Sufismus tasawwuf تصوف, islamische Mystik. Etymologisch ist unklar, ob das Wort von arabisch suf صوف - "Schurwolle", das auf die wollenen Gewänder der Sufis hinweist, oder von safa صفا - "rein" stammt. Eine andere Erklärung bietet auch der Begriff ahl as-suffa, was "Leute der Veranda" bedeutet. Dies bezieht sich auf die Gruppe von Personen, die sich zu Lebzeiten Muhammads um den Propheten scharten und wahrscheinlich in Armut lebten. Es wird außerdem behauptet, daß das Wort Sufismus auf die Leute der ersten (Gebets-)Reihe (saff-i awwal) hindeuten kann.
Die ersten Sufis waren einzelne Asketen. Erst ab dem 12. Jahrhundert entwickelten sich die Ordensgemeinschaften (Tariqas), die teilweise noch heute existieren. Die Konvente der Orden nennt man Khanqah (siehe auch Tekke).
Allgemeines
Die Sufis suchen durch Askese und Meditation (Dhikr) Gott nahe zu kommen oder mit Gott eins zu werden. Letzters wird vom orthodoxen Islam und der ihr eigenen islamischen Rechtspechung (Fiqh) zumindest kritisch betrachtet, wenn nicht gar als Gotteslästerung verdammt. Die Sufis sind aber auch andererseits oft dieser konservativen, manchmal verknöcherten, islamischen Rechtswissenschaft gegenüber kritisch eingestellt. Al-Hallaj, der mit Gott so eins geworden zu sein glaubte, dass er sagte: "Ana al-Haqq" ("Ich bin die Wahrheit"), wurde von der Orthodoxie als Ketzer verdammt und zu Tode gebracht. Kommen Sufis einem solchen Zustand nahe, geraten sie oft in Trance. Ein bekanntes Beispiel sind die so genannten tanzenden Derwische von Konya (griechisch: Ikonion), die sich solange im Kreis drehen, bis sie in Trance geraten.
Im allgemeinen folgt ihr Weg vier Stufen, die stark an eine Prägung durch den indischen Raum erinnern. Bis heute sind sich die Experten jedoch größtenteils noch unschlüssig darüber, wer hier wen und zu welcher Zeit beeinflußt hat:
- a) Auslöschen der sinnlichen Wahrnehmung,
- b) Aufgabe des Verhaftetseins an individuelle Eigenschaften,
- c) Sterben des Ego,
- d) Auflösung in das göttliche Prinzip.
Ziele sind Gesundheit und geistige Heilung. Das oberste Ziel ist aber das, Gott so nahe zu kommen wie möglich und dabei zwangsläufig die eigenen Wünsche zurückzulassen. Dies spiegelt sich klar in dem Prinzip zu sterben bevor man stirbt wieder, das von allen Sufis verfolgt wird.
Dazu ein Zitat von Abu Nasr as-Sarraj, einem Zeitgenossen des bekannten islamischen Mystikers Junaid: Sufismus bedeutet, nichts zu besitzen und von nichts besessen zu werden.
Der Weg des Derwisch
Eine andere Bezeichnung für Sufi ist Derwisch (von persisch darvesh: Bettler). Dabei ist es aber nicht unbedingt wörtlich zu verstehen, daß jeder Sufi ein Bettler ist; sondern dieser Begriff dient auch als Symbol dafür, daß derjenige, der sich auf dem Weg des Sufismus befindet, seine eigene Armut gegenüber Gottes Reichtum erkennt.
Auf dem Weg eines Derwisch gibt es folgende Stationen, die er zu meistern versucht:
Die Sufis sehen diese Stationen auch als Türen auf dem Weg zu Gott, die sich aber nicht neben-, sonder hinter-, oder besser noch ineinander befinden. Man muß also erst eine Tür durchschritten haben, bevor man daran arbeiten kann, die nächste in Angriff zu nehmen.
Die Rose als Symbol
Im Sufismus wird oft das Symbol der Rose gebraucht. Diese stellt die oben genannten Stufen folgenderweise dar: Die Dornen stehen für die Schari'a, das islamische Gesetz, der Stengel ist Tariqa, der Weg. Die Blüte gilt als Symbol für Haqiqa, der Wahrheit, die schließlich den Duft, Ma'rifa, die Erkenntnis, in sich trägt.
Hierbei läßt sich folgende Sichtweise der Sufis erkennen: Die Dornen schützen den Stengel, ohne sie könnte die Rose leicht von Tieren angegriffen werden. Ohne den Stengel haben die Dornen alleine aber auch keinerlei Bedeutung; man sieht hier also deutlich, daß die Sufis Schari'a und Tariqa unbedingt als zusammengehörig betrachten. Der Stengel ohne Blüte wäre nutzlos, und auch eine Blüte ohne Duft hätte keinen Zweck. Der Duft alleine ohne die Rose hätte aber ebenfalls keine Möglichkeit zu existieren.
Sufi-Geschichten
Ein wichtiger Bestandteil des Sufismus sind die Lehrgeschichten, die immer und immer wieder den Schülern (Derwischen) von ihren Lehrern (Sheikhs) erzählt werden. Dabei kann man sie in drei verschiedene Kategorien unterscheiden:
- Geschichten, die sich mit dem Verhältnis des einzelnen zu sich selbst und seiner individuellen Entwicklung befassen.
- Geschichten, die das Verhältnis zur Gesellschaft und zu anderen Menschen behandeln.
- Geschichten, die sich mit der Beziehung zu Gott befassen.
Dabei handelt es sich hier oft um scheibar einfache Geschichten, deren tiefere Bedeutung kann aber für den Derwisch sehr fein und tiefgründig sein. Die im Westen bekanntesten Lehrgeschichten sind beispielsweise die von Nasruddin Hodscha (auch Mullah Nasruddin), die meistens als Anekdoten oder einfache Witze mißverstanden werden.
Ein Beispiel: Nasruddin setzt einen Pedanten über ein stürmisches Wasser über. Als er etwas sagt, das grammatikalisch nicht ganz richtig ist, fragt ihn der Gelehrte: „Haben Sie denn nie Grammatik studiert?“ – „Nein.“ – „Dann war ja die Hälfte Ihres Lebens verschwendet!“. Kurz darauf dreht sich Nasruddin zu seinem Passagier um: „Haben Sie jemals schwimmen gelernt?“ – „Nein. Warum?“ – „Dann war Ihr ganzes Leben verschwendet – wir sinken nämlich!“
Anhand dieser Geschichte kann man erkennen, daß der Sufismus ein praktisches Handeln ist, kein theoretisches Studium.
Einfluss auf den Westen
Die Auswirkungen des Sufismus blieben nicht nur auf die muslimische Welt beschränkt. Einflüsse hatte er unter anderem auf die Weltliteratur, die Musik und auf viele Kulturen Süd- und Osteuropas. So wurden beispielsweise Konzepte wie das der romantischen Liebe und der Ritterlichkeit vom Westen übernommen, als Europa mit den Sufis in Kontakt kam.
Deshalb basieren viele Werke der westlichen Literatur auf Sufi-Geschichten, wie zum Beispiel die schweizerische Legende des Wilhelm Tell, die auf die Vogelgespräche von Fariduddin Attar zurückgeht. Auch Cervantes bestätigte selbst, daß sein Don Quijote sufische Wurzeln hat.
Bedeutende Sufis
- Abdul Qadir Gilani (* 1088; † 1166)
- Abu Hamid Al-Ghazali († 1111)
- Ahmed Ghazali († 1126)
- Ahmed Yesevi († 1166)
- al-Halladsch (* ca. 858; † 922)
- al-Sulami (* 936; † 1021)
- al-Quschayri
- Avicenna (Ibn Sina) († 1037)
- Dschalal ad-Din Rumi (* 1207; † 1273)
- Fariduddin Attar (* ca. 1136; † ca.1220)
- Hujwiri († ca. 1071)
- Ibn al-Farid († 1235)
- Ibn Arabi, "der größte Meister" († 1240)
- Ibn Masarra († 931)
- Ibn Rushd (Averroes) (* 1126; † 1198)
- Ibn Tufail (* 1110; † 1185)
- Junaid († 910)
- Mir Dard (* 1719; † 1785)
- Muinuddin Chishti († 1236)
- Muzaffer Ozak al-Jerrahi (* 1916; † 1985)
- Niyazi Misri († 1697)
- Pir Nureddin al-Jerrahi (* 1678; † 1721)
- Pir Umar Halveti († 1347)
- Rabi'a al-Adawiyya († 801)
- Suhrawardi (* 1157; † 1191)
- Uwais al-Qarani (7. Jahrhundert)
- Yunus Emre († 1321)
Sufiorden (Tariqas)
- Badawiyya
- Bektaschi
- Chishtiyya
- Jerrahiyya/Jerrahi
- Khalwatiyya/Halveti
- Kubrawiyya
- Malami
- Mevleviyya
- Naqschbandiyya
- Qadiriyya
- Rifai
- Suhrawardiyya
- Schadhiliyya
- Yesevi
Siehe auch:Liste islamischer Begriffe auf Arabisch
Literatur
- Annemarie Schimmel: Mystische Dimensionen des Islam; Die Geschichte des Sufismus
- Annemarie Schimmel: Gärten der Erkenntnis; Das Buch der vierzig Sufi-Meister
- Idries Shah: Die Sufis; Botschaft der Derwische, Weisheit der Magier
- Muzaffer Ozak: Liebe ist der Wein; Gespräche eines Sufi-Meisters in Amerika
- Bayat/Jamnia: Geschichten aus dem Land der Sufis
Weblinks
- Osmanische Herberge Naqschbandi-Bruderschaft in Deutschland
- Halveti-Jerrahi Order of Dervishes Amerikanische Seite der Jerrahi-Tariqat in New York