Astronomische Uhr in St. Nikolai (Stralsund)

astronomische Uhr
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Die Astronomische Uhr in St. Nikolai (Stralsund) ist eine aus dem 14. Jahrhundert stammende, nahezu original erhaltene monumentale astronomische Uhr in der St.-Nikolai-Kirche in Stralsund. Sie ist weltweit die älteste Uhr ihrer Art, welche bis heute in ihrem mittelalterlichen Ursprungszustand und sogar mit ihrer ursprünglichen Getriebetechnik die Jahrhunderte überdauert hat.

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Die astronomische Uhr in St. Nikolai, Stralsund (2010)
Bildnis von Nikolaus Lilienfeld an der Uhr

Die Uhr gehört zu den ältesten erhaltenen Einrichtungsgegenständen der 1294 erstmals erwähnten Backsteinbasilika am Alten Markt. Manfred Schukowski nennt die Uhr „einmalig in Europa“, da sie zum einen „in ihrer äußeren gotischen Gestalt unverfälscht und nahezu vollständig erhalten blieb“ und „ihr Uhrwerk [...] ohne jeden Zusatz aus späteter Zeit vorhanden“ ist[1]. Eine Besonderheit stellt auch das Selbstbildnis ihres Erbauer Nikolaus Lilienfeld an der Uhr dar.

Beschreibung

Die Uhrscheibe ist quadratisch, mit einer Seitenlänge von 3,98 Metern. Der äußere Rind des Ziffernblattes berührt die Ränder; in den vier Ecken sind die vier Weltweisen abgebildet:

  • links oben der griechische Mathematiker, Geograph, Astronom, Astrologe, Musiktheoretiker und Philosoph Claudius Ptolemäus; das Spruchband dazu lautet: „ptolemeus Inferiora reguntur a superioribus“, zu deutsch „Ptolemeus. Das Niedere wird vom Höheren gelenkt.“,
  • rechts oben der König von Kastilien und León und König (Gegenkönig) des Heiligen Römischen Reiches, Alfons X. von Kastillien mit dem Spruchband: „alfoncius Motus solis et planetarum in obliquo circulo est.“, zu deutsch: „Alfoncius. Die Bewegung der Sonne und der Planeten findet in einem schrägen Kreise statt.“,
  • links unten der islamische Gelehrte, Arzt und Astrologe Ali ibn Ridwan, genannt Hali, mit dem Spruchband: „hali Dies est elevacio solis super oricontem.“, zu deutsch: „Hali. Der Tag ist die Erhebung der Sonne über den Horizont.“ und
  • rechts unten der persische Mathematiker, Astronom und Astrologe Albumacar mit dem Spruchband: „albumacar Sapiens vir dominabitur astris.“, zu deutsch: „Albumazar. Ein weiser Mann wird herrschen über die Gestirne.“ oder auch „Der Weise wird sich von den Sternen leiten lassen.“.

Der äußere, blau unterlegte Stundenring mit einem Durchmesser von 3,54 Metern zeigt in der rechten und der linken Hälfte jeweils die goldenen römischen Ziffern I bis XII in gotischen Minuskeln. Der nach innen hin anschließende, schmalere Kreis ist in 72 Abschnitte unterteilt, wobei jeder der Abschnitte für eine Drittelstunde steht. Es schließt nach innen ein in 24 Abschnitte geteilter, grün unterlegter breiter Ring an; in ihm stehen die Worte „meridies“ (Süden), „oriens“ (Osten), „septentrio“ (Norden) und „occidens“ (Westen) in weißer Schrift. Diese vier Worte stehen im Zusammenhang mit den Linien des Astrolabiums auf der Uhrscheibe.

Das Astrolabium zeigt sieben, auf Tierkreiszeichen bezugnehmende konzentrische Kreise, die den Wendekreis des Krebses, den Kreis der Zwillinge und des Löwen, den Kreis des Stieres und der Jungfrau, den Kreis des Widders und der Waage, den Kreis der Fische und des Skorpions, den Kreis des Wassermanns und des Schützen und ganz innen den Wendekreis des Steinbocks darstellen. Zudem ist ein nach unten geöffneter Horizontbogen enthalten, der das grün unterlegte Tagfeld vom schwärzlichen Nachtfeld trennt und die geografische Breite Stralsunds mit „54 gd 25 m“ zeigt. Das Tagfeld weist elf Bögen auf, die die zwölf temporalen Stunden von Sonnenaufgang bis zum Sonennuntergang unterteilen.

Zwei zentrische Uhrzeiger, der Sonnenzeiger und der Mondzeiger, sind an der Uhr angebracht. Der Sonnenzeiger, der die Stunden misst, drehte sich ein Mal in 24 Stunden, der Mondzeiger drehte sich in 24 Stunden, 50 Minuten und 31,6 Sekunden. Der exzentrisch angeordnete Tierkreisring drehte sich in 23 Stunden, 56 Minuten und 5,9 Sekunden ein Mal um seine Achse.

An der linken Seitenwand sind verzierte Fenster aufgemalt; aus einem dieser Fenster schaut der Uhrmachermeister Nikolaus Lilienfeld, der Erbauer der Uhr. Unterhalb der Uhr sind auf zwei hölzernen Pfeilern Tafelbilder aufgemalt. Das linke Bild zeigt einen Mann, der eine Tür aufdrückt und ein Spruchband mit der lateinischen Inschrift „post deum omnium vivencium vita sol et luna“ (deutsch: Nach Gott sind Sonne und Mond das Leben aller Lebenden); er stellt den Morgen dar. Das rechte Bild zeigt einen Mann, der eine Tür zuzieht und ein Spruchband mit der lateinischen Inschrift „matutinae imensa munera sed sepe male finiunt“ (deutsch: Der Tag bietet in der Frühe reiche Gaben, endet aber oft übel); er stellt den Abend dar.

Geschichte

Die Uhr wurde gemäß einer auf ihr enthaltenen Inschrift am 6. Dezember 1394 durch Nikolaus Lilienfeld vollendet. Wahrscheinlich ging sie nur bis zum „Kirchenbrechen“ in Stralsund am 10. April 1525 während der Reformation; möglicherweise aber wurde sie bereits am 17. März 1480 durch einen Blitzschlag beschädigt.

1894 wurden an der Uhr gotische Verzierungen des Ziffernblattes wiederhergestellt.

Im August 1942 wurde das Ziffernblatt der Uhr in den Turm der Grimmener Marienkirche ausgelagert, um sie vor Beschädigungen im Krieg zu schützen. Nach dem Krieg kam sie wieder in die Nikolaikirche zurück. Die 1894 wiederhergestellten Verzierungen gingen verloren.

1994 wurden das Gehäuse restauriert und das Uhrwerk gereinigt und konserviert. Fehlende Teile des Uhrwerks wurde jedoch aus Gründen des Bestandsschutzes nicht ergänzt und die einzigartige Uhr auch bewusst nicht wieder in Funktion gebracht.

Literatur

Einzelnachweise / Belege

  1. Manfred Schukowski: Wunderuhren, Thomas Helms Verlag, Schwerin 2006, ISBN 3-935749-03-1, S. 111
Commons: Astronomische Uhr in St. Nikolai (Stralsund) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien