeben will, um ihren Geliebten zu retten, onaniert. Die in den Wahnsinn gefolterte Azucena beschmiert sich mit ihren Fäkalien. Zahlreiche Zuschauer verließen zur Pause das Theater, etliche andere im zweiten Teil.[38]

2006 Idomeneo von Mozart an der Deutschen Oper Berlin (Regie: Hans Neuenfels) wurde aus Furcht vor Anschlägen islamistischer Terroristen abgesetzt, da die Inszenierung von christlichen Repräsentanten als "religionsfeindlich und menschenverachtend"[39] eingestuft wurde und die "aufklärerische Pose" der Opernszene, in der die abgeschlagenen Köpfe von Religionsführern wie Jesus und Mohammed gezeigt wurden, eine "menschenverachtende Seite" habe. Die Entscheidung der Opern-Intendanz stiess international auf Unverständnis und heftigen Protest, da sie als Aufgabe der Freiheit der Kunst angesehen wurde. Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisiert den Schritt als "unnötige Schere im Kopf".[40]

2008 Der Fliegende Holländer von Richard Wagner entwickelte sich an der Leipziger Oper (Regie: Michael von zur Mühlen) zu einem Eklat. Etwa nach einer Stunde verließen bereits zahlreiche Besucher den Saal. Auf der Bühne waren Videosequenzen mit Hunden, die sich gegenseitig tot bissen, Kuh-Kadavern, die an Haken hingen und jede Menge Blut zu sehen. Nach der Aufführung trat der Hauptdarsteller James Johnson drei Tage später zurück. Gegen Michael von zur Mühlen wurden rechtliche Schritte eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft überprüfte dabei, ob die Aufführung gegen das Jugendschutzgesetz verstoßen habe. Mit teilweise neuer Besetzung und ohne Gewaltvideos erfolgte später eine Wiederaufnahme der Inszenierung. [41]

Literatur

  • Stefan Neuhaus, Johann Holzner (Hrsg.): Literatur als Skandal. Fälle – Funktionen – Folgen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-20855-7.
  • Bernd Noack: Theaterskandale. Von Aischylos bis Thomas Bernhard. Residenz, St. Pölten u. a. 2008, ISBN 978-3-7017-3108-4.
  • Martin Kraus: Zwei Skandalstücke im Kontext von Antisemitismus: Thomas Bernhards Heldenplatz und Rainer Werner Fassbinders Der Müll, die Stadt und der Tod. Waterloo 2009 (Theses, Univ. Waterloo), online.

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Lempfried: Skandal und Provokation in der Musik. [1]
  2. Wolfgang Lempfried: Skandal und Provokation in der Musik. [2]
  3. Augenzeugenbericht zur Uraufführung im Mannheimer Nationaltheater am 13. Januar 1782, [3]
  4. Eduard Genast: Aus Weimars klassischer und nachklassischer Zeit. Kapitel 7: Goethes alleinige Direktion (1805–1817)
  5. Oliver Hilmes: Liszt: Biographie eines Superstars. Siedler Verlag 2011
  6. Malvida von Meysenbug: Memoiren einer Idealistin, o.J., Bd. 1
  7. Gerhart Hauptmann: Der Schuss im Park Online
  8. Adelbert von Hahnstein: Das jüngste Deutschland. Zwei Jahrzehnte miterlebte Literaturgeschichte. Leipzig 1900
  9. Hartmut Baseler: Gerhart Hauptmanns soziales Drama „Vor Sonnenaufgang“ im Spiegel der zeitgenössischen Kritik. Eine rezeptionsgeschichtliche Modellanalyse: Karl Frenzel, Theodor Fontane, Karl Bleibtreu, Wilhelm Bölsche. Dissertation, Kiel 1993
  10. Rudolf Steiner: Theaterskandal. Erstveröffentlichung: Dramaturgische Blätter 1898, 1. Jg., Nr. 46 [4]
  11. Theo Lingen, zitiert nach Werner Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, Band 1
  12. Paulus Manker: "Der Theatermann Gustav Manker. Spurensuche." Amalthea, Wien 2010 ISBN 978-3-85002-738-0
  13. Programmheft Deutsches Schauspielhaus Hamburg 23. November 1969
  14. Jürgen Flimm: "Da kommt eben Zugluft auf" [5] Flimm irrt allerdings im Jahr und bei der Besetzung, Holtzmann spielte nicht Beaumarchais, sondern Clavigo.
  15. Luc Bondy: "Dort leben viele Gestrandete" [6]
  16. Hellmuth Karasek: Othello oder So stirbt man nicht. [7]
  17. Für das Theater ein Hallesches Ufer. [8]
  18. dichter-kot-und-teufel [9]
  19. Elisabeth Winkelhofer, Wilhelm Pevny. Sprintorgasmik: Wien – New York, Wien, 2008
  20. Hellmuth Karasek: Othello oder So stirbt man nicht. [10]
  21. Schutt und Asche, DER SPIEGEL 39/1977 [11]
  22. Interview mit Claus Peymann, Geplante Skandale gehen immer schief“, in: Die Welt online vom 7. Juni 2007 [12]
  23. Cornelia Rühle: Theaterskandal in der Alpenrepublik, Deutschlandradio Kultur, 4. November 2008 [13]
  24. Die Presse, 9. September 2010
  25. Die volle Wucht der Provokation. [14]
  26. Demenz, Kot und Handgranaten. [15]
  27. Rüdiger Schaper: Ein Mensch. Berliner Tagesspiegel, 7. März 2012 [16]
  28. Theo Hirsbrunner, Igor Strawinsky in Paris. Laaber 1982
  29. Sylvia Beach: Shakespeare and Company. Frankfurt/Main 1982
  30. Wolfgang Lempfrid: Warum diese Töne? Skandal und Provokation in der Musik [17]
  31. Geschichte des Bayerischen Staatsballetts [18]
  32. SWR2 Musikstunde mit Werner Klüppelholz, Sendung vom 22. September 2010, S. 5 pdf-Datei
  33. »Der Irrtum der Werktreue« [19]
  34. Interview mit Jürgen Flimm [20]
  35. DER SPIEGEL 43/1985 [21]
  36. Gerhard Roth: Der Würgegriff des Volksempfindens. [22]
  37. Skandal um "Csardasfürstin" [23]
  38. Der Exorzist. [24]
  39. Vor der Oper unter den Detektor. [25]
  40. Wende im Opernskandal. [26]
  41. Opernskandal schockierte Leipzig [27]