Risikostrukturausgleich

finanzieller Ausgleichsmechanismus in sozialen Krankenversicherungssysteme
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Der Risikostrukturausgleich (RSA) der gesetzlichen Krankenversicherung ist ein Finanzausgleich zwischen allen gesetzlichen Krankenkassen mit Ausnahme der landwirtschaftlichen Krankenkassen.

Der RSA gleicht Nachteile aus, die sich durch die unterschiedliche Versichertenstruktur bei den einzelnen Krankenkassen und Kassenarten ergeben. Dabei werden Faktoren wie Einkommen, Alter und Geschlecht der Versicherten sowie der Anteil derjenigen, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen, berücksichtigt. Durch einen Mix aus Vollerhebung und Stichprobenerhebung ermittelt das Bundesversicherungsamt (BVA) als Clearingstelle den Ausgleichsbedarfssatz (= Beitragssatz), den jede Krankenkasse aus den Beiträgen ihrer Mitglieder in den RSA einzubringen hat (2004: 12,8%). Gegengerechnet erhält sie den altersdurchnittlichen Beitragsbedarf ihrer Versicherten (das sind Mitglieder + Angehörige) und den Bedarf für ihre Chroniker.

Im Jahr 2003 wurden durch den Risikostrukturausgleich ca. 15,8 Mrd. € zwischen den Krankenkassen umverteilt. Seit 1996 stieg das Transfervolumen von 10,5 Mrd. € nahezu linear durchschnittlich jährlich um rund 750.000 € an. Im Startjahr 1995 betrug es 12 Mrd. €.

Der RSA wurde im Jahr 1994 unter Gesundheitsminister Horst Seehofer eingeführt und war eine flankierende Maßnahme für die ab 1996 geltende freie Kassenwahl und den dadurch verstärkten Wettbewerb zwischen den Krankenkassen um gute Risiken.

Die Risikounterschiede zwischen den Kassen sind so groß, dass manche Kassen mit gesunden Mitgliedern, die zugleich hohe Einkünfte haben, mit einem Beitragssatz von unter 5 % auskommen könnten, wenn es keinen Risikostrukturausgleich gäbe. Andere Kassen hätten bei geringen Einnahmen und hohen Ausgabenlasten für kranke Mitglieder ohne Risikostrukturausgleich Beiträgssätze von über 20 %.

Risikopools

Zusätzlich wurde ab dem 1. Januar 2002 ein Risikopool eingeführt, der den Krankenkassen für die Betreuung kostenintensiver Patienten einen finanziellen Ausgleich erstattet, also als eine Art Fonds zu verstehen ist. Dieser bezahlt 60% der bei einem Patienten entstehenden Kosten für stationäre Versorgung, Arzneimittelversorgung, ambulante Dialyse (2002 noch ohne deren ärztlichen Kosten), Krankengeld und Sterbegeld, die über dem Schwellenwert von derzeit 20.450 Euro/Jahr liegen.

Morbi-RSA

Ab dem Jahr 2007 soll der direkt morbiditätsorientierte (morbide = krank) Risikostrukturausgleich gelten, der der bisherigen Kritik der Kassen mit Gewinnen Rechnung tragen soll. Dabei soll die Morbidität (Krankheitsanfälligkeit) bestimmter Bevölkerungsgruppen das Kriterium für den Einzahlungsbetrag werden. Das Gutachten zu Modellen und Empfehlungen für einen deutschen Morbi-RSA "Klassifikationsmodelle für Versicherte im Risikostrukturausgleich" liegt inzwischen vor ([1]).

Seit 2003 wurde der Risikostrukturausgleich zusätzlich um Disease-Management-Programme (DMP) erweitert. Für Teilnehmer dieser Programme werden im Risikostrukturausgleich höhere standardisierte Leistungsausgaben veranschlagt.

Diskussion der Verteilungswirkung

Größte Empfänger des RSA sind die Allgemeinen Ortskrankenkassen. Diese erhielten 2003 ca. 13,1 Mrd. € Zahlungen aus dem Risikostrukturausgleich. Die größten Einzahler waren die Betriebskassen mit ca. 9,2 Mrd. € und die Angestellten- und Arbeiterersatzkassen mit ca. 4,3 Mrd. €. Von den zahlenden Krankenkassen wird oft ein Überausgleich beklagt. Tatsächlich haben einzelne AOKn und die Knappschaft, die RSA-Geld erhalten, inzwischen einen niedrigeren Beitragssatz als zahlende Krankenkassen.

Dieser Kritik wird entgegengehalten, dass es nicht Aufgabe des RSA sei, identische Beitragssätze für alle Kassen zu garantieren. Wenn der RSA in einem Wettbewerbsrahmen der gesetzlichen Kassen die Aufgabe hat, gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle zu schaffen, dann sollen verbleibende Beitragssatzunterschiede nach Durchführung des RSA ein Bild von der Leistungsfähigkeit der Kasse unter Berücksichtigung der Unterschiede in der Versichertenstruktur geben.

Für eine weitere Nebenbedingung "Kassen mit einer 'schlechten' Versichertenstruktur sollen zwar einen Ausgleich bekommen, aber höchstens so viel, dass ihr Beitragssatz immer noch höher ist als der der Zahlerkassen" sei in diesem Wettbewerbskonzept kein Platz, heißt es.

Das stärker als die allgemeinen Kosten steigende RSA-Transfervolumen ist ein Indiz für eine Zunahme der Risikoentmischung zwischen den Kassen.

Rechenbeispiel (normaler RSA)

  1. homogene Versichertengruppen bilden
    Gruppen nach Alter, Geschlecht, Arbeitsfähigkeit bilden
  2. standardisierte Leistungsausgaben bilden
    Über alle Kassen werden für jede Gruppe die standardisierten Leistungsausgaben gebildet:
    Summe der tatsächlich angefallenen Kosten in einer Gruppe geteilt durch Anzahl der Versichertentage der Gruppenmitglieder
  3. Beitragsbedarf je Kasse berechnen:
    Der (theoretische) Beitragsbedarf einer Kasse ist die Summe der standardisierten Leistungsausgaben (gruppenweise multipliziert mit den Versichertentagen)
  4. Ausgleichsbedarfssatz berechnen:
    Der Ausgleichsbedarfssatz wird wie folgt berechnet:
    Summe der Betragsbedürfnisse aller Kassen geteilt durch die Summer aller beitragspflichtiger Einkommen aller Mitglieder aller Kassen
  5. Finanzkraft je Kasse berechnen:
    Die Finanzkraft einer Kasse ist die Summe der beitragspflichtigen Einkommen ihrer Mitglieder multipliziert mit dem Ausgleichsbedarfssatz
  6. ein Ausgleichsanspruch einer Kasse ergibt sich, wenn der Beitragsbedarf größer ist als die Finanzkraft dieser Kasse

Anbei eine Excel-Datei mit einem kleinen Rechenbeispiel für drei Krankenkassen. Sie können hier für die Krankenkassen für drei Versichertengruppen die Versichertenzahlen und die Pro-Kopf-Leistungsausgaben eintragen, außerdem die Verwaltungskosten der Kassen und die Summe ihrer beitragspflichtigen Einnahmen. Das Programm errechnet Ihnen den RSA-Transfer und die Beitragssätze vor und nach RSA für jede Kasse. [2]

Vorlage:Wiktionary1

  • Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005. Enthält eine präzise Kurzdarstellung der Wirkungsweise des Risikostrukturausgleichs (Stand 2005). Geht außerdem auf die Weiterentwicklung zu einem RSA mit direkter Morbiditätsorientierung ein und lässt durchblicken, dass der zuständige Senat des Bundesverfassungsgerichts dieser gesetzlich vorgesehenen Änderung positiv gegenüber steht.
  • RSA-Gutachten2001_ger.pdf PDF-Datei 978 KB, im Februar 2001 abgeschlossenes Gutachten zum Risikostrukturausgleich für das Bundesministerium für Gesundheit. Umfassende Darstellung der Situation vor der Einführung des Risikopools und vor der Entscheidung für die direkte Morbiditätsorientierung ab 2007.
  • http://www.vdak.de/download/endgutachten_rsa.pdf Gutachten von Prof. Lauterbach, Köln, vom Februar 2001
  • BMGS-Broschüre F334 PDF-Datei 1,17 MB, Endbericht für das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung "Klassifikationsmodelle für Versicherte im Risikostrukturausgleich" von IGES / Lauterbach / Wasem.