Jiří Gruša

tschechischer Dichter, Prosaist und Diplomat
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Jiří Gruša (zum Teil benutzte er die Pseudonyme Jaroslav Konečný und Josef Balvin; * 10. November 1938 in Pardubice, Tschechoslowakei; † 28. Oktober 2011 in Bad Oeynhausen, Deutschland[1], nach anderen Quellen in Hannover[2]) war ein tschechischer Dichter, Prosaist und Diplomat.

Jiří Gruša

Leben

Der Absolvent der philosophischen Fakultät der Karls-Universität Prag promovierte 1962 zum Dr. phil. Als Literat trat Gruša in den 1960er Jahren in Erscheinung. Er publizierte gemeinsam mit weiteren jungen Schriftstellern, darunter Jiří Pištora, Petr Kabeš, Jan Lopatka, Václav Havel, Zbyněk Hejda und Věra Linhartová, in der mitbegründeten Zeitschrift Gesicht (Tvář) - nachdem diese eingestellt worden war, in der von ihm selbst herausgegebenen Zeitschrift Hefte (Sešity). Gruša gehörte zu einer antiideologischen Generation, die das totalitäre System nicht geschaffen hatte, aber darin leben musste.

In den 1960er Jahren veröffentlichte er drei Gedichtbände und in den 1970er Jahren im Eigenverlag seine erotische Gedichtsammlung Anbetung der Janinca (Modlitba k Janince). Sein erster Roman Minner oder das Spiel um das Stinktier (Mimner aneb Hra o smrďocha) sollte wegen des pornografischen Inhalts verboten werden, das Verfahren wurde eingestellt und Gruša durfte in der Heimat nicht mehr publizieren.

In den nächsten Jahren verbreitete Gruša Bücher, die in Selbstverlagen erschienen. Er unterzeichnete die Charta 77 und wurde 1978 von der Staatsgewalt wegen seines in Toronto erschienenen Romans Fragebogen (Dotazník) wegen Angriffs auf das gesellschaftliche System verfolgt. Nach zwei Monaten wurde er auch wegen ausländischer Intervention entlassen.

Noch im gleichen Jahr wanderte Gruša nach Toronto aus. 1980 erhielt er ein literarisches Stipendium an der MacDowel Colony in den USA, ging nach Deutschland und lebte in Bonn. 1981 wurden ihm die tschechoslowakischen Bürgerrechte aberkannt, zwei Jahre später erhielt er die deutsche Staatsangehörigkeit. Für tschechische Schulen in Österreich verfasste er ein Lesebuch. Nach der samtenen Revolution wurde Gruša zum tschechischen Botschafter in Deutschland ernannt. Von Juni bis November 1997 war er tschechischer Bildungsminister, von 1998 bis 2004 Botschafter in Österreich. Von 2005 bis 2009 war Jiří Gruša Direktor der Diplomatischen Akademie Wien. Von 2004 bis 2009 bekleidete er die Funktion des Präsidenten des internationalen P.E.N.-Clubs.

Bis zu seinem Tod (2011) lebte er mit seiner deutschen Frau bei Bonn.[3]

Auszeichnungen

Mitgliedschaften

Werke

Gedichte

  • Torna (Der Tornister), Prag 1962
  • Světlá lhůta (Die helle Frist), Prag 1964
  • Cvičení mučení (Lernen-Leiden), Prag 1969
  • Babylonwald, Gedichte, Stuttgart 1990
  • Wandersteine, Gedichte, Stuttgart 1994

Kinderbücher

  • Kudláskovy příhody (Kudlaseks Abenteuer), Prag 1969

Romane

  • Mimner, Prag 1972
  • Modlitba k Janince (Gebet an Janinka), Prag 1972
  • Der 16. Fragebogen (Dotazník), Roman, Hamburg 1979
  • Dr. Kokes, mistr Panny, Toronto 1983
  • Janinka, Roman, Köln 1984
  • Franz Kafka aus Prag, Frankfurt 1983
  • Mimner oder Das Tier der Trauer, Köln 1986

Novellen

  • Dámský gambit (Damengambit), Prag 1974, Toronto 1978

Anthologien

  • Hodina naděje (Stunde namens Hoffnung), Frankfurt 1978
  • Verfemte Dichter. Anthologie verbotener tschechischer Autoren, Köln 1983

Erzählungen

  • Umělec v hladovení (Ein Hungerkünstler)
  • První hoře (Erstes Leid)
  • Starost hlavy rodiny (Die Sorge des Hausvaters)
  • Obchodník (Der Kaufmann)
  • Z deníku (Auszug aus dem Tagebüchern, 1921)
  • Gebrauchsanweisung für Tschechien. München: Piper, 1999.
  • Das Gesicht - der Schriftsteller - der Fall. Literatur in Mitteleuropa. Dresdner Poetikdozentur. Dresden: Thelem Universitätsverlag, 1999.
  • Klub přátel poezie - Mladá Fronta, 1999.

Sonstige Veröffentlichungen

  • Slovník českých spisovatelů 1948-1978 (Lexikon der tschechischen Schriftsteller), Initiator und Mitherausgeber, Prag 1980
  • Samisdat, Toronto 1982
  • Prager Frühling - Prager Herbst, Mitherausgeber Köln 1988
  • Prag - einst Stadt der Tschechen, Deutschen und Juden, Mitautor, München 1993
  • Als ich ein Feuilleton versprach. Handbuch des Dissens und Präsens - Essays, Überlegungen und Interviews der Jahre 1964-2004.
  • Beneš jako Rakušan ("Beneš als Österreicher"), Barrister &Principal, 2011 (Kritisches Buch zur Person Edvard Beneš. Das Buch soll im Frühjahr 2012 auf Deutsch erscheinen.)

Kurzbeiträge, Vorträge

  • Laudatio auf Eckhard Thiele, in: Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 1994, Frankfurt am Main 1994
  • Wanderghetto, Sonderdruck Universität Jena, 1997
  • Die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik seit Öffnung des eisernen Vorhangs - Regensburg 1993
  • Václav Havel, in: Die neue Gesellschaft - Frankfurter Hefte, 5. Mai 1989
  • Theresienstadt - Terezín, Dokumentation einer deutsch-tschechischen Gedenkveranstaltung, in: Grenzüberschreitende Zusammenarbeit II, 1998
  • Migration und Emigration. Die Tschechen und ihre Literatur nach 1945, in: Zur tschechischen Literatur 1945–1985 - Berlin Verlag 1990
  • Einführung in Zdenka Fantlovás: „In der Ruhe liegt die Kraft“, sagte mein Vater - Weidle Verlag 1999
  • Deutschlandbild in Tschechien - Tschechienbild in Deutschland, in: Zeitschrift zur politischen Bildung - Eichholz Brief 4/98
  • Reden über Deutschland, in: Reden über Deutschland 3 - C. Bertelsmann Verlag München 1992
  • Das europäische Spießbürgertum des Fortschritts, in: Literaturmagazin 22 - Ein Traum von Europa - Rowohlt 1988
  • Asymmetrie einer Nachbarschaft, in: 50 Jahre Bundesrepublik - Erinnerungen und Perspektiven H+L Verlag Köln 1999

Übersetzungen

Sekundärliteratur

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Schriftsteller und Politiker Jiri Grusa gestorben, Der Standard, 28.10.11
  2. ORF Ö1: Jiri Grusa gestorben (abgerufen am 28. Oktober 2011)
  3. Die Geburt eines Nationalisten, von Dirk Schümer, FAZ, 21. April 2011
  4. Klestil würdigt tschechischen Botschafter Jiri Grusa bei Abschiedsbesuch in der Wiener Zeitung vom 16. Februar 2004 abgerufen am 28. Oktober 2011
  5. http://www.radio.cz/de/artikel/74543
  6. Überreichung der französischen Auszeichnung "Officier de la Légion d’Honneur" an Herrn Direktor Jiri Gruša (27.11.2007) abgerufen am 28. Oktober 2011