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Wilhelm Tochtermann

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Wilhelm Tochtermann (* 5. Juni 1912 in Hof, Oberfranken; † 2. Januar 1974 in Wertingen, Bayerisch-Schwaben) war ein deutscher Arzt, Psychotherapeut und Lyriker.[1]

Leben

Als Oberprimaner des Gymnasiums Albertinum Coburg geriet Tochtermann in einen Menschenauflauf, der sich vor den Gaststätten vom Hofbrauhaus Coburg um einen Wahlkämpfer gebildet hatte. Als er sein elterliches Proviantköfferchen nicht hergeben und davonlaufen wollte, stieß er mit Adolf Hitler zusammen. Für das Studium der Medizin immatrikulierte er sich an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er wollte nicht Freistudent bleiben, sondern Corpsstudent werden.[2]

Innsbruck

Bei seiner Neigung zu Österreich ging er an die Universität Innsbruck und wurde Mitglied des Corps Gothia.[3] Auf einer Studentenreise zur »Nostra revolutione«, zur Zehnjahresfeier des Italienischen Faschismus, bekam er Benito Mussolini zu Gesicht. Am Innsbrucker Corpsleben änderte sich im österreichischen Ständestaat unter Kurt Schuschnigg kaum etwas. Als 70−80 Freiheitliche in Couleur vor der Universität gegen einen Wiener Studentenerlass demonstrierten, schlossen sich 2.000 Innsbrucker an. Vor dem Alten Landhaus wurden sie von der Feuerwehr mit Wasserwerfern und von der Polizei mit Gummiknüppeln empfangen; denn man glaubte, daß die Demonstration gegen das am selben Tage, am 19. Juni 1933, ergangene Verbot der NSDAP gerichtet war.[2]

Würzburg

In der Weimarer Republik aufgewachsen, kehrte Tochtermann in das inzwischen nationalsozialistische Deutschland zurück. Er setzte sein Studium an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg fort und wurde Corpsbursche bei Bavaria Würzburg.[3] In braunen oder schwarzen SA- und SS-Uniformen kämpfte das Corps ums Überleben. Von der Studentenschaftsführung – „150%-prozentige Nationalsozialisten“ – wurde Tochtermann zum „freiwilligen“ Arbeitsdienst im Arbeitsdienstlager 2/284 in Zell-Dürrbachau bei Würzburg verpflichtet. An Paul von Hindenburgs Todestag marschierte der Arbeitsdienst hinter einer Kalesche mit den Chargierten in voller Wichs.

Ein deutscher Medizinstudent durfte in Österreich zwei vorklinische und zwei klinische Semester studieren. So war die Ablehnung seines Ersuchens, nach dem Physikum noch ein klinisches Semester in Innsbruck studieren zu dürfen, eine weitere Groteske: Er sei Corpsstudent und Corps hätten schon immer in echt „demokratischer (!) Weise“ Juden und Halbarier in ihren Reihen gehabt. Darum sei er als „Vorposten des Dritten Reiches im Ausland“ nicht erwünscht.[2]

Wertingen

Tochtermann wechselte an die Düsseldorfer Akademie für praktische Medizin und die Universität Bonn, wo er das Medizinische Staatsexamen machte. Mit einer Dissertation bei Max Bürger promovierte er zum Dr. med.. Bei ihm war er auch Medizinalassistent. 1943 stieß er auf Hans Klöpfers Gedicht »Heimkehr 1918«, das „frei von Heldenpathos und Sentimentalität war und bestes handwerklich-dichterisches Können zeigte“.[2] Tochtermann war von Klöpfers und Fritz Stübers Lyrik nachhaltig beeindruckt.[2]

Er eröffnete eine Arztpraxis in Wertingen, wo sein Großvater Bürgermeister gewesen war. Er führte sie bis 1950. Sicher nicht als Erster, aber vor Michael Balint erkannte er den „Arzt als Droge“.[4]

Ehre

Recht aktuell klingen seine Verse über die Ehre:[5]

Der Ehre
Verpflichtet,
Auf Ehren
Verzichtet,
Sah immer gerichtet
Er noch jene Zahl
All derer,
Die Ehre
Um „Ehren“ verkauften,
Um billige Orden
Sich ränkten und rauften,
Weil ihnen das inn´re
Gesetz nicht befahl.

Werke

Prosa
Der Arzt als Arznei. Die Persönlichkeit des Arztes als Heilfaktor in der Psychotherapie. Remscheid-Lennep 1955, GoogleBooks
Vom Sinn des Sinngedichts. Wertingen 1960
Der überempfindliche Mensch. Über den rechten Umgang mit sich selber, 5. Auflage. Stuttgart 1976, GoogleBooks
Esel des Herrn. Mainz 1986
„Als der Lenz den Blütensegen goß ins maiengrüne Land“ – Erinnerungen und Rückblenden eines Dichters und Arztes. Einst und Jetzt 20 (1975), S. 80–93
Begegnungen mit Menschen als Wendepunkte meines ärztlichen Denkens. Bircher-Benner, Bad Homburg 1956
Lyrik
Zwischen Fackel und Neon. Europäischer Verlag, Wien
Auch die Wehmut singt. Europäischer Verlag, Wien 1979
Wandler in der Götter Spur. Krauß & Söhne, Wertingen
Der Hüter der Schwelle. Pintschereien, Satire. Krauß & Söhne, Wertingen
Recreatio in vitam. Karlsruher Bote, Karlsruhe
Recreation in deum. Karlsruher Bote, Karlsruhe
In der Kürze liegt die Würze. Karlsruher Bote, Karlsruhe
Sonette von den toten Dingen. Karlsruher Bote, Karlsruhe

Einzelnachweise

  1. R. Paschke (1975)
  2. a b c d e W. Tochtermann (1975)
  3. a b Kösener Corpslisten 1960, 73, 220; 138, 836
  4. Anja Frenzen: Placebo – Der Arzt als Droge. Deutsches Ärzteblatt (2010)
  5. Einst und Jetzt 20 (1975), S. 79

Literatur