Julija Tymoschenko
| Kyrillisch (Ukrainisch) | |
|---|---|
| Юлія Володимирівна Тимошенко | |
| Transl.: | Julija Volodymyrivna Tymošenko |
| Transkr.: | Julija Wolodymyriwna Tymoschenko |
| Kyrillisch (Russisch) | |
| Юлия Владимировна Тимошенко | |
| Transl.: | Julija Vladimirovna Timošenko |
| Transkr.: | Julija Wladimirowna Timoschenko |
Julija Wolodymyriwna Tymoschenko (ukrainisch Юлія Володимирівна Тимошенко [], deutsch meist Julia Timoschenko geschrieben; geborene Hryhjan, * 27. November 1960 in Dnipropetrowsk) ist eine ukrainische Politikerin. Sie war von Januar bis September 2005 und von Dezember 2007 bis März 2010 Premierministerin der Ukraine.
Herkunft und Jugend
Julija Tymoschenko wurde von ihrer Mutter Ljudmyla Mykolajiwna Tjeljegina (ukr. Людмила Миколаївна Тєлєгіна) erzogen und wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Der Vater Wolodymyr Abramowytsch Grygjan (ukr. Володимир Абрамович Григян) hat einen armenischen Nachnamen. Die Eltern trennten sich bereits, als Julija drei Jahre alt war. Mit 24 schloss sie ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Staatsuniversität in Dnipropetrowsk ab und arbeitete anschließend fünf Jahre als Wirtschaftsingenieurin bei der Maschinenbaufirma Lenin in ihrer Heimatstadt. Noch während des ersten Studiensemesters hatte sie ihren späteren Ehemann, Olexandr Tymoschenko, kennengelernt und 1979 geheiratet. 1980 wurde die gemeinsame Tochter Jewgenija (ukr. Євгенія) geboren.
Aufstieg als Unternehmerin
Erste geschäftliche Erfahrungen sammelte sie mit einem Videoverleih. 1988 gründete Tymoschenko zusammen mit ihrem Mann eine Kooperative, seit 1989 leitete sie das Jugendzentrum Terminal.
1991 wurde mit Hilfe eigenen und elterlichen Kapitals die Firma Ukrajinskyj bensin (Український бензин) gegründet, deren Schwerpunkt auf Erdölprodukten lag. Julija Tymoschenko war zunächst Geschäftsführerin, dann Direktorin des Unternehmens. 1992 war die Aktiengesellschaft Monopolist auf dem Gebiet landwirtschaftlich genutzter Erdölprodukte.
Von 1995 bis 1997 war sie Chefin des Energiekonzerns EESU (Vereinte Energiesysteme der Ukraine). Gemeinsam mit ihrem Mann Olexander betrieb die „Gasprinzessin“ das Unternehmen mit guten Beziehungen zu Russland.
Politische Karriere
Anfänge
1996 wurde Tymoschenko mit großer Stimmenmehrheit für den Wahlkreis Kirowohrad in das ukrainische Parlament gewählt. Unter Ministerpräsident Wiktor Juschtschenko wurde sie 1999 dessen Stellvertreterin mit Verantwortung für den Energiebereich.
In der Regierung Juschtschenko wurden marktwirtschaftliche Reformen initiiert und die Korruption bekämpft, wodurch für die Oligarchen im Osten der Ukraine eine ernsthafte Gefahr entstand. Dies wird als Hintergrund für ihre Entlassung aus der Regierung und die Verfolgung durch die ukrainischen Behörden vermutet. Gemeinsam mit ihrem langjährigen politischen Weggefährten Olexandr Turtschynow gründete sie 1999 die Partei Batkiwschtschyna, deren Vorsitzende sie bis heute ist.
2001 waren sie und ihr Mann einige Wochen lang unter dem Vorwurf der Steuerhinterziehung und Urkundenfälschung in Untersuchungshaft. In Russland läuft gegen sie außerdem ein Verfahren wegen Bestechung von Militärs, deshalb war sie bis Anfang Dezember 2004 auf der Suchliste von Interpol. Bei den Parlamentswahlen 2002 trat ihre Partei erstmals in einem Bündnis mit anderen Parteien als Blok Juliji Tymoschenko (Block Julija Tymoschenkos, BJuT) an. Dieser erreichte 7,2 % der Wählerstimmen; seitdem führt Tymoschenko die Rada-Fraktion ihres Blocks.
Julija Tymoschenko war eine der treibenden Kräfte in der Opposition gegen die autoritäre Herrschaft des Präsidenten Leonid Kutschma und neben Wiktor Juschtschenko deren populärste Vertreterin.
Erste Amtszeit als Regierungschefin
Nach den turbulenten Ereignissen um die Präsidentschaftswahl 2004 und der Amtseinführung von Präsident Wiktor Juschtschenko ernannte dieser sie am 24. Januar 2005 zur geschäftsführenden Premierministerin. Am 4. Februar 2005 bestätigte das Parlament die Ernennung. Als Premierministerin verfolgte Julija Tymoschenko einen eher sozialdemokratischen Kurs und brachte sich damit in Gegensatz zum wirtschaftsliberalen Präsidenten.
Oppositionsführerin
Am 8. September 2005 wurde Julija Tymoschenko zusammen mit der gesamten ukrainischen Regierung von Präsident Juschtschenko entlassen (Nachfolger als Premierminister wurde Jurij Jechanurow). Allerdings erhielt der Block Julija Tymoschenko (BJuT) bei den Wahlen zur Werchowna Rada am 26. März 2006 22,3 % der Stimmen und wurde mit 129 Sitzen zweitstärkste Fraktion im neuen Parlament. Nach dreimonatigen Koalitionsverhandlungen scheiterte eine Neuauflage der „Koalition der orangefarbenen Revolution“ mit der Präsidentenpartei Nascha Ukrajina. Die Wiederwahl Tymoschenkos als Ministerpräsidentin scheiterte im Parlament und Tymoschenko wurde Oppositionsführerin in der Werchowna Rada.
Zweite Amtszeit als Regierungschefin

Bei den Parlamentswahlen am 30. September 2007 erreichte BJuT knapp 31 % der Stimmen. Die Partei der Regionen (PR) des amtierenden Ministerpräsidenten Wiktor Janukowytsch erzielte jedoch mehr als 34 %. Dennoch wählte das neue Parlament am 18. Dezember 2007 Julija Tymoschenko zur Premierministerin. Sie hatte sich Ende November mit der drittgrößten Gruppierung im Parlament, der Wahlallianz Nascha Ukrajina - Narodna Samooborona (NU-NS) von Präsident Juschtschenko, auf die Bildung einer Koalitionsregierung geeinigt.
BJuT und NU-NS verfügen im Parlament nur über eine dünne Mehrheit. Tymoschenkos zweite Amtszeit als Regierungschefin ist denn auch geprägt vom Konflikt mit der Opposition, der die legislative Arbeit zuweilen ganz zum Erliegen brachte, aber auch von sich verstärkenden Differenzen mit Staatspräsident Juschtschenko, der einer Regierung unter Tymoschenkos Führung von Beginn an skeptisch gegenüberstand und sich kurz nach der Wahl zuerst für eine Koalition seiner Partei mit der Partei der Regionen Janukowytschs ausgesprochen hatte. Dieser Konflikt innerhalb des westlich orientierten Lagers wird von Beobachtern als Indiz für einen Kampf zwischen Tymoschenko und Juschtschenko um die zukünftige Machtverteilung gedeutet.[1]
Am 6. Juni 2008 erklärten zwei Abgeordnete des Regierungslagers, die Regierung nicht weiter stützen zu wollen, wodurch Tymoschenko ihre Mehrheit in der Werchowna Rada einbüßte.[2] Am 11. Juli 2008 scheiterte jedoch überraschend ein Misstrauensvotum gegen Tymoschenko. Dabei stimmten die beiden abtrünnigen Abgeordneten des Regierungslagers gegen Tymoschenko, während ihr zwei Abgeordnete der oppositionellen PR (Anatolij Kinach und Witalij Chomutynnik) das Vertrauen aussprachen.[3]
In der Nacht zum 3. September 2008 beschloss die NU-NS-Fraktion der Werchowna Rada, die Koalition zu verlassen. Die Entscheidung fiel auf Druck Präsident Juschtschenkos und unter dem Eindruck der vorangegangenen Parlamentssitzung, in der Tymoschenkos BJuT mehrere Parlamentsbeschlüsse gemeinsam mit der oppositionellen Partei der Regionen (PR) durchgesetzt hatte. Ferner wird dem BJuT vorgeworfen, sich mit der PR auf ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten geeinigt zu haben. Zuvor hatten sich die Koalitionspartner nicht auf eine gemeinsame Stellungnahme zum Kaukasus-Konflikt einigen können.[4] Das offizielle Ende der Regierungskoalition aus BJuT und NU-NS verkündete Parlamentspräsident Arsenij Jazenjuk am 16. September 2008.[5][6]
Fast drei Monate später, am 9. Dezember 2008, einigten sich Juschtschenko und Tymoschenko auf eine Fortsetzung ihres Bündnisses. Der Koalition gehörte seither auch der Blok Lytwyna an, dessen Vorsitzender Wolodymyr Lytwyn gleichentags zum Parlamentspräsidenten gewählt wurde.[7]
Aufgrund des andauernden und lähmenden Streits zwischen Präsident und Regierung und vor dem Hintergrund der dramatischen Auswirkungen der internationalen Wirtschaftskrise auf die Ukraine verhandelten Tymoschenko und Janukowytsch im Jahr 2009 über eine mögliche große Koalition. Die Verhandlungen scheiterten aber im Juni 2009.[8]
Im Oktober 2009 gab Tymoschenko ihre Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2010 bekannt.[9] In beiden Wahlgängen (17. Januar und 7. Februar 2010) kam sie hinter Janukowytsch auf den zweiten Platz. Den Wahlsieg Janukowytschs bezeichnete sie als Resultat von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl. Eine Klage gegen das Ergebnis zog sie wegen absehbarer Erfolglosigkeit zurück. Am 3. März 2010 wurde ihrer Regierung – als Folge ihrer Niederlage bei der Präsidentschaftswahl – von der Mehrheit der Parlamentsabgeordneten das Misstrauen ausgesprochen. Tymoschenko lehnte es ab, bis zur Bildung eines neuen Kabinetts als kommissarische Regierungschefin im Amt zu bleiben und übergab die Amtsgeschäfte ihrem Stellvertreter Olexandr Turtschynow.[10]
Wieder in der Opposition / Strafverfahren

Nach dem Verlust ihrer Macht wurden gegen Tymoschenko – aber auch gegen Mitglieder ihres Kabinetts – mehrere Strafverfahren eingeleitet: Ab Mai 2010 ermittelte die Staatsanwaltschaft erneut wegen des alten Verdachts, sie habe im Jahr 2003 versucht, Richter des Obersten Gerichtshofs der Ukraine zu bestechen.[11]
Ein zweites Verfahren wurde nach Veröffentlichung eines Berichts von US-amerikanischen Anwaltsfirmen eingeleitet. Sie hatten die zweite Regierungszeit Tymoschenkos untersucht und Hinweise auf den Missbrauch öffentlicher Gelder, Betrug und Geldwäsche durch Beamte, mehrere Ministerien und private Unternehmen festgehalten.[12] Die Staatsanwaltschaft ermittelte in drei Angelegenheiten: 1) die zweckfremde Verwendung von Einnahmen aus dem Handel mit Kohlendioxid-Rechten, 2) der Kauf von Rettungswagen zu erhöhten Preisen, 3) Überschreitung der Amtsbefugnisse bei der Aushandlung von Gasverträgen mit Russland.[13] Eine offizielle Anklage erfolgte am 20. Dezember 2010 mit dem Vorwurf der Veruntreuung von Staatsgeldern,[14] am 24. Mai 2011 folgte eine weitere lautend auf mutmaßlichen Amtsmissbrauch.[15]
Aus Sicht von Tymoschenko sind die Verfahren gegen sie und mehrere ihrer früheren Minister der Versuch der Regierung, die Opposition zu "enthaupten".[16] Ende Juni 2011 reichte sie beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde gegen ihre Strafverfolgung ein.[17]
Im Zuge der Verhandlungen wegen Amtsmissbrauchs ließ ein Gericht in der Ukraine die angeklagte Oppositionsführerin am 5. August 2011 in Untersuchungshaft nehmen, nachdem die Staatsanwaltschaft dies nach mehreren Störversuchen während des Prozesses beantragt hatte. Zuvor hatte das Gericht die Untersuchungshaft noch abgelehnt. Tymoschenko hatte den Prozess als Versuch von Präsident Wiktor Janukowytsch kritisiert, sie von einer Teilnahme an den Wahlen abzuhalten. Auch hatte sie sich geweigert, das Gericht zu respektieren und aufzustehen, während sie den vorsitzenden Richter ansprach. Zudem beleidigte sie diesen wiederholt und stellte seine Objektivität infrage. Kurz nach der Entscheidung kam es zu Handgreiflichkeiten im Gerichtssaal.[18] Die Festnahme Tymoschenkos wurde sowohl von der Außenbeauftragten der Europäischen Union als auch vom Präsidenten des Europäischen Parlaments und der EU-Ratspräsidentschaft scharf kritisiert.[19] Die EU und die USA haben das Verfahren als politisch motiviert kritisiert und das Land vor Isolation gewarnt.[20]
Die Staatsanwaltschaft beantragte am 27. September 2011 eine Strafe von sieben Jahren wegen Amtsmissbrauchs.[21] Die Verteidigung verlangte einen Freispruch. Am 11. Oktober 2011 wurde Tymoschenko schuldig gesprochen. Ein Gericht in Kiew sah es als erwiesen an, dass Tymoschenko 2009 mit Russland Gasverträge zum Nachteil der Ukraine abgeschlossen habe. Dadurch habe die Ukraine einen Schaden von umgerechnet rund 137 Millionen Euro erlitten.[22] Tymoschenko wurde zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt.[23]
Schriften
- Containing Russia, in: Foreign Affairs, May-June 2007, S.69-82.
Literatur
- Dmitri Popov, Ilia Milstein: Julia Timoschenko. Die Zukunft der Ukraine nach der Orangenen Revolution. DuMont, Köln 2006, ISBN 3-8321-7955-0.
Theater
- In dem Theaterstück Julia Timoschenko von Adriana Altaras und Maxim Kurotschkin (Premiere: 24. September 2006 am Hans Otto Theater, Potsdam) wurde Julija Tymoschenko zur Bühnenfigur.
Siehe auch
Weblinks
- Persönliche Webseite von Tymoschenko (ukrainisch, russisch und englisch)
- Literatur von und über Julija Tymoschenko im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Welt am Sonntag – Die Jeanne d'Arc der Ukraine
- WELT ONLINE vom 5. Maerz 2007, Interview mit Julia Tymoschenko
- Yuliya Tymoshenko: Containing Russia (Foreign Affairs, Mai/Juni 2007)
- Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. Februar 2010 – Julija Timoschenko -Partnerin oder Komplizin?
Einzelnachweise
- ↑ http://www.kas.de/proj/home/pub/47/1/year-2008/dokument_id-13261/index.html
- ↑ NEWSru.ua: Демократической коалиции больше нет. Рыбаков и Бут заявили о выходе
- ↑ NEWSru.ua: Партия регионов не смогла отправить в отставку правительство Тимошенко
- ↑ NEWSru.ua: Коалиции больше нет: НУ-НС разрывает союз с БЮТ. Далее - новая коалиция или роспуск ВР
- ↑ NEWSru.ua: Коалициада: старое большинство распустили, а нового может не быть
- ↑ Ukraine-Nachrichten.de: Jazenjuk erklärt Regierungskoalition offiziell für beendet
- ↑ Politiker der "Orange Revolution" mit neuer Koalition in Ukraine, Reuters Deutschland, Nachricht vom 9. Dezember 2008
- ↑ Keine "Große Koalition" in Kiew, uni-kassel.de, 19. Juni 2009
- ↑ Timoschenko kandidiert, NZZ Online, 26. Oktober 2009
- ↑ NEWSru.ua: Верховная Рада отправила Тимошенко в отставку
- ↑ Ermittlungen gegen Timoschenko laufen wieder, Frankfurter Rundschau, 12. Mai 2010
- ↑ Das 500-Mio.-Euro-Problem der Julia Timoschenko, Financial Times Deutschland, 16. Oktober 2010
- ↑ Ermittlungen gegen ukrainische Ex-Regierungschefin abgeschlossen, RIA Novosti, 24. Mai 2011
- ↑ Staatsanwalt klagt Timoschenko wegen Untreue an, Spiegel Online, 20. Dezember 2010
- ↑ Ehemalige Regierungschefin erneut der Korruption beschuldigt, Focus Online, 24. Mai 2011
- ↑ Julija Timoschenko spricht von "selektiver Justiz" der Ukraine, FAZ Online, 25. Januar 2011
- ↑ Timoschenko will vor Menschenrechtsgericht um ihr Recht kämpfen, nachrichten.at, 29. Juni 2011.
- ↑ Timoschenko muss in Untersuchungshaft, Süddeutsche Zeitung, 4. August 2011.
- ↑ Konrad Schuller, "Opposition fordert Konsequenzen", in FAZ, 8. August 2011, S 5.
- ↑ Timoschenko schuldig gesprochen. In. Financial Times Deutschland vom 11. Oktober 2011
- ↑ Staatsanwältin fordert Schuldspruch für Timoschenko. In: Tages-Anzeiger vom 27. September 2011
- ↑ Schuldspruch für Timoschenko. In: NZZ Online vom 11. Oktober 2011
- ↑ Ukraine: Sieben Jahre Haft für Timoschenko In: Zeit Online vom 11. Oktober 2011
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Tymoschenko, Julija |
| ALTERNATIVNAMEN | Tymoschenko, Julija Wolodymyriwna; Тимошенко, Юлія Володимирівна (ukrainisch); Hryhjan, Julija; Григян, Юлія (Geburtsname) |
| KURZBESCHREIBUNG | ukrainische Politikerin, Premierministerin der Ukraine |
| GEBURTSDATUM | 27. November 1960 |
| GEBURTSORT | Dnipropetrowsk |