Horst Wagner (Diplomat)

Horst Wagner (* 17. Mai 1906 in Posen; † 13. März 1977) war ein deutscher Diplomat. Er wurde vor allem bekannt als Verbindungsmann zwischen dem nationalsozialistischen Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop und dem Reichsführer der SS Heinrich Himmler.
Leben und Wirken
Jugend, Ausbildung und frühe Jahre
Wagner war der Sohn eines Amtsrats im Reichskriegsministerium. Nach dem Besuch eines Realgymnasiums in Berlin-Steglitz, das er 1924 mit der Reifeprüfung verließ, begann er eine kaufmännische Lehre als Volontär bei der Firma Neuhof und Jonas, die er bereits nach sechs Monaten beendete. Danach studierte er Geschichte und Völkerrecht an der Universität Berlin. Außerdem belegte er einige Kurse an der Deutschen Hochschule für Politik. Eigenen Angaben zufolge will Wagner seit 1925 mit Unterbrechungen an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen studiert haben und dort 1929 ein Diplom erworben haben, was sein Biograf Sebastian Weitkamp als Fälschung entlarven konnte.[1]
In den Jahren 1930 bis 1936 arbeitete Wagner unter dem Signet Horst M. Wagner als Sportjournalist und freier Mitarbeiter für verschiedene Verlage und Zeitungen, so bei Ullstein, das Berliner Tageblatt, Wolffs Telegraphenbüro, Korbis und und einige andere Sport-, Kunst- und ethische Zeitschriften. In dieser Stellung unternahm er zahlreiche Auslandsreisen, um von sportlichen Wettkämpfen und über die internationalen Sportbeziehungen zu berichten. In einer Vernehmung von 1947 gab er an damals „wohl mit einer der bekanntesten Namen der Sportpresse“ gewesen zu sein. Neben seinen Sportberichten trat er zudem als Tennismeister der deutschen Sportpresse und durch die Veröffentlichung eines Sportromans hervor.
1931 war Wagner zusätzlich für ein Dreivierteljahr beim Reichsausschuss für Leibesübungen angestellt, wo er mit der Bearbeitung von Jahrbüchern und Sportabzeichen befasst war. Um 1935 war Wagner - der Französisch, Englisch und zumindest in Grundzügen Spanisch beherrschte - außerdem für einige Monate in der Abteilung „Ziviler Luftschutz“ des Reichsluftfahrtministeriums als Lektor und Dolmetscher für ausländische Zeitungen tätig.
Laufbahn im Diplomatischen Dienst des NS-Staates
Seit Anfang 1936 bemühte Wagner sich um eine Anstellung im Auswärtigen Amt, wo er auf die Anwärterliste gesetzt wurde. Ersatzweise bewarb er sich bei der Dienststelle Ribbentrop, dem Auswärtigen Büro der NSDAP, wo er zunächst abgelehnt worden sein will. Angeblich weil er weder der Partei noch einer Parteiorganisation angehörte und weil sein Vater Vorstand einer Berliner Freimaurerloge gewesen war.
Im Vorfeld der Olympischen Spiele von 1936 wurde Wagner dann vom Leiter des England-Referats in der Dienststelle Ribbentrop, Graf Dürckheim, angeboten, während der Spiele die Betreuung prominenter englischer Gäste zu übernehmen. Nachdem er dieses Angebot annahm trat er zum 1. Mai 1936 als Internationaler Sportattaché in das Ribbentrop-Büro ein. Nachdem er während der Olympischen Spiele erfolgreich bekannte englische Persönlichkeiten wie Lord Beaverbrook betreut hatte blieb Wagner auch anschließend als Begleiter für englische Gäste im Büro tätig. 1937 wurde Wagner dann mit der Gründung und Hauptschriftleitung der Deutsch-Englischen Hefte beauftragt, einer zweisprachigen Zeitschrift, die die Dienststelle Ribbentrop im Zusammenarbeit mit der Britischen Botschaft in Berlin für den deutschen Raum gestaltete. Die Hefte, deren Herausgeberschaft Wagner übernahm, erreichten sechs Ausgaben.
Nach der Ernennung Ribbentrops zum Reichsaußenminister im Frühjahr 1938 folgte Wagner diesem im Februar 1938 ins Auswärtige Amt, wo er zunächst als Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in der Protokollabteilung unter Alexander von Dörnberg tätig war. Seine Aufgaben dort umfassten Dinge wie die Vorbereitung von Staatsempfängen, Danksagungen, Einladungen, Geschenk-Angelegenheiten und Glückwunschtelegramme. 1939 wurde Wagner dem Persönlichen Stab des Reichaußenministers zugeteilt. In dieser Position wurde er 1940 zum Legationsrat ernannt.
Wagner wurde 1937 NSDAP-Mitglied (Nr. 5.387.042) und schon ein Jahr vorher in die SS aufgenommen, bei der er es mit Datum vom 1. Januar 1944 bis zum SS-Standartenführer brachte. Anfang 1944 schlug er eine „Arbeitstagung der Judenreferenten“ vor, die am 3. und 4. April unter dem Signet "Antijüdische Aktionsstelle" oder "Antijüdische Auslandsaktion" in Krummhübel stattfand und auf der Franz Alfred Six die „physische Beseitigung der Ostjuden“ forderte, wie der Judenreferent des Auswärtigen Amtes Eberhard von Thadden protokollierte.[2] Weitere bekannte Teilnehmer der Aktion sind Harald Leithe-Jasper, Adolf Mahr, Gustav Richter, Heinz Ballensiefen, Hans-Otto Meissner als Konsul in Italien, Peter Klassen, Paris und Hans Hagemeyer.[3]
Wagner fungierte bis Kriegsende als Leiter des Referats „Inland II“ des Auswärtigen Amtes, dessen Aufgabe von der Rekrutierung volksdeutscher „Freiwilliger“ für die Waffen-SS in Südosteuropa, über den Einbau ausgewählter SD-Agenten und Judenreferenten in diplomatische Missionen bis zur diplomatischen Absicherung der Vorbereitung und Durchführung antijüdischer Maßnahmen in Südosteuropa, ab 1944 vor allem in Ungarn, reichte. Zudem wurde er von Ribbentrop zum Verbindungsführer des Auswärtigen Amtes zur SS berufen und im Gegenzug von Himmler zu seinem alleinigen Verbindungsführer zum Auswärtigen Amt bestimmt. Wagners auf dieser doppelten Beauftragung basierende Verbindungstätigkeit bestand vor allem in der wechselseitigen Übermittlung und Koordination der Wünsche und Anregungen Himmlers bzw. Ribbentrops sowie in der Durchsetzung der zwischen beiden Ressortchefs abgestimmten außenpolitischen und judenfeindlichen Maßnahmen.
Als der Schweizer Gesandte Peter Anton Feldscher am 12. Mai 1943 im Auftrag der britischen Regierung beim Auswärtigen Amt anfragte, ob Bereitschaft bestünde, 5000 jüdische Kinder aus dem deutschen Herrschaftsbereich nach Palästina ausreisen zu lassen, ließ Wagner von Eberhard von Thadden für das Referat Inland II eine von ihm selbst unterstützte und von verschiedenen Abteilungsleitern des AA gebilligte propagandistische Zurückweisung dieses, im Amtsjargon als Feldscher-Aktion bezeichneten Rettungsversuches ausarbeiten, was dazu führte, dass eine Rettung der Kinder vereitelt wurde.[4]
Nach einem Bericht der Berliner Zeitung wurden im Jahr 2010 Stasi-Unterlagen aus den 70er-Jahren gefunden, die Wagner erheblich belasten. Er vermerkte für Ribbentrop am 31. Dezember 1944:
- Im Zusammenhang mit der Verurteilung von 15 deutschen Kriegsgefangenen durch amerikanische Kriegsgerichte wegen ihres Vorgehens gegen Mitgefangene hat der Führer den Vorschlag des Herrn RAM[5] genehmigt, sofort die Verurteilung einer entsprechenden Anzahl amerikanischer Kriegsgefangener zur Todesstrafe herbeizuführen.
Vom 28. - 30. Dezember 1944 seien bereits zehn US-Soldaten zum Tode verurteilt worden, ein weiteres Todesurteil liegt vor. Drei Tage später ist Ribbentrops Wunsch vollständig erfüllt, dank des Einsatzes der verantwortlichen Beamten, die für das Kriegsverbrechen sogar ihren Weihnachtsurlaub unterbrochen haben. Wagner bittet zufrieden um eine Belobigung.
- Bei der auf Anweisung des Herrn RAM (...) herbeigeführten Verurteilung von amerikanischen Kriegsgefangenen haben sich verschiedene Herren (...) unter Zurückstellung von ursprünglichen juristischen Bedenken besondere Verdienste erworben...(3. Januar 1945 an Ribbentrop)
Der schlägt vor, den Verantwortlichen sollen "gelegentlich (...) einige anerkennende Worte (...) im Namen des Herrn RAM mündlich in geeignet erscheinender Weise" ausgesprochen werden.[6]
Nachkriegszeit
Zum Ende des Zweiten Weltkriegs geriet Wagner in alliierte Kriegsgefangenschaft: Im Sommer 1945 wurde er von den Alliierten bis zur Überstellung nach Nürnberg im luxemburgischen Camp Ashcan in Bad Mondorf zusammen mit hohen NSDAP-Funktionsträgern und hohen Wehrmachtsangehörigen interniert.
Als Aktenfunde nach dem Krieg den Anteil der leitenden Beamten des Auswärtigen Amtes und insbesondere von Wagners Abteilung bzw. Referatsgruppe „Inland II“ an den Verfolgungsmaßnahmen gegen die europäischen Juden offenbarten, sollte gegen ihn im Wilhelmstraßen-Prozess Anklage erhoben werden. Als die Liste der Angeklagten um Mitglieder anderer Dienststellen mit Sitz in der Wilhelmstraße erweitert wurde, strich man Wagners Namen.[7] Wagner entzog sich 1948 der zu erwartenden Strafverfolgung durch Flucht nach Südamerika.
Nachdem Wagner 1952 unter falschem Namen als Korrespondent argentinischer Zeitungen nach Europa zurückgekehrt war, nahm - nach seiner Enttarnung - die Staatsanwaltschaft Essen 1958 Ermittlungen gegen ihn auf: 1967 wurde schließlich beim Landgericht Essen Anklage gegen ihn wegen Beihilfe zum Mord an 356.624 Juden[8] erhoben. Ein Prozess gegen den anfänglich von Ernst Achenbach verteidigten Wagner kam nicht zustande, Achenbach legte kurzfristig vor dem Termin das Mandat nieder und Wagners neuer Rechtsvertreter Hans Laternser musste sich in die Angelegenheit einarbeiten. Nach Laternser plötzlichem Tod übernahm der Anwalt Fritz Steinacker de 20 Bände Akten und 20 000 Dokumente.[9] Immer neue Krankmeldungen – bestätigt unter anderem durch Gutachten des Hamburger Psychiaters Hans Bürger-Prinz – verschleppten das Verfahren immer weiter, bis es 1974 wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten vorläufig eingestellt wurde. Ein endgültiges Ende fand es schließlich mit Wagners Tod am 13. März 1977.
Literatur
- Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, Karl Blessing Verlag, München 2010, ISBN 3-896-67430-7, ISBN 978-3-89667-430-2 (auch Schriftenreihe, Bd. 1117 der Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 2011).
- Hans-Jürgen Döscher: Das Auswärtige Amt im Dritten Reich. Diplomatie im Schatten der Endlösung. Berlin 1987, S. 262-305.
- Sebastian Weitkamp: Braune Diplomaten. Horst Wagner und Eberhard von Thadden als Funktionäre der „Endlösung“ . J.H.W. Dietz. Bonn 2008. ISBN 978-3-8012-4178-0.
- Kriegsverbrechen. Schmerzen nicht meßbar. In: Der Spiegel Nr. 42 vom 9. Oktober 1972.
- Gisela Heidenreich: Sieben Jahre Ewigkeit. Eine deutsche Liebe, Droemer Verlag, München 2007, ISBN 978-3-426-27381-4
- Gisela Heidenreich: Geliebter Täter. Ein Diplomat im Dienst der "Endlösung", Droemer Verlag, München 2011, ISBN 978-3426274323
Weblinks
- Literatur von und über Horst Wagner im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Institut für Zeitgeschichte: Archiv - Findmittel online. Bestand Behm, Hans-Ulrich. Signatur ED 411. Zum Bestand: Akten zur Voruntersuchung gegen den ehemaligen Legationsrat im Außenministerium des Referats Inland II, Horst Wagner, dazu Materialien und weiterführende Unterlagen im Umfeld, etwa zur Untersuchung im „Fall Mesny“, der Ermordung des französischen Generals Gustave Marie Maurice Mesny im Januar 1945. Siehe auch IfZ-Signatur Ge 01.07 und Ge 01.02 für weitere Bestände zu Horst Wagner bzw. Mesny.
- Protokolle einiger Vernehmung Wagners von 1946/1947 beim IFZ
Einzelnachweise
- ↑ Sebastian Weitkamp: Braune Diplomaten. Horst Wagner und Eberhard von Thadden als Funktionäre der „Endlösung“ . J.H.W. Dietz. Bonn 2008, S.445.
- ↑ Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. München 2010, S. 197 ff.-- Die Aktion ist auch als "Inf. XIV" (für "Informationsstelle 14") in den Akten präsent.
- ↑ lt. Teilnehmerliste April 1944 SS-AA-Tagung.- Paulus von Stolzmann wird seit Nov. 2010 nach einem Pressebericht Online ebenfalls dazu gerechnet, nachdem die Beteiligung Wagners an der völkerrechtswidrigen Ermordung amerikanischer Kriegsgefangener publik wurde. In den zugrunde liegenden Stasi-Unterlagen wird Stolzmann im Zusammenhang mit dieser "Aktion" geführt.
- ↑ Sebastian Weitkamp: Braune Diplomaten. Horst Wagner und Eberhard von Thadden als Funktionäre der „Endlösung“ . J.H.W. Dietz. Bonn 2008. ISBN 978-3-8012-4178-0, S. 209-230.
- ↑ Reichsaußenminister
- ↑ Bericht der Berliner Zeitung vom 28. Oktober 2010
- ↑ Dirk Pöppmann: Robert Kempner und Ernst von Weizsäcker im Wilhelmstraßenprozess. Zur Diskussion über die Beteiligung der deutschen Funktionselite an den NS-Verbrechen. S. 173. In: Irmtrud Wojak, Susanne Meinl: Im Labyrinth der Schuld. Frankfurt/M 2003, ISBN 3-593-37373-4
- ↑ So das Nachrichtenmagazin Der Spiegel vom 9. Oktober 1972
- ↑ Kriegsverbrechen, in: Der Spiegel Nr. 42/1972 (9. Oktober 1972), S. 55.
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Wagner, Horst |
| KURZBESCHREIBUNG | deutscher Verbindungsmann |
| GEBURTSDATUM | 17. Mai 1906 |
| GEBURTSORT | Posen |
| STERBEDATUM | 13. März 1977 |