Autismus (v. gr. αυτός: selbst) ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung.
Ausprägungen von Autismus sind frühkindlicher Autismus (einschließlich der Variante hochfunktionaler Autismus), atypischer Autismus und Asperger-Syndrom, die zusammen das Autismusspektrum bilden.
Begriff „Autismus“
Geprägt wurde der Begriff „Autismus“ 1911 durch den schweizer Psychiater Eugen Bleuler. Autismus nannte er ein Grundsymptom der Schizophrenie, das die Zurückgezogenheit in die innere Gedankenwelt bei an Schizophrenie erkrankten Menschen meinte.
Leo Kanner Vorlage:Lit und Hans Asperger Vorlage:Lit nahmen diesen Begriff auf und benannten so ein Störungsbild eigener Art. Im Unterschied zu Menschen mit Schizophrenie, die sich aktiv in ihr Inneres zurückziehen, beschrieben Kanner und Asperger Menschen, die von Geburt an in einem Zustand der inneren Zurückgezogenheit leben. Damit unterlag der Begriff „Autismus“ einem Bedeutungswandel. Heutzutage wird der Begriff „Autismus“ zur Bezeichnung des von Kanner und Asperger beschriebenen Störungsbildes gebraucht.
Die Forschungen Kanners, die den Begriff „Autismus“ eng fassten und im wesentlichen den heute sogenannten frühkindlichen Autismus beschrieben, erlangten internationale Anerkennung und wurden zur Grundlage der weiteren Autismusforschung. Die Veröffentlichungen Aspergers hingegen, die den Begriff „Autismus“ weiter fassten und auch leichtere Fälle mit einbezogen, wurden zunächst international kaum rezipiert, zum einen wegen des Zweiten Weltkriegs und zum anderen, da Asperger auf deutsch publizierte. Erst in den 1990er Jahren erlangten die Forschungen Aspergers internationale Bekanntheit in Fachkreisen. Die englische Psychologin Lorna Wing Vorlage:Lit führte in den 1980er Jahren die Forschungen Aspergers fort und definierte die von Asperger beschriebenen leichteren Fälle von Autismus als Asperger-Syndrom.
Autismusspektrum: Unterschiedliche Typen von Autismus
Es werden drei Typen von Autismus unterschieden:
- Atypischer Autismus,
- Frühkindlicher Autismus (auch infantiler Autismus, autistische Störung, Kanner-Syndrom oder Kanner-Autismus genannt) einschließlich der Variante des hochfunktionalen Autismus (engl. high-functioning autism) und
- Asperger-Syndrom.
Diese drei Typen bilden zusammen das Autismusspektrum (engl. autism spectrum disorders). Auf der einen Seite dieses Spektrums steht der atypische Autismus, der meist mit schwerer geistiger Behinderung auftritt. Auf der anderen Seite dieses Spektrums ist das Asperger-Syndrom angesiedelt, das in der Regel mit normaler bis überdurchschnittlicher Intelligenz auftritt. Sowohl die Übergänge innerhalb des Spektrums als auch der Übergang vom Asperger-Syndrom zur „Normalität“ sind fließend. Allen Zuständen innerhalb dieses Spektrums sind die Merkmale eingeschränkte soziale Interaktion, eingeschränkte Kommunikation und repetitive Verhaltensmuster gemeinsam. Je nach Intensität der Ausprägung werden Patienten innerhalb dieses Spektrums eingeordnet.
Frühkindlicher Autismus
Die beiden international gebräuchlichen Klassifikationssysteme für Krankheiten, ICD-10 und DSM-IV, nennen vier diagnostische Kriterien für frühkindlichen Autismus:
- Qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion,
- qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation,
- repetitive und stereotype Verhaltensmuster und
- Manifestation vor dem 3. Lebensjahr.
Darüber hinaus nennt ICD-10 noch unspezifische Probleme wie Befürchtungen, Phobien, Schlafstörungen, Essstörungen, Wutausbrüche, Aggressionen und selbstverletzendes Verhalten (Automutilation).
Üblicherweise geht mit dem frühkindlichen Autismus eine Intelligenzminderung einher. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen keine Intelligenzminderung auftritt. Diese Variante des frühkindlichen Autismus wird als hochfunktionaler Autismus (engl. high-functioning-autism) bezeichnet. Er ähnelt sehr dem Asperger-Syndrom. Eine Differenzierung kann nur anhand der Entwicklung in der frühen Kindheit vorgenommen werden, insbesondere anhand des Beginns der Sprachentwicklung. Teilweise werden die Begriffe hochfunktionaler Autismus und Asperger-Syndrom auch synonym verwendet. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass beide Störungen sich in ihrem Auftreten ähneln, ignoriert jedoch, dass es sich letztlich um zwei verschiedene Störungen handelt.
Soziale Interaktion
Eine qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion zeigt sich als extreme Kontaktstörung, die sich schon in den ersten Lebensmonaten durch fehlende Kontaktaufnahme zu den Eltern, insbesondere der Mutter bemerkbar macht. Kinder mit frühkindlichem Autismus strecken der Mutter die Arme nicht entgegen, um hochgehoben zu werden. Sie lächeln nicht zurück, wenn sie angelächelt werden und nehmen zu den Eltern keinen angemessenen Blickkontakt auf. Dem gegenüber steht eine starke Objektbezogenheit, die häufig beschränkt ist auf eine bestimmte Art von Gegenständen. Ihre Aufmerksamkeit ist auf wenige Dinge, wie Wasserhähne, Türklinken, Fugen zwischen Steinplatten oder kariertes Papier gerichtet, die sie magisch anziehen, sodass alles andere an ihnen vorbei geht. Oft finden sie in Gegenständen einen für andere fremden Zweck, sortieren beispielsweise die Einzelteile einer Spielzeugeisenbahn nach Größe und Farbe, oder ihr einziges Interesse an einem Spielzeugauto ist es, die Räder unablässig zu drehen.
Kommunikation
Bei Menschen mit frühkindlichem Autismus fehlt bei etwa der Hälfte der Patienten eine Sprachentwicklung ganz. Bei der anderen Hälfte der Patienten kommt es zu einer Verzögerung der Sprachentwicklung. Anfangs fehlt der Sprache die kommunikative Funktion. Wörter oder Sätze werden einfach wiederholt (Echolalie). Im Kindesalter vertauschen die Patienten oft die Pronomina (pronominale Umkehr). Sie reden von anderen als ich und von sich selbst als du oder in der dritten Person. Diese Eigenart bessert sich überlicherweise im Laufe der Entwicklung. Wortneuschöpfungen (Neologismen) treten häufig auf. Menschen mit frühkindlichem Autismus haften an bestimmten Formulierungen (Perseveration). In der Kommunikation mit anderen Menschen haben sie Schwierigkeiten, Gesagtes über die genaue Wortbedeutung hinaus zu verstehen, zwischen den Zeilen zu lesen. Ihre Stimme klingt eintönig (fehlende Prosodie).
Die Probleme in der Kommunikation äußern sich außerdem in Schwierigkeiten in der Kontaktaufnahme zur Außenwelt und zu anderen Menschen. Manche Autisten scheinen die Außenwelt kaum wahrzunehmen und teilen sich ihrer Umwelt auf ihre ganz individuelle Art mit. Deshalb wurden autistische Kinder früher auch Muschelkinder oder Igelkinder genannt. Die Wahrnehmungen im visuellen und auditiven Bereich sind oft deutlich intensiver als bei neuralgisch typischen Menschen, daher scheint eine Abschaltfunktion im Gehirn die Reizüberflutung als Selbstschutz auszublenden. Autisten haben ein individuell unterschiedlich ausgeprägtes Bedürfnis nach Körperkontakt. Einerseits nehmen manche mit völlig fremden Menschen direkten und teils unangemessenen Kontakt auf, andererseits kann auch jede Berührung für sie aufgrund der Überempfindlichkeit ihres Tastsinns unangenehm sein.
Vor diesem Hintergrund gestaltet sich eine verstehende Kommunikation mit einem Autisten als schwierig. Emotionen werden oft falsch gedeutet oder gar nicht erst verstanden. Diese möglichen Probleme müssen bei der Kontaktaufnahme berücksichtigt werden und verlangen ein großes Einfühlungsvermögen.
Repetitive und stereotype Verhaltensmuster
Veränderungen ihrer Umwelt, wie zum Beispiel umgestellte Möbel oder ein anderer Schulweg, führen bei Autisten zu Beunruhigung und Verunsicherung. Manchmal geraten Betroffene auch in Panik, wenn sich Gegenstände nicht mehr an ihrem gewöhnlichen Platz oder in einer bestimmten Anordnung befinden. Die Tatsache, dass Autisten eine intensive Wahrnehmung für Details haben und daher auch kleine Veränderungen bemerken, verschlimmert dieses Problem. Handlungen laufen aufgrund der Probleme bei Unregelmäßigkeiten stark ritualisiert ab.
Die Interessen von Autisten sind meist auf bestimmte Gebiete begrenzt. Menschen mit hochfunktionalem Autismus können in einem Bereich ihres besonderen Interesses ein enormes Wissen ansammeln. In Ausnahmefällen zeigen autistische Menschen außergewöhnliche Begabungen in einem sehr begrenzten Gebiet, etwa im Rechnen, Malen, in der Musik oder in der Merkfähigkeit (Inselbegabung).
Atypischer Autismus
Atypischer Autismus unterscheidet sich vom frühkindlichen Autismus dadurch, dass Kinder entweder nach dem dritten Lebensjahr erkranken (atypisches Erkrankungsalter), nicht alle Symptome aufweisen (atypische Symptomatik) oder sowohl nach dem dritten Lebensjahr erkranken als auch nicht alle Symptome aufweisen (atypisches Erkrankungsalter und atypische Symptomatik).
Autistische Kinder mit atypischem Erkrankungsalter zeigen hinsichtlich der Symptome das Vollbild des frühkindlichen Autismus, das sich bei ihnen aber erst nach dem dritten Lebensjahr manifestiert.
Autistische Kinder mit atypischer Symptomatik legen Auffälligkeiten an den Tag, die für den frühkindlichen Autismus typisch sind, jedoch die Diagnosekriterien des frühkindlichen Autismus nicht vollständig erfüllen. Dabei können sich die Symptome sowohl vor als auch nach dem dritten Lebensjahr manifestieren. Diese Form des atypischen Autismus tritt oft mit erheblicher Intelligenzminderung auf, weshalb auch von „Intelligenzminderung mit autistischen Zügen“ gesprochen wird.
Asperger-Syndrom
Die beiden international gebräuchlichen Klassifikationssysteme für Krankheiten, ICD-10 und DSM-IV, nennen vier diagnostische Kriterien für das Asperger-Syndrom (AS):
- Qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion,
- repetitive und stereotype Verhaltensmuster sowie ausgeprägte Sonderinteressen,
- keine klinisch bedeutsame Verzögerung der sprachlichen und kognitiven Entwicklung und
- Symptome erfüllen nicht die Diagnosekriterien einer anderen tiefgreifenden Entwicklungsstörung oder der Schizophrenie.
Üblicherweise treten mit AS auch motorische Beeinträchtigungen auf.
Die mit AS in Verbindung stehenden Ausprägungen reichen bis weit in normale menschliche Verhaltensmuster hinein. Es kann von einem Kontinuum, also einem durchgehenden Spektrum von Auffälligkeiten ausgegangen werden. Für ein unklar umrissenes Sammelsurium von Auffälligkeiten kann ab einem gewissen Maße die Bezeichnung Asperger-Syndrom als zutreffend herangezogen werden.
Obwohl viele Verhaltensweisen das soziale Netz der Betroffenen, insbesondere der nächsten Bekannten, und der Familie stark in Anspruch nehmen, sind es nicht nur negative Aspekte, die AS qualifizieren. Es gibt zahlreiche Berichte über das gleichzeitige Auftreten von überdurchschnittlicher Intelligenz oder auch für als normal geltende Menschen unfassbare Inselbegabungen. Leichtere Fälle von AS werden im Englischen umgangssprachlich auch als „Little Professor Syndrome“, „Geek Syndrome“ oder „Nerd Syndrome“ bezeichnet.
Soziale Interaktion
Das wohl schwerwiegendste Problem für Menschen mit AS ist das des beeinträchtigten sozialen Interaktionsverhaltens. Beeinträchtigt sind zwei Bereiche, zum einen die Fähigkeit zwanglose Beziehungen zu anderen Menschen herzustellen und zum anderen die nonverbale Kommunikation.
Kindern und Jugendlichen fehlt in der Regel der Wunsch, Beziehungen zu Gleichaltrigen herzustellen. Dieser Wunsch entsteht normalerweise erst in der Adoleszenz, meist fehlt dann aber die Fähigkeit dazu.
Die Beeinträchtigungen im Bereich der nonverbalen Kommunikation betreffen sowohl der Verstehen nonverbaler Botschaften anderer Menschen als auch das Aussenden eigener nonverbaler Signale.
Als besonders problematisch erweisen sich die Schwierigkeiten im Bereich des sozialen Interaktionsverhaltens, da Menschen mit Asperger-Syndrom nach außen hin keine offensichtlichen Anzeichen einer Behinderung haben. So können selbst Menschen, die sich ansonsten durch Toleranz gegenüber ihren behinderten Mitmenschen auszeichnen, die Schwierigkeiten von Menschen mit Asperger-Syndrom als bewusste Provokation empfinden.
Im Alltag machen sich die Schwierigkeiten im Bereich des sozialen Interaktionsverhaltens auf vielfältige Art bemerkbar. Menschen mit AS können schlecht Augenkontakt mit anderen Menschen aufnehmen oder halten. Sie vermeiden Körperkontakt, wie etwa Händeschütteln. Sie sind unsicher, wenn es darum geht, Gespräche mit anderen zu führen, besonders wenn es sich um einen eher belanglosen Smalltalk handelt. Soziale Regeln, die andere intuitiv beherrschen, verstehen Menschen mit AS nicht intuitiv, sondern müssen sie sich erst mühsam aneignen. Daher haben Menschen mit AS oft keine oder kaum Freunde. In der Schule etwa sind sie in den Pausen lieber für sich, weil sie mit dem üblichen Umgang anderer Schüler untereinander nur wenig anfangen können. Im Unterricht sind sie in der Regel wesentlich besser im schriftlichen als im mündlichen Bereich. In der Ausbildung und im Beruf macht ihnen der fachliche Bereich meist keine Schwierigkeiten, nur der Smalltalk mit Kollegen oder der Kontakt mit Kunden. Auch das Telefonieren kann Probleme bereiten. Im Studium können mündliche Prüfungen oder Vorträge große Hürden darstellen. Da auf dem Arbeitsmarkt wohl in allen Bereichen Kontakt- und Teamfähigkeit genauso viel zählt wie fachliche Eignung, haben Menschen mit AS Probleme, überhaupt eine geeignete Stelle zu finden. Viele sind selbstständig, jedoch können sie sich bei Problemen mit Kunden kaum durchsetzen, etwa wenn ein Kunde nicht bezahlt. In einer Werkstatt für behinderte Menschen indes wären sie völlig unterfordert. Die meisten Menschen mit AS können durch hohe Schauspielkunst nach außen hin eine Fassade aufrecht erhalten, sodass ihre Probleme auf den ersten Blick nicht direkt sichtbar sind, jedoch bei persönlichem Kontakt durchscheinen, etwa in einem Vorstellungsgespräch. Menschen mit AS gelten nach außen hin zwar als extrem schüchtern, jedoch ist das nicht das eigentliche Problem. Schüchterne Menschen verstehen die sozialen Regeln, trauen sich aber nicht, sie anzuwenden. Menschen mit AS würden sich trauen sie anzuwenden, verstehen sie aber nicht und können sie deshalb nicht anwenden. Die Empathie ist bei Menschen mit AS eingeschränkt. Menschen mit AS können sich schlecht in andere Menschen hineinversetzen und deren Stimmungen oder Gefühle an äußeren Anzeichen ablesen. Überhaupt bereitet es ihnen Schwierigkeiten, zwischen den Zeilen zu lesen und nicht-wörtliche Bedeutungen von Ausdrücken oder Redewendungen zu verstehen. Dadurch können sie im sozialen Umgang anecken, da sie für andere Menschen offensichtliche nonverbale Signale nicht verstehen. Auch können sie in gefährliche Situationen geraten, da sie äußere Anzeichen, die auf eine bevorstehende Gefahr etwa durch Gewalttäter hindeuten, nicht richtig deuten können.
Stereotype Verhaltensmuster und Sonderinteressen
Repetitive und stereotype Verhaltensmuster zeigen Menschen mit AS in ihrer Lebensgestaltung und in ihren Interessen. Das Leben von Menschen mit AS ist durch ausgeprägte Routinen bestimmt. Werden sie in ihren Routinen gestört, kann das zu erheblichen Beeinträchtigungen führen. Menschen mit AS sind meist wenig flexibel und fallen aus der Bahn, sobald sie in ihren Routinen gestört werden. In ihren Interessen sind Menschen mit AS in der Regel auf ein Gebiet beschränkt, auf dem sie meist ein enormes Fachwissen haben. Ungewöhnlich ist das Ausmaß, mit dem sich Menschen mit AS ihrem Interessensgebiet widmen; für andere Gebiete als das eigene sind sie meist nur schwer zu begeistern. Da Menschen mit AS meist gut logisch denken können, liegen ihre Interessensgebiete oft im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich, aber auch andere Gebiete sind möglich.
Repetitive und stereotype Verhaltensmuster sowie ausgeprägte Sonderinteressen können sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringen. Ein gut durchorganisierter Alltag gibt Halt, werden Routinen aber um ihrer selbst Willen gelebt kann das zum Problem werden. Ausgeprägte Sonderinteressen können die Grundlage für eine berufliche Karriere bilden können aber auch zu einem verengten Denken führen.
Komorbide Symptome
Zusammen mit Autismus können eine Reihe komorbider Symptome auftreten. Menschen mit Autismus neigen üblicherweise zu stark visuellem Denken. Synästhesie kommt bei ihnen häufig dergestalt vor, dass sie Sinneswahrnehmungen bestimmte Farben zuordnen. Menschen mit Autismus sind empfindlich gegenüber Außenreizen, wie etwa Berührungen; andererseits haben sie üblicherweise ein verringertes Schmerzempfinden. Während der Adoleszenz oder im frühen Erwachsenenalter treten bei Menschen mit Autismus teilweise psychotische Episoden auf. Mit dem Asperger-Syndrom können motorische Auffälligkeiten auftreten. Positive Auswirkungen von Autismus sind beispielsweise eine besondere Kreativität, Neigung zur Ehrlichkeit und großes Durchhaltevermögen.
Bei Menschen mit Autismus ist die Intelligenz anders als bei neuralgisch typischen Menschen nicht gleichmäßig ausgeprägt. Während sie im Gebiet ihres Spezialinteresses oft ein enormes Wissen ansammeln und gut logisch und systematisch denken können, sind ihre Fähigkeiten im sozialen und emotionalen Bereich unterentwickelt. Diese ungleichmäßige Intelligenzverteilung erklärt auch, warum manche ansonsten geistig behinderte Menschen auf einem eng umgrenzten Gebiet herausragende Fähigkeiten entwickeln können.
Häufige komorbide Symptome sind:
- Aggression oder Autoaggression
- AD(H)S,
- Bipolarstörung,
- Depressionen,
- Epilepsie,
- Essstörungen (z.B. Anorexia nervosa, insb. bei Mädchen),
- Migräne,
- nonverbale Lernstörung,
- Phobien,
- posttraumatische Stressstörungen (PTSD),
- Prosopagnosie (Gesichtsblindheit),
- Schlafstörungen,
- selbstverletzendes Verhalten,
- sensorische Integrationsstörungen oder sensorisch-integrative Dysfunktionen (SID),
- Sozialphobie,
- Ticstörungen (die an das Tourette-Syndrom erinnern),
- Wutausbrüche,
- zentral-auditive Verarbeitungsstörungen sowie
- Zwangsstörungen.
Unterscheidung der Zustände innerhalb des Autismusspektrums
Eine Unterscheidung zwischen atypischem und frühkindlichem Autismus kann üblicherweise problemlos vorgenommen werden, da der atypische Autismus aufgrund seiner Unterschiede zum frühkindlichen Autismus definiert ist. Da atypischer Autismus meist mit geistiger Behinderung einhergeht, ist auch eine Abgrenzung zum Asperger-Syndrom gegeben. Bevor das Asperger-Syndrom in den 1990er Jahren als eigene Diagnose eingeführt wurden, bekamen Patienten, die heute die Diagnose Asperger-Syndrom erhalten, die Diagnose atypischer Autismus.
Frühkindlicher Autismus unterscheidet sich vom Asperger-Syndrom im Wesentlichen durch die beim Asperger-Syndrom fehlende Verzögerung der sprachlichen und kognitiven Entwicklung. Schwierig kann eine Differenzierung zwischen frühkindlichem Autismus und Asperger-Syndrom werden, wenn der frühkindliche Autismus in der Form des hochfunktionalen Autismus auftritt. In der Variante des hochfunktionalen Autismus liegt keine Intelligenzminderung vor und die Symptome ähneln denen des Asperger-Syndroms sehr. In der Forschung ist umstritten, ob überhaupt ein Unterschied zwischen hochfunktionalem Autismus und Asperger-Syndrom vorliegt. Daher werden teilweise die Begriffe hochfunktionaler Autismus und Asperger-Syndrom synonym verwendet.
frühkindlicher Autismus | Asperger-Syndrom | |
erste Auffälligkeiten | erste Lebensmonate | ab 3. Lebensjahr |
Blickkontakt | selten, flüchtig | selten, flüchtig |
Sprache | in der Hälfte der Fälle Fehlen einer Sprachentwicklung; ansonsten verzögerte Sprachentwicklung, anfangs keine kommunikative Funktion, Vertauschen der Pronomina | keine bedeutsamen Auffälligkeiten; frühe Entwicklung einer grammatisch und stilistisch hoch stehenden Sprache |
Intelligenz | meist erhebliche Intelligenzminderung; in der Variante des hochfunktionalen Autismus normale Intelligenz | normale bis hohe Intelligenz, teilweise Hochbegabung |
Motorik | keine Auffälligkeiten, die auf den Autismus zurückzuführen sind | häufig motorische Störungen, Ungeschicklichkeit, Koordinationsstörungen |
Einteilung nach ICD-10 und DSM-IV
Autismus wird in der ICD-10, dem Klassifikationssystem für Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), als tiefgreifende Entwicklungsstörung unter dem Schlüssel F84 aufgeführt und wie folgt unterteilt:
- F84.0: frühkindlicher Autismus
- F84.1: atypischer Autismus
- F84.10: Autismus mit atypischem Erkrankungsalter
- F84.11: Autismus mit atypischer Symptomatik
- F84.12: Autismus mit atypischem Erkrankungsalter und atypischer Symptomatik
- F84.5: Asperger-Syndrom
Das DSM-IV, die US-amerikanische Klassifikation psychischer Störungen, führt Autismus als tiefgreifende Entwicklungsstörung unter dem Schlüssel 299 auf. Dabei werden zwei Kategorien unterschieden:
- 299.00: autistische Störung
- 299.80: Asperger-Syndrom
Atypischer Autismus kommt im DSM-IV als Diagnose nicht vor.
Ursachen
Autismus ist eine neurologische Störung und hat organische Ursachen.
Weil die Betroffenen meist normal aussehen, werden sie von Außenstehenden in der Öffentlichkeit schnell als unerzogen, unhöflich und provokativ erlebt. Die Schuld an ihrem unangepassten Verhalten wird meist den Eltern zugeschrieben. Solche Schuldzuweisungen und daraus resultierende Schuldgefühle enden nicht selten in Rückzug und sozialer Isolation. Die These, Autismus entstehe aufgrund der emotionalen Kälte der Mutter (ehemaliger Terminus der sogenannten „Kühlschrankmutter“), durch lieblose Erziehung, mangelnde Zuwendung, Traumen o.ä. ist heute eindeutig widerlegt.
Die genauen Ursachen indes sind noch nicht geklärt, es existiert aber eine Reihe von Theorien, von denen die wesentlichen im Folgenden angesprochen werden sollen. Üblicherweise erklären die einzelnen Theorien nur einen Teilaspekt der autistischen Störungen, sodass Autismus letztlich wohl auf Wechselwirkungen mehrerer Faktoren zurückzuführen ist.
Nicht ausgeschlossen werden kann außerdem, dass es sich bei Autismus um ein Produkt der menschlichen Evolution handelt und nicht um eine Behinderung oder Krankheit. Autismus ist vielleicht nur Teil der biologischen Vielfalt der Menschheit. Diese Annahme wird durch neue Forschungsergebnisse untermauert, in denen subklinische Formen von Autismus untersucht werden. Außerdem entwickelt sich unsere Gesellschaft immer mehr in eine Richtung, die Autismus auffälliger werden lässt, weil diese stetig mehr auf soziale Fähigkeiten abzielt. Menschen, die früher nicht als Autisten galten, könnten heute schon als Menschen mit Asperger-Syndrom diagnostiziert werden. Hier spielt besonders die Abweichung von der Norm eine Rolle: Die Frage, ob Autismus vorliegt, wird hierbei zunehmend zu der Frage, wieviel Autismus ein Mensch hat. Fest steht, dass es sich bei Autismus um ein autistisches Spektrum handelt, bei dem alle denkbaren Zwischenstufen zwischen „Autismus“ und „Normal“ vorkommen Vorlage:Lit.
Genetische Faktoren
Bei Familienstudien wurde festgestellt, dass es eine familiäre Häufung von Autismus gibt. Genetische Faktoren sind daher als Ursache für Autismus sehr wahrscheinlich. Zwillingsuntersuchungen aus Europa und den USA zeigen, dass ein eineiiges autistisches Zwillingskind mit sehr viel größerer Wahrscheinlichkeit (zirka 95,7%) einen autistischen Zwilling hat, als ein zweieiiges Zwillingskind. Daraus ließe sich zunächst folgern, dass die Ursache auch genetischer Art ist. Da aber nicht alle eineiigen autistischen Zwillingskinder einen autistischen Zwilling haben, lässt sich keine allgemeingültige Erklärung auf genetischer Basis finden. Aber nach den bisherigen Erkenntnissen aus diesen Familien- und Zwillingsuntersuchungen geht hervor, dass die Entstehung der Erkrankung durch eine Kombination verschiedener spezifischer Gene (sicher mehr als zwei), die wahrscheinlich insbesondere während der Gehirn-Entwicklung aktiv sind, bedingt ist.
Hirnschädigungen
Verschiedene Studien haben ergeben, dass Hirnschädigungen Ursache für Autismus sein können. Festgestellt wurden insbesondere eine Funktionsstörung der linken Gehirnhälfte, abnorme Veränderungen des Stammhirns in Kombination mit Aufmerksamkeitsdefizit sowie Störungen in der sensorischen Reizverarbeitung. Jedoch besteht in diesem Bereich noch weiterer Forschungsbedarf.
Biochemische Besonderheiten
Bei Untersuchungen von Menschen mit Autismus wurden Besonderheiten im biochemischen Bereich festgestellt. Teilweise weisen sie einen erhöhten Dopamin-, Adrenalin-, Noradrenalin- und Serotoninspiegel auf. Jedoch sind die Befunde in diesem Bereich uneinheitlich und lassen keine allgemeingültigen Schlüsse zu.
Gefühlsblindheit (mindblindness theory)
Leo Kanner selbst ging davon aus, daß Kinder mit Autismus Defizite im affektiven Kontakt aufweisen, also ihre Fähigkeit, anhand der Körpersprache anderer Menschen deren Gefühle zu erkennen, eingeschränkt ist. Dies wird auf kognitive Defizite (Gefühlsblindheit, engl. mindblindness) zurückgeführt. Menschen mit Autismus haben Schwierigkeiten zu verstehen, dass Menschen unterschiedliche Empfindungen haben. Außerdem wurde festgestellt, dass Autisten im Gegensatz zu neuralgisch typischen Menschen Objekte und Menschen in der gleichen Gehirnregion wahrnehmen. Jüngere neurobiologische Erklärungen führen ferner eine unzureichende Einbindung von Spiegelneuronen in die kognitiven Prozesse als (Mit-) Ursache des Autismus an.
empathising-systemising theory (E-S)
Der britische Autismusforscher Simon Baron-Cohen vermutet, dass Autisten, verursacht durch einen hohen Testosteronspiegel im Mutterleib, ein extrem ausgeprägtes männliches Gehirn haben. In einer Studie mit 58 schwangeren Frauen zeichneten sich Kinder, die im Mutterleib einem erhöhten Testosteronspiegel ausgesetzt waren, gegenüber normalen Kindern durch einen kleineren, aber qualitativ höheren Wortschatz und selteneren Blickkontakt aus. Im Alter von vier Jahren waren diese Kinder sozial weniger entwickelt. Daraufhin entwickelte Baron-Cohen die empathising-systemising theory (E-S), die besagt, dass sich das Gehirn von Kindern, die im Mutterleib einem erhöhten Testosteronspiegel ausgesetzt waren, in Richtung zu einer verbesserten Fähigkeit, Muster zu sehen und Systeme zu analysieren, entwickelte. Diese Theorie wird auch extreme male brain theory genannt, da diese Fähigkeiten üblicherweise männlichen Gehirnen zugeschrieben werden.
Neandertal-Theorie
Die Neandertal-Theorie besagt, dass bestimmte psychische Störungen, darunter auch Autismus, auf die Kreuzung von Homo Sapiens und Neandertalern und damit das Eindringen von genetischem Material der Neandertaler in das Genom des Menschen zurückzuführen sind. Ob solche Kreuzungen überhaupt wirklich aufgetreten sind, ist unter Fachleuten umstritten und die Theorie somit sehr spekulativ.
underconnectivity theory
Die underconnectivity theory sieht die Ursache von Autismus in einem Mangel in der Koordination unter den verschiedenen Gehirnbereichen. In fMRI-Aufnahmen wurde festgestellt, dass bei Autisten Verbindungen zwischen Gehirnregionen fehlen. Diese Theorie erklärt, warum bei Autisten die Intelligenz ungleichmäßig ausgeprägt ist.
Monotropismus-Theorie
Monotropismus beschreibt den Aufmerksamkeitstunnel als die zentrale Ursache der kognitiven Stärken und Schwächen autistischer Menschen. Demnach können autistische Menschen sich tendenziell stark auf ein Interesse oder Reiz konzentrieren, sind aber tendenziell schlecht im Multitasking wie es für das Verständnis sich potentiell schnell ändernder sozialer Situation erfordert. Diese Theorie von Dinah Murray, Mike Lesser und Wendy Lawson wurde im Mai 2005 von der britischen Autismus- Organisation National Autistic Society in dem Journal Autism veröffentlicht. Eine deutsche Übersetzung des Artikels ist hier veröffentlicht.
Epidemiologie
Frühkindlicher Autismus tritt mit einer Häufigkeit von 0,5% auf, wobei das Verhältnis von Jungen zu Mädchen bei 4:1 liegt.
Zur Häufigkeit von atypischem Autismus gibt es keine systematischen Studien.
Über die Häufigkeit des Asperger-Syndroms gibt es nur grobe Schätzungen, wobei sich die Zahlen in den letzten Jahren mit zunehmendem Bekanntheitsgrad des Syndroms erhöht haben. Vor 1980 Geborene wurden in der Regel – oft bis heute – nicht erkannt. Im Extremfall sind laut Schätzungen bis zu 1,5% der Bevölkerung betroffen. Asperger-Syndrom tritt bei deutlich mehr Männern als Frauen auf, wobei die Angaben des Zahlenverhältnisses von 4:1 bis 8:1 schwanken. Das mag daran liegen, dass sich das Asperger-Syndrom bei Frauen teilweise unauffälliger äußert. So können Frauen durch sozialere Verhaltensmuster, Nachahmung und Schauspielerei, stärkeren Bezug auf Kommunikation und weniger spielende Interaktion die negativen Aspekte möglicherweise besser ausgleichen, durch weniger auffällige Besonderheiten oder Verwerfungen mit Auffälligkeiten weniger in Erscheinung treten oder schlicht eine bessere Langzeitprognose haben, da sie besser in der Lage sind zu lernen, wie man mit anderen Menschen umgeht. Insgesamt ist noch einiges an Forschungs- und Aufklärungsarbeit nötig, um angemessenere Zahlen ermitteln zu können.
Verlauf und Behandlung
Der Langzeitverlauf einer Störung aus dem Autismusspektrum hängt von der individuellen Ausprägung des Autismus beim einzelnen Patienten ab. Die Ursache des Autismus kann nicht behandelt werden. Möglich ist lediglich eine unterstützende Behandlung in einzelnen Symptombereichen.
Langzeitverlauf
Beim frühkindlichen und atypischen Autismus bleibt eine Besserung des Symptombilds meist in engen Grenzen. Menschen mit diesen Autismusformen benötigen in der Regel eine intensive, lebenslange Betreuung und eine geschützte Unterbringung. Bei Menschen mit hochfunktionalem Autismus oder Asperger-Syndrom hingegen ist der Langzeitverlauf meist positiv. Mit dem nötigen Verständnis und der erforderlichen Hilfe können sie ein großteils selbstständiges Leben führen. Obwohl ihnen ihre sozialen und kommunikativen Probleme meist in entscheidenden Lebensbereichen Schwierigkeiten bereiten, können sie durchaus ein erfülltes Familienleben führen und beruflich erfolgreich agieren.
Es existiert eine Reihe von Büchern über autistische Menschen. Die Psychologen Oliver Sacks und Torey Hayden haben Bücher über ihre Patienten mit Autismus und deren Lebensweg veröffentlicht. An Büchern, die von Autisten selbst geschrieben wurden, sind insbesondere die Werke der US-amerikanischen Tierwissenschaftlerin Temple Grandin, der australischen Schriftstellerin und Künstlerin Donna Williams, der US-amerikanischen Erziehungswissenschaftlerin Liane H. Willey und des deutschen Schriftstellers Axel Brauns bekannt.
Behandlungsmöglichkeiten
Ausgehend vom individuellen Entwicklungsprofil des Patienten wird ein ganzheitlicher Behandlungsplan aufgestellt, in dem die Art der Behandlung einzelner Symptome festgelegt und die einzelnen Behandlungsarten aufeinander abgestimmt werden. Bei Kindern wird das gesamte Umfeld (Eltern, Familien, Kindergarten, Schule) in den Behandlungsplan einbezogen.
Eine Auswahl von Behandlungsmethoden soll im Folgenden kurz vorgestellt werden. Eine gute weiterführende Übersicht über Behandlungsmöglichkeiten bietet: Lit.: Weiß 2002.
ABA
Applied Behaviour Analysis ABA ist eine Therapieform, die individuell auf jedes Kind zugeschnitten wird. Zunächst wird anhand einer Systematik festgestellt welche Fähigkeiten und Funktionen das Kind bereits besitzt und welche nicht. Hierauf aufbauend werden spezielle Programme erstellt, die das Kind befähigen die fehlenden Funktionen zu erlernen. Da die Eltern in die Therapie einbezogen werden ist sie sehr intensiv und erfolgreich. Hauptbestandteile sind Motivation bei richtigem Verhalten und Löschung bei falschem Verhalten. Es gibt zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland nur zwei Institute, die diese Therapie anbieten.
Verhaltenstherapie
Bei der Verhaltenstherapie steht die „Hilfe zur Selbsthilfe“ im Mittelpunkt. Nach Einsicht in Ursachen und Entstehungsgeschichte seiner Probleme, sollen dem Patienten Methoden an die Hand gegeben werden, mit denen er zukünftig besser zurecht kommt. Beim Autismus muss dabei die Einschränkung gemacht werden, dass die Ursache nicht vollständig in die Therapie einbezogen werden kann, da sie nicht hinlänglich bekannt ist. Außerdem ist diese Art der Therapie nur bei Autisten mit mindestens durchschnittlich entwickelter Intelligenz durchführbar. Bei Erwachsenen mit Autismus betrifft die Verhaltenstherapie insbesondere das Training sozialer Kompetenz, den Abbau störender Stereotypen, die Verbesserung des Durchhaltevermögens und den Aufbau einer konsequenten Arbeitshaltung.
TEACCH
TEACCH (Treatment and Education of Autistic and related Communication handicapped Children) ist ein ganzheitliches Behandlungsprogramm, das sich sowohl an Kinder als auch an Erwachsene mit Autismus richtet. Dabei sollen Menschen mit Autismus soweit wie möglich an ein normales Leben herangeführt werden, ohne dass ihre speziellen Bedürfnisse unbeachtet bleiben.
Festhaltetherapie
Die Festhaltetherapie wurde 1984 von der US-amerikanischen Kinderpsychologin Martha Welch entwickelt und von Jirina Prekop ins Deutsche übertragen. Ansatzpunkt bei dieser Therapie ist die Annahme, dass der Autismus eine emotionale Störung ist, die durch negative Einflüsse in der frühsten Kindheit hervorgerufen wird, sodass das betroffene Kind kein Urvertrauen aufbauen konnte. Bei der sehr umstrittenen Festhaltetherapie soll durch Festhalten des Kindes der Widerstand gegen Nähe und Körperkontakt gebrochen und so das Urvertrauen nachträglich entwickelt werden. Bedenklich bei der Festhaltetherapie „ist nicht nur die manchmal äußerst dramatisch und fast gewalttätig anmutende Vorgehensweise, sondern auch die dem Konzept mehr oder weniger zugrundeliegende These, daß das frühe Urvertrauen vom Kind nicht erworben werden konnte. Dies wird häufig von Eltern im Sinne einer persönlichen Schuld am Sosein ihres autistischen Kindes interpretiert“ Vorlage:Lit.
Gestützte Kommunikation
Bei der gestützten Kommunikation wird von einer lautsprachlich kommunikationsbeeinträchtigten Person mit bestimmten körperlichen Hilfestellungen einer Hilfsperson eine Kommunikationshilfe (Buchstabentafel, Kommunikationstafel, Computertastatur u.ä.) angesteuert. Durch das einzelne Ansteuern von Buchstaben und Satzzeichen entsteht ein Text. Hilfspersonen werden in Seminaren in die gestützte Kommunikation eingeführt.
Kritik an der Methode der gestützten Kommunikation entzündet sich daran, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Hilfsperson den Patienten unbewusst und unbeabsichtigt beeinflusst, sodass letztendlich die Hilfsperson und nicht der Patient Urheber des Textes ist.
Daily-Life-Therapie
Die Daily-Life-Therapie wurde erstmals 1964 in Japan angewandt. Dabei wird von der Grundhypothese ausgegangen, dass ein hohes Angstlevel bei Menschen mit Autismus durch körperliche Anstrengung beseitigt werden kann. Körperliche Anstrengung führt zu einer erhöhten Ausschüttung von Endorphinen, die schmerzlindernd bzw. schmerzunterdrückend (analgetisch) wirken.
Medikamentöse Behandlung
Die medikamentöse Behandlung kann eine Komponente im Gesamtbehandlungsplan sein; eine Behandlung der Ursache durch Medikamente ist nicht möglich. Insbesondere bei Problemen in sozialer Interaktion, Hyperaktivität, Wutausbrüchen, selbstverletzendem Verhalten und Depressionen können Medikamente Besserung verschaffen.
Akzeptanz statt Heilung
Die Ausprägungen von Autismus umfassen ein breites Spektrum. Verständlich ist, dass sich Menschen mit einer hohen Ausprägung des Autismus eine Heilung wünschen. Viele Erwachsene mit leichter Ausprägung des Autismus haben gelernt, mit ihren autistischen Eigenarten zurechtzukommen. Sie wünschen sich vielfach keine Heilung ihres Autismus, sondern die Akzeptanz durch ihre Mitmenschen. Um dieser Forderung Ausdruck zu verleihen, wird seit 2005 jährlich am 18. Juni der Autistic Pride Day begangen.
Differentialdiagnose
Autistische Verhaltensweisen können auch bei anderen Syndromen und Krankheiten auftreten. Von diesen muss Autismus abgegrenzt werden.
Wesentliches Unterscheidungskriterium zur Schizophrenie sind das Auftreten von Halluzinationen und Wahn, die bei Autismus nicht vorkommen.
Von autistischem Verhalten bei psychischem Hospitalismus, Kindesmisshandlung und Verwahrlosung unterscheidet sich Autismus dadurch, dass er primär, also von Geburt an, auftritt. Die typischen Verhaltensweisen werden bei Autisten nicht durch falsche Erziehung, mangelnde Liebe, Misshandlung oder Verwahrlosung ausgelöst. Bei psychischem Hospitalismus, Kindesmisshandlung und Verwahrlosung verschwindet das autistische Verhalten bei Besserung der äußeren Umstände wieder, wohingegen Autismus nicht heilbar ist.
Bei der schizoiden Persönlichkeitsstörung tritt im Gegensatz zu atypischem und frühkindlichem Autismus keine Intelligenzminderung auf. Eine Abgrenzung zum hochfunktionalen Autismus und Asperger-Syndrom kann im Einzelfall schwierig sein. Hierbei ist die Anamnese wichtig. Außerdem verschaffen neuropsychologische Testverfahren Klarheit.
Bei Menschen mit Zwangshandlungen (obsessiv-kompulsive Störung) ist die Sozial- und Kommunikationsfähigkeit normal ausgeprägt. Im Gegensatz zu Menschen mit Zwangshandlungen erleben Autisten ihre Routinen nicht als gegen ihren Willen aufdrängt, sondern sie schaffen ihnen Sicherheit und sie fühlen sich mit ihnen wohl.
Bei der Bindungsstörung ist das Sprachvermögen - anders als beim atypischen und frühkindlichen Autismus - intakt. Eine Abgrenzung zum hochfunktionalen Autismus und Asperger-Syndrom kann im Einzelfall schwierig sein. Der Anamnese kommt hier eine wichtige Rolle zu. Neuropsychologische Tests sind eine weitere Grundlage einer klaren Differenzierung.
Das Fragile X-Syndrom wird durch einen genetischen Defekt ausgelöst, der mit entsprechenden Analysemethoden eindeutig nachgewiesen werden kann, sodass eine Unterscheidung von Autismus eindeutig erfolgen kann.
Bei Magersucht können rigide Essgewohnheiten und soziale Isolation aufreten, die an hochfunktionalen Autismus oder Asperger-Syndrom erinnern. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal zum Autismus ist, dass bei Magersucht beide Symptome nur zeitlich begrenzt auftreten und nach Behebung der Ursache wieder verschwinden.
Historisches
Es gab zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Vorstellungen über die Entstehung von Autismus. Im zaristischen Russland etwa glaubte man, dass autistische Kinder als besonders religiöse Menschen zur Welt gekommen seien und dass diese sich freiwillig für ein Leben jenseits aller Konventionen entschieden hätten. Aus überlieferten Berichten weiß man, dass Autisten in Lumpen durch den russischen Winter liefen, ohne sich vor der Kälte zu schützen. Sie sprachen selten, ihr Verhalten erschien merkwürdig und sie missachteten Gesetz, Ordnung und soziale Regeln. Man nannte sie deshalb „heilige Narren“ und glaubte, dass in ihrem Verhalten göttliche Botschaften verschlüsselt seien. Vorlage:Lit
Bekannte Autisten
- Axel Brauns – deutscher Schriftsteller
- Temple Grandin – US-amerikanische Spezialistin für den Entwurf von Anlagen für die kommerzielle Tierhaltung und Dozentin für Tierwissenschaften
- Donna Williams – australische Schriftstellerin und Künstlerin
Siehe auch
WikiProjekt Autismus - Psychische Störung - Liste psychischer Störungen - Liste der Syndrome - Liste der Krankheiten - Portal Psychotherapie
In Anlehnung an den medizinisch-psychologischen Autismus-Begriff gibt es in der Ökonomie den Begriff der post-autistischen Ökonomie. Dabei soll „post-autistisch“ bedeuten, dass Ökonomen aus der Selbstbezogenheit des derzeitigen Volkswirtschaftslehre-Mainstreams in gewisser Weise aufgewacht seien, der derzeitige Volkswirtschaftslehre-Mainstream autistisch sei im Sinne von selbstbezogen und kommunikationsarm (gegenüber der Außenwelt).
Literatur
Fachliches
- Hans Asperger: Die „Autistischen Psychopathen“ im Kindesalter. In: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 117 (1944), 73-136.
- Tony Attwood: Asperger-Syndrom. Wie Sie und Ihr Kind alle Chancen nutzen. Das erfolgreiche Praxis-Handbuch für Eltern und Therapeuten. Trias, Stuttgart 2005, ISBN 3-8304-3219-4
- Uta Frith: Autismus. Ein kognitionspsychologisches Puzzle. Spektrum, Heidelberg u.a. 1992. ISBN 3-860-25058-2
- Catherine Johnsons, John J. Ratey: Das Schattensyndrom - Neurologie und leichte Formen psychatrischer Störungen. Klett-Cotta, Stuttgart 1999, ISBN 3-608-91889-2
- Ole Sylvester Jørgensen: Asperger: Syndrom zwischen Autismus und Normalität. Diagnostik und Heilungschancen. Beltz, Weinheim/ Basel 2002, ISBN 3-407-22112-6
- Leo Kanner: Autistic Disturbances of Affective Contact. In: Nervous Child 2 (1943), 217-250.
- Diane M. Kennedy: The ADHD Autism Connection: a Step Towards More Accurate Diagnosis and Effective Treatment. WaterBrook Press 2002, ISBN 1-578-56498-0
- Joan Matthews, James Williams: Ich bin besonders! Autismus und Asperger. Das Selbsthilfebuch für Kinder und ihre Eltern. Trias, Stuttgart 2001, ISBN 3-89373-668-9
- Helmut Remschmidt: Autismus. Erscheinungsformen, Ursachen, Hilfen. C. H. Beck, München 2002, ISBN 3-406-44747-3
- Michaela Weiß: Autismus: Therapien im Vergleich. Ein Handbuch für Therapeuten und Eltern. Marhold, Berlin 2002, ISBN 3-89166-997-6
- Ingrid Wickelgren: Autistic Brains Out of Synch? In: Science Band 308 (24. Juni 2005), S. 1856-1858 (Übersicht über den Stand der neurologischen Forschung)
- Lorna Wing: Asperger's syndrome: a clinical account. In: Psychol Med. 11 (1981) 115-129 (Abstract)
Erfahrungsberichte
- Axel Brauns: Buntschatten und Fledermäuse. Leben in einer anderen Welt. Hoffmann und Campe, Hamburg 2002, ISBN 3-455-09353-1
- Gunilla Gerland: Ein richtiger Mensch sein. Autismus, das Leben von der anderen Seite. Verl. Freies Geistesleben, Stuttgart 1998, ISBN 3-7725-1667-X
- Temple Grandin: Durch die gläserne Tür. Lebensbericht einer Autistin. Dt. Taschenbuch-Verl., München 1994, ISBN 3-423-30393-X
- Temple Grandin: Ich bin die Anthropologin auf dem Mars. Mein Leben als Autistin. Droemer Knaur, München 1997, ISBN 3-426-77288-4
- Temple Grandin, Catherine Johnson: Ich sehe die Welt wie ein frohes Tier. Wie ich als Autistin Menschen und Tiere einander näher bringen kann. Ullstein, München 2005, ISBN 3-5500-7622-3
- Christine Preissmann: ... und dass jeden Tag Weihnachten wär': Wünsche und Gedanken einer jungen Frau mit Asperger-Syndrom. Weidler, Berlin 2005, ISBN 3-896-93446-5
- Jasmine Lee O'Neill: Autismus von Innen. Nachrichten aus einer verborgenen Welt. Huber, Bern/ Göttingen/ Toronto/ Seattle 2001, ISBN 3-456-83536-1
- Katja Rohde: Ich Igelkind. Botschaften aus einer autistischen Welt. Nymphenburger, München 1999, ISBN 3-485-00826-5
- Susanne Schäfer: Sterne, Äpfel und rundes Glas. Mein Leben mit Autismus. Verl. Freies Geistesleben, Stuttgart 1997, ISBN 3-7725-1679-3
- Birger Sellin: Ich Deserteur einer artigen Autistenrasse. Neue Botschaften an das Volk der Oberwelt. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1995, ISBN 3-462-02457-4
- Birger Sellin: Ich will kein Inmich mehr sein. Botschaften aus einem Autistischen Kerker. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1995, ISBN 3-462-02463-9
- Patricia Stacey: Der Junge, der die Fenster liebte. Die Rettung eines autistischen Kindes. Beltz, Weinheim/ Basel 2004 - ISBN 3-407-85795-0
- Franz Uebelacker: Ich lasse mich durch wilde Fantasien tragen. Selbstporträt eines autistischen Spastikers. Frieling, Berlin 1998, ISBN 3-8280-0503-9
- Liane Holliday Willey: Ich bin Autistin - aber ich zeige es nicht. Leben mit dem Asperger-Syndrom. Herder, Freiburg im Breisgau/ Basel/ Wien 2003, ISBN 3-451-05300-4
- Donna Williams: Ich könnte verschwinden, wenn du mich berührst. Erinnerungen an eine autistische Kindheit. Hoffmann und Campe, Hamburg 1992 (und weitere Auflagen), ISBN 3-455-08440-0
- Donna Williams: Wenn du mich liebst, bleibst du mir fern. Eine Autistin überwindet ihre Angst vor anderen Menschen. Hoffmann und Campe, Hamburg 1994, ISBN 3-455-08601-2
Kinder- und Jugendliteratur
- Laurie Lears, Karen Ritz: Unterwegs mit Jan. Leben mit einem autistischen Bruder. KiK-Verlag, Berg am Irchel 2000, ISBN 3-906-58137-3
- Dirk Bracke: Ich bin nicht aus Stein. Rex-Verlag, Luzern 1998, ISBN 3-725-20678-3
- Kolet Janssen: Mein Bruder ist ein Orkan. Anrich, Weinheim 1997, ISBN 3-891-06304-0
Film und TV
Dokumentationen
- Pascale Gmür, Otmar Schmid: Meine Denksprache. Menschen, die nicht reden können, finden Worte. Dokumentarfilm zur gestützten Kommunikation. 2005. 57 Minuten.
Kinofilme und Serien
Im Folgenden eine Liste von Filmen und Serien, in denen Autismus vorkommt, mit entsprechender Angabe der Autisten-Rolle in Klammern.
- The Cube (Andrew Miller als Kazan)
- Das Mercury-Puzzle (Miko Hughes als Simon)
- Haus der Verdammnis (Kimberly J. Brown als Annie Wheaton)
- Monk (Tony Shalhoub als Adrian Monk)
- Mozart and the Whale (Josh Hartnett als Donald und Radha Mitchell als Isabelle) (eng.)
- Stummer Schrei (Ben Faulkner als 9-jähriger Autist Tim Warden)
- Touch of Truth (Bradley Pierce als Michael)
- Rain Man (Dustin Hoffman als Raymond Babbitt)
Weblinks
Meta-Wiki-Logo | Meta-Wiki: Aspergian Wikipedians – Wikipedianer mit Asperger-Syndrom |
- Bundesverband Hilfe für das autistische Kind e. V. – Informationen zu Autismus, Literatur und Anlaufstelle für Beratung und Therapie
- Autismus-Ambulanz Linker Niederrhein – Informationen zu Autismus, Literatur und umfangreiche Linksammlung
- Autismus in Berlin – Informationen zu Autismus und Therapiemöglichkeiten sowie Manuskripte zum Download
- http://www.aspiana.de – Informationen und Artikel zu Autismus und Asperger-Syndrom sowie großer Büchershop
- Aspies e. V. - Verein von und für autistische Menschen
- ASPERGIA - Zeitschrift für Menschen mit Asperger-Syndrom – umfangreiches Informationsangebot zum Asperger-Syndrom
- Informationsangebot zum Asperger-Syndrom bei Kindern