Geschichte Sibiriens

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Die Skythenzeit

Sibirien war seit frühster Zeit von Stämmen unterschiedlicher Herkunft bzw. Zuordnung bewohnt. Die Skythen -kein homogenes Volk, sondern eine Gruppe von Stämmen mit vergleichbarer Kultur wie etwa dem charakteristischen Tierstil oder Hirschsteinen- kamen ursprünglich aus Sibirien. In Tuva ist ihre Anwesenheit seit dem 9. Jahrhundert v. Chr. archäologisch greifbar (Arzan-Kurgane, das sibirische "Tal der Könige"), weiterhin ist sie es im Minusinskgebiet am Jenissei (dort sogenannte Tagar-Kultur bis 3. Jahrhundert v. Chr.). Und schließlich gab es die Pazyryk-Kultur im Altai, deren frostkonservierte Gräber (Tätowierungen, chinesische Spiegel, Zeremonialwagen, Pferdeschmuck, Wandteppiche) der späten Skythenzeit (4./3. Jahrhundert) zugeordnet werden.

In den Kurganen von Arzan in Tuva fand man sogar Bronzegefäße der Westlichen Zhou-Dynastie, man verzeichnet die Totenfolge und vermutet aufgrund der baulichen Anordnung sogar eine Dynastiebildung. Das Minusinskgebiet am Jenissei verzeichnet seit dem Anfang des 1. Jahrtausend v. Chr. die bronzezeitliche Metallurgie, deren Produkte sich in fast allen größeren Museen der Welt finden lassen. Siedlungsstellen fand man wenige, aber die Anzahl der Gräber läßt auf relativ dichte Besiedlung am Jenissei schließen. Man identifiziert in der dortigen späten Tagar-Kultur auch Gräber der Oberschicht, die mitunter kollektiv bestattet wurden. Die Herrschergräber fanden sich bei Salbyk nördlich von Abakan.

Die Zeit der turkomongolischen Khanate

Die Skythenzeit ging mit den von den Hsiung-nu aus der Mongolei angestoßenen Wanderungsbewegungen zu Ende und es begann die Zeit der zunehmend türkisch geprägten Khanate in Sibirien (Kirgisen, Kimaken), die schließlich ihrerseits von den mongolischen Fürsten übernommen wurden (Orda-Horde, Sibir). Diese nomadischen oder halbnomadischen Völker übten aber kaum mehr als eine Oberherschaft im Süden Sibiriens aus, da ihre Kriegstaktiken im undurchdringlichen Taigaland an ihre Grenzen stießen und sie sich so meist mit Tributen begnügen mussten.

Trotzdem bildet diese Verschiebung nur einen Teil der sibirischen Geschichte ab. Finno-ugrische Völker zogen beispielsweise westwärts nach (Nord-und Ost)Europa, wo besonders das Auftauchen der vom Ural stammenden Ungarn im 10. Jahrhundert bemerkt wird. Die Tungusen wanderten nach Norden Richtung Tundra, ihre Gruppen hatten aber auch als Jurchen Einfluß auf die chinesische Geschichte.

Russische Eroberung und Einwanderung

Erste Kontakte der Rus nach Sibirien datieren in die Glanzzeit der Nowgoroder Republik seit dem 11. Jahrhundert. Mitte des 16. Jahrhundert sind russische Kosaken und Kaufleute in das riesige unerschlossene Gebiet Sibiriens vorgedrungen. Schon damals ging es um Rohstoffe wie Pelze und Edelmetalle. Bald wurden auch die ersten russischen Siedlungen gegründet. Der Kosakenataman Jermak, der 1582 das mongolische Khanat 'Sibir' in der Nähe des heutigen Tobolsk zerstörte, leitete diese Besiedlung ein.

Neu gegründete Städte wie Tjumen (1586), Tobolsk (1587), Tara (1594), Surgut (1594), Narym (1596), Turinsk (1600) oder Tomsk (1604) beherbergten Bauern, Handwerker, Popen, Beamte mit russischer Kultur und Lebensart. Trotzdem zog sich die russische Eroberung Sibiriens bis zum Anfang des 18. Jh. hin; so z.B. wehrten sich die Burjaten, Chanten und Korjaken viele Jahrzehnte gegen die Tributeintreiber des Zaren. Im Falle der Burjaten führte das dazu, dass sie im 19. Jh. das Rückrat der transbaikalischen Kosakenregimenter stellten, häufig Mischehen mit den Russen eingingen und Ackerbau betrieben.

Im 18. Jahrhundert gab es bereits mehr russische Siedler als Sibirjaken. Zur Kolonialisierung wurden nun auch Serben, Bulgaren, Rumänen und Deutsche motiviert. Nun kamen auch ernstzunehmende Forschungsexpeditionen in Gang, die von Zar Peter I. (genannt der Große) initiert bzw. gefördert wurden. Zu nennen sind da z.B. die Expeditionen Berings nach Kamtschatka oder die Arbeiten G. F. Müllers und J. G. Gmelins.

In den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts kam es zu einer Einwanderungswelle, die sich durch Eröffnung der Transsibirischen Eisenbahn (Herbst 1904) noch einmal steigerte. 1897-1911 wanderten 3,5 Millionen Russen nach Sibirien, 1905 waren 90 % der 9,4 Millionen Einwohner Sibiriens Russen. Es bildeten sich bald Unterschiede zum europäischen Teil Russlands heraus: Die Hütten der sibirischen Bauern waren geräumiger und in besseren Zustand, der gesellschaftliche Umgang war einfacher, kriminelle Vergangenheit war kein Hindernis für gesellschaftlichen Aufstieg.

Wie im amerikanischen Wilden Westen stellte die Oberschicht Ende des 19. Jh. ihren neu erworbenen Reichtum protzig zur Schau, orientierte sich an der Pariser Mode, verfügte seit den 1880ern über elektrisches Licht - und im Gegensatz hatten auch die großen Städte wie Irkutsk ungepflasterte Straßen und keine wirkliche Kanalisation.

Sibirien produzierte um 1910 einen Überschuss von 3 Millionen Tonnen Getreide, auch Butter wurde exportiert (um 1910 jährlich 70 Tonnen). Neben Butter, Weizen, Holz, Kohle war vor allem das Gold wichtig, denn die Eisen- und Stahlerzeugung Sibiriens war nicht mehr billig genug. Alles in allem erzeugte Sibirien um 1908 drei Prozent des Wertes der russischen Industrieproduktion mit einem Prozent seiner Arbeitskräfte. Importiert wurden im Jahr 1911 Agrarmaschinen und -geräte im Wert von 10 Millionen Dollar, so dass die sibirischen Bauern nicht nur mehr Nutztiere als ihre europäischen Landsleute hatten, sondern auch besser mechanisiert waren (z.B. dampfgetriebene Dreschmaschinen). Weiterführende (z.B. technische) Lehranstalten in den großen Städten (in Tomsk waren es um 1910 sogar 30 Stück) vervollständigten das Bild.

Neben der positiven Seite gab es auch eine negative: die Arbeitsbedingungen. Noch 1910 hausten die Arbeiter auf den Goldfeldern an der Lena meist in Erdhöhlen und unter Planen. Die Löhne wurden von den hohen Preisen in gesellschaftseigenen Läden aufgefressen und Misshandlungen waren an der Tagesordnung. Am 4. April 1912 kam es zum Aufruhr, Regierungstruppen töteten über 500 streikende Arbeiter. Das Massaker auf den Goldfeldern an der Lena fachte 1912 eine Streikwelle an, die Vorboten der Revolution.

Sibirien von 1918 bis heute

Im Sommer 1918 entstanden im Zuge der Revolution gut 19 "Regierungen" in Sibirien, z.B. die des G. M. Semjonow, Baron Ungern-Sternberg oder Iwan Kalmykow, allesamt grausame Kriegsherren. Unterstützt wurden sie z.B. mit japanischen Geld und Waffen, aber auch Briten und Amerikaner mischten sich ein. Der bedeutendste dieser Kriegsherren war wohl Alexander Koltschak, der sich am 18. November 1918 in Omsk zum Obersten Regenten Sibiriens machte. Aber bis spätestens Oktober 1922 (Eingliederung Wladiwostoks) setzten sich die Sowjetrussen unter Michael Frunse u.a. durch.

Etwa mit dem ersten Fünfjahresplan 1929 beginnt die forcierte industrielle Erschließung Sibiriens. Städte, Kraftwerke und Industriebetriebe werden in der bodenschatzreichen Gegend aus dem Boden gestampft. Anfang der 30er Jahre wird beschlossen, im Süden Sibiriens neben der bereits 1891 begonnenen Transsibirischen Eisenbahn eine zweite Bahnlinie, die Baikal-Amur-Magistrale, zu bauen.

Schon in zaristischer Zeit war Sibirien ein beliebter Verbannungsort für politische Gegner. Ein berühmtes Beispiel sind die so genannten Dekabristen. 1930 wurde auf Befehl Stalins mit der Errichtung der Gulags begonnen. Zur Zeit des Höhepunktes der Stalinschen Säuberungen 1937/38 wurden um die 7 Millionen Menschen in die sibirischen Straflager gebracht.

Heute leben viele Bewohner der während des Kommunismus neu gegründeten Städte Sibiriens unter äußerst schlechten Bedingungen, nachdem die wirtschaftlichen Anreize, die sie zur Sowjetzeit dorthin lockten, weggefallen sind. Durch starke Abwanderung verfallen Städte und Siedlungen. 1998 wurde beschlossen, "Siedlungen ohne Perspektive zu liquidieren".

Seit 2003 ist die Lücke im russischen Straßennetz in Sibirien geschlossen. Nun ist es auch möglich, mit dem Auto von der Ostsee an den Pazifik zu fahren, ohne russisches Territorium zu verlassen. Seit Jahrzehnten ist bereits eine Eisenbahnverbindung von der Baikal-Amur-Magistrale nach Jakutsk im Bau, deren Fertigstellung jedoch aus Geldmangel immer wieder aufgeschoben wurde. Die Vollendung dieses Projektes wird nun forcierter angegangen.

Souveränitätsbestrebungen

Im Jahr 1919 trennte sich Sibirien einige Monate von Russland, denn es gab schon damals Kräfte, welche die Direktverwaltung aus Moskau missbilligten.

Nach dem Zusammenbruch der SU gab es erneut die Idee eines souveränen Sibirien, der „Nordasiatischen Vereinigten Staaten“ mit weiß-grüner Fahne. Man erstrebte an einigen Orten eine eigene Polizei, Verfassung, Haushalt, Gerichtssystem und Finanz- und Zollhoheit.

In Krasnojarsk druckte die Verwaltung Sommer 1992 sogar ihr eigenes Geld. Dort tagte 27./28. März 1992 ein Volksdeputiertenkongress von sieben Verwaltungsgebieten: Tjumen, Omsk, Tomsk, Nowosibirsk, Kemerowo, Krasnojarsk und Chakassija, mit denen sich sämtliche Regionen außer Jakutien zur sogenannten MASS zusammenschlossen. Im Februar 1993 unterschrieben der russ. Ministerpräsident und die MASS einen Vertrag über gegenseitige Zusammenarbeit. Das ist allerdings Geschichte, denn die MASS gab nach und nach ihre politischen Ziele auf und beschränkte sich auf die wirtschaftlichen Interessen Sibiriens. Durchschlagenden Erfolg hat sie auch hier nicht gehabt, denn die Erdöl- und Erdgaskonzerne haben noch immer ihren Sitz in Moskau, d.h. ihre Gewinne fließen großteils dorthin. Sitz der MASS ist Nowosibirsk.

siehe auch:

Literatur

  • W. Bruce Lincoln: Die Eroberung Sibiriens, München 1996