Heteroverhalten (englisch straight acting) bezeichnet eine Auftretensweise schwuler Männer, die mit Männlichkeit assoziiertes Rollenverhalten umfasst. Anders als vom Begriff suggeriert, geht es aber nicht darum, dass schwule Männer mit Frauen Geschlechtsverkehr haben, ein Verhalten, das im eigentlichen Wortsinne heterosexuell wäre. Der Begriff löst unter schwulen Männern Kontroversen aus, die eng mit der jeweiligen Akzeptanz von bestimmten feministischen Theorien oder der Queer-Theory verbunden sind. Unabhängig von der Akzeptanz des Begriffs ist es unbestritten, dass das Verhalten selbst dazu beiträgt, gegen das Klischee zu wirken, dass schwule Männer "weiblich" seien.
Ein Teil der Schwulenbewegung, der dem Feminismus und der sogenannten Queer-Theory nahe steht, stellt die Geschlechtsrollen, die traditionell Männern und Frauen zugeschrieben werden, in Frage. Sie legen deshalb wenig wert darauf, dass Männer sich an diesen Rollen anpassen. Abweichungen von diesen Rollen, z.B. durch tuntisches Verhalten, werden also empanzipatorisch gedeutet. Ein anderer Teil der Schwulen akzeptiert diese vorgegebenen Geschlechtsrollen als normativ. Sie wehren sich stattdessen gegen das Vorurteil, dass homosexuelle Männer sich weiblich verhalten würden, und nutzen den Begriff, um eine „männliche“ schwule Verhaltensweise von einer „weiblichen“ schwulen Verhaltensweise abzugrenzen. Durch die bewusste Abgrenzung bzw. das Unterlassen von feminin konnotiertem Verhalten soll das sogenannte Heteroverhalten die öffentliche Wahrnehmung männlicher Homosexualität verändern oder deren Wahrnehmbarkeit einschränken. Anstatt das tuntige Verhalten als emanzipatorisch zu sehen, wird hier das Unterlassen des feminin konnotierten bzw. tuntigen - weil stereotyp schwulen – Verhaltens emanzipatorisch gedeutet. Unpolitischere Anhänger des straight acting argumentieren auch mit dem höheren erotischen Reiz, der von maskulinem Verhalten ausgeht; d.h. die „Tunte“ wird als sexuell unattraktiv erlebt und fällt damit von vornherein aus dem Rahmen eines potentiellen männlich-homosexuellen Begehrensobjekts, was nur natürlich sei.
Der Teil der Schwulenbewegung, der stärker von feministischer Theorie beeinflußt wird, lehnt den Begriff, sowie die verringerte Wahrnehmbarkeit und Anpassung an überlieferten Geschlechtsrollen, mit folgender Argumentation ab:
- das Ich-Konzept basiere hier auf Schauspiel und spiegele deshalb keine gefestigte Persönlichkeitsentwicklung wider
- Heteroverhalten sei ein Schritt zur Entpolitisierung der Homosexualität
- Heteroverhalten sei oftmals mit diskriminierenden „Tuntenhass“ verbunden, also ein Konzept des „Othering“
- Männer, die Heteroverhalten zeigen, hätten die Kritik an Sexismus und klischeehaften Geschlechtsrollen unzureichend nachvollzogen.
Verteidiger des Begriffs fühlen sich durch die Vorurteile, die Schwulen zugeschrieben werden, falsch repräsentiert. Für sie ist nicht das männliche Verhalten, sondern das tuntische Verhalten ein Schauspiel, das ebensowenig eine gefestigte Persönlichkeitsentwicklung widerspiegele. Sie sehen in Abweichungen von der vermeintlich männlichen Norm eine Verinnerlichung von Klischees durch Teile der Schwulenbewegung und verfolgen eine Politik, die auf die Normalisierung der Homosexualität abzielt und nicht auf die Vergrößerung ihrer Auffälligkeit.
Bei Lesben existiert diese Debatte auch. Allerdings wird sie anders geführt, da die lesbische Kultur stärker vom Feminismus beeinflußt wird, und die Bereitschaft, Geschlechtsrollen zu kritisieren, deshalb größer ist als bei Männern. Frauen, die weibliche Klischees entsprechen, werden (teilweise abwertend) als „Lippenstift-Lesben“ (lipstick lesbians) bezeichnet. Auch diese Bezeichnung wird von denjenigen, die davon betroffen sind, als Ausgrenzung gegenüber anderen Lesben und als Zwang zur feministischen Kritik oder zur Anpassung an ein klischeehaftes Bild von der „burschikosen Lesbe“ empfunden.