Die riemannsche Zeta-Funktion in der komplexen Ebene.Die in obigem Bild verwendete Kolorierung der komplexen Funktionswerte: Positive reelle Werte sind rot gefärbt.
Die Dirichlet-Reihe ist nur auf der um 1 verschobenen rechten Halbebene definiert. Der für sie undefinierte Bereich ist in grau dargestellt.
Für komplexe Zahlen, deren Realteil größer als 1 ist, ist die Zeta-Funktion definiert durch die Dirichlet-Reihe:
Die Beschränktheit der Definitionsmenge dieser Darstellung wird ersichtlich, wenn man z.B. versuchte, die -Funktion an der Stelle über die Dirichlet-Reihe auszuwerten. Man hätte dann
was ganz offensichtlich keinen endlichen Grenzwert besitzt. Daher ist ihr Definitionsbereich auf die um 1 verschobene rechte Hälfte der komplexen Zahlenebene, also auf alle , beschränkt.
Trotz allem ist genau diese Formel die Basis für alle anderen Darstellungen der Zeta-Funktion. Um die Riemannsche Zeta-Funktion für alle Zahlen der komplexen Zahlenebene (mit Ausnahme der Zahl 1) berechnen zu können, bedient man sich des Konzepts der analytischen Fortsetzung.
Euler-Produkt
Eine wesentliche Eigenschaft der Zeta-Funktion ist ihre Verbindung zu den Primzahlen. Euler, der als erster diesen Zusammenhang entdeckte, betrachtete dafür das später nach ihm benannte Euler-Produkt:
Hierbei stellt jeder einzelne Faktor des Produktes eine geometrische Reihe gebildet über den Wert dar, während sich das gesamte Produkt über alle Primzahlen erstreckt.
Als nächsten Schritt multiplizierte Euler das Produkt komplett aus, wobei sich unter Anwendung der Regel über das Produkt unendlicher Reihen
der folgende Ausdruck ergibt:
wobei die -te Primzahl ist. Nun griff Euler auf den Fundamentalsatz der Arithmetik zurück, der besagt, dass es für jede natürliche Zahl eine eindeutige Primfaktorzerlegung gibt, was wiederum heißt, dass für jede dieser Zahlen genau eine natürliche Folge existiert, sodass
gilt. Wendet man diese Tatsache auf Eulers ausmultiplizierten Summenausdruck an, erhält man folglich:
da die Summen jeweils unabhängig alle Folgeglieder über alle natürlichen Zahlen einschließlich 0 summieren, sodass jede erdenkliche Kombination der Primfaktorzerlegung durchlaufen wird. Zusammen mit der Formel
für die geometrische Reihe gelangt man schließlich zu:
Diese auf den ersten Blick völlig harmlose Tatsache macht die Zeta-Funktion zu einem zentralen Gegenstand der modernen Zahlentheorie und war ausschlaggebend für Bernhard Riemanns bedeutende Arbeit "Über die Anzahl der Primzahlen unter einer gegebenen Größe".
Anmerkung: Da das Euler-Produkt äquivalent zur Dirichlet-Reihen-Darstellung der Zeta-Funktion ist, konvergiert es ebenfalls nur auf der um 1 verschobenen rechten Halbebene, also für alle komplexen Zahlen mit .
Funktionalgleichung
Auf ganz gilt als Identität zwischen meromorphen Funktionen
Aus dieser geht durch einfache Umformung die alternative Darstellung
für alle s in hervor.
Alternativ zu der obigen Funktionalgleichung definierte Riemann in seiner Arbeit die Funktion:
Ein Herleitungsansatz für die Funktionalgleichung befindet sich im unteren Abschnitt.
Eigenschaften
Verhalten in der komplexen Ebene
Die -Funktion ist eine in ganz holomorphe Funktion, das bedeutet, dass sie an allen Stellen außer ableitbar ist. Darüber hinaus ist sie in ganz meromorph.
An der Stelle besitzt sie (aufgrund der Divergenz der harmonischen Reihe) einen Pol erster Ordnung mit Residuum 1, d.h. es gilt:
Des Weiteren gilt:
Eine einfache Erklärung hierfür ist das Verhalten der Dirichlet-Reihe. Wird nämlich der Realteil des Arguments stark vergrößert, so liefern die Reihenglieder nach 1 nur noch verschwindend kleine Beiträge.
Vergleiche hierzu auch den komplexen Graph der Zeta-Funktion zu Beginn des Artikels, der in Richtung der positiven reellen Achse zunehmend konstant rot gefärbt ist.
Spiegelung konjugierter Argumente
Zu einer komplexen Zahl definiert man ihre Konjugation über . Es gilt nun für alle :
Das bedeutet: wenn für ein reelles Zahlenpaar mit
mit gilt, so gilt gleichzeitig:
Eine Beweismöglichkeit dieser Tatsache ergibt sich über die Dirichlet-Reihe:
Obwohl die Dirichlet-Reihe nicht global konvergiert, wird diese Eigenschaft in ganz beibehalten.
Jede auf dem kritischen Streifen definierte und in einem Gebiet nullstellenfreie holomorphe Funktion wird beliebig genau approximiert.
Universalitätssatz von Woronin
Nach dem Universalitätssatz von Woronin ist die Riemannsche -Funktion im Stande, jede beliebige (holomorphe) Funktion in einer nullstellenfreien Kreisscheibe mit Radius 1/4 beliebig genau zu approximieren.
Sei nun eine in ganz holomorphe Funktion, die außerdem für kein verschwinde. Es existiert dann für jedes ein , so dass
für alle .
Die Aussage, dass sich die -Funktion selbst über den Universalitätssatz approximieren lässt, ist äquivalent zur Riemannschen Vermutung.[1]
Aus dem Universalitätssatz kann gefolgert werden, dass sich die -Funktion im kritischen Streifen äußerst chaotisch verhält, was zunächst widersprüchlich zu der (vermutlich) perfekt symmetrischen Lage ihrer Nullstellen zu sein scheint. Viele Mathematiker vermuten daher, dass sich hinter diesen abstrakten Eigenschaften eine fundamentale Theorie verbirgt.
Des Weiteren spielt sie eine Rolle bei der Taylor-Entwicklung der Kotangensfunktion. Reduziert man die obige Reihe nämlich auf gerade Terme, so ergibt sich:[2]
Verbindung zu zahlentheoretischen Funktionen
Es existieren Zusammenhänge zwischen einigen zahlentheoretischen Funktionen und der -Funktion. Diese Verbindungen drücken sich in Dirichlet-Reihen aus, die über die betreffenden zahlentheoretischen Funktionen gebildet werden.
Zum Beispiel haben wir die Relation:
wobei die Teileranzahlfunktion darstellt, welche zählt, wie viele natürliche Teiler eine Zahl besitzt. Dieses Resultat ergibt sich über die so genannte Dirichlet-Faltung zweier Dirichlet-Reihen. Ganz allgemein hat man:
Mit der Möbiusfunktion erhält man eine Dirichlet-Reihe, die den Kehrwert der -Funktion erzeugt. Es gilt dann:
Zur Erklärung dieses Zusammenhangs betrachtet man:
also einfach den Kehrwert des Euler-Produkts, und bildet durch konsequentes Ausmultiplizieren die dazugehörige Dirichlet-Reihe, die sich dann definitionsgemäß über jene Möbiusfunktion erstreckt.
Diese Formeln wurden von Euler entdeckt und 1735 in seiner Arbeit De Summis Serierum Reciprocarum erstmals veröffentlicht. Das Auffinden des Werts von ist auch als das Basler Problem bekannt.
Daneben gibt es auch die bemerkenswerte Rekursionsformel
für natürliche Zahlen , die Euler noch nicht bekannt war.[4]
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine zufällig gewählte Zahl quadratfrei ist, und ebenso die Wahrscheinlichkeit, dass zwei zufällig gewählte Zahlen teilerfremd sind, ist gleich
Allgemeiner ist die Wahrscheinlichkeit, dass positive ganze Zahlen keine -te Potenz größer 1 als gemeinsamen Teiler haben.[5]
Funktionswerte für ungerade natürliche Zahlen
Über den Wert der Zeta-Funktion für ungerade natürliche Zahlen ist nur sehr wenig bekannt. Beispielsweise weiß man, dass die Apéry-Konstante irrational ist.
Die Dezimalentwicklungen der ersten ungeraden Zeta-Werte sind:
Dieser Wert wird u. a. in der Physik bei der Berechnung der kritischen Temperatur für die Ausbildung eines sog. Bose-Einstein-Kondensats und in der Spinwellen-Theorie bei magnetischen Systemen benötigt.
,
.
Nullstellen
Die ersten "trivialen" Nullstellen der -Funktion.In Blau ist der Realteil und in Rot der Imaginärteil der Funktion dargestellt, so dass man klar die ersten nichttrivialen Nullstellen erkennen kann.
Triviale Nullstellen
Aus der Produktdarstellung kann man leicht folgern, dass für gilt. Zusammen mit der Funktionalgleichung ergibt sich, dass die einzigen Nullstellen außerhalb des kritischen Streifens
Die Lage der Nullstellen im kritischen Streifen hängt eng mit Aussagen über die Verteilung der Primzahlen zusammen. Beispielsweise ist die Aussage, dass auf dem Rand des kritischen Streifens keine Nullstellen liegen, ein möglicher Zwischenschritt beim Beweis des Primzahlsatzes. Weitere Vergrößerungen des „nullstellenfreien Bereiches“ implizieren Restgliedabschätzungen im Primzahlsatz. Riemann vermutete im Jahr 1859, dass alle Nullstellen auf der parallel zur imaginären Achse verlaufenden Geraden liegen. Diese so genannte riemannsche Vermutung konnte bislang weder bewiesen noch widerlegt werden.
Der Verlauf der Zeta-Funktion in der komplexen Ebene, besonders entlang von parallel zur imaginären Achse verlaufenden Streifen, wird wegen des Zusammenhangs mit der Primzahlverteilung und des davon unmittelbar betroffenen sogenannten Faktorisierungsproblems seit kurzem auch gezielt mit physikalischen Methoden untersucht, und zwar mit Interferenz-Methoden analog zur Holographie. Man teilt dazu die definierende Summe in zwei Teile mit positiver bzw. negativer Phase auf, ψ bzw. ψ*, die man anschließend zur Interferenz bringt.[6]
Die Imaginärteile der „ersten“ Nullstellen sind beispielsweise
±k
±Im ρk
1
14,134725141734693790…
2
21,022039638771554993…
3
25,010857580145688763…
4
30,424876125859513210…
Über die Eigenschaften dieser Imaginärteile (Irrationalität, Transzendenz, …) ist bis heute nahezu nichts bekannt.[7]
Ableitung
Ein Ableitungsausdruck der -Funktion ergibt sich aus gliedweiser Differenzierung ihrer Dirichlet-Reihe:
Eine Möglichkeit, den Definitionsbereich der -Funktion auf die gesamte rechte Halbebene auszudehnen, ergibt sich über einen Bezug zur Dirichlet-Reihendarstellung der Dirichletschen η-Funktion.
Man erhält:
Stellt man diese Gleichung um, ergibt sich der Ausdruck für :
Eine weitere Integraldarstellung, welche sogar für gilt, ist gegeben durch
Der Ausdruck
mit dem Ganzzahlwert
ist ebenfalls für gültig.[9] Diese Formel ergibt sich aus der letzten Summenformel im weiter unten stehenden Abschnitt bezüglich für .
Für alle erhält man die Integralrelation
die auch zur numerischen Berechnung der Zeta-Funktion herangezogen werden kann.[10] Ein ähnlicher Ausdruck ergibt sich über die Integraldarstellung der Lerchschen Zeta-Funktion:
Summenformeln
Zerlegt man das erste Integral aus dem vorherigen Abschnitt in die beiden Intervalle und , so erhält man
über eine Transformation unter Zuhilfenahme der Bernoulli-Zahlen,
die über
Einen anderen Weg, um zu einem Summenausdruck zu gelangen, stellt die Anwendung der Euler-MacLaurin-Summenformel,
dar, wobei als Mindestvoraussetzung eine auf dem Intervall -mal
differenzierbare Funktion ist,
die Bernoulli-Polynome sind und den ganzzahligen Anteil von darstellt.[11]
Indem man mit der Summenformel umwandelt, erhält man den Ausdruck
Diese Formel gilt nicht nur für die Ebene , sondern sogar für
(wobei natürlich wieder sei). Durch die freie Wahl von kann man den Definitionsbereich beliebig ausdehnen und hat damit einen Ausdruck für ganz .[11]
Über den Produktsatz von Weierstraß für holomorphe Funktionen ist es möglich, die Zeta-Funktion anhand ihrer Nullstellen über ein Produkt der Form
explizit zu rekonstruieren, wobei eine auf das Produkt multiplizierte und meist elementare Funktion darstellt. Im Falle der Zeta-Funktion ergibt sich für die Funktion und somit unter Verwendung der trivialen sowie nicht-trivialen Nullstellen:
Unter Zuhilfenahme der Produktentwicklung der Gamma-Funktion
erhält man das Hadamard-Produkt[12], benannt nach seinem Entdecker Jacques Hadamard, das global in konvergiert:
Eine etwas einfachere Form des Hadamard-Produktes ist:
Besonders diese letzte Darstellung verdeutlicht, dass sich die -Funktion im Prinzip komplett aus ihren Nullstellen und ihrer Singularität bei konstruieren lässt.
Beziehung zur Thetafunktion
Eine weitere Möglichkeit, die Riemannsche -Funktion analytisch fortzusetzen, ist eine Umtransformation des Integrals
P. Cerone: Bounds for Zeta and Related Functions. Journal of Inequalities in Pure and Applied Mathematics, Band 6, Nr. 5, 2005 (enthält Abschätzungen der Zetafunktion für ungerade ; PDF-Datei; 248 kB)
↑siehe z. B. W. Merkel et al.: Factorization of Numbers with Physical Systems. In: W.P. Schleich und H. Walther (Hrsg.): Elements of Quantum Information. Wiley-VCH-Verlag, Weinheim 2007, Seite 339 bis 353
↑Julian Havil: Gamma. Springer-Verlag Berlin et al. 2007, ISBN 978-3-540-48495-0, Seite 226.