Irrungen, Wirrungen
Irrungen, Wirrungen ist ein Roman von Theodor Fontane, der im Jahr 1888 erschienen ist. Er behandelt das Motiv der unstandesgemäßen Liebe.
Handlung
Der Roman erzählt - mit klarster Milieukenntnis - die Geschichte der jugendlichen Liebe zwischen dem Adligen Baron Botho von Rienäcker und Lene Nimptsch, einer jungen unverheirateten Näherin.
Lene wohnt mit ihrer alten Pflegemutter in einem kleinen Häuschen auf dem Gelände einer Gärtnerei. Bei einer Bootspartie lernt sie Botho kennen, und für die Dauer eines Sommers wird er zum Zentrum ihres Lebens, wie sie auch für ihn.
Beide sind sich darüber im Klaren, dass ihre Beziehung nicht von Dauer sein kann. Eine Verbindung über die Standesgrenzen hinweg würde den Konventionen widersprechen. Sie genießen daher einfach ihre Verliebtheit und geben sich dabei keinerlei Illusionen über eine gemeinsame Zukunft hin.
Botho wird zu einer Unterredung mit seinem Onkel von Osten bestellt. Der Onkel erinnert ihn daran, dass er seiner reichen Kusine Käthe von Sellenthin so gut wie versprochen ist. Bei diesem Gespräch bzw. bei der Lektüre eines Briefs seiner Mutter, der das gleiche Thema berührt, kommt Botho zu dem Ergebnis, dass seine Familie auf die Finanzen der Kusine angewiesen ist.
Eine gemeinsame Landpartie zu Hankels Ablage scheint zum Höhepunkt in Lenes und Bothos Beziehung zu werden. Als jedoch drei von Bothos Freunden hinzukommen, gibt es Szenen, die auf Lene befremdlich wirken. Botho setzt den bisherigen sehr vertrauten Umgang mit ihr nicht fort, sondern passt sich den Freunden an, so dass sie als eine Frau dasteht, die in der gleichen Weise von ihrem Geliebten ausgehalten wird, wie es für die Beziehungen der anderen gilt.
Bald darauf erhält Botho einen Brief seiner Mutter. Die Mutter erklärt ihm, dass sie die Heirat mit Käthe von Sellenthin als unaufschiebbar ansieht, ihm jedoch freie Wahl in seiner Wahl lässt. Botho verabschiedet sich nunmehr tatsächlich von Lene, und sie zeigt sich dabei nicht überrascht. Sie hat ja die ganze Zeit vorausgeahnt, dass es so kommen werde.
Einige Wochen später geht Botho mit Käthe von Sellenthin die Ehe ein. Auch wenn es sich aus Bothos Sicht um eine Vernunftehe handelt, scheinen die beiden im Laufe der Zeit zu einem guten Arrangement zu finden. Es wird jedoch deutlich, dass Botho seine Frau häufig als oberflächlich erlebt.
Nachdem es zwischen Botho, seiner Frau und Lene zu einer zufälligen Begegnung auf der Straße gekommen ist, wobei nur Lene diese erkannt hat und rechtzeitig verschwindet , beschließt Lene, das Stadtviertel zu verlassen, damit weitere Begegnungen dieser Art vermieden werden. Inzwischen vergeht einige Zeit.
Im neuen Stadtviertel lernt Lene währenddessen den Fabrikmeister Gideon Franke kennen. Nachdem sich ein vertrauter Umgang eingestellt hat, sucht Gideon Franke Botho in seiner Wohnung auf. Lene hat Gideon von ihrer früheren Beziehung erzählt und Gideon möchte daher erkunden, was geblieben sein mag von der Beziehung.
Botho verbrennt die Briefe, die er in der Zeit ihrer Beziehung von Lene erhalten hat, fühlt sich aber auch nach diesem symbolischen Akt innerlich an Lene gebunden, sodass sich Zweifel an seiner Ehe einstellen müssen.
Der Roman endet damit, dass er mit einer kleinen Bemerkung - anlässlich der Hochzeitsanzeige Lenes und Gideon Frankes in einer Zeitung - über sich selbst den Stab bricht: "Gideon ist besser als Botho."
Interpretation
Es lässt sich kaum übersehen, dass Fontane sich gegen den Sittenkodex seiner Zeit wendete. Er legt dem Leser nahe, sich über alternative Handlungsverläufe Gedanken zu machen. Die Frage "Wie sähe die Gesellschaft aus, wenn die Klassenunterschiede weniger bestimmend wirken würden?" scheint vom Autor her ausdrücklich erwünscht zu sein. Er selbst hat allerdings, obwohl man diesen und andere seiner Romane als gesellschaftskritisch ansehen kann, mehrfach genauso gehandelt wie Botho von Rienäcker. Auch Irrungen, Wirrungen basiert auf eigenen Erlebnissen Fontanes.
Fontanes Absicht war es, dem Leser vorzuführen, dass gesellschaftliche Konventionen einengend für Seele und Geist wirken können. Dies zeigt sich vor allem an der Personencharakterisierung. Er zeigt eine Lene, die in der Beziehung mit Botho die Herzlichere und Klarere und letztlich wohl auch die Stärkere ist.
Botho dagegen wird als ein junger Mann gezeigt, dessen Verhalten in hohem Maße durch Konventionen geprägt ist. Sein Auftreten zeigt häufig Züge einer Selbstinszenierung. Zu dem eher ungünstigen Bild, das Fontane vom Adel zeichnet, passt auch, dass Bothos Frau als oberflächlich charakterisiert wird.
Das Motiv der klassenübergreifenden Liebe
Das Motiv der standes- und klassenübergreifenden Liebe war im Jahr 1888 durchaus nicht neu für die Literatur. Auch im vorhergehenden Jahrhundert schon wurden Freiheit des Individuums und freie Partnerwahl als miteinander im Zusammenhang stehend betrachtet. Vor allem auf Schillers Kabale und Liebe lässt sich in diesem Zusammenhang verweisen. Auffällig ist dabei, dass Luise und Ferdinand bereit waren, sich den gesellschaftlichen Forderungen entgegenzustellen, während Fontanes Protagonisten auf jede Art von Widerstand verzichten.
Rezeption des Romans
Der Roman erschien im Jahre 1887 zunächst in der Vossischen Zeitung und stieß bei den Lesern durchgängig auf Ablehnung.
Heutzutage ist nur noch schwer nachvollziehbar, dass die Darstellung dieser Liebesbeziehung als zu freizügig angesehen wurde. Auf Ablehnung stieß nicht nur, dass der Roman eine Beziehung zeigt, welche die Standesschranken nicht respektiert, von den meisten Lesern wurde es auch als problematisch empfunden, dass Fontane die Frau aus niederem Stand nicht nur als gleichwertig, sondern in mancher Weise auch als moralisch überlegen dargestellt hat.