Versailles (spr. werssaj), Hauptstadt des franz. Departements Seine-et-Oise.
Es liegt 19 km südwestlich von Paris, auf einer wasserlosen, öden Hochebene gelegen, durch Eisenbahnen auf dem rechten und linken Seineufer sowie durch Tramway mit Paris verbunden, eine regelmäßig und luftig angelegte Stadt, die nach der Rückverlegung der Kammern nach Paris und Entfernung der starken Garnison wieder so öde ist wie vor dem Krieg von 1870/71.
Sehenswürdigkeiten
Unter den Bauwerken gebührt der erste Rang dem berühmten Schloss, welches seit dem 17. Jahrhundert lange Zeit das Vorbild zahlreicher Schlösser europäischer Fürsten war. Es wurde, nachdem schon Ludwig XIII. hier ein Jagdschloss errichtet hatte, von Ludwig XIV. nach Mansarts Plan als eins der prächtigsten Schlösser der Welt geschaffen, umgeben von großartigen von André Le Nôtre entworfenen Gartenanlagen mit Wasserbassins, Fontänen etc.
Schloss Versailles
Um das Schloss entwickelte sich allmählich die Stadt, da Ludwig XIV. Baulustigen allen möglichen Vorschub leistete. Auch Ludwig XV. residierte hier, ebenso Ludwig XVI., und während dieser Zeit erhob sich die Bevölkerung auf mehr als 100.000 Seelen, sank aber, als der König gezwungen nach Paris übergesiedelt war, sehr rasch. Nach der Revolution wurde das Schloss nur notdürftig erhalten. Seit Ludwig Philipp dagegen wurden die Räume wiederhergestellt und das Schloss zu einem großartigen historischen Nationalmuseum eingerichtet, welches mit Büsten, Porträten, Schlachtenbildern und andern Kunstwerken, allerdings von vorwiegend historischem Werte (darunter jedoch Meisterwerke von H. Vernet, Delacroix, A. Scheffer, Yvon, Pradier u. a.), geschmückt.
Was das Äußere des aus drei Flügeln bestehenden Schlosses betrifft, so trägt die Fronte nach der Stadt hin zu sehr die Spuren verschiedener Zeiten und Pläne an sich, um einen bedeutenden Eindruck zu machen; desto imposanter ist trotz der etwas ermüdenden Regelmäßigkeit die Fronte gegen den Park hin. In demselben Geist und Geschmack ist auch die innere Einrichtung durchgeführt. Die ganze Gartenfront des mittleren Schlossflügels nimmt die große Galerie (Galerie des glaces, auch Galerie de Louis XIV. genannt) ein, welche mit ihren Plafondgemälden, Spiegeln, Säulen, Pilastern etc. einen imposanten Eindruck macht. Nächst dieser Galerie verdienen die Galerie des batailles, das Oeil deBoeuf, die Kapelle, das Theater etc. Erwähnung.
Der Park selbst, terrassenförmig ansteigend, macht, wenn auch in dem steifen Stil jener Zeit gehalten, doch mit seinen Blumenbeeten, Rasenteppichen, seiner Orangerie, seinen Bassins und Springbrunnen und den zahlreichen Bildwerken einen großartigen Eindruck.
Die Stadt hat 8 Kirchen, darunter eine Kathedrale, eine reformierte und eine anglikanische Kirche, Fabrikation von Uhren, Waffen, Werkzeugen, Eisen- und Kupfergeräten, Kaschmirshawls, Baumwollenstoffen etc. und (1886) 38.543 (als Gemeinde 49.852) Einw. Sie hat ein theologisches Seminar, ein Lyceum, eine Normalschule, eine Stadtbibliothek (60.000 Bände), mehrere gelehrte Gesellschaften und ist Sitz des Präfekten, eines Bischofs, eines Assisenhofs, eines Tribunals erster Instanz und eines Handelsgerichts.
Personen
Versailles ist der Geburtsort Ludwigs XV., XVI. und XVIII., der Generale Berthier und Hoche, des Abbé de l'Epée, der Schauspielerin Mars u. a. Im Park von Versailles liegen die Lustschlösser Groß- und Klein-Trianon.
In Versailles ward 3. September 1783 der Friede zwischen Frankreich und Nordamerika einerseits und England anderseits geschlossen. Am 1. Juli 1815 fand hier ein Gefecht zwischen den Preußen und Franzosen statt. Vom 5. Oktober 1870 bis 13. März 1871 war Versailles Sitz des großen Hauptquartiers der deutschen Armeen, und 18. Januar 1871 ward hier in der Spiegelgalerie des Schlosses der König Wilhelm I. von Preußen zum deutschen Kaiser proklamiert. Die Friedenspräliminarien wurden 26. Februar 1871 in Versailles unterzeichnet. Am 10. März 1871 verlegte die Nationalversammlung den Regierungssitz von Bordeaux nach Versailles; erst 1879 wurde er wieder nach Paris verlegt.
Aus: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Aufl. 1888/89