Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch

russischer Komponist, Pianist und Pädagoge der Sowjetzeit
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Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch (russisch Дмитрий Дмитриевич Шостакович, wiss. Transliteration Dmitrij Dmitrievič Šostakovič; * 25. September 1906 in Sankt Petersburg; † 9. August 1975 in Moskau) war ein sowjetrussischer Komponist. Er hat ein vielfältiges kompositorisches Werk hinterlassen, das sich durch eine eingängige, manchmal fast unheimliche Tonsprache und verschiedenste musikalische Einflüsse auszeichnet.

Herkunft und Kindheit

Väterlicherseits stammte seine Familie aus Polen und wohnte in Wilna. Später zog sie nach Kazan und Tomsk um. Die erhaltenen Dokumente bieten eine verwirrende Vielfalt der Schreibung seines Namens: Szostakowicz, Szostakiewicz, Szestakowicz und sogar Szustakiewicz.

Der Vater, Dmitri Boleslawowitsch Schostakowitsch, der inzwischen in Sankt Petersburg wohnte, heiratete 1903 eine junge russische Pianistin, Sofia Wassiljewna Kokoulina. Das Ehepaar hatte insgesamt drei Kinder, Dimitri war das zweite davon. Trotz der musikalischen Tradition in der Familie interessierte sich der Sohn zunächst kaum für Musik; die Mutter konnte aber bald die Interessen des Mitja genannten Dmitri und seiner großen Schwester Maria auf das Klavier lenken.

In dem Jungen entwickelte sich durch den Klavierunterricht ein musikalisches Talent und Dmitri unternahm bald seine ersten kompositorischen Versuche. 1917 wurde der Elfjährige Augenzeuge, dass bei einer Demonstration ein Arbeiter von Polizisten erschossen wurde. Mitja komponierte daraufhin eine Hymne an die Freiheit und einen Trauermarsch für die Opfer der Revolution.

Ausbildung und Studium

Weil ihm sein Klavierlehrer nicht mehr beibringen konnte, begann Schostakowitsch 1919, am Konservatorium in Petrograd (das bis 1914 St. Petersburg hieß und 1924 in Leningrad umbenannt wurde) Klavier bei Leonid Nikolajew und Kompositionslehre bei Maximilian Steinberg zu studieren. Der Konservatoriumsdirektor Alexander Glasunow verfolgte die Entwicklung dieses Jungen mit dem enormen Talent und dem absoluten Gehör mit Aufmerksamkeit und unterstützte ihn gelegentlich auch finanziell.

Anfang 1923, ein Jahr nach dem Tod seines Vaters, war die Familie aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Unsicherheit der nachrevolutionären Zeit fast ruiniert. Zudem wurde bei Schostakowitsch, der seit jeher eine schwache Gesundheit hatte, eine Lungen- und Lymphdrüsentuberkulose diagnostiziert. Dieses Leiden sollte sein ganzes späteres Leben prägen.

Der sensationelle Erfolg seiner 1. Sinfonie in f-Moll 1925 verschaffte ihm im Alter von nur 19 Jahren den Abschluss am Konservatorium und weltweite Anerkennung. Die Sinfonie wurde am 12. Mai 1926 von der Leningrader Philharmonie unter der Leitung von Nikolaj Malko uraufgeführt.

Schostakowitschs Hymnen oder die Doppelbödigkeit der Musik

Dmitri Schostakowitsch setzte sich in der folgenden Zeit mit verschiedenen zeitgenössischen Musikrichtungen wie dem Futurismus, der Atonalität und dem Symbolismus auseinander, ist dabei dennoch einen ganz eigenen Weg gegangen. Seine Musik ist eine Mischung aus Konvention und Revolution, die sich auf ein fundiertes kompositorisches Handwerk gründet und durch fantasievolle Instrumentierungen und moderne Melodik und Harmonik besticht. Inspiriert wurde er durch die Werke zeitgenössischer Komponisten wie Igor Strawinsky und Sergej Prokofjew, aber vor allem Gustav Mahler.

Der Komponist erhielt im März 1927 den Auftrag, für die Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag der Revolution eine Art Hymne zu schreiben. Die Sinfonie ist eine seiner gewagtesten und avantgardistischsten Kompositionen dieser Zeit. Bereits mit seiner im selben Jahr komponierten 2. Sinfonie An den Oktober in H-Dur schlägt Schostakowitsch jedoch den für ihn einzig möglichen, von westlichen Musikkritikern allerdings lange Zeit missverstandenen musikalischen Weg eines propagandistischen Auftragskomponisten für die Sowjetregierung ein. Doch hinter den anscheinenden Zugeständnissen an das kommunistische Regime versteckte Schostakowitsch an vielen Stellen eine Mischung aus Spott, Sarkasmus und Kritik an den politischen und gesellschaftlichen Zuständen.

Hochzeit ohne Bräutigam

Marietta, auf ihren Wunsch hin beschreibe ich Schostakowitsch. […] Sie glauben, dass er ‚zerbrechlich, schwach, verschlossen, grenzenlos unkonventionell und rein wie ein Kind‘ sei. Das stimmt nicht ganz. Und wenn es so wäre, hätte seine große Kunst nicht entstehen können. Er ist durchaus auch so, wie Sie sagen. Aber er ist zugleich hart, bissig, ungewöhnlich klug, wahrscheinlich stark, despotisch und nicht ganz so gut. […] Man muss ihn auch von dieser Seite sehen. Erst dann kann man irgendwie seine Kunst verstehen. (Michail Soschtschenko 1941 über seinen Freund Schostakowitsch in einem Brief an die armenische Schriftstellerin Marietta Schaginjan)

Als er sich von der 2. Sinfonie erholte, lernte er 1927 die Geschwister Warsar, die Töchter eines bekannten Juristen, kennen. Die jungen Leute verbrachten ihre Abende mit Poker. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit besuchte Schostakowitsch die Familie Warsar. Er fühlte sich zu Nina hingezogen, die ihr Mathematik- und Physikstudium noch nicht abgeschlossen hatte. Davon war ihre Familie nicht gerade begeistert. Doch die beiden Verliebten setzten sich durch und so fand die Heirat am 13. Mai 1932 statt. Das war bereits der zweite Anlauf, denn einige Monate vorher hätte sie stattfinden sollen, aber der Bräutigam war nicht erschienen. Der Komponist, mitten in einer seelischen Krise, tauchte erst einige Tage später völlig deprimiert wieder auf.

Das ist albernes Zeug, keine Musik

(Stalin zum Musikkorrespondenten der Iswestija am 26. Januar 1936)

Nachdem seine erste Oper „Die Nase“, eine Satire auf die sowjetische Bürokratie, die das erste lange Schlagzeugsolo der europäischen Musik enthält und über die sich Komponisten der Gegenwart wie György Ligeti voller Bewunderung äußerten, nach 16 Aufführungen von den Bühnen verschwand, begann der Komponist mit seiner zweiten Oper, Lady Macbeth von Mzensk, ein Werk, das für sehr viel Aufruhr sorgen sollte. Es kam zu zwei Uraufführungen. Die erste am 22. Januar 1934 in Leningrad war ein gewaltiger Erfolg. Zwei Tage später fand die zweite in Moskau unter dem Namen Katarina Ismailowa statt. Zwei Jahre lang feierte das Werk einen Erfolg nach dem anderen. Die Popularität und der Ruhm Schostakowitschs nahmen zu. Er wurde von Kritikern und Publikum gleichermaßen gefeiert.

Am 26. Januar 1936 besuchten Stalin, Molotow, Mikojan und Schdanow im Bolschoi-Theater die Aufführung der Oper in der Regierungsloge, rechts über dem Orchestergraben. Die Loge war mit Stahlplatten abgeschirmt, um mögliche Attentate zu verhindern. Stalin saß hinter einem Vorhang, so konnte das Volk ihn nicht erblicken. Es wird berichtet, dass sich Stalin bereits während der recht freizügigen Darstellungen der Oper wortlos erhob und das Theater verließ, ohne den Komponisten in seiner Loge empfangen zu haben. Dieses Ereignis kam im damaligen Klima der anhaltenden Säuberungen, nächtlicher Verhaftungen und der permanenten Angst, vor den Augen der Partei und des Genossen Stalin in Ungnade zu fallen, einer Katastrophe gleich. Ob Stalin von freizügigen Stellen der Oper, der für die 30er Jahre der Sowjetunion modern anmutenden Musik oder eifersüchtig auf den zunehmenden Ruhm Schostakowitschs, daraufhin Maßnahmen initiierte, bleibt ebenso wie das überlieferte Zitat „Man muss ihn stoppen!“ offen.

Am 28. Januar brachte die Prawda einen wahrscheinlich durch Stalin selbst initiierten, nicht signierten (das heißt, von der Partei abgesegneten) Artikel „Chaos statt Musik“ über Lady Macbeth heraus. Der Verriss war immens und aufgrund der Signalwirkung von katastrophaler Wirkung. Alle Aufführungen wurden gestoppt. Schostakowitsch erfuhr davon auf einer Konzertreise im Norden. Ein Kritiker nach dem anderen tat Abbitte und stolperte über seine vorherigen Meinungen. Die nächsten Monate schlief Schostakowitsch mit einem kleinen Koffer unter dem Bett in seinen Kleidern, stets gewärtig, wie damals üblich des Nachts von der Geheimpolizei abgeholt zu werden. Dann befielen ihn Depressionen und Suizidgedanken, die ihn in unregelmäßigen Abständen für Jahrzehnte begleiten sollten. Er wurde mehrfach in die bereits zum damaligen Zeitpunkt berüchtigte Geheimdienstzentrale Lubljanka vorgeladen, zu sogenannten ‚Volksfeinden‘ befragt und eingeschüchtert.

Die Fünfte: Unstillbarer Schmerz

Ich empfinde unstillbaren Schmerz um alle, die Hitler umgebracht hat. Aber nicht weniger Schmerz bereitet mir der Gedanke an die auf Befehl Stalins Ermordeten … (Schostakowitsch in seinen Memoiren)

Nachdem er seine 4. Sinfonie in C-Moll auf Grund des kritischen Prawda-Artikels revozierte und lange bis nach Stalins Tod in der Schublade verschwinden ließ, begann Schostakowitsch die Arbeit an der 5. Sinfonie in d-Moll am 18. April 1937 auf der Krim. Er hielt sich in Gaspra auf, einem Ort, der ihm die glücklichen Kinderjahre und seine Jugendfreundin Tatjana Gliwenko in sein Gedächtnis rief. Wie er später erzählte, schrieb er den 3. Satz in drei Tagen. Als er die Krim am 2. Juni verließ, hatte er bereits drei Sätze fertig.

Zurück in Leningrad erfuhr er, dass der Mann seiner Schwester verhaftet und sie selbst nach Sibirien deportiert worden war. Die Gewerkschaft der Leningrader Komponisten hatte beschlossen, Schostakowitsch solle ihnen sein Werk präsentieren, damit sich feststellen ließ, ob es der Öffentlichkeit zugemutet werden konnte. Der junge Dirigent Jewgeni Mrawinski, 34 Jahre alt, sollte die Uraufführung leiten. Die Proben dauerten fünf Tage. Das Konzert fand im großen Saal der Leningrader Philharmonie statt. Während des Beifalls fuchtelte Mrawinski über eine halbe Stunde mit der Partitur in der Luft herum.

Nach dieser Vorstellung wurde das Werk offiziell als die Rückkehr des verlorenen Sohnes unter die Fittiche der linientreuen Kulturpolitik dargestellt. Das Werk wurde ein großer Publikumserfolg. Das Marschfinale wurde lange Zeit als Verherrlichung des Regimes angesehen. In Wirklichkeit zeigte der Komponist das genaue Gegenteil: Erst nach dem Erscheinen der Memoiren erfuhren Schostakowitschs Kritiker in aller Welt, dass der Triumphmarsch in Wirklichkeit ein Todesmarsch ist.

Schostakowitsch parodierte in der 5. Sinfonie vor allem die berüchtigten Bankette und Feierlichkeiten hoher Parteigremien, in deren Rahmen es regelmäßig zu einem zeitlich exakt vorausgeplanten Unterhaltungsprogramm kam. Auftritte von sogenannten Volkskunstensembles und Lobpreisungen der Partei und ihres Vorsitzenden Stalin wechselten dabei einander ab. So wird beispielsweise die Tanzeinlage eine Kosakentruppe und die auswendig gelernte Lobrede eines kleinen Mädchens über und vor dem Genossen Stalin, das sich trotz wochenlanger Vorbereitung vor Aufregung verhaspelt und nach mehrmaligem Stottern ihren Text wiederfindet, im ersten und zweiten Satz musikalisch persifliert.

Ein interessantes Detail verbirgt sich im vierten Satz (Allegro non troppo): In den letzten 47 Takten erklingt ohne Unterbrechung das von den Streichern rhythmisch intonierte A. A steht im Russischen für ja, d. h. ich. Schostakowitsch wollte damit, wie er später Freunden verriet, musikalisch ausdrücken, dass er nach den Demütigungen, Zweifeln und existenzbedrohenden Ereignissen der letzten Zeit, Selbstbewusstsein und Schaffenskraft wiedergefunden hatte.

Die Siebente: Leningrad, eine Sinfonie gegen den Faschismus

Ich widme meine Siebente Sinfonie unserem Kampf gegen den Faschismus, unserem unabwendbaren Sieg über den Feind, und Leningrad, meiner Heimatstadt … (Schostakowitsch am 19. März 1942 in der Prawda).

Die 7. Sinfonie in C-Dur gilt als Schostakowitschs bekanntestes Werk. Ursprünglich sollte die Sinfonie nur aus einem Satz bestehen, dann entschloss der Komponist sich zum klassischen Aufbau mit 4 Sätzen und gab den einzelnen Sätzen die Themennamen:

1. Der Krieg
2. Erinnerungen
3. Die großen Lebensräume meines Vaterlands
4. Der Sieg.

Schließlich verzichtete er auf die Satznamen. Die musikalische Sprache ist einfach gehalten:

1. Satz Allegretto (25 Minuten): Die feindlichen Horden brechen in eine ruhige Stimmung ein. Unter andauerndem Trommelwirbel kommt es zu einer dramatischen Steigerung (ähnlich Ravels Bolero), die zu einer Art gespenstischer Lähmung führt.
2. Satz Moderato (poco Allegretto) (10 Minuten): Entspannung. Geigen bringen tragischen Humor hinein.
3. Satz Adagio (16 Minuten): Der Krieg meldet sich wieder, aber das Volk wehrt sich.
4. Satz Allegro non troppo (16 Minuten): Es kommt zum Endkampf, dann zum Siegesgesang.

Das Werk entstand zur Zeit der Belagerung Leningrads durch Hitlers Truppen, während Schostakowitsch der Feuerwehr zugeteilt war, und er arbeitete unter Granatenbeschuss an seinem Werk. Im Oktober wurde er mit seiner Familie aus der Stadt geflogen und konnte das Werk in Kujbyschew fertig stellen. Die Moskauer Uraufführung im März fand ebenfalls unter lebensgefährlichen Umständen statt, doch selbst ein Luftalarm konnte die Zuhörer nicht dazu bewegen, die Schutzräume aufzusuchen. Stalin war daran interessiert, die Sinfonie auch außerhalb der Sowjetunion bekannt zu machen. Arturo Toscanini leitete die erste Aufführung der Sinfonie außerhalb der Sowjetunion, die am 19. Juli 1942 in New York mit dem NBC-Orchester stattfand. Schostakowitschs Wunsch nach einer Aufführung in Leningrad ging erst kurze Zeit später in Erfüllung: Ein Sonderflugzeug durchbrach die Luftblockade, um die Orchesterpartituren nach Leningrad zu fliegen. Das Konzert vom 8. August wurde von allen sowjetischen Rundfunksendern übertragen.

Nach der Siebenten

Auch die epische 8. Sinfonie in c-Moll, oft als Stalingrader Sinfonie bezeichnet, entstand unter dem Eindruck der Kriegsgeschehnisse. Im Gegensatz zu den Erwartungen, er würde nach der Leningrader etwas ähnlich Triumphales schreiben, das dem schicksalhaften Sieg der Sowjetunion über die vorrückenden deutschen Truppen in Stalingrad Ausdruck verlieh, ist die 8. Sinfonie in weiten Teilen nachdenklich, melancholisch und zeigt im Ergebnis keine Befriedigung über den Sieg, sondern kündet von individuellem Leid und der Trauer über die unglaublichen Verluste an Menschenleben. Die Sinfonie meidet in ihrem humanistischen Engagement große heroische Gesten. Sind der grandiose erste Satz (Adagio) und die beiden folgenden Sätze noch von apokalyptischer Steigerung, teilweise aggressiven und schnellen Tempi geprägt, erklingen in den beiden letzten Sätzen grüblerische, leise Töne, bevor der letzte Satz still und offen verklingt. Nach dem Krieg fiel die 8. Sinfonie der Zensur zum Opfer, sie wurde nicht mehr aufgeführt und sogar viele Rundfunkmitschnitte gelöscht.

Nach dem Ende des gewonnenen Zweiten Weltkriegs erwartete die Musikwelt eine Triumphsinfonie, doch Schostakowitsch fiel mit seiner ironisch-verspielten 9. Sinfonie in Es-Dur bei der sowjetischen Kritik erneut durch.

Komponieren unter Stalin: Schostakowitsch im Kulturkampf

Nachdem Schostakowitsch schon vor dem Krieg im Zentrum der Kritik stand, entzündete sich nach Debatten über zeitgenössische sowjetische Dichter und Literaten (unter anderem Anna Achmatowa) nun erneut eine Diskussion über moderne sowjetische Musik: Schostakowitsch wurde 1948 vom Sowjetischen Komponistenverband und dessen Präsidenten Tichon Chrennikow wiederum des Formalismus und der Volksfremdheit beschuldigt. Schostakowitschs Entgegnungen blieben verbal höflich, von seiner musikalischen Sprache wich er jedoch nicht ab und hatte daher eine absurde Situation zu bewältigen: Er war gleichzeitig in der ganzen Welt auf der Höhe des Ruhmes und galt doch zu Hause weiterhin als persona non grata, als ein Komponist, der an Stelle der gewünschten Arbeiterkantaten lieber Streichquartette und textlose Sinfonien schrieb. Nachdem Schostakowitsch durch die Angriffe des Zentralkomitees seine Lehrämter verloren hatte, komponierte er zwar prompt das Oratorium Das Lied von den Wäldern, den Stalinschen Aufforstungsplan preisend, doch zur selben Zeit wurden andere wichtige Uraufführungen seiner Streichquartette totgeschwiegen.

Die Abrechnung

1953 starb Stalin, und Schostakowitsch veröffentlichte seine 10. Sinfonie in e-Moll, seine Abrechnung mit dem Diktator. Nach dem Zeugnis seines Sohnes Maxim beschreibt der Komponist „das schreckliche Gesicht Stalins“. Es ist ein Werk der Trauer und des Schmerzes. Aber Schostakowitschs Abrechnung ist noch nicht abgeschlossen. 1957 folgte die 11. Sinfonie mit dem Untertitel Das Jahr 1905. 1905 bezieht sich auf den Petersburger Blutsonntag, als der Zar auf eine unbewaffnete Menschenmenge schießen ließ, die ihm eine Bittschrift zukommen lassen wollte. An diesen Zwischenfall, der über 1 000 Menschenleben forderte, sollte mit der 11. Sinfonie erinnert werden – oder war es eine Verneigung vor dem ungarischen Volk, das ein Jahr zuvor von sowjetischen Truppen überfallen und unterdrückt wurde? Am 30. Oktober 1957 fand die Uraufführung unter Nikolai Rachlin statt.

Erneute Diskussionen folgten, doch nach und nach errang Schostakowitsch wieder mehr Anerkennung in der Sowjetunion, begünstigt vor allem durch zahllose Aufführungen und Ehrungen im Ausland: Unter anderem erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Oxford. Nach Uraufführung der gefälligen 12. Sinfonie in d-Moll erfolgte Schostakowitschs Aufnahme in die KPdSU; er konnte unterrichten und Wiederaufführungen von Lady Macbeth fanden in einer überarbeiteten Fassung als Katarina Ismailowa statt. 1961 erlebte Schostakowitsch endlich die verspätete Uraufführung der 4. Sinfonie unter Kyrill Kondraschin.

Spätwerk und Tod

Nach einer zweiten unglücklichen Ehe, die nur 3 Jahre dauerte, heiratete er 1962 Irina Antonowna Supinskaja, ein Glücksfall seines Lebens. Die junge Frau kümmerte sich bis zu seinem Tod liebevoll um ihren Mann. In der Mitte der 60er Jahre häuften sich Erkrankungen, Schostakowitsch litt unter einer chronischen Rückenmarkentzündung, die zu einer progressiven Lähmung der rechten Hand führte. 1966 erlitt er einen ersten Herzinfarkt, 5 Jahre später einen zweiten. Seine 13. Sinfonie nach Texten von Jewgeni Jewtuschenko wurde nach einigen Aufführungen abgesetzt. Die 14. Sinfonie für Sopran, Bass und Kammerorchester setzte sich bereits eindrücklich mit dem Thema Tod und Abschied auseinander. In den letzten Lebensjahren, beginnend etwa mit dem 2. Cellokonzert, ist in Schostakowitschs Schaffen eine deutliche Reduktion der Mittel und Konzentration des Ausdrucks zu beobachten, zudem erfährt seine Musik eine deutliche Schärfung der Harmonik. 1967 brach sich Schostakowitsch ein Bein und blieb gehbehindert. Von da an verbrachte er jedes Jahr einige Monate in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Die 15. Sinfonie in A-Dur, seine letzte, ist ein mit (Selbst-)Zitaten angefüllter, rätselhafter, freundlicher und abgründiger Rückblick auf ein Komponistenleben voller Höhen und Tiefen. Sein letztes vollendetes Werk ist eine Sonate für Bratsche und Klavier.

Schostakowitsch starb am 9. August 1975 an einem Herzinfarkt. Er war ein Meister der stillen Andeutung und der introvertierten Ironie.

Unter den vielen Kränzen, die das Grab schmückten, war auch einer vom KGB.

Schostakowitsch war außerordentlich produktiv und vielseitig, neben Bühnen- und Orchesterwerken (Opern, Sinfonien, Balletten und anderem) schrieb er auch Kammermusik, Filmmusik, Oratorien und Liederzyklen. Außerdem war er Professor am St. Petersburger (damals Leningrader) und Moskauer Konservatorium. Zu seinen Schülern gehören wichtige zeitgenössische Komponisten wie Edison Denisov und Sofja Gubajdulina

Mit 15 Sinfonien gehört er zu den am meisten beachteten Sinfonikern des 20. Jahrhunderts. Auch seine ebenso vielen Streichquartette gehören zum gängigen Repertoire.

Werke (Auswahl)

Werke für Orchester

  • 1925 1. Sinfonie in f-Moll, Opus 10 (Diplomarbeit am Konservatorium)
  • 1928 Tahiti Trott, Opus 16, eine Orchesterversion von Tea for Two
  • 1931 Der bedingt Ermordete, Opus 31, eine kritische Revue
  • 1933 Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester in c-Moll, Opus 35
  • 1934 Suite für Jazzorchester Nr. 1, Opus 38
  • 1936 4. Sinfonie in c-Moll, Opus 43
  • 1937 5. Sinfonie in d-Moll, Opus 47
  • 1938 Suite für Jazzorchester Nr. 2, ohne Opus
  • 1942 7. Sinfonie in C-Dur, Opus 60, Leningrader Symphonie
  • 1945 9. Sinfonie in Es-Dur, Opus 70
  • 1953 10. Sinfonie in e-Moll, Opus 93
  • 1962 13. Sinfonie in b-Moll für Bass, Männerchor und Orchester, Opus 113, nach Gedichten von Jewgeni Jewtuschenko
  • 1969 14. Sinfonie in g-Moll für Sopran, Bass und Kammerorchester, Opus 135, nach Gedichten von García Lorca, Rilke, Apollinaire und Küchelbecker
  • 1971 15. Sinfonie in A-Dur, Opus 141

Werke für Blasorchester

  • 1928 Zwei Stücke von Domenico Scarlatti Opus 17 für Militärorchester
  • 1942 Festmarsch ohne Opus für Blasorchester
  • 1970 Marsch der sowjetischen Miliz Opus 139 für Blasorchester

Bühnenwerke

Kammermusik

  • 1951 24 Präludien und Fugen für Klavier, Opus 87
  • 1960 8. Streichquartett in c-Moll, arrangiert von Rudolf Barschai als Kammersinfonie für Streichorchester, gewidmet den Opfern des Faschismus und des Krieges

Literatur

  • E. Wilson Shostakovich: A Life Remembered. Princeton University Press, 1995, ISBN 0691044651.
  • S. Wolkow, D. Schostakowitsch Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch. List, 2003, ISBN 3-548-60335-1. (die Authentizität dieser Memoiren ist umstritten)
  • R. Blokker / R. Dearling The Music of Dmitri Shostakovich. The Symphonies, London, The Tantivy Press, 1979
  • H.A. Brockhaus Dmitri Schostakowitsch, Leipzig, Breitkopf u. Härtel, 1962
  • B. Feuchtner Und Kunst geknebelt von der groben Macht. Dmitri Schostakowitsch, Frankfurt/Main, Sendler Verlag, 1986
  • D. Goïovy Schostakowitsch, Reinbek, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1983
  • Krzysztof Meyer: Schostakowitsch. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Bergisch Gladbach, Gustav Lübbe Verlag, 1995 ISBN 3-7857-0772-X, 624 S.
  • L. Seehaus Dmitri Schostakowitsch. Leben und Werk Wilhelmshaven, Florian Noetzel Verlag, 1986
  • G. Wolter Dmitri Schostakowitsch - Eine sowjetische Tragödie Frankfurt/Main, Peter Lang Verlag, 1991
  • S. Wolkow, Stalin und Schostakowitsch, Propyläen, 2004 ISBN 3-549-072-11-2, 420 S.
  • I. Martynow Dmitrij Schostakowitsch, Berlin, Verlag Bruno Henschel und Sohn, 1947

Trivia

Das ständig wiederholte Musikthema in Stanley Kubricks Film Eyes Wide Shut ist der 2. Walzer aus Schostakowitschs Jazz-Suite Nr. 2. Ricardo Chailly leitet das Royal Concertgebouw Orchestra.


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