Politische Partizipation
Politische Partizipation ist die Teilhabe und Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen.[1] Der Begriff der politischen Partizipation gilt als Abhängig von den historischen Entwicklungen der politischen Beteiligung. Darüber hinaus gibt es allerdings keine allgemein anerkannte und einheitliche Definition politischer Partizipation.[2][3] Die politische Partizipation ist Voraussetzung, Bestandteil und wesentliches Merkmal einer Demokratie.[4][1]
Definitionen politischer Partizipation
Den vielzitierten Definitionen politischer Partizipation von Samuel Phillips Huntington und Joan M. Nelson (Vorlage:"-en) sowie von Sidney Verba, Norman H. Nie und Jae-on Kim (Vorlage:"-en) ist die Eingrenzung der politischen Partizipation auf Handeln, das andere, die Regierung, beeinflussen kann, gemeinsam.[5] Eine besonders in der deutschsprachigen Partzipationsforschung weit verbreitete Definition kommt von Max Kaase. Danach sind unter politischer Partizipation „alle Tätigkeiten (…), die Bürger freiwillig mit dem Ziel unternehmen, Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des Politischen Systems zu beeinflussen“ (Max Kaase: Partizipation. In: Dieter Nohlen (Hrsg.): Wörterbuch Staat und Politik. Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 1995, S. 521 – 527. Zitiert nach Jan W. van Deth: Soziale und Politische Beteiligung: Alternativen, Ergänzungen oder Zwillinge? In: Achim Koch, Martina Wasmer und Peter Schmidt (Hrsg.): Blickpunkt Gesellschaft 6. Politische Partizipation in der Bundesrepublik Deutschland. Empirische Befunde und theoretische Erklärungen. Leske + Budrich, Opladen 2001.)Vorlage:": Ungültiger Wert: ref=
, zu verstehen.
Weitergefasste Bestimmungen der politischen Partizipation beziehen auch Beteiligung und Aktivitäten zur Unterstützung der politischen Führung sowie das Lesen über Politik, die gezielte Wahrnehmung politischer Informationen, ein.[5]
Unterschiede zwischen Definitionen politischer Partizipation bestehen auch in den Fragen, ob die Absicht des Handelnden, Einfluss auf Politik zu nehmen, notwendige Voraussetzung der politischen Partizipation ist, ob die Freiwilligkeit des Handelnden notwendiger Bestandteil ist[5] und ob nur legale oder auch illegale Handlungen unter den Begriff der politischen Partizipation fallen können.[3]
Instrumentelles und normatives Verständnis politischer Partizipation
Entsprechend unterschiedlichen Demokratiemodellen und Politikbegriffen werden instrumentelles und normatives Verständnis der politischen Partizipation unterschieden. Ein instrumentelles Verständnis der politischen Partizipation erfasst die Handlungen, die von Bürgerinnen und Bürgern unternommen werden, um politische Entscheidungen zu ihren Gunsten und in ihrem Interesse zu beeinflussen. Nach normativem Verständnis wird die politische Partizipation über das Mittel zum Zweck der Interessendurchsetzung hinaus als eigenständiger Wert im Sinne (direkt-)demokratischer Verfasstheit, partizipativer Demokratie und umfassender gesellschaftlicher und politischer Teilhabe wahrgenommen.[6]
Formen politischer Partizipation
Der Begriff politische Partizipation war bis etwa Ende der 1970er Jahre hauptsächlich als Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger an politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen im Rahmen der institutionalisierten Beteiligungsformen wie Wahlen und politischen Parteien bestimmt.[7] Seitdem hat dieser Terminus eine deutliche Erweiterung erfahren und heute wird in der Partizipationsforschung zwischen „direkten und indirekten, legalen und illegalen, verfassten und nicht verfassten, institutionalisierten und nicht-institutionalisierten, unmittelbaren und mittelbaren, konventionellen und unkonventionellen Formen“ (Brigitte Geißel/ Virginia Penrose: Dynamiken der politischen Partizipation und Partizipationsforschung, 2003, S. 4f.)Vorlage:": Ungültiger Wert: ref=
der politischen Partizipation unterschieden. Während generalisierende Handlungen und Handlungsvollmachten, beispielsweise bei Wahlen, als indirekte Partizipation definiert sind, ist mit direkter Partizipation das direkte Einwirken auf Sach- und Personalentscheidungen gemeint. Im Gegensatz zur legalen Partizipation bewegt sich die illegale Partizipation außerhalb des rechtlichen Rahmens. Hausbesetzungen sind ein Beispiel für illegale politische Partizipationsformen. Illegale aber nicht gewaltsame Formen der politischen Partizipation werden als ziviler Ungehorsam bezeichnet.[8] Verfasste oder institutionalisierte Formen der politischen Partizipation entsprechen den rechtlich begründeten Institutionen (Beispiele sind Wahlen, politische Parteien, Gewerkschaften), während nicht verfasste bzw. nicht-institutionalisierte Formen der Partizipation neben den illegalen auch alle legalen Formen der Partizipation, die nicht den rechtlich begründeten Institutionen entsprechen, beinhalten. Beispiele für nicht-institutionalisierte Formen der politischen Partizipation sind also die Wahrnehmung politischer Informationen in den Medien, Gespräche im sozialen Umfeld und die Arbeit in Bürgerinitiativen. Unter konventioneller politischer Partizipation werden etablierte und übliche Formen der Partizipation verstanden, während wenig etablierte und unübliche Partizipationsformen als unkonventionell beschrieben werden.[9]
Forschung zur politischen Partizipation
Zunächst entwickelte sich die Erforschung politischer Partizipation zusammen mit der Wahlforschung – darin kann der Grund für die frühere definitorische Verkürzung politischer Partizipation auf die Teilnahme an Wahlen gesehen werden.[5] Grundsätzlich kann die einer Forschung zugrundeliegende Definition politischer Partizipation Design und Ergebnis einer Studie erheblich beeinflussen.[2]
Forschungen zur politischen Partizipation betreffen inzwischen unteranderem die Fragen nach der Abhängigkeit der politischen Partizipation von sozioökonomischem Statuts, Geschlecht sowie Migration und Staatsangehörigkeit. Auch die E-Partizipation ist Gegenstand politischer Partizipationsforschung. Neben Forschungen zur politischen Partizipation in einzelnen Staaten gibt es staatenvergleichende Studien zur politischen Beteiligung in unterschiedlichen politischen Systemen.
Geschichte der politischen Partizipationsforschung
Der Ursprund der politikwissenschaftlichen Forschung zur politischen Partizipation kann in den ersten Studien zum Wählerverhalten, die im frühen 20. Jahrhundert durchgeführt wurden, gesehen werden. Ein wichtiger weiterer Schritt in der Entwicklung moderner politischer Partizipationsforschng ist die systematische Entwicklung der Umfrageforschung mit repräsentativen nationalen oder regionalen Bevölkerungsquerschnitten in den 1940er Jahren, hauptsächlich in den USA. Als den Beginn der eigentlichen politikwissenschaftlichen Partizipationsforschung markierend gelten die Arbeiten von Lester W. Milbrath zur Political Participation aus den 1960er und 1970er Jahren: Es wurde versucht, die „Ergebnisse der Wahl- und Partizipationsforschung international vergleichend und systematisierend zusammenzufassen“ (Max Kaase: Politische Beteiligung/Politische Partizipation. In: Uwe Andersen/ Wichard Woyke (Hrsg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 5., aktualisierte Auflage, Leske + Budrich, Opladen 2003. Lizenzausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2003.)Vorlage:": Ungültiger Wert: ref=
. Diese Arbeiten Milbraths konzentrierten sich noch auf die Partizipation bei Wahlen und in Parteien, also auf institutionalisierte Formen der politischen Partizipation, differenzierten in diesem Rahmen allerdings nach Art und Umfang. Die international sieben Staaten vergleichende Studie Participation and Political Equality von Sidney Verba, Norman H. Nie und Jae-on Kim aus dem Jahr 1978 unterschied bereits zwischen den Dimensionen „Wählen, Wahlkampf, Gemeindeaktivitäten und individuelle Kontakte mit partikularistischer Zielsetzung“ (Max Kaase: Politische Beteiligung/Politische Partizipation. In: Uwe Andersen/ Wichard Woyke (Hrsg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 5., aktualisierte Auflage, Leske + Budrich, Opladen 2003. Lizenzausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2003.)Vorlage:": Ungültiger Wert: ref=
, erfasste die gerade für die 1960er und 1970er Jahre charakteristischen Partizipationsformen des nicht-institutionalisierten politischen Protests, beispielsweise Demonstrationen, Sit-ins und Boykotte, jedoch nicht. International auch die nicht-verfassten Formen der politischen Partizipation vergleichende Forschung wurde zudem in der Studie Political Action. Mass Participation in Five Western Democracies. 1974 betrieben und 1979 von Samuel H. Barnes, Max Kaase und anderen veröffentlicht.[10]
Weitere Schritte hin zu heute in der Partizipationsforschung üblichen Unterscheidungen der Formen politischer Partizipation wurden in den 1980er Jahren unternommen. Besonders in der deutschsprachigen Forschung ist dabei die Dissertation von Hans-Martin Uehlinger aus dem Jahr 1988 von Bedeutung:[10] Uehlinger unterscheidet in seiner Taxonomie zwischen „Staatsbürgerrolle“ (beispielsweise politische Meinugsäußerungen, Wählen), problemspezifischer Partizipation („Aktivitätsformen, deren Ziel es ist, die Entscheidung über ein spezifisches Problem zu beeinflussen“, Beispiele sind Unterschriftenaktionen, öffentliche Diskussionen, Bürgerinitiativen, gewerkschaftliche Streiks), parteiorientierter Partizipation (gemeint ist die Mitarbeit in politischen Parteien, bei der nicht eine Einzelfrage, sondern der Ausdruck einer politischen Richtung oder einer Ideologie, im Fordergrund steht), zivilem Ungehorsam (illegale aber nicht gewaltsame Aktivitäten, Beispiele nach Uehlinger sind die Verweigerung von Miet- oder Steuerzahlungen, verbotene Demonstrationen, wilde Streiks und Hausbesetzungen) und politischer Gewalt (unterschieden werden kann zwischen politischer Gewalt gegen Personen und politischer Gewalt gegen Sachwerte).[11]
In den 1990er Jahren kam es zu einer stärkeren Erforschung der Beziehung zwischen sozialer und politischer Partizipation mit besonderer Hinsicht auf die Bedeutung des Sozialkapitals. Die Veröffentlichungen Making Democracy Work. Civic Traditions in Modern Italy. (1993) und Bowling Alone. The Collapse and Revival of American Community. (2000) Robert D. Putnams sind von besonderer Bedeutung für diese Entwicklung.[10]
Einzelnachweise
- ↑ a b Carsten Lenz/ Nicole Ruchlak: Partizipation. Artikel in: Carsten Lenz und Nicole Ruchlak: Kleines Politiklexikon, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München, Wien 2001.
- ↑ a b Brigitte Geißel/ Virginia Penrose: Dynamiken der politischen Partizipation und Partizipationsforschung, 2003, S. 2f.
- ↑ a b Oxford University Press: Online Resource Centres: Definitions of political participation. Abgerufen am 29. Februar 2012.
- ↑ Oskar Niedermayer: Bürger und Politik. Politische Orientierungen und Verhaltensweisen der Deutschen. 2. Aktualisierte und erweiterte Auflage, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, S. 192.
- ↑ a b c d Carole Jean Uhlaner: Political Participation. Artikel in: N. J. Smelser und P. B. Baltes (Hrsg.): International Encyclopedia of the Social Behavioral Sciences. Elsevier, Amsterdam 2001, S. 11078ff.
- ↑ Rainer-Olaf Schulze: Partizipation. Artikel in: Dieter Nohlen/ Rainer-Olaf Schulze (Hrsg.): Lexikon der Politikwissenschaft. Theorien, Methoden, Begriffe. Verlag C. H. Beck, München 2002, S. 635f.
- ↑ Brigitte Geißel/ Virginia Penrose: Dynamiken der politischen Partizipation und Partizipationsforschung, 2003, S. 3f.
- ↑ Max Kaase/ Friedhelm Neidhardt: Politische Gewalt und Repression - Ergebnisse von Bevölkerungsumfragen. Band IV. In: Hans-Dieter Schwind, Jürgen Baumann et al. (Hrsg.): Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt. Analysen und Vorschläge der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt. Duncker & Humblot, Berlin 1990, S. 8.
- ↑ Brigitte Geißel/ Virginia Penrose: Dynamiken der politischen Partizipation und Partizipationsforschung, 2003, S. 4f.
- ↑ a b c Max Kaase: Politische Beteiligung/Politische Partizipation. In: Uwe Andersen/ Wichard Woyke (Hrsg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 5., aktualisierte Auflage, Leske + Budrich, Opladen 2003. Lizenzausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2003.
- ↑ Hans-Martin Uehlinger: Politische Partizipation in der Bundesrepublik Deutschland. Strukturen und Erklärungsmodelle. Westdeutscher Verlag, Opladen 1988, S. 129f.